Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 IV 25



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Urteilskopf

139 IV 25

4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Generalstaatsanwaltschaft gegen X.
(Beschwerde in Strafsachen)
1B_264/2012 vom 10. Oktober 2012

Regeste

Art. 3 Abs. 2 lit. c, Art. 101 Abs. 1, Art. 107 Abs. 1 lit. b, Art. 108 Abs. 1
lit. a und Abs. 2, Art. 139 Abs. 1, Art. 146 Abs. 1, Art. 147 Abs. 1, Art. 224
Abs. 1 und Art. 312 Abs. 2 StPO; Recht auf Teilnahme bei der Einvernahme von
Mitbeschuldigten, Zeugen und Auskunftspersonen.
Sachurteilserfordernisse und Streitgegenstand (E. 1-3). Verfahrensregeln der
getrennten Einvernahmen und der Parteiöffentlichkeit von Beweiserhebungen (E.
4). Der Anspruch beschuldigter Personen auf Teilnahme an Beweiserhebungen gilt
grundsätzlich auch für die Einvernahme von Mitbeschuldigten (E. 5.1-5.3).
Mögliche Zielkonflikte im Hinblick auf die strafprozessuale Wahrheitsfindung
und das Gleichbehandlungsgebot sowie Ausnahmen vom Grundsatz der
Parteiöffentlichkeit (E. 5.4 und 5.5). Problematik der Zulassung von noch nicht
einvernommenen Beschuldigten zu den Einvernahmen von Mitbeschuldigten (E.
5.5.2-5.5.4). Anspruch auf Teilnahme des bereits staatsanwaltlich verhörten
Beschuldigten und seines Verteidigers an den Einvernahmen von Mitbeschuldigten,
Zeugen und Auskunftspersonen. Ausnahme vom Grundsatz der Parteiöffentlichkeit
im vorliegenden Fall verneint (E. 5.5.5-5.5.11).

Sachverhalt ab Seite 26

BGE 139 IV 25 S. 26

A. Die Regionale Staatsanwaltschaft Emmental-Oberaargau führt eine
Strafuntersuchung gegen X. (nachfolgend: Beschuldigter) und zwei
Mitbeschuldigte wegen Diebstahls. Im Hinblick auf die für den 19. Januar 2012
angekündigten Einvernahmen der beiden Mitbeschuldigten stellte der Beschuldigte
ein Gesuch um Teilnahme an den Einvernahmen, welches die Staatsanwaltschaft mit
Verfügung vom 13. Januar 2012 abwies. Ein weiteres Gesuch des Beschuldigten um
Teilnahme an den weiteren Einvernahmen von Mitbeschuldigten, Auskunftspersonen
und allfälligen Zeugen (eventuell vorerst beschränkt auf den
Offizialverteidiger) entschied die Staatsanwaltschaft am 26. Januar 2012
ebenfalls abschlägig. Eine vom Beschuldigten dagegen erhobene Beschwerde hiess
das Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, mit
Beschluss vom 13. April 2012 gut.

B. Gegen den Beschluss des Obergerichts gelangte die Staatsanwaltschaft des
Kantons Bern, Generalstaatsanwaltschaft, mit Beschwerde vom 9. Mai 2012 an das
Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides
(soweit er die Teilnahmerechte des Beschuldigten betrifft).
BGE 139 IV 25 S. 27
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung ausdrücklich verzichtet. Der
Beschuldigte beantragt mit Stellungnahme vom 6. Juni 2012 die Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Die Generalstaatsanwaltschaft ist in Fällen wie dem vorliegenden zur
Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG; vgl. BGE 137 IV 340
E. 2.3 S. 344-346). Auch das Sachurteilserfordernis des nicht wieder
gutzumachenden Rechtsnachteils bei nicht verfahrensabschliessenden
Zwischenentscheiden (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) ist erfüllt. Die streitigen
Grundsatzfragen sind rechtzeitig im hängigen Untersuchungsverfahren zu klären.
Falls sich erst in einem späteren Beschwerdeverfahren gegen den Endentscheid
herausstellen würde, dass der Ausschluss des Beschuldigten von den Einvernahmen
unzulässig war, droht zum Nachteil der beschwerdeführenden
Generalstaatsanwaltschaft ein empfindlicher Beweisverlust (vgl. Art. 147 Abs. 4
StPO [SR 312.0]). Bei einer verfrühten Zulassung des Beschuldigten zu
Einvernahmen droht demgegenüber (nach den Darlegungen der
Generalstaatsanwaltschaft) Kollusion bzw. eine Verfälschung der
Beweisergebnisse. Auch aus Sicht des Beschuldigten drängt sich eine Klärung
seiner gesetzlich verankerten Partei- und Teilnahmerechte im
Untersuchungsverfahren auf. In ähnlichen Konstellationen (insbesondere
betreffend Akteneinsicht bzw. drohende Beweisverluste) hat das Bundesgericht
den Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ebenfalls bejaht (BGE
137 IV 340 E. 2.3.3 und 2.3.4 S. 345 f.; Urteile 1B_238/2011 vom 13. September
2011, in: Pra 2012 Nr. 34 S. 230 ff.; 1B_32/2010 vom 10. Mai 2010 E. 1).

2. Das Obergericht erwägt im angefochtenen Entscheid zusammengefasst Folgendes:
Die Parteien hätten (gestützt auf Art. 147 Abs. 1 StPO) grundsätzlich das
Recht, an sämtlichen Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft
teilzunehmen. Dazu gehöre namentlich die Einvernahme von (mit)beschuldigten
Personen, Zeugen oder Auskunftspersonen. Die von der Staatsanwaltschaft (und
vom Zürcher Obergericht) vertretene These, wonach der in Art. 146 Abs. 1 StPO
verankerte Grundsatz der getrennten Einvernahme eine Ausnahme zum
Teilnahmerecht nach Art. 147 Abs. 1 StPO bilde, überzeuge nicht. Insofern sei
der Praxis des Appellationsgerichtes
BGE 139 IV 25 S. 28
Basel-Stadt zu folgen. Gewisse Einschränkungen des Teilnahmerechtes seien zwar
(gestützt auf Art. 108 StPO und allenfalls in Analogie zu Art. 101 Abs. 1 StPO)
zulässig. Im vorliegenden Fall sei dem Beschuldigten die Teilnahme an den
Befragungen von Mitbeschuldigten, Zeugen und Auskunftspersonen jedoch zu
Unrecht verweigert worden.

3.

3.1 Die Staatsanwaltschaft stützt die von ihr verfügte Verweigerung der
Teilnahme des Beschuldigten und seines Offizialverteidigers an den fraglichen
Einvernahmen auf Art. 146 Abs. 1 StPO. Die Bestimmung bezwecke,
Kollusionshandlungen zu verhindern. Daher sei es in der Anfangsphase des
Strafverfahrens zulässig, die einzelnen Beschuldigten in dem Sinne getrennt
voneinander zu befragen, dass sie und ihre Verteidiger wechselseitig von den
Einvernahmen der übrigen Mitbeschuldigten (vorerst) ausgeschlossen werden.
Damit könne sichergestellt werden, dass die Untersuchungsbehörde nicht von
Anfang an allen Beschuldigten sämtliche Informationen offenlegen müsste und die
Beschuldigten nicht die Möglichkeit hätten, ihre Aussagen an diejenigen der
Mitbeschuldigten anzupassen. Diese Interpretation (von Art. 146 Abs. 1 i.V.m.
Art. 147 Abs. 1 StPO) entspreche der bisherigen (vor Inkrafttreten der neuen
StPO am 1. Januar 2011 geltenden) Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu Art. 32
Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK.

3.2 Die beschwerdeführende Generalstaatsanwaltschaft macht überdies
(zusammengefasst) geltend, im vorliegenden Fall sei jedenfalls eine
Einschränkung des Teilnahmerechtes gestützt auf Art. 108 Abs. 1 lit. a und Abs.
2 StPO zulässig. Der in der StPO statuierte Grundsatz der Parteiöffentlichkeit
von Beweisabnahmen konkretisiere primär den sich aus Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
ergebenden Anspruch des Beschuldigten auf Konfrontation mit belastenden
Gewährspersonen. In seiner allgemeinen Ausrichtung gehe Art. 147 Abs. 1 StPO
aber weit über diesen Anspruch hinaus. Die bisherige Praxis des Bundesgerichtes
zu Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK und Art. 32 Abs. 2 BV habe lediglich
grundrechtliche Minimalgarantien für das Teilnahmerecht an Beweiserhebungen
entwickelt. Der drohende Rechtsmissbrauch (im Sinne von Art. 108 Abs. 1 lit. a
StPO) sei in möglichen Verdunkelungshandlungen zu sehen. Im Haftantrag der
Staatsanwaltschaft vom 20. Dezember 2011 sei Kollusionsgefahr als Haftgrund
gegen den Beschuldigten wie folgt begründet worden: "Es muss verhindert werden,
dass die drei Verhafteten ihre Aussagen absprechen, mögliche
BGE 139 IV 25 S. 29
Mittäter warnen, resp. evtl. weiteres Deliktsgut, Einbruchswerkzeug oder Spuren
verschwinden lassen resp. vernichten". Nach Ansicht der
Generalstaatsanwaltschaft erscheint es sachgerecht, das Teilnahmerecht an
Beweiserhebungen "mit der gleichen Begründung" einzuschränken, mit der die
Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr angeordnet wurde.

4.

4.1 Die Artikel 142-146 StPO regeln (im Rahmen des 2. Abschnitts
"Einvernahmen", im 1. Kapitel "Allgemeine Bestimmungen" unter dem 4. Titel
"Beweismittel") die allgemeinen Modalitäten der strafprozessualen Einvernahmen.
Art. 146 StPO trägt den Randtitel "Einvernahmen mehrerer Personen und
Gegenüberstellungen". Er ordnet im Wesentlichen einvernahmetechnische Fragen
der genannten Befragungsfälle. Art. 146 Abs. 1 StPO bestimmt, dass mehrere zu
befragende Personen im Regelfall "getrennt einvernommen" werden. "Getrennt"
voneinander bedeutet zunächst, dass Befragte (insbesondere Zeugen oder
Mitbeschuldigte) im Rahmen der gleichen Einvernahmesitzung nicht gemeinsam
(d.h. gleichzeitig oder wechselseitig) befragt werden, sondern nacheinander.
Vorbehalten ist der Sonderfall der Konfrontationseinvernahme verschiedener
Personen nach erfolgten ersten Befragungen (Art. 146 Abs. 2 StPO; vgl.
Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts,
BBl 2006 1085 ff., 1186). Sinn und Zweck von Art. 146 Abs. 1 StPO ist in diesem
Sinne die ungestörte Wahrheitsfindung, insbesondere die Verhinderung von
gegenseitigen Beeinflussungen bzw. Kollusion. Die Bestimmungen von Art. 142-146
StPO sind allgemeiner Natur und gelten für alle Einvernahmearten (Befragungen
von Beschuldigten, Privatklägern, Zeugen, Auskunftspersonen usw.). Sie
enthalten keine Vorschriften zu den Teilnahmerechten der Parteien bei
Beweiserhebungen (namentlich bei Einvernahmen). Insbesondere lässt sich dem
Wortlaut von Art. 146 Abs. 1 StPO nicht entnehmen, dass die Parteien zu den
getrennten Einzeleinvernahmen nicht zuzulassen seien. Die Teilnahmerechte der
Parteien werden (im sich anschliessenden 3. Abschnitt) in Art. 147 und 148 StPO
separat geregelt:

4.2 Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO statuiert den Grundsatz der
Parteiöffentlichkeit der Beweiserhebungen im Untersuchungs- und Hauptverfahren
und bestimmt, dass die Parteien das Recht haben, bei Beweiserhebungen durch die
Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen
Personen Fragen zu stellen. Dieses spezifische Teilnahme- und Mitwirkungsrecht
fliesst aus dem Anspruch
BGE 139 IV 25 S. 30
auf rechtliches Gehör (Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO). Es kann nur unter den
gesetzlichen Voraussetzungen (vgl. Art. 108, Art. 146 Abs. 4 und Art. 149 Abs.
2 lit. b StPO; s. auch Art. 101 Abs. 1 StPO) eingeschränkt werden (vgl.
Botschaft StPO, BBl 2006 1187). Beweise, die in Verletzung von Art. 147 Abs. 1
StPO erhoben worden sind, dürfen nicht zulasten der Partei verwertet werden,
die nicht anwesend war (Art. 147 Abs. 4 StPO). Zwischen Konfrontations
einvernahmen mehrerer Personen (Art. 146 Abs. 2 StPO) und der Teilnahme an
parteiöffentlichen Einzel befragungen mit dem Recht, dem einzeln Befragten in
der Folge Ergänzungsfragen zu stellen (Art. 147 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 146
Abs. 1 StPO), ist im Übrigen zu differenzieren.

4.3 Die Anwesenheit der Verteidigung bei polizeilichen Einvernahmen richtet
sich nach Art. 159 StPO (Art. 147 Abs. 1 Satz 2 StPO). Bei Einvernahmen, welche
die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchführt, können die Parteien
die gleichen Rechte nach Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO beanspruchen (Art. 312
Abs. 2 i.V.m. Art. 306 Abs. 3 StPO; Botschaft StPO, BBl 2006 1187). Zeugen
haben hingegen (im Gegensatz zu den Parteien) kein Teilnahmerecht bei
parteiöffentlichen Beweiserhebungen. Deshalb folgt aus Art. 146 Abs. 1 StPO,
dass Zeugen nicht nur einzeln und separat befragt werden, sondern dass sie vor
ihrer Befragung auch keine Kenntnis von den Aussagen anderer Zeugen und
Gewährspersonen (oder der Parteien) erhalten (vgl. auch Art. 146 Abs. 4 lit. b
StPO).

5. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob der gesetzliche Anspruch
Beschuldigter auf Teilnahme an Beweiserhebungen auch für die Einvernahme von
Mitbeschuldigten grundsätzlich gilt (Art. 147 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 146
Abs. 1 StPO). Falls dies bejaht wird, ist weiter zu prüfen, ob im vorliegenden
Fall eine gesetzliche Ausnahme vom Teilnahmeanspruch erfüllt ist.

5.1 Die in Erwägung 4 dargelegte Systematik der StPO und die Wortlaute der
genannten Vorschriften sprechen für die grundsätzliche Zulassung beschuldigter
Personen (und ihrer Verteidigung) zur parteiöffentlichen Einvernahme von
Mitbeschuldigten (und weiteren Gewährspersonen). Insbesondere bildet das in
Art. 146 Abs. 1 StPO verankerte Prinzip der "getrennten" Einvernahme keine
selbstständige gesetzliche Ausnahme zu den spezifischen Parteirechten nach Art.
147 Abs. 1 StPO. Ein prinzipieller Teilnahmeanspruch beschuldigter Personen
wird denn auch von der überwiegenden Literatur (sowie von der baselstädtischen,
Berner und Waadtländer Gerichtspraxis) bejaht (vgl.
BGE 139 IV 25 S. 31
FELIX BOMMER, Ausschluss des Mitbeschuldigten von der Einvernahme der
beschuldigten Person?, BE N'ius, Neues aus der Berner Justiz, 2012 Heft 10 S.
28 ff., 29; STEFAN CHRISTEN, Zum Anwesenheitsrecht der Privatklägerschaft im
schweizerischen Strafprozessrecht, ZStrR 129/2011 S. 463 ff.; GUNHILD GODENZI,
Heimliche Einvernahmen: Die Aushöhlung der Parteiöffentlichkeit der
Untersuchung durch den Grundsatz der getrennten Einvernahme, ZStrR 129/2011 S.
322 ff.; dies., in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO;
nachfolgend: Kommentar], 2010, N. 2 und 25 zu Art. 146StPO; FRANZ RIKLIN, StPO
Kommentar, 2010, N. 1-4 der Vorbem. zu Art. 147 f. und N. 1 zu Art. 147 StPO;
DORRIT SCHLEIMINGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung,
2011, N. 5 zu Art. 147 StPO; NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen
Strafprozessrechts [nachfolgend: Handbuch], 2009, Rz. 818, 823;OLIVIER
THORMANN, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 2
zu Art. 146 und N. 1-2 zu Art. 147 StPO; ANDRÉ VOGELSANG, Art. 147 StPO:
Wirksamer Gegenpol zur Allmacht der Staatsanwaltschaft oder bloss toter
Buchstabe?, Anwalts-Revue 2012 S. 230 ff., 234; WOLFGANG WOHLERS, in: Kommentar
zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 5 zu Art. 147StPO;
Urteile AppGer/BS Nr. BE.2011.87 vom 19. Januar 2012 und Nr. BE.2011.20 vom 14.
April 2011, in: forumpoenale 2011 S. 276; TC/VD vom 10. Mai 2012; a.M.
KATHARINA GRAF, in: Polizeiliche Ermittlung, Handbuch, Albertini/Fehr/Voser
[Hrsg.], 2008, S. 171 f.; DANIEL HÄRING, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Strafprozessordnung, 2011, N. 1 und 2 zu Art. 146 StPO; THOMAS HANSJAKOB,
Geheime Erhebung von Beweisen nach StPO, forumpoenale 2011 S. 299 ff.;
CHRISTOPH ILL, in: Kommentierte Textausgabe [...] StPO, Goldschmid/Maurer/
Sollberger [Hrsg.],2008, S. 133; MARCEL MEIER, Kollusionsverhinderung im
Vorverfahren der Schweizerischen Strafprozessordnung, Masterarbeit Luzern 2011,
S. 34, 36; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar
[nachfolgend: Praxiskommentar], 2009, N. 1 und 3 zu Art. 146 StPO[anders aber
SCHMID, Handbuch, a.a.O., Rz. 818, 823]; Urteile ObGer/ZH Nr.UH110023 vom 11.
Mai 2011, in: ZR 110/2011 S. 102; ObGer/AG Nr. SBK.2011.91 vom 19. Mai 2011,
in: forumpoenale 2011 S. 208; ObGer/TG Nr. SW.2011.2011 vom 29. September 2011,
in: RBOG 2011 S. 166; TC/GE Nr. ACPR/93/2011 vom 4. Mai 2011).

5.2 Dieses Zwischenergebnis wird durch die Gesetzesmaterialien nicht
entkräftet:
BGE 139 IV 25 S. 32

5.2.1 Der Vorentwurf zur StPO (VE/StPO, Fassung des Bundesamtes für Justiz,
Juni 2001) sah in Art. 156 Abs. 1 VE/StPO eine dem Art. 146 Abs. 1 StPO
ähnliche Regelung vor: "Die zu befragenden Personen werden in der Regel
getrennt einvernommen". Zwar seien gemäss Begleitbericht zum VE/StPO
"verschiedene Beschuldigte, Zeuginnen und Zeugen etc. einzeln unter Ausschluss
der anderen einzuvernehmen" (Begleitbericht VE, S. 113). Diese etwas
apodiktisch formulierte Aussage wird jedoch durch die weiteren Bestimmungen des
Vorentwurfes und durch präzisierende Hinweise des Begleitberichtes relativiert:
Zunächst schränkt Art. 156 Abs. 1 VE/StPO selbst ausdrücklich ein, dass die
Einvernahmen nur "in der Regel" getrennt erfolgen sollen. Sodann wurde auch im
Vorentwurf (Art. 158 Abs. 1 VE/StPO) bereits der Grundsatz der
Parteiöffentlichkeit von Beweisabnahmen statuiert. Art. 159 Abs. 1 VE/StPO
räumte der Verteidigung das Recht ein, "bei den Einvernahmen der Beschuldigten
durch Staatsanwaltschaft und Gerichte anwesend zu sein und ihnen
Ergänzungsfragen zu stellen". Gemäss Begleitbericht zum Vorentwurf gilt dieses
Teilnahmerecht "schon bei der ersten Einvernahme". Bei der Teilnahme an
Einvernahmen von Mitbeschuldigten seien allerdings "die Einschränkungen von
Art. 118" VE/StPO (sowie die Schutzmassnahmen gemäss Art. 160-164 VE/StPO) zu
beachten (Begleitbericht VE, S. 115). Daraus ergibt sich, dass schon der VE/
StPO den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit von Einvernahmen aufnahm und für
zulässige Einschränkungen von Parteirechten auf den gesetzlichen
Ausnahmenkatalog verwies. Diesbezüglich ist den Materialien folgende
Entwicklung zu entnehmen:

5.2.2 Art. 118 Abs. 2 lit. c VE/StPO hatte noch vorgesehen, dass die
Strafbehörden "für den geordneten Ablauf des Verfahrens" den
Verfahrensausschluss bzw. die Beschränkung des rechtlichen Gehörs einer Partei
anordnen konnten. Diese Regelung wurde allerdings weder in den bundesrätlichen
Entwurf (Art. 106 E/StPO) übernommen, noch in die vom Parlament verabschiedete
einschlägige Version von Art. 108 Abs. 1 und 2 StPO. Art. 108 Abs. 1 lit. a
StPO verlangt für eine Gehörsbeschränkung vielmehr den begründeten Verdacht,
dass eine Partei "ihre Rechte missbraucht" (vgl. dazu näher unten, E.
5.5.6-5.5.11). Die übrigen Einschränkungsgründe von Art. 108 Abs. 1 lit. b StPO
entsprechen denjenigen des Vorentwurfes (Art. 118 Abs. 2 lit. a und b VE/StPO).
Dementsprechend wird in der bundesrätlichen Botschaft ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass das (in vielen kantonalen Prozessgesetzen noch als
Ausschlussgrund anerkannte) "gefährdete
BGE 139 IV 25 S. 33
Verfahrensinteresse" für sich allein nicht mehr genüge, "um das rechtliche
Gehör vor allem in der Anfangsphase des Vorverfahrens einzuschränken"
(Botschaft StPO, BBl 2006 1164).

5.2.3 Schliesslich war in Art. 156 Abs. 4 lit. b VE/StPO noch ausdrücklich
vorgesehen gewesen, dass die Parteien vorübergehend von der Verhandlung
ausgeschlossen werden konnten, wenn sie selbst im Verfahren "noch als
Beschuldigte, Zeuginnen oder Zeugen, Auskunftspersonen oder Sachverständige
einzuvernehmen" waren. Sowohl im bundesrätlichen Entwurf (Art. 143 Abs. 4 lit.
b E/StPO) als auch in der in Kraft getretenen Fassung von Art. 146 Abs. 4 lit.
b StPO wurden die Beschuldigten dann jedoch von dieser Einschränkung ihrer
Parteirechte ausgenommen.

5.3 Die gegenüber der früheren Rechtslage gestärkten Partei- und
Teilnahmerechte der Beschuldigten bei Beweiserhebungen, insbesondere der
Grundsatz der Parteiöffentlichkeit, bilden einen vom Gesetzgeber angestrebten
Ausgleich zu der in der neuen StPO (ebenfalls bewusst) ausgebauten starken
Stellung der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren (vgl. BOMMER, a.a.O, S. 28;
STEFAN CHRISTEN, Anwesenheitsrecht im schweizerischen Strafprozessrecht mit
einem Exkurs zur Vorladung [nachfolgend: Vorladung], Zürcher Studien zum
Verfahrensrecht, Bd. 161, 2009, S. 8; GODENZI, Kommentar, a.a.O., N. 2 zu Art.
147 StPO; RIKLIN, a.a.O., N.1-4 zu Art. 16 und N. 1-4 der Vorbem. zu Art. 147
StPO; THORMANN, a.a.O., N. 1-3 zu Art. 147 StPO; VOGELSANG, a.a.O., S. 230
ff.). Diese Stärkung der Parteirechte im Untersuchungsverfahren rechtfertigt
sich zudem unter dem Gesichtspunkt, dass im Hauptverfahren die nochmalige
Erhebung von (im Vorverfahren ordnungsgemäss erhobenen) Beweisen eingeschränkt
ist (Art. 343 Abs. 3 i.V.m. Art. 350 Abs. 2 StPO; vgl. GODENZI, a.a.O., ZStrR
129/2011 S. 337; RIKLIN, a.a.O., N. 4 zu Art. 16 und N. 3 der Vorbem. zu Art.
147 StPO). Einschränkungen der Parteirechte (insbesondere des in Art. 147 Abs.
1 StPO konkretisierten Anspruchs auf rechtliches Gehör) bedürfen einer
ausreichend klaren gesetzlichen Grundlage und müssen verhältnismässig sein
(vgl. 36 Abs. 1 und 3 i.V.m. Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art.
107 und 108 StPO).

5.4 Die Generalstaatsanwaltschaft und ein Teil der Lehre legen allerdings dar,
dass die gesetzliche Regelung zu Effizienzverlusten der Strafuntersuchung in
Kollektivfällen und zu gewissen prozessualen Ungleichbehandlungen von
Mitbeschuldigten führen könne (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO). Diese
Problematik betrifft insbesondere
BGE 139 IV 25 S. 34
Beschuldigte, die als Erste (in Anwesenheit der Mitbeschuldigten)
parteiöffentlich einvernommen werden (vgl. GRAF, a.a.O., S. 171 f.; HÄRING,
a.a.O., N. 1 zu Art. 146 StPO; HANSJAKOB, a.a.O., S. 299 ff., 308; MEIER,
a.a.O., S. 28 ff.; s. auch GODENZI, a.a.O., ZStrR 129/2011 S. 349 f.).

5.4.1 Vor diesem Hintergrund enthält die StPO gewisse Korrekturmechanismen.
Beweiserhebungen dienen nicht allein der Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs der
Parteien, sondern primär auch der Wahrheitsfindung im Strafprozess (vgl. Art.
139 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 StPO). Zum einen sieht das Gesetz Ausnahmen von
der Parteiöffentlichkeit vor (vgl. Art. 101 Abs. 1, Art. 108, Art. 146 Abs. 4
und Art. 149 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO, dazu
nachfolgend, E. 5.5). Zum anderen führt selbst eine Verletzung von Art. 147
Abs. 1 StPO nicht zu einem vollständigen Beweisverwertungsverbot gegenüber
allen Parteien, sondern ausschliesslich gegenüber der Partei, die an der
Beweiserhebung nicht anwesend war (Art. 147 Abs. 4 StPO). Bei
parteiöffentlichen Befragungenvon Mitbeschuldigten kann eine Entschärfung der
genannten Problematik oft erreicht werden, wenn die Einvernahmen relativ rasch
nacheinander erfolgen und bei der Festlegung der Reihenfolge und Modalitäten
von Beweiserhebungen konkreten Beeinflussungsgefahren im Einzelfall Rechnung
getragen wird. Die verfahrensleitende Staatsanwaltschaft bestimmt die
Reihenfolge und den Ablauf von parteiöffentlichen Befragungen. Sie hat
insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass in Anwesenheit von Parteien und
Parteivertretern keine unzulässigen Beeinflussungen oder Absprachen erfolgen
(vgl. Art. 16 Abs. 2 i.V.m. Art. 63, Art. 142 Abs. 1, Art. 143 Abs. 5 und Art.
311 Abs. 1 StPO). Was Ergänzungsfragen von Mitbeschuldigten an
parteiöffentlichen Einvernahmen betrifft, schreibt Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO
nicht vor, in welchem Zeitpunkt das zusätzliche Recht, Fragen an den
Erstbefragten zu stellen, zu gewährleisten ist ("und einvernommenen Personen
Fragen zu stellen"). Wann das Fragerecht ausgeübt werden darf, bestimmt die
Verfahrensleitung (vgl. WOHLERS, a.a.O., N. 6 zu Art. 147 StPO).

5.4.2 In den Hauptanwendungsfällen des Anspruchs der Parteien auf
Ergänzungsfragen, nämlich bei der Einvernahme von Zeugen (und weiteren
Gewährspersonen) sowie bei der Konfrontationseinvernahme erscheint es
unproblematisch, wenn die Ergänzungsfragen sofort nach der Einvernahme gestellt
werden: An der Befragung von Zeugen können alle Mitbeschuldigten
gleichberechtigt und in identischer
BGE 139 IV 25 S. 35
Rolle teilnehmen und dabei Ergänzungsfragen stellen. Im Falle von
Konfrontationseinvernahmen von Mitbeschuldigten (Art. 146 Abs. 2 StPO) können
sich alle Gegenübergestellten wechselseitig zu den Aussagen der Befragten
äussern und (im Rahmen der gleichen Konfrontationseinvernahme) Ergänzungsfragen
stellen. Bei der parteiöffentlichen Einzelbefragung von Mitbeschuldigten (Art.
147 Abs. 1 StPO) ist nach Massgabe der jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalles
in sachgerechter Weise vorzugehen.

5.4.3 Separate (nicht parteiöffentliche) polizeiliche Befragungen sind im
Ermittlungsverfahren möglich, wenn die Polizei im Rahmen ihrer selbstständigen
Ermittlungstätigkeit Befragungen von tatverdächtigen Personen durchführt (Art.
306 Abs. 2 lit. b StPO). Falls die Staatsanwaltschaft hingegen Einvernahmen
(vor oder nach Eröffnung der Strafuntersuchung) an die Polizei delegiert,
gelten die Bestimmungen von Art. 147 Abs. 1 StPO betreffend Teilnahmerechte
(Art. 312 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 306 Abs. 3 StPO; zum Anspruch des
polizeilich befragten Beschuldigten auf Beizug des eigenen Verteidigers s. auch
Art. 159 Abs. 1 StPO).

5.5 Zu prüfen bleibt, ob im vorliegenden Fall eine zulässige Ausnahme von der
grundsätzlichen Parteiöffentlichkeit der Beweiserhebungen gegeben ist bzw. ob
der verfügte Ausschluss des Beschuldigten und seines Offizialverteidigers von
den Einvernahmen von Mitbeschuldigten und Gewährspersonen bundesrechtskonform
erscheint.

5.5.1 Im Rahmen ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör haben die Parteien
namentlich das Recht, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen (Art. 107 Abs. 1
lit. b i.V.m. Art. 147 Abs. 1 StPO). Die Strafbehörden können das rechtliche
Gehör einschränken, wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Partei ihre
Rechte missbraucht (Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO), oder wenn die Einschränkung
erforderlich ist für die Sicherheit von Personen bzw. zur Wahrung öffentlicher
oder privater Geheimhaltungsinteressen (Art. 108 Abs. 1 lit. b StPO).
Einschränkungen gegenüberRechtsbeiständen sind nur zulässig, wenn der
Rechtsbeistand selbst Anlass für die Beschränkung gibt (Art. 108 Abs. 2 StPO).
Zulässige Einschränkungen sind zu befristen oder auf einzelne
Verfahrenshandlungen zu begrenzen (Art. 108 Abs. 3 StPO). Ein vorübergehender
Ausschluss von Einvernahmeverhandlungen ist ausserdem zulässig, wenn bei der
fraglichen Person eine Interessenkollision besteht oder diese Person im
Verfahren noch als Gewährsperson (Zeugin, Zeuge, Auskunftsperson oder
sachverständige Person) einzuvernehmen ist (Art. 146 Abs. 4 lit. a und b
BGE 139 IV 25 S. 36
StPO). Falls Verfahrensbeteiligte (oder deren Angehörige) stark gefährdet
erscheinen, kann im Übrigen (als prozessuale Schutzmassnahme) die Einvernahme
der verfahrensbeteiligten Person unter Ausschluss der Parteien angeordnet
werden (Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO). Diese Beschränkungsmöglichkeiten des
rechtlichen Gehörs gelten grundsätzlich für das gesamte Untersuchungsverfahren.

5.5.2 Im Anfangsstadium der Untersuchung, nämlich bis zur ersten Einvernahme
von beschuldigten Personen, ist bei der Auslegung von Art. 147 StPO auch der
sachlich eng damit zusammenhängenden Bestimmung von Art. 101 Abs. 1 StPO
betreffend Akteneinsicht Rechnung zu tragen. Danach können die Parteien "
spätestens nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person und der
Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise durch die Staatsanwaltschaft die Akten
des Strafverfahrens einsehen" (Art. 101 Abs. 1 Satz 1 StPO). Art. 108 StPO
bleibt ausdrücklich "vorbehalten" (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 StPO). Nach der
Praxis des Bundesgerichtes besteht zu Beginn der Strafuntersuchung noch kein
absoluter Anspruch auf eine vollständige Akteneinsicht. In begründeten Fällen
kann allerdings schon im frühen Verfahrensstadium eine - allenfalls partielle -
Akteneinsicht sachlich geboten sein, etwa betreffend relevante Haftakten in
Haftprüfungsverfahren (vgl. Art. 225 Abs. 2 StPO; BGE 115 Ia 293 E. 5 S.
302-306 mit Hinweisen).

5.5.3 Die Vorinstanz erwägt in einem obiter dictum, dass sich - bei noch nicht
staatsanwaltlich einvernommenen Beschuldigten - in "Analogie" zu Art. 101 Abs.
1 StPO ein Ausschluss von der Parteiöffentlichkeit von Einvernahmen ergeben
könne. Das Teilnahmerecht dürfe ausnahmsweise und in engen Grenzen
eingeschränkt werden, wenn der (grundsätzlich teilnahmeberechtigte)
Beschuldigte selbst noch nicht mit den Sachverhalten konfrontiert wurde, die
den Mitbeschuldigten in den fraglichen Einvernahmen vorgehalten werden sollen.
Die Vorinstanz verneinte für den vorliegenden Fall eine entsprechende
prozessuale Konstellation.

5.5.4 Zu diesem obiter dictum hat das Bundesgericht im hier zu beurteilenden
Fall ebenfalls nicht abschliessend Stellung zu nehmen, da der beschuldigte
private Beschwerdegegner (im Hinblick auf die Anordnung von Untersuchungshaft)
bereits durch die Staatsanwaltschaft einvernommen worden ist (vgl. Art. 224
Abs. 1 StPO). Angesichts der grossen praktischen Bedeutung der betreffenden
Fragen drängen sich diesbezüglich immerhin einige (hier nicht
entscheiderhebliche) grundsätzliche Erwägungen auf:
BGE 139 IV 25 S. 37

5.5.4.1 Bei der Auslegung der StPO ist eine Kohärenz zwischen den inhaltlich
konnexen Bestimmungen betreffend Akteneinsicht und Teilnahme an
Beweiserhebungen anzustreben. Soweit der Wortlaut von Art. 147 Abs. 1 StPO den
aufgezeigten Zielkonflikten (zwischen der strafprozessualen Wahrheitsfindung
einerseits und den Parteirechten bzw. der prozessualen Gleichbehandlung von
Mitbeschuldigten anderseits) keine Rechnung trägt (vgl. oben, E. 5.4), hat eine
sachgerechte wertungskohärente Lückenfüllung (bzw. teleologische Reduktion) der
Norm zu erfolgen. Danach kann die Staatsanwaltschaft - ähnlich wie bei der
Akteneinsicht nach Art. 101 Abs. 1 StPO - im Einzelfall prüfen, ob sachliche
Gründe für eine vorläufige Beschränkung der Parteiöffentlichkeit bestehen.
Solche Gründe liegen insbesondere vor, wenn im Hinblick auf noch nicht erfolgte
Vorhalte eine konkrete Kollusionsgefahr gegeben ist. Falls die Befragung des
Mitbeschuldigten sich auf untersuchte Sachverhalte bezieht, welche den (noch
nicht einvernommenen) Beschuldigten persönlich betreffen und zu denen ihm noch
kein Vorhalt gemacht werden konnte, darf der Beschuldigte von der Teilnahme
ausgeschlossen werden. Die blosse Möglichkeit einer abstrakten "Gefährdung des
Verfahrensinteresses" durch rechtmässiges prozesstaktisches Verhalten
rechtfertigt hingegen noch keinen Ausschluss von den Einvernahmen (vgl.
Botschaft StPO, BBl 2006 1164; YASMINA BENDANI, in: Commentaire romand, Code de
procédure pénale suisse, 2011, N. 2 zu Art. 108 StPO; CHRISTEN, Vorladung,
a.a.O., S. 149 Fn. 790; GODENZI, a.a.O., ZStrR 129/2011 S. 347 f.; VIKTOR
LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N.
4 f. zuArt. 108 StPO; MEIER, a.a.O., S. 22; SCHLEIMINGER, a.a.O., N. 14 zu Art.
147 StPO; VEST/HORBER, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Strafprozessordnung, 2011, N. 5 zu Art. 108 StPO; Urteil AppGer/BS Nr.
BE.2011.87 vom 19. Januar 2012 E. 6.1). In den meisten Kantonen entsprach dies
auch schon (vor Inkrafttreten von Art. 147 StPO) der grundsätzlichen Rechtslage
nach altem Recht (vgl. dazu HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 76 N. 18).

5.5.4.2 Wie es sich damit verhält, braucht hier, wie schon erwähnt, nicht
weiter vertieft zu werden. Keine Beschränkungen im Sinne von Art. 101 Abs. 1
Satz 1 StPO rechtfertigen sich jedenfalls für Beschuldigte, welche bereits
einschlägig einvernommen worden sind.

5.5.5 Im Ergebnis ist der Vorinstanz darin zuzustimmen, dass sich im
vorliegenden Fall aus einer Auslegung von Art. 147 Abs. 1 i.V.m.
BGE 139 IV 25 S. 38
Art. 101 Abs. 1 Satz 1 StPO kein Ausschluss der Parteiöffentlichkeit begründen
lässt. Der angefochtene Entscheid erweist sich insofern als
bundesrechtskonform.

5.5.6 Weiter ist zu prüfen, ob sich hier, nach erfolgter Einvernahme des
Beschuldigten, gestützt auf Art. 108 StPO eine Ausnahme von der (in Art. 147
Abs. 1 StPO grundsätzlich gewährleisteten) Parteiöffentlichkeit von
Beweiserhebungen ableiten lässt. Auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 StPO statuiert
(namentlich für besondere Kollusionsrisiken nach erfolgten ersten Einvernahmen)
den ausdrücklichen Vorbehalt von Art. 108 StPO. Zwar folgt aus der blossen
Stellung als Mitbeschuldigter noch keine spezifische "Interessenkollision" i.S.
von Art. 146 Abs. 4 lit. a StPO (vgl. Botschaft StPO, BBl 2006 1186 unten;
BOMMER, a.a.O., S. 30; GODENZI, Kommentar, a.a.O., N. 23 f. zu Art. 146 StPO;
HÄRING, a.a.O., N. 22 zu Art. 146 StPO; SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 13
f. zu Art. 146 StPO). Bei der Beurteilung des Ausschlussgrundes von Art. 108
Abs. 1 lit. a StPO ist jedoch konkreten Anhaltspunkten für
rechtsmissbräuchliches Verhalten Rechnung zu tragen. Dies umso mehr, als neben
den Parteirechten auch dem strafprozessualen Ziel der Wahrheitsfindung (Art.
139Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 StPO) Nachachtung zu verschaffen ist.
Entsprechenden besonderen Verdunkelungsgefahren wird zwar primär im
Anfangsstadium der Untersuchung (bis zu den ersten Befragungen von
Mitbeschuldigten oder wichtigen Zeugen) Rechnung zu tragen sein (vgl. dazu
oben, E. 5.5.2-5.5.4). Sie können aber - aufgrund von entsprechenden
Beweisergebnissen - auch erst später im Verfahren eintreten, etwa wenn eine
rechtsmissbräuchliche direkte Beeinflussung der Aussagen von Dritten konkret
droht.

5.5.7 Die Möglichkeit, dass bereits befragte Beschuldigte später ihr
prozesstaktisches Verhalten den Aussagen von Mitbeschuldigten anpassen könnten,
wurde vom Gesetzgeber grundsätzlich in Kauf genommen, indem er den Parteien ein
Teilnahmerecht bei sämtlichen Beweiserhebungen einräumte (Art. 147 Abs. 1 StPO)
und die Gesichtspunkte von Art. 101 Abs. 1 StPO hier nicht anwendbar sind.
Insoweit hat der Gesetzgeber die Weichen zugunsten einer grosszügigen
Handhabung der Parteiöffentlichkeit gestellt (vgl. oben, E. 5.2 und 5.3). Die
blosse Möglichkeit einer abstrakten "Gefährdung des Verfahrensinteresses"
rechtfertigt - nach erfolgten ersten Einvernahmen - noch keinen Ausschluss
(vgl. dazu die Literaturhinweise oben, E. 5.5.4.1). Analoges gilt nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtes auch für den Haftgrund der Kollusionsgefahr
(vgl. MARC
BGE 139 IV 25 S. 39
FORSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 6
f. zu Art. 221 StPO; MARKUS HUG, in: Kommentar zur Schweizerischen
Strafprozessordnung, 2010, N. 21 zu Art. 221 StPO). Anders zu entscheiden
hiesse, dass praktisch in allen untersuchten Fällen von kollektiver
Kriminalität von Vornherein immer ein Haftgrund gegen alle Mitbeschuldigten
bestünde.

5.5.8 Zwar kann ein Rechtsmissbrauchsverdacht im Sinne von Art. 108 Abs. 1 lit.
a StPO möglich sein, wenn (gestützt auf Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO wegen
Verdunkelungsgefahr) bereits strafprozessuale Haft gegen den Beschuldigten
angeordnet wurde. Ein "automatischer" Ausschluss der Parteirechte nach Art. 147
Abs. 1 StPO bei Haftfällen wäre jedoch unzulässig: Regelmässig wird Haft aus
qualifizierten allgemeinen Verdunkelungsgründen angeordnet (z.B.
Spurenvernichtung, Bedrohung oder aktive Beeinflussung von Zeugen usw.). Ein
Ausschluss gestützt auf Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO verlangt demgegenüber (auch
bei Inhaftierten) Anhaltspunkte für rechtsmissbräuchliches Verhalten im
Hinblick auf die fragliche Beweiserhebung. Die blosse Möglichkeit, dass der
(nach Art. 224 Abs. 1 StPO bereits obligatorisch befragte) Inhaftierte sein
späteres Aussageverhalten jenem von Mitbeschuldigten anpassen könnte, genügt
weder als Haftgrund, noch für einen pauschalen Ausschluss der
Parteiöffentlichkeit von Einvernahmen.

5.5.9 Bei der Prüfung des Ausschlussgrundes von Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO ist
- nach Massgabe des jeweiligen Einzelfalles - noch weiteren Gesichtspunkten
angemessen Rechnung zu tragen. Wie bereits dargelegt (oben E. 5.4), darf die
Parteiöffentlichkeit unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebotes (Art. 3 Abs.
2 lit. c StPO) nicht zu einer im Ergebnis unfairen Benachteiligung zwischen
Mitbeschuldigten führen. Soweit ein Ausschluss des Beschuldigten aufgrund von
Rechtsmissbrauchsverdacht zulässig ist, darf auch die Verteidigung eine
entsprechende Kollusion nicht befördern. Bei der Wahrnehmung der Interessen
ihrer Klientschaft hat die Verteidigung die Rechtsordnung zu respektieren, wozu
auch die gesetzlichen Vorschriften zum Rechtsmissbrauchsverbot gehören. Soweit
den Verteidiger oder die Verteidigerin nicht persönlich ein konkreter
Rechtsmissbrauchsverdacht (im Sinne von Art. 108 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. a
StPO) trifft, kann die Staatsanwaltschaft in begründeten Fällen auch prüfen, ob
der an Einvernahmen teilnehmenden Verteidigung gegenüber ihrer Klientschaft
eine zeitlich eng befristete förmliche Geheimhaltungsverpflichtung aufzuerlegen
ist.
BGE 139 IV 25 S. 40

5.5.10 Im vorliegenden Fall macht die Generalstaatsanwaltschaft (mit Recht)
nicht geltend, dass Einschränkungen gestützt auf Art. 108 Abs. 1 lit. b StPO
(oder Art. 146 Abs. 4 bzw. Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO) zulässig wären. Sie
stellt sich jedoch auf den Standpunkt, es bestehe (im Sinne von Art. 108 Abs. 1
lit. a StPO) der begründete Verdacht, dass der Beschuldigte seine Rechte
missbraucht. Auch der Offizialverteidiger gebe Anlass zu einem Ausschluss von
den Einvernahmen. Die Untersuchungshaft des Beschuldigten sei unter anderem
wegen Kollusionsgefahr angeordnet worden. Laut Haftantrag vom 20. Dezember 2011
müsse verhindert werden, dass die Beschuldigten ihre Aussagen untereinander
absprechen, mögliche Mittäter warnen bzw. Deliktsgut, Einbruchswerkzeug oder
Spuren verschwinden lassen. Rechtsmissbrauchsgefahr bestehe (nach den
Vorbringen der Generalstaatsanwaltschaft im kantonalen Beschwerdeverfahren)
auch beim Offizialverteidiger, da dieser einseitig für seinen Mandanten tätig
sei und seinerseits kolludieren könnte.

5.5.11 Diese Vorbringen der Generalstaatsanwaltschaft begründen vor dem
Hintergrund der obigen Erwägungen keinen Verdacht von Rechtsmissbrauch im Sinne
von Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO. Inwiefern aufgrund der Teilnahme des
Beschuldigten an den Einvernahmen konkrete rechtsmissbräuchliche
Verdunkelungshandlungen (wie Spurenvernichtung, gesetzwidrige Beeinflussungen,
direkte Absprachen usw.) erfolgen könnten, wird in der Beschwerde nicht
dargelegt. Ebenso wenig konkretisiert die Generalstaatsanwaltschaft
Verdachtsgründe für ein Verhalten des Offizialverteidigers, welches als
rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO eingestuft werden
könnte. Auch für den von der Staatsanwaltschaft pauschal verfügten Ausschluss
des Beschuldigten und seines Offizialverteidigers von den ersten Einvernahmen
allfälliger Auskunftspersonen oder Zeugen fehlt es an einer gesetzlichen
Grundlage.

5.6 Der angefochtene Entscheid erweist sich im Ergebnis als
bundesrechtskonform.