Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 III 67



Zurück zur Einstiegsseite Drucken

Urteilskopf

139 III 67

10. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Y.
AG in Liquidation und Z. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_435/2012 vom 4. Februar 2013

Regeste

Streitwert.
Kein Streitwerterfordernis für Beschwerden in Zivilsachen gegen Urteile
kantonaler Handelsgerichte (Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG i.V.m. Art. 6 ZPO);
Streitwert als Voraussetzung der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts
gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO (E. 1.2).

Regeste

Streitverkündungsklage.
Streitverkündungsklage gemäss Art. 81 f. ZPO; Voraussetzungen und Tragweite des
Zulassungsverfahrens (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 67

BGE 139 III 67 S. 67

A. Am 27. Oktober 2003 wählte die Generalversammlung der Y. AG
(Beschwerdegegnerin 1 und Klägerin) die X. AG (Beschwerdeführerin, Beklagte und
Streitverkündungsklägerin) als Revisionsstelle.
BGE 139 III 67 S. 68
Diese übte ihre Funktion bis zur Eröffnung des Konkurses über die Y. AG am 22.
November 2004 aus. Zuvor hatte die Z. AG (Beschwerdegegnerin 2 und
Streitverkündungsbeklagte) die Funktion der Revisionsstelle ausgeübt.

B.

B.a Mit Klage vom 21. Oktober 2011 beantragte die Y. AG in Liquidation dem
Handelsgericht des Kantons Zürich, es sei die X. AG zu verurteilen, ihr Fr.
445'800.- nebst Zins zu 5 % seit 22. November 2004 zu bezahlen.
Die Klägerin macht mit ihrer Klage Ersatz für den Schaden geltend, der durch
die aus ihrer Sicht pflichtwidrige Tätigkeit der Beklagten als Revisionsstelle
entstanden sei.

B.b Mit Klageantwort vom 23. März 2012 beantragte die X. AG die Abweisung der
Klage und stellte den Antrag auf Zulassung von Streitverkündungsklagen
gegenüber der Z. AG und einem ehemaligen Verwaltungsratsmitglied der Y. AG in
Liquidation.
Die X. AG weist die ihr von der Klägerin vorgeworfenen Pflichtverletzungen von
sich. Für den Fall, dass doch auf eine Verantwortlichkeit erkannt werden würde,
sieht sie sich berechtigt, für allfällig zu leistenden Schadenersatz auf das
ehemalige Verwaltungsratsmitglied der Y. AG in Liquidation Rückgriff zu nehmen,
das in der fraglichen Zeitspanne für die Klägerin tätig war. Dieses sei für
einen allfälligen Schaden gegenüber der Klägerin solidarisch haftbar und im
Innenverhältnis für den vollen Schaden primär verantwortlich. Gleiches gelte
für die Z. AG, gegen welche die X. AG im Rahmen der solidarischen Organhaftung
ebenfalls Regress nehmen könne, sofern sich die Z. AG während ihrer Tätigkeit
als Revisionsstelle Pflichtverletzungen zuschulden habe kommen lassen.

B.c Mit Beschluss vom 3. Juli 2012 liess das Handelsgericht die
Streitverkündungsklage gegen das ehemalige Verwaltungsratsmitglied der Klägerin
zu (Dispositiv-Ziffer 1). Demgegenüber liess das Handelsgericht die
Streitverkündungsklage gegen die Z. AG nicht zu (Dispositiv-Ziffer 2),
auferlegte die auf Fr. 2'000.- bestimmten Gerichtskosten (Dispositiv-Ziffer 3)
der X. AG (Dispositiv-Ziffer 4) und verurteilte diese zur Zahlung einer
Parteientschädigung von Fr. 3'000.- (zuzüglich MWSt) an die Z. AG
(Dispositiv-Ziffer 5).

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die X. AG dem Bundesgericht, es sei
der Beschluss des Handelsgerichts des Kantons
BGE 139 III 67 S. 69
Zürich vom 3. Juli 2012, Dispositiv-Ziffer 2, aufzuheben und die
Streitverkündungsklage gegen die Z. AG zuzulassen. Alles unter Kosten- und
Entschädigungsfolgen sowie unter Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 4 und 5 des
angefochtenen Entscheids und Auferlegung der vorinstanzlichen Kosten an die Z.
AG.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.2 Gemäss Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG ist für die Beschwerde in Zivilsachen kein
Streitwert erforderlich, wenn ein Bundesgesetz eine einzige kantonale Instanz
vorsieht. Die eidgenössische Zivilprozessordnung sieht nicht nur in Art. 5,
sondern auch in Art. 7 ZPO eine einzige Instanz vor. Dass es den Kantonen
freigestellt ist, für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen
Krankenversicherung eine einzige kantonale Instanz einzurichten, ändert an der
Anwendbarkeit von Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG für den Fall nichts, dass eine
einzige kantonale Instanz geurteilt hat (BGE 130 III 2 E. 1.2.2, bestätigt in
BGE 138 III 799 E. 1.1).
Nicht anders verhält es sich für Entscheide der Handelsgerichte, welche die
Kantone gemäss Art. 6 ZPO bezeichnen können. Auch die Handelsgerichte sind in
der ZPO und damit in einem Bundesgesetz im Sinne von Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
vorgesehen. Freilich gilt nach Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO eine Streitigkeit nur
dann als handelsrechtlich, wenn gegen den Entscheid die Beschwerde in
Zivilsachen an das Bundesgericht offensteht. Dies bedeutet nach einhelliger
Lehre, dass der Streitwert gemäss Art. 74 Abs. 1 BGG bei Einreichung der Klage
erreicht sein muss (vgl. BERNHARD BERGER, in: Berner Kommentar, Schweizerische
Zivilprozessordnung, 2012, N. 35 f. zu Art. 6 ZPO; DOMINIK VOCK, in: Basler
Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 10 zu Art. 6 ZPO;
THEODOR HÄRTSCH, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie
[Hrsg.], 2010, N. 16 f. zu Art. 6 ZPO; DAVID RÜETSCHI, in: Kommentar zur
Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N.
22 zu Art. 6 ZPO; GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung,
Kurzkommentar, 2010, N. 4 zu Art. 6 ZPO; HAAS/SCHLUMPF, in: ZPO, Oberhammer
[Hrsg.], 2010, N. 10 zu Art. 6 ZPO; HOFMANN/LÜSCHER, Le Code de procédure
civile, 2009,
BGE 139 III 67 S. 70
S. 9). Im Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 ZPO bildet die Streitwertgrenze
nach Art. 74 Abs. 1 BGG somit eine Voraussetzung der sachlichen Zuständigkeit
des Handelsgerichts. Für Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften
und Genossenschaften gemäss Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO fehlt zwar eine
entsprechende Voraussetzung. Nach der Botschaft zur ZPO ist den Kantonen
allerdings vorbehalten, mit der Zuweisung dieser Streitigkeiten an das
Handelsgericht auch eine Streitwertgrenze einzuführen (Botschaft vom 28. Juni
2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7221, 7261 zu Art. 6).
Der Kanton Zürich schreibt gemäss § 44 lit. b des kantonalen Gesetzes vom 10.
Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess
(GOG; LS 211.1) für Streitigkeiten gemäss Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO eine
Streitwertgrenze von Fr. 30'000.- vor. Auch für diese Streitigkeiten ist somit
der Mindeststreitwert eine Voraussetzung der sachlichen Zuständigkeit des
(Zürcher) Handelsgerichts.
Wenn somit die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts im vorliegenden Fall
davon abhängt, dass bei Einreichung der Klage ein Mindeststreitwert erreicht
ist, hat dies nicht ohne weiteres zur Folge, dass Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG
bedeutungslos wird. Denn auch wenn das Handelsgericht seine sachliche
Zuständigkeit infolge Erreichens des Streitwerts zutreffend bejaht, kann sich
der streitige Betrag im Laufe des Verfahrens vor Handelsgericht reduzieren
(etwa durch Klagereduktion, teilweise Klageanerkennung oder teilweise
Gegenstandslosigkeit). Es ist in einem solchen Fall denkbar, dass der
massgebende Streitwert nach den Begehren, die vor dem Handelsgericht noch
streitig geblieben sind (Art. 51 BGG), für die Beschwerde an das Bundesgericht
im Sinne von Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG nicht mehr erreicht wird. Die Beschwerde
an das Bundesgericht bleibt in einem solchen Fall gemäss Art. 74 Abs. 2 lit. b
BGG dennoch zulässig. Die Beschwerde ist im Übrigen erst recht zulässig, wenn
das Handelsgericht seine sachliche Zuständigkeit zu Unrecht bejaht.
Unter Vorbehalt einer rechtsgenügenden Begründung (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art.
106 Abs. 2 BGG) ist auf die Beschwerde einzutreten.
(...)

2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe die
Streitverkündungsklage gegen die Beschwerdegegnerin 2 zu Unrecht nicht
zugelassen und damit Art. 81 und 82 ZPO sowie Art. 759 OR verletzt.
BGE 139 III 67 S. 71

2.1 Gemäss Art. 81 Abs. 1 ZPO kann die streitverkündende Partei ihre Ansprüche,
die sie im Falle des Unterliegens gegen die streitberufene Person zu haben
glaubt, beim Gericht, das mit der Hauptklage befasst ist, geltend machen. Bei
dieser sog. Streitverkündungsklage ("appel en cause"; "azione di chiamata in
causa"; so der Titel des Abschnittes, in den die Art. 81 f. ZPO eingeordnet
sind), handelt es sich um eine qualifizierte Form der einfachen
Streitverkündung (Art. 78-80 ZPO): Anders als bei der einfachen
Streitverkündung wird bei der Streitverkündungsklage die Drittperson nicht nur
um Mitwirkung gerufen, sondern mit Klage unmittelbar ins Recht gefasst (vgl.
Botschaft, a.a.O., S. 7284 zu Art. 79 und 80; zur Entstehung dieses den
Prozessrechten der Kantone Genf, Waadt und Wallis entlehnten Instituts vgl. die
Urteile 4A_431/2009 vom 18. November 2009 E. 2.2 und 4A_503/2009 vom 7. April
2009 E. 4).
Mit der Erhebung einer Streitverkündungsklage können Ansprüche verschiedener
Beteiligter in einem einzigen Prozess - statt in sukzessiven Einzelverfahren -
behandelt werden (Botschaft, a.a.O.). Der Prozess erweitert sich dadurch zu
einem Gesamt- bzw. Mehrparteienverfahren, in dem sowohl über die
Leistungspflicht des Beklagten (Hauptprozess) als auch über den Anspruch der
unterliegenden Partei gegenüber einem Dritten (Streitverkündungsprozess)
befunden wird (LORENZ DROESE, Die Streitverkündungsklage nach Art. 81 f. ZPO,
SZZP 2010 S. 307). Dabei wird anders als bei der einfachen Streitverkündung
nicht bloss das Urteil aus dem Erstprozess auch gegenüber der streitberufenen
Partei mit bindender Wirkung ausgestattet, sondern unmittelbar ein Entscheid
über die Ansprüche der streitverkündenden gegen die streitberufene Person
gefällt und insofern der Erst- und Folgeprozess zusammengefasst (TANJA DOMEJ,
in: ZPO, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 1 zu Art. 81 ZPO;RAINER WEY, Die
Streitverkündungsklage nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, in: HAVE
Haftpflichtprozess 2010, Fellmann/Weber [Hrsg.], 2010, S. 58). Die Erweiterung
zu einem Gesamtverfahren ändert freilich nichts daran, dass mit der Haupt- und
Streitverkündungsklage je eigene Prozessrechtsverhältnisse begründet werden mit
unterschiedlichen Parteikonstellationen und Rechtsbegehren (dazu ausführlich
NINA FREI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung 2010, N. 45
f. zu Art. 81 ZPO; GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 1 zu Art. 81 ZPO; GROSS/ZUBER, in:
Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung 2012, N. 42 zu Art. 81 ZPO
; zum Begriff des Prozessrechtsverhältnisses vgl. BOHNET/BERTI, Le lien
d'instance
BGE 139 III 67 S. 72
[Prozessrechtsverhältnis] ou l'essence du procès civil suisse - und ein
Plädoyer für eine zivilprozessuale Grammatik, SZZP 2011 S. 75 ff.).

2.2 Gemäss der bundesrätlichen Botschaft (a.a.O., S. 7284 zu Art. 79 und 80)
bietet das mit Erhebung der Streitverkündungsklage entstehende Gesamtverfahren
zahlreiche Vorteile: Da die Streitverkündungsklage nicht nur am Ort des
Hauptprozesses, sondern direkt beim befassten Gericht erhoben wird, werden
widersprüchliche Urteile im Erst- und Folgeprozess vermieden. Den Parteien
bleibt zudem ein möglicherweise aufwendiger Gerichtsstandwechsel erspart.
Schliesslich werden Synergien genutzt, da die Aktenkenntnis des Gerichts in
zwei Prozessen verwendet werden kann. Auch für die Beweiserhebung bieten sich
Vorteile. Es ist beispielsweise möglich, einen Augenschein oder eine
Zeugenbefragung am selben Gerichtstag gleichzeitig für beide Prozesse
durchzuführen oder ein und dasselbe Sachverständigengutachten in beiden
Prozessen zu verwenden. Insgesamt kann sich dadurch eine namhafte Kosten- und
Ressourcenersparnis für die Parteien und das Gericht ergeben.
Dennoch ist die Streitverkündungsklage gemäss der Botschaft (a.a.O.) nicht ganz
unproblematisch: So zwingt sie die dritte Person je nachdem zur Prozessführung
an einen "fremden" Gerichtsstand. Ausserdem hat sie für den hängigen
Hauptprozess notwendigerweise Verzögerungen und Komplikationen zur Folge.

2.3 Namentlich wegen solcher Nachteile stellten die ehemaligen Prozessordnungen
der Kantone Genf, Waadt und Wallis die Zulassung der Streitverkündungsklage in
das (prozessökonomische) Ermessen des Gerichts (GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 8 zu
Art. 81 ZPO mit Hinweis auf BGE 132 I 13). Auch Art. 82 ZPO sieht vor, dass das
Gericht die Zulassung der Streitverkündungsklage in einem Zwischenverfahren
prüfen und darüber mit anfechtbarem Prozessentscheid befinden muss (Art. 82
Abs. 4 ZPO; vgl. auch Botschaft, a.a.O., S. 7285 zu Art. 79 und 80 wo dieses
Verfahren als "inzidentes Zulassungsverfahren" bezeichnet wird). Anders als die
früheren Prozessordnungen der Kantone Genf, Waadt und Wallis stellt die ZPO die
Zulassung der Streitverkündungsklage aber nicht in das gerichtliche Ermessen:
Dem Gericht steht es nicht frei, ob es die Streitverkündungsklage aus
prozessökonomischen Gründen (z.B. wegen einer möglichen Komplizierung des
Verfahrens) zulassen will oder nicht (so die herrschende Lehre: JACQUES HALDY,
L'appel en cause, in: Procédure civile suisse, Les grands thèmes pour le
praticien, Bohnet [Hrsg.], 2010, S. 169;
BGE 139 III 67 S. 73
ders., SZZP 2/2012 S. 103; WEY, a.a.O., S. 71; DROESE, a.a.O., S. 310; GASSER/
RICKLI, a.a.O., N. 8 zu Art. 81 ZPO; DOMEJ, a.a.O., N. 7 zu Art. 82 ZPO; TARKAN
GÖKSU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, Brunner und andere
[Hrsg.], 2011, N. 6 zu Art. 81 ZPO; URS BERTSCHINGER, Streitverkündungsklage
und aktienrechtliche Verantwortlichkeit, in: Innovatives Recht, Festschrift für
Ivo Schwander, 2011, Lorandi/Staehelin [Hrsg.], S. 822 f.; LEUENBERGER/
UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, N. 3.71; in diesem Sinne
auch GROSS/ZUBER, a.a.O., N. 32 zu Art. 81 ZPO, wonach die Zulassung der
Streitverkündungsklage nicht vom Ausgang einer Interessenabwägung abhängig sei;
a.M. aber FREI, a.a.O., N. 19 f. zu Art. 81 ZPO; FRANCESCO TREZZINI, in:
Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero [...], 2011, S.
310 f.; DANIEL SCHWANDER, in: Kommentar zur Schweizerischen
Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 19 zu Art. 82 ZPO
; HOFMANN/LÜSCHER, a.a.O., S. 56; vgl. zur Problematik auch BERNARD CORBOZ, Les
dispositions générales du CPC [Titres 3 à 6], in: Le Code de procédure civile -
Aspects choisis, Foëx/Jeandin [Hrsg.], 2011, S. 55). Sind die gesetzlichen
Voraussetzungen erfüllt, ist die Streitverkündungsklage ohne weiteres
zuzulassen. Prozessökonomischen Anliegen ist nicht mit der
Zulassungsverweigerung der Streitverkündungsklage Rechnung zu tragen, sondern
mit der in Art. 82 Abs. 3 i.V.m. Art. 125 lit. a und c ZPO vorgesehenen
Möglichkeit, den Haupt- und Streitverkündungsprozess zu trennen oder allenfalls
das Verfahren auf einzelne Fragen oder auf einzelne Rechtsbegehren zu
beschränken (HALDY, a.a.O., S. 169; WEY, a.a.O., S. 71; BERTSCHINGER, a.a.O.,
S. 823; GROSS/ZUBER, a.a.O., N. 6 ff. zu Art. 82 ZPO; SCHWANDER, a.a.O., N. 20
zu Art. 82 ZPO).

2.4 Nebst den allgemeinen Prozessvoraussetzungen nach Art. 59 ZPO, welche für
alle Klagen gelten, steht die Zulässigkeit der Streitverkündungsklage unter den
besonderen Voraussetzungen gemäss den Art. 81 und 82 ZPO (WEY, a.a.O., S. 67;
TREZZINI, a.a.O., S. 308):

2.4.1 Als zeitliche Voraussetzung gilt nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 ZPO, dass die
Streitverkündungsklage spätestens mit der Replik im Hauptprozess zu beantragen
ist. Aus Art. 81 Abs. 3 ZPO folgt sodann, dass die Streitverkündungsklage nur
zulässig ist, wenn der Hauptprozess im ordentlichen Verfahren durchgeführt
wird. Als negative Voraussetzung legt Art. 81 Abs. 2 ZPO fest, dass es sich bei
der streitverkündenden Partei um eine Partei des Hauptverfahrens handeln muss
(FREI, a.a.O., N. 25 zu Art. 81 ZPO): Die Streitverkündung darf nicht
BGE 139 III 67 S. 74
durch eine bereits streitberufene Person erfolgen (Verbot des sog.
Kettenappells ; vgl. Botschaft, a.a.O., S. 7285 zu Art. 79 und 80).

2.4.2 Der bundesrätliche Entwurf sah in Art. 79 Abs. 1 lit. b und c E-ZPO
weiter vor, dass für die mit der Haupt- und Streitverkündungsklage geltend
gemachten Ansprüche die gleiche sachliche Zuständigkeit und gleiche
Verfahrensart gelten müssen, während der nunmehr in Kraft stehende Art. 81 Abs.
1 ZPO diese Erfordernisse nicht mehr ausdrücklich enthält. Aus den Protokollen
der parlamentarischen Beratungen ergibt sich jedoch, dass die Streichung dieser
Erfordernisse lediglich als "redaktionelle Vereinfachung" verstanden wurde,
weil deren Erwähnung als "überflüssig" angesehen wurde (Voten Blocher und
Wicki, AB 2007 S 509). Daraus ist mit der herrschenden Lehre zu folgern, dass
die Voraussetzungen der gleichen sachlichen Zuständigkeit und gleichen
Verfahrensart in Art. 81 ZPO implizit mitenthalten sind (SCHWANDER, a.a.O., N.
29 zu Art. 81 ZPO; FREI, a.a.O., N. 33, 37 zu Art. 81 ZPO; GÖKSU, a.a.O., N. 17
zu Art. 81 ZPO; in Bezug auf die gleiche sachliche Zuständigkeit auch TREZZINI,
a.a.O., S. 309; WEY, a.a.O., S. 64 f.; DROESE, a.a.O., S. 313 sowie in Bezug
auf die gleiche Verfahrensart DOMEJ, a.a.O., N. 12 zu Art. 81 ZPO; a.M. aber
HALDY, a.a.O., S. 165 ff.).

2.4.3 Aus Art. 81 Abs. 1 ZPO ergibt sich schliesslich die Voraussetzung, dass
der mit der Streitverkündungsklage geltend gemachte Anspruch in einem
sachlichen Zusammenhang mit dem Hauptklageanspruch stehen muss (FREI, a.a.O.,
N. 23 zu Art. 81 ZPO; TREZZINI, a.a.O., S. 309 f.; GROSS/ZUBER, a.a.O., N. 31
zu Art. 81 ZPO; GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 10 zu Art. 81 ZPO). Dies ergibt sich
aus der Formulierung des Normtextes, gemäss welcher die Streitverkündungsklage
einen Anspruch zum Gegenstand haben muss, welchen die streitverkündende Partei
"im Falle des Unterliegens gegen die streitberufene Partei zu haben glaubt"
(vgl. HALDY, a.a.O., S. 164). Mit der Streitverkündungsklage können somit nur
Ansprüche geltend gemacht werden, die vom Bestand des Hauptklageanspruchs
abhängen (DOMEJ, a.a.O., N. 3 zu Art. 81 ZPO). Dabei handelt es sich namentlich
um Regress-, Gewährleistungs- und Schadloshaltungsansprüche, aber etwa auch um
vertragliche oder gesetzliche Rückgriffsrechte (SCHWANDER, a.a.O., N. 16 zu
Art. 81 ZPO; GÖKSU, a.a.O., N. 9 zu Art. 81 ZPO; GROSS/ZUBER, a.a.O., N. 33 zu
Art. 81 ZPO). Werden solche Ansprüche geltend gemacht, besteht der sachliche
Zusammenhang zum Hauptklageanspruch und ist auch das Rechtsschutzinteresse
gegeben. Eine gesonderte Prüfung von Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO erübrigt sich
BGE 139 III 67 S. 75
(DROESE, a.a.O., S. 312; GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 10 zu Art. 81 ZPO; GÖKSU,
a.a.O., N. 10 zu Art. 81 ZPO).
Damit das Gericht den sachlichen Zusammenhang der eingeklagten Ansprüche
überprüfen kann, müssen gemäss Art. 82 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Rechtsbegehren,
welche die streitverkündende Partei gegen die streitberufene Person zu stellen
gedenkt, genannt und kurz begründet werden (DOMEJ, a.a.O., N. 4 zu Art. 82 ZPO;
GASSER/RICKLI, a.a.O., N. 4 zu Art. 82 ZPO). Aus der Begründung muss sich
ergeben, ob der behauptete Anspruch der streitverkündenden Partei vom Bestand
des Hauptklageanspruchs abhängig ist. Zum Zwecke der Zulassungsprüfung ist
dabei freilich nicht erforderlich, eine einlässliche Klageschrift einzureichen
(Botschaft, a.a.O., S. 7285), denn das Zulassungsverfahren ist kein
summarisches Vorprüfungsverfahren (BERTSCHINGER, a.a.O., S. 823): Die
Tatbestandsvoraussetzungen des mit der Streitverkündungsklage geltend gemachten
Anspruchs brauchen nicht glaubhaft gemacht zu werden und es findet auch keine
Prüfung statt, ob der Anspruch im Falle des Unterliegens des
Streitverkündungsklägers gegenüber dem Hauptkläger materiell begründet ist
(vgl. DROESE, a.a.O., S. 315). Zur Bejahung eines sachlichen Zusammenhangs ist
ausreichend, wenn der Anspruch nach der Darstellung der streitverkündenden
Partei vom Ausgang des Hauptklageverfahrens abhängig ist und damit ein
potentielles Regressinteresse aufgezeigt wird (vgl. BERTSCHINGER, a.a.O., S.
824).

2.5

2.5.1 Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid bezeichnet die
Beschwerdeführerin den mit der Streitverkündungsklage gegen die
Beschwerdegegnerin 2 geltend gemachten Anspruch als Regressanspruch. Diesen
begründet sie mit der solidarischen Haftung der Organe der Beschwerdegegnerin 1
im Rahmen der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit nach Art. 759 OR. Die
Beschwerdeführerin machte vor der Vorinstanz geltend, sie habe gerade in der
Anfangszeit nach ihrer Wahl aufgrund der Revisionstätigkeit der
Beschwerdegegnerin 2 (ihrer Vorgängerin), insbesondere aufgrund der
Jahresrevision 2002 und des Revisionsberichts zur Sanierung der
Beschwerdegegnerin 1 vom 8. September 2003, ohne weitere Überprüfung davon
ausgehen können, es bestehe keine Besorgnis einer Überschuldung bzw. keine
Veranlassung zur Vornahme bestimmter Massnahmen. Wenn nun aber die
Beschwerdegegnerin 2 vor Amtsantritt der Beschwerdeführerin eine
Pflichtverletzung begangen haben sollte, etwa durch unterlassene Anzeige der
offensichtlichen
BGE 139 III 67 S. 76
Überschuldung beim Richter, so habe die Beschwerdegegnerin 2 nicht nur den
daraus erwachsenden Schaden bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht
verhindert, sondern auch den Schaden nicht verhindert, der seit dem Amtsantritt
der Beschwerdeführerin bis zur Konkurseröffnung entstanden sei. Die
Beschwerdegegnerin 2 sei daher für denjenigen Schaden vollumfänglich
solidarisch ersatzpflichtig, zu dessen Ersatz die Beschwerdegegnerin 1 im Falle
des Unterliegens im Hauptprozess verurteilt werde.

2.5.2 Die Vorinstanz hielt diesen Ausführungen entgegen, es erscheine als
ausgeschlossen, dass beide Revisionsstellen den während der gleichen
Zeitperiode aufgelaufenen Fortsetzungsschaden adäquat verursacht haben. Wenn
das Gericht bei der Beurteilung der Hauptklage zum Schluss gelange, die
Beschwerdeführerin habe es ab einem bestimmten Zeitpunkt X pflichtwidrig
unterlassen, den Richter zu benachrichtigen, da zu diesem Zeitpunkt der dafür
erforderliche Tatbestand eingetreten war, dann habe die Beschwerdeführerin -
bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - dafür einzustehen. In Bezug auf
diesen Schaden kann nach Auffassung der Vorinstanz "von vornherein keine
adäquat kausale Verursachung" durch die Beschwerdegegnerin 2 mehr angenommen
werden, da allfällige Pflichtverletzungen aus deren früherer Tätigkeit (z.B.
bei der Erstellung des Revisionsberichtes 2002 oder demjenigen vom 8. September
2003 betreffend Sanierung) von den dann stattfindenden Pflichtverletzungen der
Beschwerdeführerin aus eigener Revisionstätigkeit "verdrängt" würden. Haftet
die Beschwerdeführerin, weil sie selber in pflichtwidriger Weise tätig wurde
oder aufgrund der Umstände ein bestimmtes Tätigwerden pflichtwidrig unterliess,
wirkt sich gemäss der Vorinstanz eine allfällige Pflichtverletzung der
Beschwerdegegnerin 2 "nicht mehr aus". Vor diesem Hintergrund ist nach
Auffassung der Vorinstanz eine Regressforderung seitens der Beschwerdeführerin
gegenüber der Beschwerdegegnerin 2 nicht plausibel gemacht und die
Streitverkündungsklage bereits deshalb nicht zuzulassen.

2.6 Mit diesen Erwägungen verkennt die Vorinstanz die Tragweite und den
Prüfungsumfang des Zulassungsverfahrens. Anstatt den sachlichen Zusammenhang
der Haupt- und Streitverkündungsklage zu prüfen, unterzieht die Vorinstanz den
mit der Streitverkündungsklage geltend gemachten Anspruch einer eigentlichen
materiellen Prüfung. Dabei kommt sie zum Schluss, dass dieser von vornherein
nicht bestehen könne, und nimmt damit das Ergebnis eines allfälligen
Erkenntnisverfahrens in unzulässiger Weise bereits vorweg.
BGE 139 III 67 S. 77
Im Rahmen des Zulassungsverfahrens ist lediglich zu prüfen, ob der mit der
Streitverkündungsklage geltend gemachte Anspruch vom Bestand des
Hauptklageanspruchs abhängig ist. Dies ist bei Regressansprüchen gestützt auf
Art. 759 OR, wie sie die Beschwerdeführerin vorliegend gegen die
Beschwerdegegnerin 2 geltend machen will, ohne weiteres der Fall (vgl. Urteil
4A_431/2009 vom 18. November 2009 E. 2.4). Damit ist der von Art. 81 Abs. 1 ZPO
geforderte sachliche Zusammenhang gegeben. Ob der Anspruch im Falle des
Unterliegens des Streitverkündungsklägers gegenüber dem Hauptkläger auch
tatsächlich materiell begründet ist, bildet nicht Gegenstand des
Zulassungsverfahrens, sondern des Erkenntnisverfahrens im
Streitverkündungsprozess.
Davon abgesehen hält auch die materielle Prüfung des Streitverkündungsanspruchs
durch die Vorinstanz vor Bundesrecht nicht stand: Wie die Beschwerdeführerin zu
Recht einwendet, lässt sich eine allfällige Pflichtverletzung der
Revisionsstelle nicht einfach aus der Welt schaffen, weil deren Nachfolgerin
ebenfalls eine Pflicht verletzt. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern eine
Pflichtverletzung eine andere so "verdrängen" kann, dass deren Wirkungen von
vornherein gänzlich entfallen. Entgegen den apodiktischen Ausführungen der
Vorinstanz erscheint jedenfalls nicht a priori ausgeschlossen, dass der
Schaden, für den eine Revisionsstelle in Anspruch genommen wird, bereits auf
eine Pflichtverletzung der Vorgängerin zurückzuführen ist und damit der
Tatbestand einer solidarischen Verantwortlichkeit nach Art. 759 OR gegeben ist.
Gemäss den Schweizer Prüfungsstandards der Treuhand-Kammer enthebt die Neuwahl
einer anderen Revisionsstelle die alte Revisionsstelle nicht etwa von der
Verpflichtung zur Anzeige der Überschuldung beim Richter, da meist unklar ist,
wann die neue Revisionsstelle die finanzielle Situation erkennen kann
(Treuhand-Kammer [Hrsg.], Schweizer Prüfungsstandards [PS], Ausgabe 2010, PS
290 NN Abs. 2, S. 134). Daraufist indessen nicht weiter einzugehen, da diese
Frage im Streitverkündungsprozess zu prüfen sein wird.
Im Übrigen lässt sich den für das Bundesgericht verbindlichen
Sachverhaltsfeststellungen (Art. 105 Abs. 1 BGG) der Vorinstanz nicht
entnehmen, dass die Beschwerdegegnerin 1 (Klägerin) mit der Beschwerdegegnerin
2 ausserprozessual einen Vergleich abgeschlossen hätte, wie dies die
Beschwerdegegnerin 2 in ihrer Vernehmlassung behauptet. Damit erübrigt sich
auch die Prüfung, ob und inwieweit der Geschädigte durch solche Vergleiche die
Solidarität und den
BGE 139 III 67 S. 78
Rückgriff überhaupt ausschliessen kann, so dass damit schon die Grundlage einer
Streitverkündung entfallen könnte, weil kein sachlicher Zusammenhang zum
Hauptklageanspruch (oben E. 2.4.3) mehr bestehen kann.

2.7 Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz die Zulassung der
Streitverkündungsklage zu Unrecht verweigert. Da es sich bei dem mit der
Streitverkündungsklage gegen die Beschwerdegegnerin 2 geltend gemachten
Anspruch um einen Regressanspruch nach Art. 759 OR handelt, ist der sachliche
Zusammenhang nach Art. 81 Abs. 1 ZPO gegeben. Auch die übrigen
Zulassungsvoraussetzungen sind erfüllt: Die Beschwerdeführerin hat die
Streitverkündungsklage rechtzeitig mit ihrer Klageantwort erhoben (Art. 82 Abs.
1 ZPO), beim Hauptverfahren handelt es sich um ein ordentliches Verfahren (Art.
81 Abs. 3 ZPO), ein unzulässiger Kettenappell liegt nicht vor (Art. 81 Abs. 2
ZPO), gemäss den (unangefochtenen) Ausführungen der Vorinstanz ist diese sowohl
für die Haupt- als auch die Streitverkündungsklage sachlich zuständig und auch
das Erfordernis der gleichen Verfahrensart (ordentliches Verfahren) ist
gegeben.