Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 III 293



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Urteilskopf

139 III 293

43. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen
Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_143/2013 vom 18. Juni 2013

Regeste

Art. 46 Abs. 2 und Art. 53 SchKG; Art. 647 und 932 Abs. 2 OR; Betreibungsort
bei Sitzverlegung.
Nach der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Revision des Obligationenrechts
(GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister-
und Firmenrecht) wird die Sitzverlegung der Aktiengesellschaft gegenüber dem
Betreibungsamt am Werktag nach der Publikation im SHAB wirksam (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 294

BGE 139 III 293 S. 294

A. Das Betreibungsamt Wädenswil stellte der X. AG in der gegen sie angehobenen
Betreibung Nr. x am 11. Oktober 2012 die Konkursandrohung zu. Die Schuldnerin
erhob am 22. Oktober 2012 betreibungsrechtliche Beschwerde und verlangte die
Aufhebung der Konkursandrohung bzw. Feststellung der Nichtigkeit. Sie rügte,
das Betreibungsamt sei zum Erlass der Verfügung örtlich nicht zuständig, da sie
ihren statutarischen Sitz am 11. Oktober 2012 - am Tag der Zustellung der
Konkursandrohung - nach Wollerau/SZ verlegt habe. Mit Urteil vom 3. Dezember
2012 wies das Bezirksgericht Horgen als untere Aufsichtsbehörde über
Schuldbetreibung und Konkurs die Beschwerde ab.

B. Die X. AG gelangte an das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer,
als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, welches
die Beschwerde mit Urteil vom 4. Februar 2013 ebenfalls abwies.

C. Mit Eingabe vom 18. Februar 2013 hat die X. AG Beschwerde in Zivilsachen
erhoben. Die Beschwerdeführerin verlangt die Aufhebung des Urteils der oberen
kantonalen Aufsichtsbehörde vom 4. Februar 2013. In der Sache beantragt sie die
Aufhebung der Konkursandrohung bzw. die Feststellung der Nichtigkeit; eventuell
sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
(...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Zivilsachen ab.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Konkursandrohung gegenüber der
Beschwerdeführerin und die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des
Betreibungsamtes. Es steht nicht in Frage, dass die im Handelsregister
eingetragenen juristischen Personen an ihrem Sitz zu betreiben sind (Art. 46
Abs. 2 SchKG). Verändert der Schuldner seinen (Wohn-)Sitz, nachdem ihm die
Konkursandrohung zugestellt worden ist, so wird die Betreibung gemäss Art. 53
SchKG am bisherigen Betreibungsort fortgesetzt. Vorliegend steht fest, dass die
Konkursandrohung am 11. Oktober 2012 zugestellt und am gleichen Tag der Sitz
der Beschwerdeführerin im Tagebuch des Handelsregister gelöscht worden ist.
Umstritten ist die perpetuatio fori, insbesondere die Frage, ob bzw. welche
Uhrzeit für die Frage der Sitzverlegung der AG massgebend ist.
BGE 139 III 293 S. 295

3.1 Die Beschwerdeführerin geht - wie die Aufsichtsbehörden - davon aus, dass
es nicht auf die Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB)
ankomme, wenn der Betreibungsort gemäss Art. 46 Abs. 2 SchKG einer AG zu
bestimmen ist, sondern auf die Löschung im Tagebuch des Handelsregisters.
Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass gemäss BGE 134 III 417 (E. 4 S. 419)
im Interesse der Rechtssicherheit für die Wirksamkeit einer Eintragung auf das
Datum des Tagebucheintrages und nicht auf die Uhrzeit der Einschreibung
abzustellen sei. Der Grund liegt darin, dass sämtliche
Tagesregistereintragungen eines bestimmten Tages als im selben Zeitpunkt
vorgenommen gelten (vgl. Art. 34 der Handelsregisterverordnung vom 17. Oktober
2007 [HRegV; SR 221.411]; TAGMANN, in: Handelsregisterverordnung, Siffert/Turin
[Hrsg.], 2012, N. 3 am Ende zu Art. 34 HRegV; KÜNG, Berner Kommentar, 2001, N.
140 zu Art. 932 OR). Nach der Lehre gilt im Fall, dass der Sitzwechsel zeitlich
mit der Zustellung der Konkursandrohung zusammenfällt, das Gleiche wie beim
Sitzwechsel, der nachträglich stattgefunden hat (SCHÜPBACH, in: Commentaire
romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 21 zu Art. 53 SchKG; BOLLINGER/
JEANNERET, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 8 zu Art. 53 SchKG). Folgt man
dieser Auffassung, wäre der umstrittene Sitzwechsel unbeachtlich, weil der
Betreibungsort am 11. Oktober 2012 noch gegeben war. Die Frage ist - wie sich
aus dem Folgenden ergibt - nicht weiter zu erörtern, weil sie gestützt auf die
veränderte Rechtslage zu beantworten ist.

3.2 Die Wirksamkeit von Eintragungen im Handelsregister gegenüber dem
Betreibungsamt richtet sich allgemein nach Art. 932 OR (BGE 116 III 1 E. 2 S.
2; vgl. BGE 123 III 137 E. 3a S. 138; BGE 134 III 417 E. 4 S. 419). Gemäss Art.
932 Abs. 2 OR wird gegenüber Dritten eine Eintragung im Handelsregister erst am
nächsten Werktag wirksam, der auf den aufgedruckten Ausgabetag derjenigen
Nummer des SHAB folgt, in der die Eintragung veröffentlich ist. In Art. 932
Abs. 3 OR werden die besonderen gesetzlichen Vorschriften vorbehalten, nach
denen unmittelbar mit der Eintragung (Art. 932 Abs. 1 OR) auch Dritten
gegenüber Rechtswirkungen verbunden sind oder Fristen zu laufen beginnen.

3.2.1 Die Rechtsprechung, wonach es bei der Sitzverlegung einer AG nicht auf
die Publikation im SHAB ankomme, wenn der Betreibungsort gemäss Art. 46 Abs. 2
SchKG zu bestimmen ist, sondern auf die Löschung im Tagebuch des
Handelsregisters, beruht auf einer besonderen Regelung im Aktienrecht (BGE 116
III 1 E. 2 S. 3;
BGE 139 III 293 S. 296
bestätigt in BGE 121 III 13 E. 2b a.E. S. 16; BGE 123 III 137 E. 3a S. 138; BGE
134 III 417 E. 4 S. 418 f.). Grundlage für diese Rechtsprechung ist Art. 647
Abs. 3 OR, welcher vorsieht, dass eine Statutenänderung - wie die Verlegung des
Sitzes der AG - gegenüber Dritten unmittelbar mit der Eintragung in das
Handelsregister wirksam wird.

3.2.2 Die Ausnahmeregelung von Art. 647 Abs. 3 OR ist allerdings mit dem
Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 zur Revision des Obligationenrechts
(GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister-
und Firmenrecht) per 1. Januar 2008 aufgehoben worden (AS 2007 4791). Somit
werden auch Statutenänderungen der AG gegenüber Dritten nach der allgemeinen
Regel von Art. 932 Abs. 2 OR erst am Werktag nach der Publikation im SHAB
rechtswirksam (Botschaft vom 19. Dezember 2001 zur Revision des OR, BBl 2002
3148, 3180 Ziff. 2.1.1.10; u.a. ECKERT, in: Basler Kommentar,
Obligationenrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2012, N. 11 zu Art. 932 OR; TAGMANN,
a.a.O., N. 9 zu Art. 34 HRegV; VIANIN, in: Commentaire romand, Code des
obligations, Bd. II, 2008, N. 48 zu Art. 932 OR; VOGEL, in: Handkommentar zum
Schweizer Privatrecht, 2. Aufl. 2012, N. 11 f. zu Art. 932 OR).

3.2.3 Die erwähnte Rechtsprechung (E. 3.2.1) stützt sich auf vor dem 1. Januar
2008 zugetragene Sachverhalte. In der Folge hat sich die Rechtslage in
entscheidender Weise geändert: Mit Wegfall der Ausnahmebestimmung von Art. 647
Abs. 3 OR fehlt es der Rechtsprechung (BGE 116 III 1 E. 2 S. 2), wonach es auch
für Dritte auf die Löschung im Tagebuch des Handelsregisters ankomme, wenn der
Betreibungsort gemäss Art. 46 Abs. 2 SchKG für eine AG zu bestimmen ist, an
einer rechtlichen Grundlage. Zu Recht wird in der Lehre und der kantonalen
Praxis geschlossen, dass nunmehr der in Art. 932 Abs. 2 OR festgelegte
Zeitpunkt der Wirksamkeit der Sitzverlegung einer AG für die örtliche
Zuständigkeit der Schuldbetreibungs- und Konkursbehörden massgebend ist
(ECKERT, a.a.O.; im gleichen Sinn VIANIN, a.a.O.; VOGEL, a.a.O.; Urteil der
Aufsichtsbehörde des Kantons Bern vom 5. Juli 2010, in: BlSchK 2011 S. 20).
Unter die "Dritten" im Sinne von Art. 932 OR, auf welche die Änderung des
statutarischen Sitzes Rechtswirkungen hat, fällt nach Rechtsprechung und Lehre
auch das Betreibungsamt (BGE 116 III 1 E. 2 S. 3; vgl. BGE 44 III 10 E. 2 S. 15
f.; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et
la faillite, Bd. I, 1999, N. 73 am Ende zu Art. 39 SchKG; VIANIN, a.a.O., N. 45
zu Art. 932 OR mit Hinweisen). Einschlägig ist folglich die
BGE 139 III 293 S. 297
Rechtsprechung, wie sie in Anwendung der allgemeinen Regel gemäss Art. 932 Abs.
2 OR ergangen ist (vgl. BGE 116 III 1 E. 2 S. 3 mit Hinweis auf BGE 44 III 10
E. 2 S. 15 f.; 45 I 49 E. 2 S. 52 f.).

3.3 Nach dem Dargelegten ist - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin
und der Vorinstanzen - für das Betreibungsamt die Verlegung des Sitzes einer AG
am Werktag nach der Publikation im SHAB wirksam (Art. 932 Abs. 2 OR). Vor dem
auf die SHAB-Publikation folgenden Tag dürfen die Betreibungsämter auf
Eintragungen im Handelsregister, von denen sie sonst Kenntnis erhalten, keine
Rücksicht nehmen (BGE 44 III 10 E. 2 S. 16; 45 I 49 E. 2 S. 53). Im konkreten
Fall wurde die Verlegung des Sitzes der Beschwerdeführerin nach Wollerau im
Handelsregister des Kantons Schwyz eingetragen und am gleichen Tag im
Handelsregister des Kantons Zürich von Amtes wegen gelöscht (vgl. Art. 124 Abs.
1 HRegV). Die Sitzverlegung wurde im Tagesregister der beiden Handelsregister
am 11. Oktober 2012 eingetragen und im SHAB vom Dienstag, den 16. Oktober 2012
publiziert. Diese Tatsachen sind unbestritten und gehen im Übrigen aus den
Handelsregisterauszügen und Publikationen im SHAB hervor; sie liegen in den
kantonalen Akten und gelten zudem als notorisch (BGE 98 II 211 E. 4a S. 214;
Urteil 5A_62/ 2009 vom 2. Juli 2009 E. 2.1, in: Pra 2010 Nr. 17 S. 120). Für
das Betreibungsamt ist demnach die Sitzverlegung der Beschwerdeführerin am
Mittwoch, den 17. Oktober 2012 wirksam geworden. Somit hat die
Beschwerdeführerin ihren Sitz verändert, nachdem ihr die Konkursandrohung (am
11. Oktober 2012) zugestellt worden ist. Wenn die obere kantonale
Aufsichtsbehörde zum Ergebnis gelangt ist, die Betreibung sei am bisherigen Ort
fortzusetzen, und die Konkursandrohung bestätigt hat, sind weder Art. 53 SchKG
noch andere bundesrechtliche Regeln verletzt worden.