Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 III 33



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Urteilskopf

139 III 33

5. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. GmbH gegen
Y. Stiftung und Z. AG (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
4D_66/2012 vom 3. Dezember 2012

Regeste

Kostenverteilung bei vorsorglicher Beweisführung (Art. 107 Abs. 1 lit. f und
Art. 158 ZPO).
Kostenverteilung bei einer vorsorglichen Beweisführung in einem eigenständigen
Verfahren, wenn die Gesuchsgegnerin Ergänzungsfragen stellt (E. 2-5).

Erwägungen ab Seite 33

BGE 139 III 33 S. 33
Aus den Erwägungen:

2. Zur einzig angefochtenen Verlegung der Kosten der vorsorglichen
Beweisführung erwog die Vorinstanz, diese seien gestützt auf Art. 107 Abs. 1
lit. f ZPO (SR 272) den Parteien zu je einem Drittel, das heisst zu je Fr.
7'124.05 aufzuerlegen, da sowohl die Gesuchstellerin als auch die
Gesuchsgegnerinnen 1 und 2 im Rahmen der vorsorglichen Beweisführung
Gutachterfragen gestellt hatten. Das Handelsgericht hielt klärend fest, falls
ein Hauptprozess stattfinde, könne das Gericht, welches die Hauptsache
entscheide, die Prozesskosten der vorliegenden Beweisführung abweichend
verteilen.

3. Die Gesuchsgegnerin 1 (Beschwerdeführerin) wirft der Vorinstanz vor, Art.
107 Abs. 1 lit. f ZPO willkürlich angewandt zu haben,
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indem sie ihr einen Drittel der Expertisekosten auferlegte, bloss weil sich die
Beschwerdeführerin mit dem Gutachten einverstanden erklärt und Zusatzfragen
gestellt hat. Der Gutachter halte ausdrücklich fest, dass die
Beschwerdeführerin keine Regeln der Baukunde verletzt habe und dass sie nicht
für die Mängel in den Nasszellen verantwortlich gemacht werden könne. Aufgrund
dieser klaren Ausgangslage sei nicht anzunehmen, dass die Gesuchstellerin
(Beschwerdegegnerin 1) gegen die Beschwerdeführerin eine Klage einleiten werde,
zumal die Vorinstanz dem Gesuch um Anordnung der vorsorglichen Beweisführung
mit der Begründung, es sei für die Beschwerdegegnerin 1 darum gegangen, die
Chancen eines Prozesses über die Forderung bezüglich der schadhaften Stellen in
den Nasszellen abzuschätzen, entsprochen habe. Unter diesen Umständen werde der
Kostenentscheid, soweit er die Beschwerdeführerin belaste, nicht mehr in einem
Hauptprozess in der Sache korrigiert werden können, sei doch nicht anzunehmen,
dass ein solcher gegen die Beschwerdeführerin eingeleitet werde. Der
Kostenentscheid laufe daher darauf hinaus, dass die Beschwerdeführerin für ein
Gutachten mitbezahlen müsse, welches lediglich das bestätige, was sie von
Anfang an geltend gemacht habe, nämlich dass sie für die aufgetretenen Schäden
nicht verantwortlich sei. Die Vorinstanz erkläre denn auch nicht, wie die
Beschwerdeführerin die ihr auferlegten Kosten je wieder erhältlich machen
könne.

4. Prozesskosten werden grundsätzlich entsprechend dem Erfolg der Parteien im
Prozess verlegt, d.h. die unterliegende Partei wird kostenpflichtig (Art. 106
Abs. 1 ZPO). Bei der vorsorglichen Beweisführung gibt es indessen im Normalfall
keine unterliegende Seite (JOHANN ZÜRCHER, in: Schweizerische
Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 20
zu Art. 158 ZPO). Nach Lehre und Rechtsprechung zu den bisherigen kantonalen
Regelungen hat bei vorsorglicher Beweisführung vor Einleitung des
Hauptprozesses der Gesuchsteller - unter Vorbehalt einer anderen Verteilung im
Hauptprozess - die Gerichts- und Beweiskosten der vorsorglichen Beweisführung
zu tragen, was auch der Regel von Art. 367 Abs. 2 OR entspricht. Nur wenn die
vorsorgliche Beweisführung auf Antrag des Gesuchsgegners auf weitere Tatsachen
und/oder Beweismittel ausgedehnt wird, hat er für die daraus entstandenen
Prozesskosten aufzukommen (WALTER FELLMANN, in: Kommentar zur Schweizerischen
Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 37 f. zu
Art. 158 ZPO mit Hinweisen).
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Blosse Zusatz- oder Erläuterungsfragen, die Bestandteil der vom Gesuchsteller
verlangten Beweisführung bilden, lösen keine Kostenpflicht des Gesuchsgegners
aus (vgl. LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Die Zivilprozessordnung für den
Kanton Bern, 5. Aufl. 2000, N. 2b zu Art. 226 ZPO/BE).

4.1 Dem Gesuch um vorsorgliche Beweisführung wurde entsprochen. Keine Partei
hat dessen Abweisung verlangt. Die Vorinstanz hat denn auch bei der Verteilung
der Gerichtskosten nicht auf Obsiegen und Unterliegen abgestellt, sondern die
Beschwerdegegnerin 1 mit der Begründung, sie habe das Verfahren eingeleitet,
dafür kostenpflichtig erklärt. In Bezug auf die Kosten der Beweisführung, d.h.
die Kosten des Gutachtens (Art. 95 Abs. 2 lit. c ZPO), entschied die Vorinstanz
jedoch nicht analog, sondern erklärte die Gesuchsgegnerinnen gestützt auf Art.
107 Abs. 1 lit. f ZPO für kostenpflichtig, weil sie Zusatzfragen gestellt
hatten.

4.2 Nach Art. 107 Abs. 1 ZPO kann das Gericht von den Verteilungsgrundsätzen
gemäss Art. 106 ZPO - entsprechend dem Erfolg der Parteien im Prozess -
abweichen und die Prozesskosten nach Ermessen verteilen, um besonderen
Umständen Rechnung zu tragen. Das Gesetz räumt dem Gericht den Spielraum ein,
auf Billigkeitserwägungen zurückzugreifen, wenn im Einzelfall die Belastung der
unterlegenen Partei mit Prozesskosten als ungerecht erscheint (RÜEGG, in:
Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 1 zu Art. 107
ZPO). Dazu wurden in Art. 107 Abs. 1 lit. a-f ZPO typisierte Fallgruppen
geschaffen. So nennt Art. 107 Abs. 1 lit. f ZPO andere besondere Umstände und
bildet damit einen Auffangtatbestand. Als Beispiele werden sodann in der
Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), BBl
2006 7298 Ziff. 5.8.2 zu Art 105 E-ZPO ein sehr ungleiches finanzielles
Kräfteverhältnis zwischen den Parteien (vgl. die Anfechtung eines
Generalversammlungsbeschlusses einer AG durch einen Aktionär, wie sie in aArt.
706a Abs. 3 OR geregelt war) aufgeführt sowie das Verhalten der obsiegenden
Partei, das entweder zur Klageerhebung Anlass bot (aArt. 756 Abs. 2 OR für die
Verantwortlichkeitsklage eines Aktionärs) oder zusätzlichen ungerechtfertigten
Verfahrensaufwand verursachte (Beispiel: Obsiegen mit einer
Verrechnungseinrede, wenn das Gericht zahlreiche unbegründete
Verrechnungsforderungen beurteilen muss, bevor die Klage abgewiesen werden
kann). In all diesen Fällen rechtfertigen besondere Umstände eine Abweichung
von der üblichen Kostenverteilung nach Obsiegen und Unterliegen mit
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den gestellten Rechtsbegehren. Daraus lässt sich der Grundsatz ableiten, dass
die Anwendung des Auffangtatbestandes einerseits bei erheblicher
wirtschaftlicher Disparität der Parteien greifen kann und andererseits gestützt
auf die angeführte Bestimmung eine Kostenauflage gegenüber der nicht
unterlegenen Partei begründet ist, wenn und soweit diese durch ihr Verhalten
ungerechtfertigten Aufwand zu verantworten hat.

4.3 Die Vorinstanz erblickt besondere Umstände im Sinne von Art. 107 Abs. 2
lit. f ZPO darin, dass die Beschwerdeführerin und die Gesuchsgegnerin 2
(Beschwerdegegnerin 2) dem Gutachter Ergänzungsfragen stellen liessen. Selbst
wenn diese Fragen einen Mehraufwand des Gutachters zur Folge gehabt haben
sollten, würde dies indessen für sich genommen nicht rechtfertigen, die Partei,
die diese Fragen eingereicht hat, mit den für deren Beantwortung anfallenden
Kosten zu belasten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin 1 darf die
Ergänzungsfragen stellende Partei, auch wenn sie mit der Anordnung der
vorsorglichen Beweisabnahmen einverstanden war, nicht so behandelt werden, wie
wenn sie selbst ein Gesuch um vorsorgliche Beweisführung gestellt hätte. Es ist
nämlich Sache des Gerichts, dafür zu sorgen, dass der durch das Gesuch
definierte Prozessgegenstand gewahrt bleibt und nicht durch Ergänzungsfragen
erweitert wird. Die (mutmassliche) Gegenpartei des (künftigen) Prozesses ist
zwar im Verfahren der vorsorglichen Beweisführung anzuhören (Art. 158 Abs. 2
i.V.m. Art. 248 lit. d und Art. 253 ZPO; BBl 2006 7315 Ziff. 5.10.1 zu Art. 155
E-ZPO). Stellt sie bei der Wahrnehmung ihres Gehörsanspruchs jedoch Fragen, die
den durch die das Gesuch stellende Partei abgesteckten Rahmen sprengen, hat das
Gericht diese als unzulässig zu erklären und dem Gutachter nicht zu
unterbreiten (ZÜRCHER, a.a.O., N. 19 zu Art. 158 ZPO; HANS SCHMID, in: ZPO,
Schweizerische Zivilprozessordnung, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 5 zu Art. 158
ZPO in Verbindung mit N. 5 zu Art. 172-174 ZPO und N. 5 f. zu Art. 187 ZPO).
Der endgültige Entscheid über die Formulierung der Fragen obliegt stets dem
Gericht (SCHMID, a.a.O., N. 4 zu Art. 185 ZPO).

4.4 An diese Regel hat sich die Vorinstanz denn auch gehalten und die von den
Parteien gestellten Fragen überprüft, teilweise umformuliert und über deren
Zulassung entschieden, bevor sie sie dem Experten unterbreitete, dies in der
Erkenntnis, dass der Umfang der vorsorglichen Beweisführung durch den
Gesuchsteller bestimmt
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wird. Daraus ist zu schliessen, dass die Ergänzungsfragen das von der
Beschwerdegegnerin 1 bestimmte Beweisthema betrafen, dazu beitrugen, die
Aussagekraft des Gutachtens zu erhöhen und damit dem erklärten Interesse der
Beschwerdegegnerin 1 dienten, im Hinblick auf eine Klage die Verantwortlichkeit
für die Schäden zu klären. Dass die Beschwerdeführerin den Sachverständigen zu
Tatsachen hätte befragen lassen wollen, deren Beantwortung lediglich in ihrem
eigenen Interesse lag, geht aus dem angefochtenen Entscheid nicht hervor, und
die zusätzlich angebotenen Beweismittel (Edition) wurden nicht abgenommen, so
dass hiefür auch keine Kosten anfielen. Welche Art. 107 Abs. 1 lit. f ZPO
zugrunde liegenden Billigkeitserwägungen geboten hätten, die Beschwerdeführerin
zu einem Drittel an den Kosten des von der Beschwerdegegnerin 1 veranlassten
Gutachtens zu beteiligen, legt die Vorinstanz nicht dar und ist nicht
ersichtlich.

4.5 Eine tragbare Begründung lässt sich auch aus der im angefochtenen Entscheid
erwähnten Möglichkeit nicht ableiten, wonach für den Fall, dass ein
Hauptprozess stattfinde, "das Gericht, welches die Hauptsache entscheidet, die
Prozesskosten der vorliegenden Beweisführung abweichend verteilen" kann. Wie
die Beschwerdeführerin zutreffend anführt, liegt es im Belieben der
Beschwerdegegnerin 1, ob und gegen wen sie einen ordentlichen Prozess
anstrengen will. Entschliesst sie sich dazu und obsiegt sie im Hauptprozess,
kann sie die Kosten der vorsorglichen Beweisführung auf die dort unterliegende
Partei abwälzen. Die Möglichkeit, den vorsorglichen Kostenentscheid
umzustossen, bleibt demgegenüber verschlossen, wenn es gegenüber einer für das
Beweisverfahren ins Recht gefassten Partei aufgrund des Beweisergebnisses nicht
zu einem Hauptprozess kommt. Diese bliebe ungeachtet der Frage ihrer
Verantwortlichkeit für die behaupteten Mängel mit den ihr auferlegten Kosten
der vorsorglichen Beweisführung belastet, obwohl sie diese nicht verlangt hat.
Von ihr zu verlangen, im Rahmen einer negativen Feststellungsklage selbst einen
Hauptprozess anzustrengen, liefe, soweit dies überhaupt denkbar wäre, dem Zweck
der zu beurteilenden vorsorglichen Beweisführung, unnötige Prozesse zu
verhindern, diametral zuwider.

4.6 Damit erweist sich der Entscheid der Vorinstanz, wegen des blossen Stellens
von Ergänzungsfragen, die den von der Beschwerdegegnerin 1 bestimmten
Themenkreis nicht überschritten, der Beschwerdeführerin einen Teil der Kosten
des Gutachtens aufzuerlegen, sowohl
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in der Begründung als auch im Ergebnis als stossend. Er läuft dem
Regelungsgedanken von Art. 107 Abs. 1 lit. f ZPO, der Billigkeit zum Durchbruch
zu verhelfen, stracks zuwider. Willkür ist mithin rechtsgenüglich dargetan.

5. Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde gutzuheissen und Dispositiv
Ziff. 4 des angefochtenen Entscheides aufzuheben, soweit damit die
Beschwerdeführerin mit Kosten der Beweisführung belastet wurde. Da die
Beschwerdegegnerin 2 kein Rechtsmittel ergriffen hat, bleibt es für sie bei der
Kostenverlegung gemäss dem angefochtenen Entscheid. Dispositiv Ziff. 4 ist wie
folgt neu zu fassen:
"Die Kosten der Beweisführung in Höhe von Fr. 21'372.10 werden der
Gesuchstellerin zu zwei Dritteln und der Gesuchsgegnerin 2 zu einem Drittel
auferlegt, unter Verrechnung mit den geleisteten Vorschüssen und Rückzahlung
allfälliger Überschüsse."
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdegegnerin 1, die sich mit
dem angefochtenen Entscheid identifiziert hat, als unterliegende Partei für das
bundesgerichtliche Verfahren kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs.
1 und 68 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdegegnerin 2 dagegen hat sich am Verfahren
vor Bundesgericht nicht beteiligt, weshalb sie weder Kosten zu tragen noch eine
Entschädigung zugute hat.