Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 II 271



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Urteilskopf

139 II 271

18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Helvetia
Nostra gegen X., Gemeinde Savognin, Gemeinde Disentis/Mustér und Y. (Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_649/2012 und 1C_650/2012 vom 22. Mai 2013

Regeste

Beschwerdelegitimation von Natur- und Heimatschutzverbänden gegen
Baubewilligungen für Zweitwohnungsbauten (Art. 2 und 12 NHG; Art. 75b und 78
Abs. 2 BV).
Voraussetzungen für das Vorliegen einer Bundesaufgabe im Sinne von Art. 78 Abs.
2 BV und Art. 2 NHG im Allgemeinen (E. 9) und auf dem Gebiet der Raumplanung im
Besonderen (E. 10).
Die Plafonierung des Zweitwohnungsbaus gemäss Art. 75b BV stellt eine
Bundesaufgabe dar, die der Schonung der Natur und des heimatlichen
Landschaftsbildes dient. Baubewilligungen können daher wegen Verletzung von
Art. 75b BV und seiner Übergangs- und Ausführungsbestimmungen mit Beschwerde
gemäss Art. 12 NHG angefochten werden (E. 11).

Sachverhalt ab Seite 271

BGE 139 II 271 S. 271

A. Am 11. Mai 2012 reichte X. (im Folgenden: Beschwerdegegner 1) bei der
Gemeinde Savognin ein Gesuch um Erstellung eines Mehrfamilienhaus-Neubaus auf
Parzelle Nr. 981 ein.
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Gegen das Bauvorhaben erhob die als Verein konstituierte Helvetia Nostra
Einsprache und beantragte sinngemäss die Verweigerung der Baubewilligung,
gestützt auf den am 11. März 2012 in Kraft getretenen Art. 75b BV
(Zweitwohnungen).
Die Gemeinde Savognin wies die Einsprache am 20. August 2012 ab und erteilte am
21. August 2012 die Baubewilligung unter Bedingungen und Auflagen.

B. Am 25. Juni 2012 reichte Y. (im Folgenden: Beschwerdegegnerin 2) bei der
Gemeinde Disentis/Mustér ein Baugesuch für die Erstellung eines
Mehrfamilienhaus-Neubaus auf Parzelle Nr. 2325 in Buretsch/Segnas ein. (...)
Am 8. August 2012 erhob die Helvetia Nostra Einsprache gegen das Bauvorhaben
wegen Verletzung von Art. 75b BV.
Der Gemeindevorstand Disentis/Mustér wies die Einsprache am 20. August 2012 ab
und erteilte gleichzeitig die Baubewilligung.

C. Gegen die Entscheide der Gemeinden Savognin und Disentis/Mustér erhob die
Helvetia Nostra am 19. September 2012 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden. Sie beantragte, die angefochtenen Entscheide seien
aufzuheben und die Baubewilligungen seien nicht zu erteilen.
Das Verwaltungsgericht verneinte die Beschwerdelegitimation der Helvetia Nostra
und trat deshalb in zwei Urteilen vom 5. und 7. November 2012 auf die
Beschwerden nicht ein. (...)

D. Gegen beide Urteile erhob die Helvetia Nostra am 14. Dezember 2012
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht.
(...)
Am 22. Mai 2013 hiess das Bundesgericht die Beschwerden in öffentlicher Sitzung
gut. Es hob die angefochtenen Urteile auf und wies die Sache zu neuer
Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurück.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Streitig ist in erster Linie, ob die Beschwerdeführerin gemäss Art. 12 des
Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451)
zur Beschwerde befugt ist.
Es ist unstreitig, dass sie zu den nach Art. 12 Abs. 1 lit. b NHG
beschwerdebefugten Organisationen im Bereich des Natur- und
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Heimatschutzes gehört (vgl. Anhang der Verordnung vom 27. Juni 1990 über die
Bezeichnung der im Bereich des Umweltschutzes sowie des Natur- und
Heimatschutzes beschwerdeberechtigten Organisationen [VBO; SR 814.076]). Wie
sich bereits aus dem Titel des 1. Abschnitts des NHG ergibt ("Naturschutz,
Heimatschutz und Denkmalpflege bei Erfüllung von Bundesaufgaben"), steht die
Verbandsbeschwerde jedoch nur offen, soweit der angefochtene Entscheid die
Erfüllung einer Bundesaufgabe im Sinne von Art. 78 Abs. 2 BV und Art. 2 NHG
betrifft (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BGE 123 II 5 E. 2c S. 7 f.).
(...)

9. Gemäss Art. 78 Abs. 1 BV sind für den Natur- und Heimatschutz grundsätzlich
die Kantone zuständig; Bundeskompetenzen bestehen lediglich im Bereich des
Biotop- und Artenschutzes (Abs. 4) und zum Schutz von Mooren und
Moorlandschaften von nationaler Bedeutung (Abs. 5). Gemäss Art. 78 Abs. 2 BV
nimmt jedoch der Bund bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die
Anliegen des Natur- und Heimatschutzes und schont Landschaften, Ortsbilder,
geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kunstdenkmäler; er erhält sie
ungeschmälert, wenn das öffentliche Interesse es gebietet.

9.1 Was unter der Erfüllung einer Bundesaufgabe im Sinne von Art. 78 Abs. 2 BV
zu verstehen ist, führt Art. 2 Abs. 1 NHG in nicht abschliessender Weise aus:
Dazu gehören insbesondere die Planung, Errichtung und Veränderung von Werken
und Anlagen durch den Bund, wie z.B. Bauten und Anlagen der Bundesverwaltung,
Nationalstrassen oder Bauten und Anlagen der Schweizerischen Bundesbahnen (lit.
a), die Erteilung von Konzessionen und Bewilligungen, wie zum Bau und Betrieb
von Verkehrsanlagen, Transportanstalten, Werken und Anlagen zur Beförderung von
Energie, Flüssigkeiten oder Gasen oder zur Übermittlung von Nachrichten sowie
Bewilligungen zur Vornahme von Rodungen (lit. b) sowie die Gewährung von
Beiträgen an Planungen, Werke und Anlagen, wie Meliorationen, Sanierungen
landwirtschaftlicher Bauten, Gewässerkorrektionen, Anlagen des Gewässerschutzes
und Verkehrsanlagen (lit. c). Entscheide kantonaler Behörden über Vorhaben, die
voraussichtlich nur mit Beiträgen nach Absatz 1 Buchstabe c verwirklicht
werden, sind der Erfüllung von Bundesaufgaben gleichgestellt (Art. 2 Abs. 2 NHG
).

9.2 Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Bundesaufgabe auch dann vorliegen,
wenn eine kantonale Behörde verfügt hat,
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beispielsweise bei der Erteilung einer raumplanungsrechtlichen
Ausnahmebewilligung gemäss Art. 24 RPG (SR 700; grundlegend BGE 112 Ib 70 E. 4b
S. 74 ff.). Ausdrücklich in Art. 2 Abs. 1 lit. b NHG erwähnt ist die
Rodungsbewilligung: Erteilt eine kantonale Forstbehörde eine Rodungsbewilligung
oder stellt sie diese verbindlich in Aussicht, so erfüllt sie eine
Bundesaufgabe (BGE 121 II 190 E. 3c/cc S. 197). Auch der Biotopschutz gemäss
Art. 18 ff. NHG ist eine den Kantonen übertragene Bundesaufgabe (BGE 133 II 220
E. 2.2 S. 223). Gleiches gilt für die Bewilligung von technischen Eingriffen in
ein Gewässer nach Art. 8 ff. des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über die
Fischerei (BGF; SR 923.0) bzw. die Erteilung von fischereirechtlichen
Bewilligungen (BGE 110 lb 160 E. 2 S. 161). Zu den Bundesaufgaben gehören auch
der Gewässerschutz und die Sicherung angemessener Restwassermengen (Urteil des
Bundesgerichts 1C_262/2011 vom 15. November 2012 E. 1.1, nicht publ. in: BGE
139 II 28), der Schutz von Mooren und Moorlandschaften von besonderer Schönheit
und nationaler Bedeutung (BGE 118 Ib 11 E. 2e S. 15 f.) sowie von wildlebenden
Säugetieren und Vögeln (BGE 136 II 101 E. 1.1 S. 103), auch wenn kantonale oder
kommunale Behörden entscheiden.

9.3 Voraussetzung für das Vorliegen einer "Bundesaufgabe" ist danach in erster
Linie, dass die angefochtene Verfügung eine Rechtsmaterie betrifft, die in die
Zuständigkeit des Bundes fällt und bundesrechtlich geregelt ist.
In seinem Zuständigkeitsbereich ist der Bund gemäss Art. 78 Abs. 2 BV
verpflichtet, auf die Anliegen des Natur- und Heimatschutzes Rücksicht zu
nehmen. In diesem Zusammenhang räumt Art. 12 NHG den gesamtschweizerischen
Natur- und Heimatschutzverbänden ein Beschwerderecht ein, damit sie den
Anliegen des Natur- und Heimatschutzes bei der Erfüllung von Bundesaufgaben
notfalls gerichtlich Geltung verschaffen können (JOSEF ROHRER, in: Kommentar
NHG, Allg. Teil, 1997, Keller/Zufferey/Fahrländer [Hrsg.], 3. Kap. Rz. 4). Das
Recht zur Beschwerdeführung setzt nicht voraus, dass ein vom Bund nach Art. 5
NHG inventarisiertes Schutzobjekt betroffen wird; es genügt vielmehr, dass die
Verletzung von Bestimmungen gerügt wird, die der Erfüllung der Bundesaufgaben
im Bereich des Natur- und Heimatschutzes dienen (so schon BGE 118 Ib 11 E. 2e
S. 16; BGE 117 Ib 92 E. 3a S. 100 mit Hinweisen).
Solche Bestimmungen sind insbesondere im NHG enthalten; sie können sich aber
auch aus der jeweiligen Spezialgesetzgebung
BGE 139 II 271 S. 275
ergeben (z.B. Erfordernis der Standortgebundenheit und der Interessenabwägung
gemäss Art. 24 RPG; Rodungsvoraussetzungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom
4. Oktober 1991 über den Wald [WaG; SR 921.0]; Voraussetzungen für technische
Eingriffe in Gewässer gemäss Art. 8-10 BGF).
Die Anforderungen im Bereich des Natur- und Heimatschutzes können sich auch aus
einer Verfassungsbestimmung ergeben, soweit diese unmittelbar anwendbar ist
(JEAN-BAPTISTE ZUFFEREY, in: Kommentar NHG, 1997, N. 12 zu Art. 2 NHG S. 151),
wie beispielsweise der mit der Rothenthurm-Initiative eingeführte Art. 24^
sexies Abs. 5 aBV (heute: Art. 78 Abs. 5 BV). Das darin enthaltene absolute
Veränderungsverbot für Moore und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und
nationaler Bedeutung konnte deshalb, schon vor seiner Umsetzung im NHG, mit
Verbandsbeschwerde nach Art. 12 NHG geltend gemacht werden (BGE 118 Ib 11 E. 2e
S. 15 f.).

9.4 Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt und mit Zitaten belegt hat,
genügt nicht jegliche Anwendung von Bundesrecht, um die Beschwerdebefugnis nach
Art. 12 NHG auszulösen, sondern es muss eine konkrete Bundesaufgabe vorliegen,
die einen Bezug zum Natur-, Landschafts- und Heimatschutz aufweist. Dies ist
einerseits der Fall, wenn die bundesrechtliche Regelung (zumindest auch) den
Schutz von Natur, Landschaft oder Heimat bezweckt (ZUFFEREY, a.a.O., N. 12 zu
Art. 2 NHG S. 150 f.); andererseits ist eine Bundesaufgabe i.S. von Art. 78
Abs. 2 BV und Art. 2 NHG zu bejahen, wenn der bundesrechtliche Auftrag die
Gefahr der Beeinträchtigung schützenswerter Natur, Orts- oder Landschaftsbilder
in sich birgt und deshalb die Rücksichtnahme auf die Anliegen des Natur- und
Heimatschutzes sichergestellt werden muss (BGE 131 II 545 E. 2.2 S. 547 f. mit
Hinweisen; ZUFFEREY, a.a.O., N. 13 zu Art. 2 NHG S. 151 f.).

10. Im Bereich der Raumplanung sind grundsätzlich die Kantone zuständig; dem
Bund steht nur (aber immerhin) eine Grundsatz-Gesetzgebungskompetenz zu (Art.
75 Abs. 1 BV).

10.1 Wo sich das RPG auf Rahmenbestimmungen beschränkt (Nutzungsplanung;
Bewilligung von Bauten innerhalb der Bauzone), liegt grundsätzlich keine
Bundesaufgabe i.S. von Art. 2 NHG vor. Dagegen wird eine Bundesaufgabe bejaht,
soweit es um die Erteilung von Ausnahmebewilligungen ausserhalb der Bauzone
geht, die vom Bund detailliert und i.d.R. abschliessend geregelt worden sind (
Art. 24 ff. RPG).
BGE 139 II 271 S. 276

10.2 Regeln jedoch Nutzungspläne oder ordentliche Baubewilligungen
ausnahmsweise (ganz oder teilweise) konkrete bundesrechtliche Gesichtspunkte,
so gelten sie insoweit als Verfügung i.S. von Art. 5 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 (VwVG; SR 172.021) und
können dem Beschwerderecht nach Art. 12 NHG unterliegen (vgl. Art 12c Abs. 3
und 4 NHG; BGE 135 II 328 E. 2.1 S. 332 mit Hinweisen; PETER M. KELLER, in:
Kommentar NHG, 1997, N. 3 zu Art. 12 NHG S. 256). Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung sind die Natur- und Heimatschutzverbände daher zur Beschwerde
gegen ordentliche Baubewilligungen und Nutzungspläne befugt, die schutzwürdige
Biotope berühren (Urteil 1A_44/1991 vom 19. November 1992 E.1, nicht publ. in:
BGE 118 Ib 485; BGE 118 Ib 11 E. 2e S. 15/16 zu Mooren und Moorlandschaften von
nationaler Bedeutung). Gleiches gilt, wenn die Umgehung von Art. 24 RPG durch
die Schaffung unzulässiger Kleinbauzonen gerügt wird (Urteil 1C_164/2007 vom 6.
Dezember 2007 E. 1.3 und 3.1 mit Hinweisen).

10.3 Nach der bundesgerichtlichen Praxis ist die Erstellung von
Zivilschutzbauten (Urteil 1A.231/1998 vom 12. Juli 1999 E. 1b/bb, in: RDAF 2000
I S. 141 und URP 2000 S. 659) und von Mobilfunkanlagen (BGE 131 II 545 E. 2.2
S. 547 f. mit Hinweis) eine Bundesaufgabe, und zwar auch dann, wenn dies im
ordentlichen Baubewilligungsverfahren innerhalb der Bauzone geschieht. Der Bund
verpflichtet die Kantone zur Gewährleistung eines ausgewogenen
Schutzplatzangebots bzw. die Mobilfunkkonzessionärinnen zum Aufbau eines je
eigenen, landesweiten Mobilfunknetzes, was sich negativ auf schützenswerte
Landschaften und Ortsbilder auswirken kann. Die Anwendbarkeit von Art. 3 und 6
NHG ist das notwendige Korrelat, um sicherzustellen, dass diese Verpflichtung
nicht auf Kosten von Natur- und Heimat erfüllt wird. Dies hat zur Folge, dass
solche Baubewilligungen der Verbandsbeschwerde gemäss Art. 12 NHG unterliegen.

11. Art. 75b Abs. 1 BV setzt einen Höchstanteil für Zweitwohnungen von 20 % pro
Gemeinde fest, gemessen einerseits am Gesamtbestand der Wohneinheiten und
andererseits an der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche. Art. 75b
Abs. 2 und Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV beauftragen den "Gesetzgeber", die
hierfür nötigen Ausführungsbestimmungen zu erlassen.

11.1 Es entspricht einhelliger Auffassung, dass damit der Bund und nicht die
Kantone zur Ausführungsgesetzgebung verpflichtet wird.
BGE 139 II 271 S. 277
Dies lässt sich aus Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV ableiten, der den Bundesrat (und
nicht die Kantonsregierungen) ermächtigt, nötigenfalls die
Ausführungsbestimmungen durch Verordnung zu erlassen (BERNHARD RÜTSCHE, Vollzug
des Zweitwohnungsverbots, in: Rechtliche Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative,
Norer/Rütsche [Hrsg.], 2013, S. 82). Insoweit ist der Bund nicht mehr auf eine
Grundsatzgesetzgebung (nach Art. 75 BV) beschränkt; die Sicherstellung der
Plafonierung des Zweitwohnungsbaus stellt vielmehr fortan eine Bundesaufgabe
dar (so auch BERNHARD WALDMANN, Zweitwohnungen - vom Umgang mit einer sperrigen
Verfassungsnorm, in: Schweizerische Baurechtstagung, 2013, S. 136 oben).
Davon ging auch der Bundesrat in seiner Botschaft vom 29. Oktober 2008 zur
eidgenössischen Volksinitiative "Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!"
aus (BBl 2009 8757 ff.):
"Da es sich um eine bundesrechtliche Regelung handelt, wäre im Prinzip
letztlich der Bund für die Sicherstellung ihrer Anwendung zuständig." (a.a.O.,
S. 8764 Ziff. 3.3).
"Die Initiative will auch dem Bund Kompetenz für die Regelung des
Zweitwohnungsbaus übertragen. Der Bund wäre wohl gehalten, die Einhaltung der
Kontingente zu kontrollieren und müsste Aufgaben übernehmen, die der Sache nach
auf einer anderen bundesstaatlichen Ebene erfüllt werden sollten. Die Kontrolle
der Kontingente wäre mit erheblichem personellem und organisatorischem Aufwand
verbunden, der in diesem Umfang vom Bund allein nicht geleistet werden könnte.
Ebenso verhält es sich mit der Aufarbeitung und Aktualisierung von Angaben zur
Nutzung der Wohnungen im GWR." (a.a.O., S. 8768 Ziff. 4.3).

11.2 Art. 75b BV ist eine raumplanerische Bestimmung, die eine bestimmte
Nutzung (Zweitwohnungen) beschränkt. Diese Beschränkung ist jedoch nicht
Selbstzweck: Ziel der Initiative "Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen"
war in erster Linie der Schutz von Natur und Landschaft. So argumentierte das
Initiativkomitee in den Erläuterungen zur Abstimmung vom 11. März 2012, dass
durch den ausufernden Zweitwohnungsbau immer grössere Teile der Schweizer Berge
verstädtert, unersetzliche Landschaften verschandelt und die Natur für immer
zerstört werde; die schönsten und kostbarsten Landschaften würden durch immer
neue Einzonungen, Umzonungen und Sonderbewilligungen bedroht und würden auf
diese Weise Stück für Stück vernichtet.
Zweitwohnungsprojekte, die innerhalb von RPG-konformen Bauzonen, insbesondere
im bereits überbauten Gebiet, erstellt werden, zerstören in der Regel für sich
allein keine Natur- und
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Landschaftsobjekte. Sie verbrauchen jedoch Baulandreserven, mit der Folge, dass
für andere Bauvorhaben (insbesondere Erstwohnungen, Hotel- und Gewerbebetriebe)
auf Kosten von Natur- und Landschaft Neueinzonungen vorgenommen werden müssen.
Insofern dient das Baubewilligungsverbot für neue Zweitwohnungen in Gemeinden,
in denen der Zweitwohnungsanteil schon 20 % oder mehr beträgt, in erheblichem
Mass der Schonung der Natur und des heimatlichen Landschaftsbildes. Dies genügt
für die Bejahung der Beschwerdelegitimation i.S. von Art. 12 NHG. Diese
Bestimmung verlangt nicht, dass sich die konkrete Baubewilligung auf ein
geschütztes oder schutzwürdiges Gebiet bezieht (Urteile 1C_382/2010 vom 13.
April 2011 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 137 II 338; 1C_344/2007 vom 12. März
2010 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 136 II 214; BGE 123 II 289 E. 1c S. 291;
Urteil 1A.301/2000 vom 28. Mai 2011 E. 2b, in: ZBl 103/2002 S. 354; RDAF 2003 I
S. 503).

11.3 Die Prüfung, ob eine Baubewilligung für eine Zweitwohnung nach Art. 75b
Abs. 1 i.V.m. Art 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV und seiner Ausführungsbestimmungen
erteilt werden darf, erfolgt nach geltendem Recht entweder im ordentlichen
Baubewilligungsverfahren (innerhalb der Bauzone) oder im
Ausnahmebewilligungsverfahren nach Art. 24 ff. RPG (ausserhalb der Bauzone). Im
zuletzt genannten Fall handelt es sich um eine bundesrechtliche Bewilligung,
die klarerweise in Erfüllung einer Bundesaufgabe ergeht. Gleiches muss aber
auch gelten, soweit die Konformität eines Bauvorhabens mit Art. 75b BV und
seinen Ausführungsbestimmungen im ordentlichen Baubewilligungsverfahren geprüft
wird: Insoweit stützt sich die Baubewilligung auf spezielle, bundesrechtlich
geregelte Tatbestände und ergeht in Erfüllung einer Bundesaufgabe (so auch
RÜTSCHE, a.a.O., S. 81 f.).

11.4 Im Ergebnis ist daher eine Bundesaufgabe i.S. von Art. 78 Abs. 2 BV und
Art. 2 NHG zu bejahen. Dies hat zur Folge, dass die streitigen Baubewilligungen
von der Helvetia Nostra nach Art. 12 NHG angefochten werden können. Das
Verwaltungsgericht Graubünden hat daher die Einsprache- und Beschwerdebefugnis
der Beschwerdeführerin zu Unrecht verneint.