Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 III 368



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Urteilskopf

139 III 368

52. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.X. und B.X.
gegen Politische Gemeinde Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_689/2012 vom 3. Juli 2013

Regeste

Art. 329 Abs. 3 ZGB; Verwandtenunterstützung, Verfahrensart.
Klagt eine volljährige Person auf Bezahlung von
Verwandtenunterstützungsbeiträgen oder klagt an ihrer Stelle das in ihren
Anspruch subrogierte Gemeinwesen, so ist der Prozess bei gegebenem Streitwert
im ordentlichen Verfahren (Art. 219 ff. ZPO) zu führen (E. 2 und 3).

Sachverhalt ab Seite 368

BGE 139 III 368 S. 368

A. A.X. und B.X. (Beschwerdeführer) sind die Eltern von C. (geb. 1990) und
Grosseltern von deren Tochter D. (geb. 2009). C. wird vom Sozialamt Y.
unterstützt.

B. Am 15. Juni 2011 leitete die Politische Gemeinde Y. (Beschwerdegegnerin)
beim Kreisgericht St. Gallen gegen die Beschwerdeführer ein Verfahren auf
Bezahlung von Verwandtenunterstützungsbeiträgen ein. Sie verlangte für die
Unterstützung von C. und deren Tochter D. für die Zeit vom 1. März 2010 bis 28.
Februar 2011 einen Betrag von Fr. 23'037.90 und für die Zukunft monatlich Fr.
1'795.-. Die Beschwerdeführer beantragten die Abweisung der Klage, soweit auf
sie einzutreten sei.
An der Instruktionsverhandlung vom 28. September 2011 verlangten die
Beschwerdeführer die Fällung eines Zwischenentscheides über die anzuwendende
Verfahrensart. Mit Entscheid vom 7. November 2011 entschied die Einzelrichterin
des Kreisgerichts, die Streitsache sei im vereinfachten Verfahren zu
beurteilen.

C. Die dagegen von den Beschwerdeführern an das Kantonsgericht von St. Gallen
erhobene Berufung, mit der sie die Unterstellung der
BGE 139 III 368 S. 369
Streitsache unter das ordentliche Verfahren verlangten, blieb erfolglos
(Entscheid vom 3. August 2012).

D. Die Beschwerdeführer haben am 14. September 2012 Beschwerde in Zivilsachen
erhoben. Sie beantragen die Aufhebung des Entscheids des Kantonsgerichts vom 3.
August 2012 und die Feststellung, dass die Streitsache im ordentlichen
Verfahren zu beurteilen sei.
Die Beschwerdegegnerin hat sich nicht vernehmen lassen und das Kantonsgericht
hat auf Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die anzuwendende Verfahrensart.

2.1 Die Vorinstanz hat entschieden, gestützt auf Art. 329 Abs. 3 ZGB i.V.m.
Art. 295 ZPO seien Klagen auf Verwandtenunterstützung im vereinfachten
Verfahren zu behandeln. Die Beschwerdeführer machen demgegenüber geltend, bei
gegebenem Streitwert (d.h. mehr als Fr. 30'000.-; vgl. Art. 243 Abs. 1 ZPO)
müsse das ordentliche Verfahren (Art. 219 ff. ZPO) angewendet werden.

2.2 Gegenstand des vor dem Kreisgericht hängigen Verfahrens ist einzig der
Anspruch von C. auf Verwandtenunterstützung. Dieser wird von der
Beschwerdegegnerin geltend gemacht, da sie C. Sozialhilfeleistungen
ausgerichtet hat (Art. 329 Abs. 3 i.V.m. Art. 289 Abs. 2 ZGB). C. (geb. 1990)
ist volljährig und war dies bereits zu Beginn der Zeit, auf den die
Beschwerdegegnerin ihre Forderung bezieht. Dass C. statt eines Anspruchs auf
Verwandtenunterstützung einen Anspruch auf Volljährigenunterhalt im Sinne von
Art. 277 Abs. 2 ZGB (vgl. Art. 328 Abs. 2 ZGB) haben könnte und die
Beschwerdegegnerin nun diesen geltend machen würde, lässt sich dem
angefochtenen Urteil nicht entnehmen und wird vor Bundesgericht nicht
behauptet. Entgegen dem durch die Klage erweckten Eindruck macht die
Beschwerdegegnerin nicht zusätzlich den Anspruch von D. geltend. Wie sich den
in den Akten liegenden Abrechnungen entnehmen lässt, wurde der Aufwand für D.
nicht gesondert berechnet (einzig KVG- und VVG-Prämien lassen sich ihr
zuordnen), sondern in denjenigen ihrer Mutter C. einbezogen. Somit geht es
nachfolgend um die Frage, welches Verfahren für den
Verwandtenunterstützungsanspruch einer volljährigen Person gilt, der zudem
nicht
BGE 139 III 368 S. 370
von ihr selber geltend gemacht wird, sondern vom Gemeinwesen, das in den
Anspruch subrogiert ist.

3.

3.1 Die gesetzliche Ausgangslage sieht wie folgt aus:
Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und
absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten
würden (Art. 328 Abs. 1 ZGB). Art. 329 Abs. 3 ZGB sieht vor, dass die
Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines
Unterhaltsanspruches auf das Gemeinwesen entsprechende Anwendung finden.
Art. 329 Abs. 3 ZGB verweist demnach auf die Bestimmungen über die
Unterhaltsklage des Kindes in Art. 279 ff. ZGB. Vor Inkrafttreten der
Schweizerischen Zivilprozessordnung am 1. Januar 2011 war das Verfahren der
Unterhaltsklage in aArt. 280 ZGB (AS 1977 245) geregelt. Abs. 1 von aArt. 280
ZGB schrieb den Kantonen für Streitigkeiten über die Unterhaltspflicht ein
einfaches und rasches Verfahren vor. Gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung erforschte
das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen (sog. unbeschränkter
Untersuchungsgrundsatz) und würdigte die Beweise nach freier Überzeugung. Nach
bundesgerichtlicher Rechtsprechung galt zudem im Rahmen von aArt. 280 ZGB für
den Kinderunterhalt grundsätzlich keine Bindung des Richters an Parteianträge
(Offizialmaxime; BGE 118 II 93 E. 1a S. 94 ff.).
Dass sich der Verweis in Art. 329 Abs. 3 ZGB auf das einfache und rasche
Verfahren gemäss aArt. 280 Abs. 1 ZGB bezog, wurde - soweit ersichtlich - nie
bezweifelt (vgl. ALBERT BANZER, Die Verwandtenunterstützungspflicht nach Art.
328/329 ZGB, 1979, S. 195; CYRIL HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 5. Aufl.
1999, Rz. 29.14 [nachfolgend: Grundriss]; TUOR/SCHNYDER/RUMO-JUNGO, Das
Schweizerische Zivilgesetzbuch, 13. Aufl. 2009, § 46 Rz. 4). Gemäss BGE 136 III
1 E. 5 S. 5 galt im Verfahren der Geltendmachung von
Verwandtenunterstützungsbeiträgen gestützt auf Art. 329 Abs. 3 i.V.m. aArt. 280
Abs. 2 ZGB ausserdem die Untersuchungsmaxime. In der Lehre wurde allerdings
auch die Ansicht vertreten, dass das Verfahren der Verwandtenunterstützung der
Untersuchungs- und der Offizialmaxime nicht unterstehe (HAUSHEER/KOCHER, in:
Handbuch des Unterhaltsrechts, 1997, N. 11.07, wo zwar nur von der
Offizialmaxime gesprochen wird, aber offenbar beide Prozessgrundsätze gemeint
sind; hingegen beziehen BANZER, a.a.O., S. 196; HEGNAUER,
BGE 139 III 368 S. 371
Grundriss, a.a.O., Rz. 29.14, und TUOR/SCHNYDER/RUMO-JUNGO, a.a.O., § 46 Rz. 4,
den Verweis in Art. 329 Abs. 3 ZGB auch auf aArt. 280 Abs. 2 ZGB). Diese Fragen
brauchen nicht abschliessend geklärt zu werden. Wenn nämlich eine volljährige
Person (oder an ihrer Stelle ein Gemeinwesen) den Anspruch auf
Verwandtenunterstützung geltend machte, konnte das Verfahren jedenfalls nicht
grosszügiger ausgestaltet sein, als wenn ein Volljähriger (oder an seiner
Stelle ein Gemeinwesen) einen Anspruch auf Unterhalt gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB
durchzusetzen versuchte. Bei volljährigen Kindern waren die genannten
Grundsätze von aArt. 280 ZGB jedoch nicht ohne weiteres anwendbar: So galt die
Offizialmaxime nicht (BGE 118 II 93 E. 1a S. 95 f.) und die Untersuchungsmaxime
galt nach der Lehre zumindest nur eingeschränkt (CYRIL HEGNAUER, Berner
Kommentar, 1997, N. 112 zu Art. 279/280 ZGB [nachfolgend: BK]; STEPHAN
WULLSCHLEGER, in: Scheidung, 2005, N. 20 zu den Allgemeinen Bemerkungen zu Art.
276-293 ZGB), falls sie nicht sogar als ausgeschlossen erachtet wurde (so wohl
HAUSHEER/KOCHER, a.a.O., N. 11. 74; vgl. allerdings auch den bereits erwähnten
BGE 136 III 1 E. 5 S. 5, wo es um die Geltendmachung von
Verwandtenunterstützung für ein volljähriges Kind durch das Sozialamt ging).
Mit Inkrafttreten der ZPO wurde Art. 280 ZGB aufgehoben. Art. 329 Abs. 3 ZGB
blieb hingegen unverändert bestehen. Das Verfahren vor kantonalen Instanzen in
streitigen Zivilsachen ist nunmehr in der ZPO geregelt (Art. 1 lit. a ZPO).
Während Art. 219 ff. ZPO das ordentliche Verfahren als Verfahrensgrundtypus
normieren, gilt gemäss Art. 243 ZPO das vereinfachte Verfahren für
vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von Fr. 30'000.- und
ohne Rücksicht auf den Streitwert in gewissen, in Abs. 2 dieser Norm
aufgezählten Streitigkeiten. Darüber hinaus ist für Kinderbelange in
familienrechtlichen Angelegenheiten in Art. 295 ZPO für selbständige Klagen das
vereinfachte Verfahren vorgesehen. Dabei gelten der uneingeschränkte
Untersuchungsgrundsatz (Erforschung des Sachverhalts von Amtes wegen) und der
Offizialgrundsatz (Art. 296 Abs. 1 und 3 ZPO). Im "normalen" vereinfachten
Verfahren gemäss Art. 243 ff. ZPO gilt der beschränkte Untersuchungsgrundsatz
(Feststellung des Sachverhalts von Amtes wegen) zwar in zahlreichen, aber nicht
in allen Materien (Art. 247 Abs. 2 ZPO) und zum Offizialgrundsatz äussern sich
Art. 243 ff. ZPO nicht ausdrücklich (vgl. auch Art. 58 ZPO).
BGE 139 III 368 S. 372
Die ZPO ordnet die Verwandtenunterstützung keiner Verfahrensart ausdrücklich
zu. Erwähnt wird sie einzig in Art. 26 ZPO, wo die örtliche Zuständigkeit
geregelt ist. Demnach ist durch Auslegung zu ermitteln, nach welchem Verfahren
Klagen auf Verwandtenunterstützung, insbesondere solche von Gemeinden, die den
Anspruch volljähriger Kinder geltend machen, zu behandeln sind. Zu entscheiden
ist, ob sich Art. 329 Abs. 3 ZGB für diesen Fall auf Art. 295 f. ZPO bezieht
oder ob dies nicht der Fall ist. Die Lehre ist geteilt, wobei sie in diesem
Zusammenhang in der Regel nicht zwischen voll- und minderjährigen Ansprechern
unterscheidet (für die Anwendung von Art. 295 f. ZPO z.B. DENIS TAPPY, in: CPC,
Code de procédure civile commenté, 2011, N. 26 zu Art. 243 ZPO; DANIEL STECK,
in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 5 zu Art.
295 ZPO; JONAS SCHWEIGHAUSER, in: Kommentar zur Schweizerischen
Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2.
Aufl. 2013, N. 10 zu Art. 295 und N. 5 zu Art. 296 ZPO; SPÜHLER/DOLGE/GEHRI,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, 11. Kap. Rz. 407; BERND HAUCK, in:
Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/
Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], N. 21 zu Art. 243 ZPO; kritisch ANNETTE
SPYCHER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 24
zu Art. 295 ZPO, die sich für Beschränkungen bei den Prozessmaximen von Art.
296 ZPO ausspricht; ähnlich URS GLOOR, in: Handbuch des Unterhaltsrechts, 2.
Aufl. 2010, Rz. 11. 45; ausdrücklich oder sinngemäss für das ordentliche
Verfahren ROLF BRUNNER, in: Handbuch des Unterhaltsrechts, 2. Aufl. 2010, Rz.
07.107; ERIC PAHUD, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/
Gasser/Schwander [Hrsg.], 2011, N. 17 i.V.m. N. 4 zu Art. 219 ZPO; THOMAS
KOLLER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, 4. Aufl. 2010, N. 32 zu Art. 328
/329 ZGB).

3.2 Massgebend für jede Auslegung ist in erster Linie der Wortlaut der
fraglichen Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene
Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung
gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind
(Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf die Entstehungsgeschichte,
auf den Zweck der Norm, auf die ihr zugrunde liegenden Wertungen und auf den
Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Gesetzesmaterialien sind zwar
nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als
BGE 139 III 368 S. 373
Hilfsmittel, den Sinn der Norm zu erkennen (BGE 138 II 440 E. 13 S. 453, BGE
138 II 217 E. 4.1 S. 224; BGE 137 III 217 E. 2.4.1 S. 221 f.; je mit
Hinweisen). Die Materialien sind dabei für die Gesetzesinterpretation weder
verbindlich noch für die Auslegung unmittelbar entscheidend; denn ein Gesetz
entfaltet ein eigenständiges, vom Willen des Gesetzgebers unabhängiges Dasein,
sobald es in Kraft getreten ist. Insbesondere sind Äusserungen von Stellen oder
Personen, die bei der Vorbereitung mitgewirkt haben, nicht massgebend, wenn sie
im Gesetzestext nicht selber zum Ausdruck kommen. Das gilt selbst für
Äusserungen, die unwidersprochen geblieben sind. Als verbindlich für die
Gerichte können nur die Normen selber gelten, die von der gesetzgebenden
Behörde in der hierfür vorgesehenen Form erlassen worden sind. Das bedeutet nun
nicht, dass die Gesetzesmaterialien methodisch unbeachtlich wären; sie können
namentlich dann, wenn eine Bestimmung unklar ist oder verschiedene, einander
widersprechende Auslegungen zulässt, ein wertvolles Hilfsmittel sein, um den
Sinn der Norm zu erkennen und damit falsche Auslegungen zu vermeiden. Wo die
Materialien keine klare Antwort geben, sind sie als Auslegungshilfe nicht
dienlich. Insbesondere bei verhältnismässig jungen Gesetzen darf der Wille des
historischen Gesetzgebers nicht übergangen werden. Hat dieser Wille jedoch im
Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, so ist er für die Auslegung nicht
entscheidend. Ist in der Gesetzesberatung insbesondere ein Antrag, das Gesetz
sei im Sinne einer nunmehr vertretenen Auslegungsmöglichkeit zu ergänzen,
ausdrücklich abgelehnt worden, dann darf diese Auslegungsmöglichkeit später
nicht in Betracht gezogen werden (BGE 134 V 170 E. 4.1 S. 174 f. mit
Hinweisen).

3.3

3.3.1 Art. 329 Abs. 3 ZGB stammt - wie übrigens auch aArt. 280 ZGB - aus der
Revision des Kindesrechts von 1976. Die Absicht des Gesetzgebers bei der
Schaffung von Art. 329 Abs. 3 ZGB war, Unterhalts- und Unterstützungsanspruch
formell gleich zu behandeln (Botschaft vom 5. Juni 1974 über die Änderung des
Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesverhältnis], BBl 1974 II 95 Ziff.
334).
Der Gesetzgebungsgeschichte der ZPO lässt sich Folgendes entnehmen: Der
Vorentwurf der Expertenkommission vom Juni 2003 (VE-ZPO) unterstellte
Streitigkeiten aus Verwandtenunterstützung noch ausdrücklich dem vereinfachten
Verfahren (Art. 237 lit. e VE-ZPO), ebenso im Übrigen selbständige Klagen aus
der Unterhaltspflicht
BGE 139 III 368 S. 374
der Eltern für ihr Kind (Art. 237 lit. f VE-ZPO). Art. 329 Abs. 3 ZGB sollte
folgende Fassung erhalten: "Die Vorschriften dieses Gesetzes über den Übergang
des Unterhaltsanspruches des Kindes auf das Gemeinwesen finden entsprechende
Anwendung." Der Bericht zum Vorentwurf (S. 117 f.) führte dazu aus, die
Anpassung von Art. 329 Abs. 3 ZGB habe zur Folge, dass in diesen Streitigkeiten
der Offizialgrundsatz nicht mehr gelten werde (mit Hinweis auf BGE 118 II 93).
Hingegen sah der Vorentwurf für die Verwandtenunterstützung vor, dass das
Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen abkläre (Art. 240 Abs. 1 lit. d
VE-ZPO). Der Geltungsbereich des vereinfachten Verfahrens sollte ganz allgemein
diejenigen Streitigkeiten umfassen, die zuvor dem einfachen und raschen
Verfahren unterstanden (Bericht zum Vorentwurf, S. 117; ebenso Botschaft vom
28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7346
Ziff. 5.16 [fortan: Botschaft ZPO]). Abgesehen von einer die französische
Fassung von Art. 329 Abs. 3 ZGB betreffenden Anregung redaktioneller Natur
führten die Vorschläge des Vorentwurfs zur Verwandtenunterstützung in der
Vernehmlassung zu keinen kritischen Bemerkungen (Zusammenstellung der
Vernehmlassungen, 2004, S. 627 ff., 639 ff. und 839 ff. [mit redaktioneller
Bemerkung des Kantons Bern zu Art. 329 Abs. 2 {recte: Abs. 3} ZGB]). Kritisiert
wurde hingegen, dass gemäss Art. 240 VE-ZPO nicht auch die selbständigen Klagen
aus der Unterhaltspflicht der Eltern für ihr Kind der Untersuchungsmaxime
unterstellt wurden (Zusammenstellung der Vernehmlassungen, 2004, S. 639 f.).
Art. 239 des Entwurfs zur Zivilprozessordnung (E-ZPO), der den Geltungsbereich
des vereinfachten Verfahrens enthielt, nannte die Verwandtenunterstützung dann
nicht mehr. Eine Änderung von Art. 329 Abs. 3 ZGB war im Entwurf nicht mehr
vorgesehen. Auch die selbständigen Klagen aus der Unterhaltspflicht der Eltern
für ihr Kind waren im Katalog von Art. 239 E-ZPO nicht mehr enthalten. Hingegen
verwies der neue Art. 290 E-ZPO (der dem heutigen Art. 295 ZPO entspricht)
selbständige Klagen in Kinderbelangen in das vereinfachte Verfahren. Wieso die
Verwandtenunterstützung bei den Verfahrensarten nicht mehr ausdrücklich im
E-ZPO genannt wurde, lässt sich der Botschaft nicht entnehmen. Allerdings
verweist sie auf Art. 290 E-ZPO und führt aus, das vereinfachte Verfahren gelte
auch für die selbständigen Klagen in Kinderbelangen. Insbesondere gelte das
vereinfachte Verfahren also für eine Unterhaltsklage des Kindes gegen seine
Eltern und für Klagen aus der
BGE 139 III 368 S. 375
Unterstützungspflicht der Verwandten (mit Hinweis auf Art. 329 Abs. 3 ZGB).
Dies entspreche dem geltenden Recht (Botschaft ZPO, BBL 2006 7347 Ziff. 5.16 zu
Art. 239 E-ZPO). Art. 291 E-ZPO (der dem heutigen Art. 296 ZPO entspricht) sah
für die selbständigen Klagen in Kinderbelangen ausserdem den uneingeschränkten
Untersuchungs- und den Offizialgrundsatz vor (wie bereits Art. 252 VE-ZPO für
Kinderbelange). Die Botschaft hielt zu Art. 290 und 291 E-ZPO ausdrücklich
fest, dass die Bestimmungen dem Kindeswohl dienen sollen und die Geltung der
uneingeschränkten Untersuchungs- und der Offizialmaxime dem geltenden Recht und
der ständigen Bundesgerichtspraxis entsprechen würden (Botschaft ZPO, BBl 2006
7366 Ziff. 5.21 zu Art. 290 und 291 E-ZPO). Zur Frage, was bei der
Unterhaltsklage volljähriger Kinder (oder des an ihre Stelle getretenen
Gemeinwesens) gelten soll, äussert sich die Botschaft nicht. In der
parlamentarischen Beratung war das Verfahren der Verwandtenunterstützung
schliesslich kein Thema. Auch die Frage einer allfälligen Differenzierung
zwischen voll- und minderjährigen Kindern im Rahmen von Art. 290 f. E-ZPO wurde
nicht diskutiert.

3.3.2 Im Vorentwurf sollte die Verwandtenunterstützungsklage somit zwar dem
vereinfachten Verfahren unterstellt werden. Dieser Vorschlag für eine
ausdrückliche Lösung im Gesetzestext wurde aber später aus unbekannten Gründen
verworfen. Stattdessen gingen der Entwurf bzw. die Botschaft dann ohne weitere
Begründung davon aus, Art. 329 Abs. 3 ZGB könne weiterhin auch als Verweis auf
das Verfahrensrecht gelesen werden. Der Wille des Gesetzgebers hat damit - auch
wenn er konstant gewesen sein sollte - im Gesetzestext der ZPO keinen
Niederschlag gefunden. Statt eine ausdrückliche Lösung zu treffen, wurde im
Entwurfsstadium bloss im Sinne einer Auslegung des damals bereits geltenden
Rechts angenommen, dessen Bedeutung bleibe gleich. Eine solche Auslegung kann
für das Gericht nicht verbindlich sein, auch wenn sie unwidersprochen geblieben
ist, denn sie übergeht, dass sich der gesamte Normkontext gewandelt hat.
Insoweit können im Übrigen auch die erwähnten Materialien von 1974 zu Art. 329
Abs. 3 ZGB nicht mehr ohne weiteres relevant sein (oben E. 3.3.1).
Sodann äussern sich die Materialien nicht zum vorliegend interessierenden Fall,
dass der Anspruch einer volljährigen Person strittig ist. Falls er nach Ansicht
des Gesetzgebers (über den Verweis in Art. 329 Abs. 3 ZGB) unter Art. 295 f.
ZPO fallen sollte, so würde
BGE 139 III 368 S. 376
jedenfalls die in der Botschaft vertretene Ansicht nicht zutreffen, dass durch
die Anordnung der uneingeschränkten Untersuchungs- und der Offizialmaxime bloss
der bisherige Rechtszustand weitergeführt würde (vgl. oben E. 3.3.1). Vielmehr
käme es durch die Unterstellung unter Art. 295 f. ZPO zu einer Neuausrichtung
des Verfahrens für volljährige Personen. Dass solche Änderungen gewollt gewesen
wären, lässt sich den Gesetzgebungsarbeiten nicht entnehmen. Hingegen gibt die
Botschaft zu erkennen, dass Art. 295 f. ZPO dem Kindeswohl dienen sollen. Dies
lässt als fraglich erscheinen, ob sich diese Normen nach ihrem Zweck überhaupt
auf Volljährige beziehen und auf sie zugeschnitten sind. Die Materialien geben
somit auf die vorliegende Auslegungsfrage keine eindeutige Antwort. Damit ist
es jedenfalls gestützt auf das historische Auslegungselement nicht zwingend
geboten, für volljährige Personen den Verweis in Art. 329 Abs. 3 ZGB auf Art.
295 f. ZPO zu beziehen.

3.3.3 Zu suchen ist dasjenige Auslegungsergebnis, das sich am besten in
Systematik und Zweck des Gesetzes einfügt.
Dabei ist Zurückhaltung geboten beim Schluss, dass Art. 329 Abs. 3 ZGB
überhaupt einen Verweis auf die ZPO enthalten könnte. Eines der Ziele der ZPO
war nämlich, das materielle Recht möglichst von prozessualen Vorschriften zu
befreien und Letztere grundsätzlich in die ZPO zu überführen. Das
Zivilprozessrecht sollte demnach soweit möglich in einem Erlass kodifiziert
werden (Botschaft ZPO, BBl 2006 7237 Ziff. 2.2 und 7407 Ziff. 5.27). Diese
Absicht des Gesetzgebers ist bei der Auslegung von Bestimmungen, die sich in
materiellrechtlichen Erlassen finden, zu berücksichtigen. Soweit nichts anderes
geboten ist, muss davon ausgegangen werden, dass die ZPO das Verfahrensrecht
abschliessend regelt und Normen in materiellrechtlichen Erlassen keinen
verfahrensrechtlichen Gehalt mehr aufweisen. Dass es nun - bei volljährigen
Klägern - nicht geboten ist, in Art. 329 Abs. 3 ZGB einen Verweis auf Art. 295
f. ZPO zu sehen, wurde soeben ausgeführt. Allerdings wäre es denkbar, den
Verweis in Art. 329 Abs. 3 ZGB für die Klage des Volljährigen zwar als Verweis
auf Art. 295 ZPO zu verstehen, aber diejenigen prozessualen Besonderheiten von
Art. 295 f. ZPO nicht anzuwenden, die auch im früheren Recht für die Klage des
Volljährigen gemäss Rechtsprechung und Lehre nicht galten (vgl. STAEHELIN/
STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 10 Rz. 32 f., die sich
für die Weitergeltung der bisherigen Einschränkungen
BGE 139 III 368 S. 377
aussprechen). Damit würde zwar die bisherige Lösung im Ergebnis fortgeführt.
Jedoch würde zugleich ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage und ohne Not ein
weiteres Spezialverfahren in die ZPO eingeführt. Da die verschiedenen
Verfahrensarten in der ZPO grundsätzlich abschliessend aufgeführt sind, gilt es
solches im Interesse der Klarheit der ZPO und der Rechtssicherheit zu
vermeiden. Der Verweis in Art. 329 Abs. 3 ZGB kann schliesslich auch nicht als
solcher auf das "normale" vereinfachte Verfahren gemäss Art. 243 ff. ZPO
verstanden werden. Art. 329 Abs. 3 ZGB verweist nicht direkt auf das
vereinfachte bzw. das frühere einfache und rasche Verfahren, sondern auf die
Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes. Kommen die neuen Bestimmungen
über die Unterhaltsklage des Kindes in der ZPO aus den genannten Gründen für
die Ansprüche volljähriger Personen nicht in Betracht, so besteht keine
Grundlage, stattdessen an Art. 243 ff. ZPO anzuknüpfen. Es bleibt somit zur
Beurteilung dieser Ansprüche einzig das ordentliche Verfahren gemäss Art. 219
ff. ZPO. Wie es sich mit Ansprüchen minderjähriger Personen verhält, die
Verwandtenunterstützung einfordern oder für die ein Gemeinwesen den Anspruch
geltend macht, braucht an dieser Stelle nicht geklärt zu werden.

3.4 Teleologische Argumente sprechen schliesslich nicht gegen die Unterstellung
der Verwandtenunterstützungsklage des Volljährigen unter das ordentliche
Verfahren.
Die mit dem vereinfachten Verfahren verbundenen Abweichungen vom ordentlichen
Verfahren (z.B. hinsichtlich der Form der Klage [Art. 244 ZPO] oder der
verstärkten Fragepflicht [Art. 247 Abs. 1 ZPO]) haben zunächst
prozessökonomische Funktion (Entlastung von Parteien und Gerichten,
Prozessbeschleunigung), dienen dem Schutz der schwächeren Partei (soziale
Funktion) und sollen das Verfahren allgemein laienfreundlich gestalten (zum
Ganzen Botschaft ZPO, BBl 2006 7345 Ziff. 5.16; LAURENT KILLIAS, in: Berner
Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 12 zu Art. 243 ZPO).
Bei der Unterhaltsklage des Kindes werden im Interesse des Kindeswohls diese
Schutzgedanken durch die Anordnung des unbeschränkten Untersuchungs- und des
Offizialgrundsatzes (Art. 296 ZPO) noch verstärkt (vgl. Botschaft ZPO, BBl 2006
7366 Ziff. 5.21 zu Art. 290 und 291 E-ZPO), wobei die Unterschiede zum
"normalen" vereinfachten Verfahren (gemäss Art. 243 ff. ZPO) oder sogar zum
ordentlichen Verfahren (Art. 219 ff. ZPO) auch
BGE 139 III 368 S. 378
nicht überschätzt werden dürfen (vgl. etwa BGE 137 III 617 zum Erfordernis,
Anträge zu beziffern; BGE 128 III 411 E. 3.2.1 S. 413 f.; BGE 133 III 507 E.
5.4 S. 511 zur Mitwirkungsobliegenheit).
Dass der Volljährige, der Unterhalts- (oder eben Verwandten-)
Unterstützungsbeiträge verlangt, keines derart ausgebauten prozessualen
Schutzes bedarf, wurde in BGE 118 II 93 bereits dargelegt (vgl. GLOOR, a.a.O.,
Rz. 11.44 f.; HEGNAUER, BK, a.a.O., N. 112 zu Art. 279/280 ZPO; SPYCHER,
a.a.O., N. 15 zu Art. 295 ZPO). Klagt der volljährige Unterstützungsbedürftige
selber, so kann seiner finanziellen Schwäche und allfälligen prozessualen
Unerfahrenheit durch Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Bestellung
eines unentgeltlichen Rechtsbeistands ein Stück weit abgeholfen werden. Sehr
häufig klagt allerdings ohnehin nicht die unterstützungsberechtigte Person
selber, sondern wie vorliegend eine Gemeinde, die in den entsprechenden
Anspruch subrogiert ist (Art. 329 Abs. 3 i.V.m. Art. 289 Abs. 2 ZGB; BGE 133
III 507 E. 5.2 S. 510). In solchen Fällen gilt erst recht, dass die klagende
Partei prozessual nicht schutzbedürftig ist. Es ist nicht Aufgabe des sozialen
Zivilprozesses, öffentlichen Gemeinwesen zu ihrem Recht zu verhelfen (vgl.
HEGNAUER, BK, a.a.O., N. 112 zu Art. 279/280 ZPO; SPYCHER, a.a.O., N. 15 zu
Art. 295 ZPO). Es besteht in dieser Konstellation auch kein Bedarf nach einem
besonders raschen Verfahren oder danach, die familiären Beziehungen möglichst
wenig zu belasten, da auf Klägerseite gar kein Familienmitglied auftritt.
Desgleichen sind die Beklagten nicht schutzbedürftig: Um Aussicht auf Erfolg zu
haben, muss sich die Klage gegen eine Person richten, die in günstigen
Verhältnissen lebt (Art. 328 Abs. 1 ZGB). Solche Personen bedürfen keines
speziellen prozessualen Schutzes.

3.5 Daraus ergibt sich, dass Art. 329 Abs. 3 ZGB für die Klage von volljährigen
Unterstützungsberechtigten keinen Verweis auf Art. 295 f. ZPO enthält. Die
Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die Angelegenheit an das Kreisgericht
zur weiteren Behandlung im ordentlichen Verfahren zurückzuweisen.