Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 II 303



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Urteilskopf

139 II 303

21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Verein
Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS, Referendumskomitee
Stopp fremde Steuervögte), Schwander und Keller gegen Schweizerische
Bundeskanzlei (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_606/2012 / 1C_608/2012 vom 5. Juni 2013

Regeste

Art. 141 Abs. 1 BV, Art. 59a, 62 BPR; Fristenlauf für das fakultative
Referendum, Stimmrechtsbescheinigung.
Die Referendumsfrist von 100 Tagen beginnt mit der Veröffentlichung des
Erlasses im Bundesblatt. Es besteht keine verbindliche Regel, dass
Referendumsfristen immer erst elf Tage nach dem Beschluss der eidgenössischen
Räte beginnen. Die amtliche Publikation im ersten möglichen Zeitpunkt, vier
Tage nach der Beschlussfassung, ist angesichts der Dringlichkeit der Vorlage
nicht zu beanstanden (E. 5.2).
Das Referendum muss mit der nötigen Anzahl Unterschriften samt
Stimmrechtsbescheinigung innerhalb der Referendumsfrist bei der Bundeskanzlei
eintreffen (E. 7.2). Die Verantwortung für die rechtzeitige Einholung der
Stimmrechtsbescheinigungen obliegt den Urhebern des Referendums. Diese müssen
bei ihrer Planung berücksichtigen, dass Ablaufstörungen im
Bescheinigungsverfahren vorkommen können (E. 7.5). Bei Einreichung zur
Beglaubigung einer grossen Zahl von Unterschriften am 97. Tag der
Referendumsfrist besteht keine Gewähr, dass die Unterschriften noch vor Ablauf
der Referendumsfrist zurückgegeben werden können. Die Bundeskanzlei hat die
verspätet eingereichten Unterschriften zu Recht als ungültig bezeichnet (E. 8).

Sachverhalt ab Seite 304

BGE 139 II 303 S. 304

A. Die vom Bundesrat mit Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Österreich
ausgehandelten Staatsverträge über die Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern
und Finanzmarkt wurden im Bundesblatt 2012 5039 ff., 5157 ff. und 5335 ff.
veröffentlicht. Die Bundesversammlung erliess am 15. Juni 2012 entsprechende
Bundesbeschlüsse über die Genehmigung der Abkommen. Die Abkommen unterstanden
dem fakultativen Referendum. Die Referendumsfrist von 100 Tagen (Art. 141 Abs.
1 BV) lief für diese Bundesbeschlüsse am 27. September 2012 ab (BBl 2012 5823,
5825, 5827).

B. Am 27. September 2012 reichten das Referendumskomitee "Stopp fremde
Steuervögte", die Junge SVP Schweiz, ein
BGE 139 II 303 S. 305
Referendumskomitee Steuerabkommen und die Lega dei Ticinesi gegen das Abkommen
mit dem Vereinigten Königreich bei der Bundeskanzlei um 16.30 Uhr nach eigenen
Angaben folgende Unterschriftenzahlen ein:
1. das Referendumskomitee "Stopp fremde Steuervögte", die Junge SVP Schweiz und
das Referendumskomitee Steuerabkommen gemeinsam:
a) 41 647 Unterschriften
b) ein ungeöffnetes Postpaket mit einer nicht bekannten Anzahl weiterer
Unterschriften und
c) einen weiteren Karton mit einer nicht bekannten Anzahl weiterer
Unterschriften;
2. die Lega dei Ticinesi 5014 Unterschriften.
(...) Nach Ablauf der Referendumsfrist reichte das Referendumskomitee "Stopp
fremde Steuervögte" am Montagnachmittag, 1. Oktober 2012, um 17.00 Uhr ein
Paket mit laut eigenen Angaben 2888 verspätet eingegangenen Unterschriften
nach.

C. Die Bundeskanzlei kontrollierte die Unterschriften vom Donnerstagabend, 27.
September bis und mit Montag, 1. Oktober 2012. Die Kontrolle ergab für das
Referendum über den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich 47'363 gültige
und 191 ungültige Unterschriften. (...)

D. Mit Verfügung vom 30. Oktober 2012 hielt die Schweizerische Bundeskanzlei
fest, dass das Referendum gegen den Staatsvertrag mit dem Vereinigten
Königreich nicht zustande gekommen sei, da die notwendigen 50'000
Unterschriften innert der Sammelfrist von 100 Tagen nicht eingereicht worden
seien (BBl 2012 8575).

E. Der Verein Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS,
Referendumskomitee "Stopp fremde Steuervögte") und dessen Präsident Nationalrat
Pirmin Schwander haben am 28. November 2012 beim Bundesgericht eine Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen die Verfügung der Bundeskanzlei
vom 30. Oktober 2012 eingereicht. Sie beantragen, es sei festzustellen, dass
das Referendum gegen den Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens
zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich und des Protokolls zur
Änderung dieses Abkommens zustande gekommen sei. (...)
(...)

I. Das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem
Vereinigten Königreich von Grossbritannien und
BGE 139 II 303 S. 306
Nordirland über die Zusammenarbeit im Steuerbereich trat am 1. Januar 2013
durch Notenaustausch in Kraft (AS 2013 135).

J. Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 5. Juni 2013 öffentlich beraten
(Art. 58 f. BGG) und die Beschwerde abgewiesen. Gegenstand des vorliegenden
Urteils ist der Entscheid der Bundeskanzlei vom 30. Oktober 2012 über das
Nicht-Zustandekommen des Referendums betreffend den Staatsvertrag mit dem
Vereinigten Königreich.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

5.

5.1 Die Beschwerdeführer machen zunächst geltend, die Bundeskanzlei habe die
Bundesbeschlüsse vom 15. Juni 2012 über die Staatsverträge betreffend die
Steuerabkommen im Hinblick auf den Lauf der Referendumsfrist nicht gleich
behandelt wie die am selben Tag beschlossene Revision des Raumplanungsgesetzes.
Die Bundesbeschlüsse über die Steuerabkommen seien im Bundesblatt vom 19. Juni
2012 (BBl 2012 5823, 5825, 5827), die Änderungen des Raumplanungsgesetzes
hingegen erst am 26. Juni 2012 (BBl 2012 5987) publiziert worden. Dies habe
dazu geführt, dass dem Referendumskomitee gegen die Änderungen des
Raumplanungsgesetzes ohne objektiven Grund 7 Tage mehr zur Verfügung standen,
um das Referendum zu organisieren. Wäre für die Referenden gegen die
Staatsverträge dieselbe Vorbereitungszeit gewährt worden, so wären diese nach
Auffassung der Beschwerdeführer zustande gekommen.

5.2 Das Bundesgericht hat sich mit der Frage des Beginns der Referendumsfrist
bereits im Urteil 1C_609/2012 vom 14. Dezember 2012 E. 4 betreffend den
Staatsvertrag mit Österreich befasst. Danach besteht keine verbindliche Regel,
wonach Referendumsfristen immer erst zehn Tage nach der Beschlussfassung durch
die Eidgenössischen Räte angesetzt würden. Hingegen bestimmt Art. 1 Abs. 4 lit.
b der Organisationsverordnung für die Bundeskanzlei vom 29. Oktober 2008
(OV-BK; SR 172.210.10), dass die Rechtstexte und die übrigen nach der
Publikationsgesetzgebung zu veröffentlichenden Texte so schnell wie möglich und
in der gebotenen Qualität veröffentlicht werden. Die Bundeskanzlei verfügt bei
der Bestimmung des Zeitpunkts der Publikation über ein gewisses Ermessen. Es
ist hier zu prüfen, ob dieses pflichtgemäss ausgeübt wurde, das heisst ob
sachliche Gründe für die Wahl eines im Vergleich
BGE 139 II 303 S. 307
zur Revision des RPG (SR 700) früheren Publikationszeitpunkts bestanden.
Für die Publikation der Steuerabkommen war eine gewisse Dringlichkeit gegeben,
um über die Notwendigkeit einer Volksabstimmung möglichst rasch Klarheit zu
erlangen. Nach den Ausführungen der Bundeskanzlei musste die
Unterschriftensammlung so angesetzt werden, dass die Referendumsabstimmung im
November 2012 hätte durchgeführt werden können und das Inkrafttreten des
Staatsvertrags auf den 1. Januar 2013 möglich gewesen wäre. Das Abkommen
bestimmt in Art. 43 (BBl 2012 5188) zum Inkrafttreten: "Jeder Vertragsstaat
notifiziert dem anderen Vertragsstaat auf diplomatischem Weg, dass die
innerstaatlichen gesetzlichen Erfordernisse für das Inkrafttreten dieses
Abkommens erfüllt sind. Das Abkommen tritt am 1. Januar des dem Eingang der
späteren dieser Notifikationen folgenden Kalenderjahres in Kraft." Aus dem
Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich nicht, dass die Parteien des
Staatsvertrags verbindlich ein Inkrafttreten auf den 1. Januar 2013 vereinbart
hätten. Indessen ist zu beachten, dass die im Anhang I zum Abkommen enthaltenen
Formeln zur Berechnungsmethode für die Einmalzahlung nach Art. 9 Abs. 2 des
Abkommens auf eine Übergangsfrist von zwei Jahren ausgerichtet sind, welche am
31. Dezember 2010 (K 8) beginnt und am 31. Dezember 2012 (K 10) endet. Daraus
folgt, dass eine spätere Inkraftsetzung des Staatsvertrags eine
Vertragsänderung vorausgesetzt hätte. Vor diesem Hintergrund behandelten die
Eidgenössischen Räte die Genehmigung der Abkommen im beschleunigten Verfahren
nach Art. 85 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes (SR 171.10).
Unter den beschriebenen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass die
Bundeskanzlei den Bundesbeschluss über die Abkommen im ersten möglichen
Zeitpunkt im Bundesblatt veröffentlichte. Die mögliche Volksabstimmung war
wegen der Dringlichkeit auf den 25. November 2012 vorgesehen und es musste
genügend Zeit für deren Vorbereitung eingeplant werden. Es lagen damit im
Unterschied zur Änderung des Raumplanungsgesetzes namhafte Gründe vor, die
Referendumsvorlage sehr rasch zu publizieren. Die Bundeskanzlei machte das
Publikationsdatum des 19. Juni 2012 am 15. Juni 2012 vorweg mit einer
Medienmitteilung bekannt, was den interessierten Kreisen erlaubte, die
Organisation des Referendums darauf auszurichten. Im Übrigen wird das
Bundesblatt auch über das Internet verbreitet, was allfällige Nachteile wegen
postalischen oder
BGE 139 II 303 S. 308
anderen Verzögerungen bei der Zustellung mindert. Schliesslich handelt es sich
beim gewählten beschleunigten Vorgehen nicht um einen Einzelfall, wie der
Hinweis der Bundeskanzlei auf den Fristenlauf beim Zinsbesteuerungsgesetz
belegt (Bundesbeschluss vom 17. Dezember 2004 über die Genehmigung und die
Umsetzung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EG über die
Zinsbesteuerung, publ. im Bundesblatt vom 21. Dezember 2004; s. BBl 2004 7185).

5.3 Das Vorgehen der Bundeskanzlei bei der Ansetzung der Referendumsfrist war
somit durch sachliche Gründe gerechtfertigt und beruht nicht auf einer
ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der Urheber des Referendums gegen die
Staatsverträge.

6. Die Beschwerdeführer vertreten die Auffassung, das Zustandekommen von
Referenden und Volksinitiativen hänge vermehrt von willkürlichen Faktoren ab,
welche die federführenden Referendumskomitees nicht beeinflussen könnten. Damit
hätten es Dritte in der Hand, über Zustandekommen oder Scheitern solcher
Vorstösse zu entscheiden. Die Beschwerdeführer stützen ihre Ausführungen auf
folgende Sachverhalte und Behauptungen (angefochtener Entscheid lit. L, in BBl
2012 8578 ff.):
Unter Berücksichtigung der am 1. Oktober 2012 nachgereichten und von der
Bundeskanzlei als verspätet bezeichneten Unterschriften habe das Referendum zum
Abgeltungssteuerabkommen mit dem Vereinigten Königreich total 50'172 gültige
Unterschriften auf sich vereinigt, für die das Stimmrecht während der
gesetzlichen Sammelfrist bescheinigt worden sei. 148 Gemeinden hätten
bescheinigte Unterschriften am 24.-26. September per B-Post ans
Referendumskomitee zurückgesandt; diese Sendungen seien dem Komitee am 28. und
29. September sowie am 1. Oktober 2012 zugekommen. Eine Rücksendung per A-Post
oder ein Hinweis der Amtsstelle ans Referendumskomitee, die Unterschriften
seien abholbereit, hätte das Referendum zustande kommen lassen. Die
Staatskanzlei Genf habe mit Pressemitteilung vom 5. Oktober 2012 selber
eingeräumt, 4200 rücksendebereit bescheinigte Unterschriften für die drei
parallel laufenden Referenden versehentlich als B-Post frankiert zu haben. Pro
Referendum seien so um die 1400 Unterschriften verspätet zum Referendumskomitee
zurückgekommen. 198 Gemeinden hätten die Stimmrechtsbescheinigung während der
Sammelfrist ausgestellt, aber erst nach dem 27. September 2012 retourniert, und
die Post
BGE 139 II 303 S. 309
habe dem Referendumskomitee Briefe von weiteren sechs Gemeinden, obwohl für
A-Post frankiert, erst nach dem 27. September 2012 zugestellt. Für das
Referendum gegen das Steuerabkommen mit dem Vereinigten Königreich seien am 27.
September 2012 noch 4722 Unterschriften bei den Gemeinden gewesen, welche bei
ihnen am 19., 24. und 25. September 2012 mindestens per A-Post eingegangen
seien. Ein Grossteil davon sei rechtzeitig erledigt und retourniert worden; vom
verbleibenden Teil seien manche am 1. Oktober 2012 der Bundeskanzlei
nachgereicht worden, der Rest (pro Referendum 2000-3000 Unterschriften) sei
noch später ans Referendumskomitee gelangt. Die mit der Einholung der
Stimmrechtsbescheinigungen betraute Organisation habe gegenüber den Gemeinden
in Begleitbriefen auf die Dringlichkeit jeweils doppelt aufmerksam gemacht.
Eine Stadt habe dem Referendumskomitee eine Gesamtbescheinigung am 2. Oktober
2012 retourniert, welche bereits am 23. Juli 2012 ausgestellt worden sei.
Möglicherweise habe die vorgezogene Publikation der drei Abkommen im Vergleich
mit dem Referendum gegen das Raumplanungsgesetz zu Fehlschlüssen über die
Dringlichkeit der Stimmrechtsbescheinigungen geführt. Diese Vorgänge hätten
insgesamt bewirkt, dass der politische Wille von über 50'000 stimmberechtigten
Unterzeichnenden nicht verfassungsgemäss respektiert worden sei.

7.

7.1 Die politischen Rechte sind in Art. 34 BV unter dem Kapitel der Grundrechte
gewährleistet. Sie umfassen unter anderem das Recht, ein Referendum zu
ergreifen. Die Ausübung des Referendumsrechts auf Bundesebene ist in Art. 140
f. BV und im Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte
(BPR; SR 161.1) geregelt.

7.2 Die Bundesverfassung bindet die Volksabstimmung über Vorlagen des
fakultativen Referendums an die Voraussetzung, dass innert 100 Tagen 50'000
Stimmberechtigte ein entsprechendes Begehren unterzeichnet haben (Art. 141 Abs.
1 BV). Nach Art. 59a BPR muss das Referendum mit der nötigen Anzahl
Unterschriften samt Stimmrechtsbescheinigung innerhalb der Referendumsfrist bei
der Bundeskanzlei eintreffen. Unterschriften auf Referendumslisten, die nach
Ablauf der Referendumsfrist eingereicht worden sind, sind ungültig (Art. 66
Abs. 2 lit. c BPR). Für die Einreichung von Volksinitiativen gelten dieselben
Grundsätze (vgl. BGE 131 II 449 E. 3.2 S. 453 f.).
BGE 139 II 303 S. 310
Mit Art. 59a BPR hat der Gesetzgeber präzisiert, dass die bescheinigten
Unterschriften am letzten Tag der Referendumsfrist bei der Bundeskanzlei
eintreffen müssen. In der Botschaft vom 1. September 1993 zu einer Teiländerung
des BPR (BBl 1993 III 491) wird ausgeführt: "Künftig wird das Datum des
Poststempels [....] nicht mehr genügen. Im weiteren hat eine solche Regelung
den Vorteil, dass Unklarheiten (verlorene Postsendungen, falscher Poststempel -
wie beim NEAT-Referendum ebenfalls entdeckt) beseitigt werden. Die
Referendumskomitees werden in ihren Rechten nicht geschmälert, weil die
Referendumsfrist im Gegenzug um zehn auf 100 Tage verlängert wird." Die
genannten Regeln beruhen auf der Annahme, dass die zur Stimmrechtsbescheinigung
zuständigen Behörden die Unterschriften rechtzeitig vor Ablauf der
Referendumsfrist erhalten und die Amtsstellen die beglaubigten
Unterschriftenlisten den Absendern unverzüglich zurückgeben (Art. 62 Abs. 1 und
2 BPR).

7.3 Gestützt auf die Art. 59a und 66 Abs. 2 lit. c BPR hat die Bundeskanzlei
sämtliche 2823 Unterschriften, die bei ihr nach dem 27. September 2012 zum
Referendum gegen den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich eingereicht
wurden, entgegengenommen und für ungültig erklärt. Von diesen Unterschriften
waren 8 ungenügend bescheinigt, 4 nicht handschriftlich und 2 mehrfach
unterzeichnet. 2809 Unterschriften werden in Tabelle 2 zum angefochtenen
Entscheid als verbleibende ungültige Unterschriften ausgewiesen, da sie erst am
1. Oktober 2012 verspätet bei der Bundeskanzlei eingereicht worden seien.
Nach Auffassung der Beschwerdeführer ist das Referendum mit 50'172
Unterschriften zustande gekommen, wenn die strittigen 2809 Unterschriften zu
den von der Bundeskanzlei als gültig anerkannten 47'363 Unterschriften,
hinzugezählt werden. Sie berufen sich auf den Umstand, dass sie die strittigen
2809 Unterschriften am letzten Tag der Referendumsfrist (27. September 2012)
bei der Bundeskanzlei hätten einreichen können, wenn ihnen die beglaubigten
Listen von den zuständigen Stellen unverzüglich zurückgegeben worden wären. Die
Bundeskanzlei hält dieser Argumentation entgegen, das Gesetz erlaube ihr nicht,
die verspätet eingereichten Unterschriften für gültig zu erklären, da dies auf
eine Verlängerung der verfassungsmässigen Referendumsfrist hinausliefe.

7.4 Die Stimmrechtsbescheinigung wird in Art. 62 BPR näher geregelt. Nach
dessen Abs. 1 sind die Unterschriftenlisten rechtzeitig
BGE 139 II 303 S. 311
(suffisamment tôt, tempestivamente) vor Ablauf der Referendumsfrist der
Amtsstelle zuzustellen, die nach kantonalem Recht für die
Stimmrechtsbescheinigung zuständig ist. Die Amtsstelle bescheinigt, dass die
Unterzeichner in der auf der Unterschriftenliste bezeichneten Gemeinde in
eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt sind, und sie gibt die Listen
unverzüglich (sans retard, senza indugio) den Absendern zurück (Art. 62 Abs. 2
BPR).
Mit der Bundeskanzlei ist davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber die
Ausstellung der Stimmrechtsbescheinigungen bewusst keiner genauen Frist
unterworfen hat. Mit der Formulierung, die bescheinigten Unterschriftenlisten
seien unverzüglich den Absendern zurückzugeben (Art. 62 Abs. 2 BPR), wurde dem
Umstand Rechnung getragen, dass die Menge und die Dringlichkeit anfallender
Stimmrechtsbescheinigungen je nach Amtsstelle stark variieren kann. Ein
langjähriger Erfahrungswert besagt nach den Angaben der Bundeskanzlei, dass
eine geübte Person pro Tag ca. 300 bis höchstens 350 Stimmrechtsbescheinigungen
ausstellen kann (vgl. AB 1975 N 1502). Daher hat der Gesetzgeber auch
angeordnet, dass die "Unterschriftenlisten rechtzeitig vor Ablauf der
Referendumsfrist der Amtsstelle" zuzustellen sind (Art. 62 Abs. 1 BPR). Mit dem
Ausdruck suffisamment tôt in der französischen Fassung des Gesetzestexts wird
noch verstärkt auf die Verantwortung der Urheber des Referendums für die
rechtzeitige Zustellung der Unterschriften zur Stimmrechtsbescheinigung
hingewiesen. Bereits in der Botschaft zum Bundesgesetz über die politischen
Rechte von 1975 führte der Bundesrat aus, die Unterschriften dürften nicht zu
knapp vor Ablauf der Fristen zur Bescheinigung eingereicht werden, es sei auf
die Leistungsfähigkeit der lokalen Behörden innerhalb der verfügbaren Zeit
Rücksicht zu nehmen, und die Unterschriften seien mit Vorteil zeitlich
gestaffelt, in Teilsendungen, einzureichen (BBl 1975 I 1345 f.). Diese
Grundsätze werden auch im Leitfaden der Bundeskanzlei für Urheberinnen und
Urheber eines Referendums betont. Mit der Revision des BPR im Jahre 1996 hat
die Obliegenheit der rechtzeitigen Einreichung der Unterschriften zur
Beglaubigung noch an Bedeutung gewonnen, da mit dieser Gesetzesänderung die
Möglichkeit der nachträglichen Behebung von Bescheinigungsmängeln abgeschafft
und gleichzeitig die Referendumsfrist von 90 auf 100 Tage verlängert wurde
(Art. 59 in AS 1997 754 im Vergleich zu aArt. 59 in AS 1978 700; dazu BBl 1993
III 490). Mit der Verlängerung der Referendumsfrist sollte den Urhebern von
Referenden mehr Spielraum
BGE 139 II 303 S. 312
verschafft werden, um die Stimmrechtsbescheinigungen rechtzeitig vor
Fristablauf einholen zu können. Beim Erfordernis der rechtzeitigen Einholung
der Stimmrechtsbescheinigung ist nach dem Gesagten neben dem Zeitpunkt des
Ablaufs der Referendumsfrist auch die Anzahl der zur Bescheinigung
eingereichten Unterschriften zu beachten.

7.5 Die in Art. 62 Abs. 1 und 2 BPR enthaltene Regelung überträgt den Urhebern
eines Referendums die Verantwortung für die rechtzeitige Einholung der
Stimmrechtsbescheinigungen und verpflichtet die dazu zuständigen Stellen zur
unverzüglichen Rückgabe der bescheinigten Unterschriften an die Absender.
Oberstes Ziel ist dabei, möglichst alle eingereichten Unterschriften zu
beglaubigen und den Absendern zeitgerecht zurückzugeben, damit die beglaubigten
Unterschriften bei der Bundeskanzlei vor Ablauf der Referendumsfrist
eingereicht werden können. Die Wahrnehmung der verschiedenen Aufgaben bedarf
einer angemessenen Organisation und Planung. Sie kann - wie der vorliegende
Fall deutlich zeigt - für die Beteiligten unter Umständen eine grosse
Herausforderung darstellen. Probleme bei der Stimmrechtsbescheinigung sind
anhand der jeweiligen konkreten Situation zu beurteilen. Hilfreiche
Anhaltspunkte und Handlungsanweisungen zur Entschärfung zahlreicher Probleme
finden sich im Sinne von Empfehlungen im Leitfaden der Bundeskanzlei für
Urheberinnen und Urheber eines Referendums. Die Bundeskanzlei begleitet zudem
die Referendumswilligen und die zuständigen Stellen während der
Unterschriftensammlung und dem Bescheinigungsverfahren (Angebot von
Unterschriftenlisten [Art. 60a BPR; Art. 18 VPR, SR 161.11], Vermittlung bei
Problemen mit den Gemeinden [vgl. BGE 131 II 449 E. 3.4.2 S. 455],
Abgabemöglichkeit bei der Bundeskanzlei am letzten Tag der Referendumsfrist bis
Mitternacht etc.).
Die Übertragung der Verantwortung für die Unterschriften an die Urheber eines
Referendums auch während des Prozesses der Stimmrechtsbescheinigung entspricht
dem klaren Willen des Gesetzgebers bei der Änderung des BPR im Jahre 1996 (vgl.
Botschaft des Bundesrats vom 1. September 1993 zu einer Teiländerung des BPR,
BBl 1993 III 491). Dabei war ihm bewusst, dass im Rahmen des
Bescheinigungsverfahrens Ablaufstörungen (wie etwa verlorene Postsendungen oder
falsche Poststempel) nicht immer zu vermeiden sind. Um die Rechte der
Referendumskomitees nicht zu schmälern, wurde die Referendumsfrist mit dieser
Gesetzesänderung um zehn
BGE 139 II 303 S. 313
Tage auf 100 Tage verlängert. Daraus folgt, dass die Urheber eines Referendums
mit möglichen Ablaufstörungen, die sich im allgemein üblichen Rahmen bewegen,
zu rechnen haben. Die Organisation der Unterschriftenbescheinigung und die
Planung der Abgabe der Unterschriften bei der Bundeskanzlei ist darauf
auszurichten. Anders könnte es sich verhalten, wenn ausserordentliche
Ereignisse wie etwa Streiks, Naturkatastrophen oder unlautere Verzögerungen der
Amtsstellen bei der Ausstellung der Stimmrechtsbescheinigungen zu einer
namhaften Verzögerung der Rückgabe der Unterschriften an die Urheber von
Referenden führen sollten.

8. Im Hinblick auf die vorliegende Angelegenheit ergibt sich aufgrund der
Angaben der Bundeskanzlei, dass die von den Beschwerdeführern geltend gemachten
Verzögerungen für die drei Referenden insgesamt 4722 Unterschriften betreffen,
die den Gemeinden laut Aussage des Referendumskomitees am 19., 24. und 25.
September 2012, also innerhalb der letzten acht Tage vor Ablauf der
Referendumsfrist zur Erteilung der Stimmrechtsbescheinigung zugesandt worden
waren. Damit stellt sich insbesonFdere die Frage nach der rechtzeitigen
Einholung der Stimmrechtsbescheinigungen (Art. 62 Abs. 1 BPR).

8.1 Im Folgenden ist insbesondere auf die Unterschriftenbeglaubigung im Kanton
Genf einzugehen. Allein für diesen Kanton gehen die Beschwerdeführer in Bezug
auf das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich von rund 1400 Unterschriften
aus, die wegen verspäteter Ankunft beim Referendumskomitee von der
Bundeskanzlei nicht mehr berücksichtigt worden seien. Nach der Zählung der
Bundeskanzlei stammen für das Referendum gegen das Abkommen mit dem Vereinigten
Königreich 1232 nicht berücksichtigte Unterschriften aus dem Kanton Genf.

8.2 Nach den unbestrittenen Angaben des Staatsrats des Kantons Genf trafen bei
der kantonalen Beglaubigungsstelle erst am 97. Tag der 100-tägigen Sammelfrist
3847 Unterschriften für das Referendum gegen die drei Staatsverträge zur
Beglaubigung ein. Dabei handelte es sich um fast die Hälfte (48,7 %) aller in
Genf für diese Referenden zur Stimmrechtsbescheinigung vorgewiesenen
Unterschriften. Die Genfer Behörden ergriffen nach Erhalt der Unterschriften
sofort besondere Massnahmen, indem ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur
Vornahme der Bescheinigungen in einem Sondereinsatz am 24. und 25. September
2012 von 7 Uhr bis 22 Uhr
BGE 139 II 303 S. 314
arbeiteten. Schliesslich standen am 99. Tag der Referendumsfrist, d.h. am 26.
September um 15.15 Uhr, die beglaubigten Unterschriften in Genf zur Rückgabe
bereit. Mangels anderer präziser Instruktionen seitens der Urheber des
Referendums wurden die beglaubigten Unterschriften per Post zurückgeschickt,
wobei die Sendung versehentlich mit B-Post versandt wurde.

8.3 Mit der Zustellung zur Stimmrechtsbescheinigung von 3847 Unterschriften am
97. Tag der Referendumsfrist haben die Urheber des Referendums in Genf die
Obliegenheit gemäss Art. 62 Abs. 1 BPR zur rechtzeitigen Einreichung der
Unterschriften nicht erfüllt. Es handelt sich dabei um eine derart grosse
Anzahl Unterschriften, dass es den zuständigen Behörden nur mit einem
Sondereinsatz möglich war, die gesetzliche Vorgabe zu erfüllen, wonach die
Listen unverzüglich zurückzugeben sind (Art. 62 Abs. 2 BPR). Vor dem
Hintergrund der Versäumnisse der Urheber des Referendums fällt der Umstand,
dass die Rücksendung versehentlich mit B-Post erfolgte, nicht entscheidend ins
Gewicht. Es handelt sich dabei um eine Fehldisposition, die sich im Sinne der
Ausführungen in E. 7.5 hiervor im allgemein üblichen Rahmen bewegt und von den
Urhebern des Referendums hätte eingeplant werden müssen. Hätten die
Referendumskomitees die Unterschriften entsprechend den Empfehlungen der
Bundeskanzlei zeitlich gestaffelt in kleineren Teilsendungen rechtzeitig
(suffisamment tôt) eingereicht, so hätten ein Sondereinsatz der Genfer
Beglaubigungsstelle und die nachteiligen Folgen einer versehentlichen Frankatur
mit B-Post vermieden werden können. Im Übrigen bestand beim Vorgehen der
Urheber des Referendums auch keine Gewähr, dass die bescheinigten
Unterschriften selbst bei einer Zustellung mit A-Post noch zeitgerecht beim
Referendumskomitee eintreffen würden. Angesichts des von den Urhebern des
Referendums geschaffenen zeitlichen Drucks wäre gestützt auf Art. 62 Abs. 1 BPR
zu erwarten gewesen, dass sie sich mit der zuständigen Behörde über die
Rückgabe der Unterschriften konkret verständigen. Entsprechende Bemühungen, die
Unterschriften rechtzeitig vor Ablauf der Referendumsfrist zurückzuerhalten,
haben die Referendumskomitees nicht unternommen.

8.4 Die Urheber des Referendums haben somit selbst zu vertreten, dass die
Bundeskanzlei die verspätet bei ihr eingetroffenen Unterschriften aus dem
Kanton Genf nicht mehr berücksichtigen konnte. Die Bundeskanzlei hat die erst
am 1. Oktober 2012 bei ihr eingereichten Unterschriften aus dem Kanton Genf zu
Recht als ungültig
BGE 139 II 303 S. 315
bezeichnet. Somit ist das Referendum gegen das Abkommen mit dem Vereinigten
Königreich offensichtlich nicht zustande gekommen. Die den Urhebern des
Referendums von Amtsstellen anderer Kantone und Gemeinden mit B-Post
zugestellten beglaubigten Unterschriften vermögen daran nichts zu ändern.
Deshalb erübrigen sich diesbezüglich weitere Abklärungen. Auch die weiteren
Ausführungen der Parteien führen zu keinem anderen Ergebnis, ohne dass auf die
Vorbringen im Einzelnen einzugehen wäre. Schliesslich ist auch nicht weiter zu
prüfen, wie bei einer Gutheissung der Beschwerden die Durchführung des
Referendums hätte gestaltet werden können, nachdem der Staatsvertrag am 1.
Januar 2013 in Kraft getreten ist.