Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 V 162



Urteilskopf

134 V 162

20. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. C. gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_853/2007 vom 15. April 2008

Regeste

Art. 61 lit. b ATSG; Art. 52 VwVG; Art. 2 Abs. 2 ZGB; Nachfrist zur Behebung
des Mangels einer nicht oder ungenügend begründeten Beschwerde. Voraussetzungen
für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs, welcher bei ungenügender oder
fehlender Begründung des Rechtsbegehrens den Verzicht auf die gesetzlich
vorgesehene Nachfristansetzung rechtfertigt (Präzisierung der Rechtsprechung;
E. 5.2).

Sachverhalt ab Seite 162

BGE 134 V 162 S. 162
A. Mit Verfügung vom 26. September 2007 verneinte die IV-Stelle des Kantons
Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) den Anspruch des C. auf eine Invalidenrente. Am
25. Oktober 2007 reichte lic. iur. L. von der DAS Rechtsschutz-Versicherungs-AG
im Auftrag von C. beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich eine
"vorsorgliche Beschwerde" ein mit dem Antrag auf Aufhebung der Verfügung und
Zusprechung von mindestens einer Viertelsrente. Prozessual ersuchte sie um
Ansetzung einer angemessenen Nachfrist zur eingehenderen Beschwerdebegründung.
Sie führte aus, infolge der sehr kurzfristigen Mandatierung hätten die IV-Akten
nicht eingesehen und deshalb die Annahmen und Berechnungen der Verwaltung nicht
überprüft werden können. Mit Eingabe vom 5. November 2007 modifizierte und
begründete sie das Rechtsbegehren. Mit Beschluss vom 13. November 2007 trat das
kantonale Sozialversicherungsgericht auf die Beschwerde nicht ein.

B. Die DAS Rechtsschutz-Versicherungs-AG erhebt namens von C. Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Beschluss
vom 13. November 2007 sei
BGE 134 V 162 S. 163
aufzuheben und die Vorinstanz zu verpflichten, auf die Beschwerde vom 25.
Oktober 2007 einzutreten.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Kantonales Gericht und
Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1. Es ist unbestritten, dass die vorsorglich am 25. Oktober 2007 bei der
Vorinstanz eingereichte Beschwerde gegen die den Anspruch auf eine
Invalidenrente verneinende Verfügung vom 26. September 2007 rechtzeitig war,
aber den Anforderungen an die Begründung nach Art. 61 lit. b Satz 1 ATSG (SR
830.1) nicht genügte. Ebenfalls steht ausser Frage, dass die Eingabe vom 5.
November 2007 eine hinreichende Begründung der Rechtsbegehren enthielt,
indessen erst nach Ablauf der ordentlichen Beschwerdefrist (Art. 60 ATSG)
einging. Hingegen ist streitig, ob die Vorinstanz gemäss Art. 61 lit. b Satz 2
ATSG eine Nachfrist hätte ansetzen und auf die Beschwerde sowie die
nachträgliche Eingabe vom 5. November 2007 hätte eintreten müssen.

2. Nach Art. 61 lit. b ATSG muss die Beschwerde eine gedrängte Darstellung des
Sachverhaltes, ein Rechtsbegehren und eine kurze Begründung enthalten. Genügt
sie diesen Anforderungen nicht, so setzt das Versicherungsgericht der
Beschwerde führenden Person eine angemessene Frist zur Verbesserung und
verbindet damit die Androhung, dass sonst auf die Beschwerde nicht eingetreten
wird. Diese Vorschrift stimmt inhaltlich überein mit dem bis 31. Dezember 2002
in Kraft gestandenen Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG (Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts H 305/03 vom 6. Mai 2004, E. 3.2), mit Art. 52 VwVG (SR
172.021; vgl. BGE 112 Ib 634 E. 2b S. 635) sowie mit Art. 10 Abs. 1 und 5 ATSV
(SR 830.11; für das Einspracheverfahren; Urteil I 898/06 vom 23. Juli 2007, E.
3.2). Die zu diesen Bestimmungen ergangene Rechtsprechung ist somit auch im
Anwendungsbereich des Art. 61 lit. b ATSG von Bedeutung.
Nach dem Wortlaut von Art. 61 lit. b ATSG und der Rechtsprechung ist
grundsätzlich in jedem Fall einer ungenügenden Begründung eine Nachfrist
anzusetzen, sofern der Beschwerdewille rechtzeitig und in prozessual gehöriger
Form klar bekundet worden ist. Die Einräumung einer solchen Frist steht nicht
im Belieben des
BGE 134 V 162 S. 164
kantonalen Versicherungsgerichtes. Vorbehalten ist der Fall eines offenbaren
Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB; BGE 116 V 353 E. 2b S. 356; BGE 112 Ib
634 E. 2b S. 635; Urteil I 898/06 vom 23. Juli 2007, E. 3.2, und Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts I 99/06 vom 8. September 2006, E. 2.2).

3. Der Beschwerdeführer war im vorinstanzlichen Verfahren durch eine
Rechtsschutzversicherung vertreten. Das Mandat betreute eine Juristin (lic.
iur.), welche als rechtskundig zu gelten hat. Dieser war bewusst, dass in der
mit "vorsorgliche Beschwerde" bezeichneten Eingabe vom 25. Oktober 2007 das
Begehren um Zusprechung mindestens einer Viertelsrente nicht begründet war. Den
Mangel der fehlenden Begründung rechtfertigte sie damit, sie sei vom
Beschwerdeführer erst kurz vor Ablauf der Frist kontaktiert und mandatiert
worden. Sie habe die IV-Akten noch nicht einsehen und deshalb die Annahmen und
Berechnungen der Verwaltung nicht rechtzeitig überprüfen können.
Die Vorinstanz hat diese Argumentation nicht als stichhaltig erachtet. Nach
ihrer Auffassung wäre die Vertreterin gehalten gewesen, zumindest eine
summarische Begründung einzureichen. Dass sie erst am 23. Oktober 2007
mandatiert worden und bis zur Beschwerdeerhebung keine einlässliche Instruktion
erfolgt sei, ändere nichts. "Entweder hätte sich die Rechtsvertreterin Zeit für
eine Instruktion nehmen müssen, welche es ihr auch ohne Einsicht in die Akten
der Beschwerdegegnerin erlaubt hätte, eine summarische Begründung einzureichen.
Oder aber sie hätte das Mandat nicht annehmen dürfen."

4.

4.1 Ein die Anwendung von Art. 61 lit. b Satz 2 ATSG ausschliessender
offenbarer Missbrauch ist zu bejahen, wenn ein Anwalt oder eine sonstige
rechtskundige Person eine bewusst mangelhafte Rechtsschrift einreicht, um damit
eine Nachfrist zur Begründung zu erwirken (RKUV 1988 Nr. U 34 S. 31, U 30/87;
ferner BGE 108 Ia 209 E. 3 S. 212; Urteil I 898/06 vom 23. Juli 2007, E. 3.3).
Das formelle Erfordernis der Begründung des Rechtsbegehrens gemäss Satz 1 von
Art. 61 lit. b ATSG würde sonst seines Sinnes entleert, wenn jede Beschwerde
führende Person dadurch, dass sie die Anträge nicht oder nicht rechtsgenüglich
begründet, über die Nachfrist von Satz 2 zusätzlich Zeit für die Begründung
erwirken könnte (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 126/05 vom 6. Juni
2005, E. 4.2)
BGE 134 V 162 S. 165
.

4.2 Rechtskundigkeit für sich allein genommen lässt indessen nicht den Schluss
auf Rechtsmissbrauch zu (vgl. Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 270/85
vom 7. März 1986, publ. in: ZAK 1986 S. 425, E. 3, und H 176/92 vom 21. Januar
1993, E. 2 [Nachfristansetzung bei fehlender Anwaltsvollmacht]; ferner zu Art.
52 VwVG, ZBl 107/2006 S. 504, 1A.253/2005, E. 3.4, und BGE 112 Ib 634 [wo der
damalige Beschwerdeführer anwaltlich vertreten war]). Selbst bei Fehlen einer
Begründung ist die Ansetzung einer Nachfrist nach Art. 61 lit. b Satz 2 ATSG
nicht ausgeschlossen. Massgebend sind die jeweiligen konkreten Umstände, wie
die - allerdings nicht ganz einheitliche - Gerichtspraxis zeigt:

4.2.1 In den Urteilen des Eidg. Versicherungsgerichts U 30/87 vom 15. September
1987, publ. in: RKUV 1988 Nr. U 34 S. 31, und I 467/97 vom 29. Oktober 1998 war
entscheidend, dass die jeweiligen Rechtsvertreter schon im Verwaltungsverfahren
für die Beschwerdeführer tätig gewesen waren. Sie hatten somit die Akten
gekannt oder sie hätten diese zumindest rechtzeitig edieren können. Es wäre den
Rechtsvertretern, so das Eidg. Versicherungsgericht, daher zumutbar gewesen,
eine begründete oder wenigstens summarisch begründete Beschwerde zu verfassen.
Die Einreichung einer Beschwerde ohne Begründung kurz vor Ablauf der
Beschwerdefrist sei rechtsmissbräuchlich. Ein solches Verhalten verdiene keinen
Rechtsschutz in Form der Gewährung einer Nachfrist für die Begründung der
Beschwerde (U 30/87, E. 2b, und I 467/97, E. 4b).

4.2.2 Im Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 77/00 vom 15. Mai 2000 war
der rechtskundige Vertreter sieben Arbeitstage vor Ablauf der Beschwerdefrist
mandatiert worden und hatte noch am selben Tag bei der IV-Stelle unter Hinweis
auf die Dringlichkeit die Akten einverlangt. Nachdem er diese nicht
fristgerecht erhalten hatte, reichte er am letzten Tag der Frist eine
Beschwerde ohne Begründung ein. Das kantonale Sozialversicherungsgericht trat
auf das Rechtsmittel nicht ein, was das Eidg. Versicherungsgericht bestätigte.
Es erwog, der Rechtsvertreter hätte aus dem Beiblatt zur Verwaltungsverfügung
wesentliche Begründungselemente (Einkommensvergleich, zumutbare Tätigkeit,
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit) ersehen können. Zudem habe der
Beschwerdeführer bereits im Vorbescheidverfahren eine Eingabe gemacht.
Zusätzliches Wissen habe der Rechtsvertreter auch anlässlich des
Instruktionsgesprächs erlangt. Mit diesem Wissen wäre es möglich und zumutbar
gewesen, innert der Rechtsmittelfrist mindestens eine summarische
Beschwerdebegründung abzugeben (E. 4).
BGE 134 V 162 S. 166

4.2.3 Im Urteil C 271/97 vom 28. November 1997 erachtete das Eidg.
Versicherungsgericht den Vorwurf des überspitzten Formalismus - willkürliche
Anwendung einer Art. 61 lit. b ATSG entsprechenden Vorschrift des kantonalen
Rechts - gegenüber der Vorinstanz, welche auf eine nicht begründete Beschwerde
nicht eingetreten war und es abgelehnt hatte, eine Nachfrist für die Begründung
anzusetzen, als nicht gerechtfertigt. Es stellte fest, nichts deute darauf hin,
dass es der Rechtsvertreterin trotz der geltend gemachten Zeitknappheit -
Mandatierung am Freitag, Ablauf der Rechtsmittelfrist am folgenden Montag -
nicht zumutbar gewesen wäre, die Beschwerde wenigstens summarisch zu begründen
(E. 2d; in gleichem Sinne auch Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts C 38/99
vom 27. Dezember 1999, E. 2b). Schliesslich erachtete das Bundesgericht im
Urteil 2P.348/1996 vom 31. Oktober 1996 die Weigerung des zürcherischen
Regierungsrates, gestützt auf § 23 des kantonalen
Verwaltungsrechtspflegegesetzes eine Nachfrist zur Begründung der Beschwerde zu
gewähren, unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots als nicht überspitzt
formalistisch. Nach Auffassung des Gerichts wäre es dem Rechtsbeistand auch
ohne die Verfahrensakten zumutbar gewesen, den Rekurs innert Frist aufgrund des
anzufechtenden Entscheids und der Instruktion mit den Beschwerdeführern
summarisch zu begründen. Die Annahme der Vorinstanz, das Verhalten des
Rechtsbeistandes ziele insoweit möglicherweise auf eine unzulässige
Verlängerung der nicht erstreckbaren Rekursfrist ab, sei verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden (E. 4d).

4.2.4 Nach dem Inkrafttreten des ATSG bestätigte das Bundesgericht im Urteil I
790/06 vom 14. Juni 2007 das Nichteintreten der Vorinstanz auf eine vorsorglich
erhobene Beschwerde und deren Weigerung, gestützt auf Art. 61 lit. b ATSG (und
die damit inhaltlich übereinstimmende einschlägige kantonale Vorschrift; vgl.
Art. 82 Abs. 2 ATSG und BGE 130 V 320 E. 2.1 S. 324) eine Nachfrist zur
Einreichung der Begründung anzusetzen, sobald ein erwarteter Arztbericht
eingetroffen sei. Das kantonale Versicherungsgericht hatte dieses Vorgehen der
rechtskundigen Vertreterin des Beschwerdeführers als offensichtlich
rechtsmissbräuchlich erachtet, was das Bundesgericht als mit dem Gesetz und der
Rechtsprechung vereinbar bezeichnete.
Anders entschied das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil I 711/06 vom 8.
November 2006. Die Vorinstanz hatte die Ansetzung einer Nachfrist mit der
Begründung abgelehnt, die von einer
BGE 134 V 162 S. 167
rechtskundigen Person verfasste Beschwerdeschrift setze sich in keiner Weise
mit dem formellen Gesichtspunkt des Nichteintretens der IV-Stelle auf die
Einsprache der Versicherten auseinander. Das Gericht liess offen, ob die
Vorinstanz das Vorliegen einer rechtsgenüglichen Beschwerdebegründung in der
Sache zu Recht verneint habe. Es stellte fest, das kantonale Gericht wäre so
oder anders gehalten gewesen, der Beschwerdeführerin eine Nachfrist zur
Verbesserung der den gesetzlichen Anforderungen nicht genügenden Eingabe zu
setzen, mit der Androhung, dass sonst auf die Beschwerde nicht eingetreten
werde. Nur ein offensichtlicher Rechtsmissbrauch vermöchte den Verzicht auf die
Einräumung einer Nachfrist zu begründen. Ein solcher liege aber nicht vor. Der
Umstand allein, dass die Beschwerdeführerin vertreten gewesen sei und die
Rechtsvertreterin eine mangelhafte Rechtsschrift eingereicht habe, stelle
keinen Rechtsmissbrauch dar, geschweige denn einen offensichtlichen. Es
bestünden keine Anhaltspunkte, dass sie die - unstreitig vorhandene -
Beschwerdebegründung bewusst so gefasst habe, um damit eine Nachfrist zu
erwirken (E. 3.2).

5.

5.1 Der Sinn der Nachfrist nach Art. 61 lit. b Satz 2 ATSG besteht im Schutz
der rechtsunkundigen Partei, welche erst kurz vor Ablauf der Anfechtungsfrist
in Unkenntnis der formellen Anforderungen eine namentlich ungenügend begründete
Beschwerdeschrift einreicht. Sie soll - bei klar bekundetem Anfechtungswillen -
nicht deshalb um die Rechtsmittelmöglichkeit gebracht werden (vgl. BGE 108 Ia
209 E. 2b S. 210). Mit dieser ratio legis verträgt es sich nicht, diejenige
Partei schlechter zu stellen, welche kurz vor Ablauf der Anfechtungsfrist einen
Rechtsvertreter mandatiert, sei es weil sie sich erst dann zu einer Beschwerde
entschliessen konnte, sei es aus Nichtwissen darum, dass eine substanziierte
Begründung in der Regel genügende Aktenkenntnis erfordert, und diesem damit
verunmöglicht, eine hinreichend begründete Eingabe zu verfassen. Die Ablehnung
des Mandats in einem solchen Fall, was gemäss Vorinstanz als eine mögliche
Alternative in Betracht zu ziehen ist (E. 3 in fine), wird dem Schutzgedanken
von Art. 61 lit. b Satz 2 ATSG nicht gerecht. Kann anderseits der kurz vor
Ablauf der Anfechtungsfrist beauftragte Rechtsvertreter nicht rechtzeitig in
die Akten Einsicht nehmen, läuft es im Ergebnis auf dasselbe hinaus, ob er eine
summarische oder überhaupt keine Begründung einreicht. In beiden Fällen ist
entweder gestützt auf Art. 61 lit. b Satz 2 ATSG
BGE 134 V 162 S. 168
eine Nachfrist zur Behebung des formellen Mangels einer nicht rechtsgenüglichen
(unvollständigen oder fehlenden) Begründung anzusetzen, oder es liegt ein zu
Lasten der Beschwerde führenden Person gehendes rechtsmissbräuchliches
Verhalten ihres Rechtsvertreters vor (in diesem Sinne für das
Einspracheverfahren FRANZ SCHLAURI, Grundstrukturen des nichtstreitigen
Verwaltungsverfahrens in der Sozialversicherung, in: Schaffhauser/Schlauri
[Hrsg.], Verfahrensfragen in der Sozialversicherung, St. Gallen 1996, S. 9 ff.,
68 f.). Insoweit erscheint die von der Rechtsprechung bisweilen statuierte,
vorliegend ebenfalls von der Vorinstanz bejahte Pflicht, die Beschwerde auch
ohne zumutbare Aktenkenntnis wenigstens summarisch zu begründen, nicht
konsequent und sachgerecht. Im Übrigen kann allfälligen Missbräuchen auch
dadurch vorgebeugt werden, dass die Nachfrist zur Verbesserung der Beschwerde
in Bezug auf die Begründung entsprechend knapp bemessen wird (vgl. BGE 112 Ib
634 E. 2c S. 636).
Bei rechtskundigen oder rechtskundig vertretenen Personen ist zwar
Rechtsmissbrauch eher anzunehmen, weil ihnen das korrekte Vorgehen bekannt sein
muss. Indessen kann im Rahmen der Anwendung von Art. 61 lit. b ATSG ein
offensichtlicher Rechtsmissbrauch nicht schon darin erblickt werden, dass
zunächst die Akten eingeholt und gleichzeitig eine vorsorgliche Beschwerde ohne
oder lediglich mit summarischer Begründung eingereicht wird. Ohnehin ist
Aktenkenntnis in aller Regel erforderlich, um überhaupt beurteilen zu können,
ob eine Beschwerde Aussicht auf Erfolg hat, was wiederum mit zur sorgfältigen
Mandatsausübung gehört. Ein solches Vorgehen scheint jedenfalls für das
Einspracheverfahren in der Praxis nicht selten zu sein (vgl. BGE 115 V 422 E.
3a S. 426 f.) und wird auch in der Lehre nicht grundsätzlich als
rechtsmissbräuchlich betrachtet (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, N. 15 zu Art. 52
ATSG; Schlauri, a.a.O., S. 67 f.; HANSJÖRG SEILER, Rechtsfragen des
Einspracheverfahrens in der Sozialversicherung [Art. 52 ATSG], in: Schaffhauser
/Schlauri [Hrsg.], Sozialversicherungsrechtstagung 2007, S. 65 ff., 84 f.).

5.2 Im Lichte des Gesagten ist die Rechtsprechung dahin zu präzisieren, dass
ein Rechtsmissbrauch, der einen Verzicht auf die gesetzlich vorgesehene
Nachfrist zu rechtfertigen vermöchte, in der Regel dann nicht vorliegt, wenn
aufgrund der Sachlage eine rechtsgenügliche Beschwerdebegründung praktisch
nicht ohne Aktenkenntnis möglich ist, die rechtsunkundige Partei, welche selber
die
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Akten nicht besitzt, in gutem Glauben erst kurz vor Ablauf der Beschwerdefrist
einen Rechtsvertreter mandatiert, und diesem weder eine rechtzeitige
Aktenbeschaffung noch eine sonstige hinreichende Beurteilung des Sachverhalts
(z.B. aufgrund eines Instruktionsgesprächs mit dem Klienten) möglich ist. In
solchen Fällen muss es als genügend betrachtet werden, wenn der Rechtsvertreter
unverzüglich die Akten einholt und nach deren Eingang die innert Frist
vorsorglich eingereichte Beschwerde mit einer Begründung ergänzt. Die I.
sozialrechtliche Abteilung hat dieser Präzisierung der Rechtsprechung im
Verfahren nach Art. 23 BGG nicht opponiert.

6. Vorliegend ergibt sich aus den Akten, dass die Rechtsvertreterin des
Beschwerdeführers mit Schreiben vom 18. Oktober 2007 der IV-Stelle mitteilte,
sie sei vom Versicherten mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt worden.
Eine Vollmacht werde in den nächsten Tagen nachgereicht. Es werde um Zustellung
der Akten nach Eingang der Vollmacht ersucht. Mit Schreiben vom 25. Oktober
2007 wurde die vom 23. Oktober 2007 datierende Vollmacht der IV-Stelle
geschickt. Am selben Tag reichte die Rechtsvertreterin beim kantonalen
Sozialversicherungsgericht vorsorglich Beschwerde gegen die rentenablehnende
Verfügung vom 26. September 2007 ein und beantragte die Zusprechung mindestens
einer Viertelsrente. Am 31. Oktober 2007 erfolgte die Aktenzustellung. Mit
Eingabe vom Montag 5. November 2007 reichte die Rechtsvertreterin die
Begründung ihres (modifizierten) Rechtsbegehrens ein.
Im Zeitpunkt der Mandatierung hatte die Rechtsvertreterin keine Sachverhalts-
und Aktenkenntnis aus dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren und - wie sie
glaubhaft darlegt - beim Instruktionsgespräch vom wenig sach- und
sprachkundigen Beschwerdeführer auch keine genügenden Anhaltspunkte erhalten,
um die Verfügung substanziiert anfechten zu können. In dieser wurde zur
Begründung der fehlenden Anspruchsberechtigung angeführt, aufgrund der
Abklärungen sei eine behinderungsangepasste Erwerbstätigkeit bis mittelschwerer
Art bei vollem Pensum bei eingeschränktem Leistungspensum zumutbar. Infolge der
Einschränkungen ergebe sich beim - auf der Grundlage der Lohnstatistik des
Bundes (LSE) ermittelten - Invalideneinkommen von Fr. 57'831.- ein Abzug von 15
%. Dies führe zu einem Erwerbseinkommen mit Behinderung von Fr. 49'156.35. Bei
einem Valideneinkommen von Fr. 68'925.- betrage der Invaliditätsgrad 29 %. Auf
der alleinigen Grundlage der
BGE 134 V 162 S. 170
Verfügung war ohne Akten- und Sachkenntnis eine substanziiert begründete
Beschwerde nicht möglich. Fraglich ist zwar, weshalb nach der ersten
Kontaktierung vom 18. Oktober 2007 die Vollmacht erst fünf Tage später am 23.
Oktober 2007 unterzeichnet wurde, was eine entsprechend spätere Aktenzustellung
durch die IV-Stelle zur Folge hatte. Dieses Zuwarten kann jedoch nicht als
offensichtlich rechtsmissbräuchlich betrachtet werden. Sodann hat die
Rechtsvertreterin die ergänzende Eingabe innert der zehntägigen Frist
eingereicht, welche von der Vorinstanz üblicherweise als Nachfrist angesetzt
wird (CHRISTIAN ZÜND, Kommentar zum Gesetz über das Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich vom 7. März 1993, Diss. Zürich 1998, N. 9 zu § 18). Sie hat
somit getan, was von ihr vernünftigerweise verlangt werden konnte. Auf die
Beschwerde vom 25. Oktober 2007 samt ergänzender Eingabe vom 5. November 2007
wäre daher einzutreten gewesen. Der angefochtene Entscheid verletzt somit
Bundesrecht.