Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 II 97



Urteilskopf

134 II 97

8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Pro
Natura und Mitb. gegen Bergbahnen Engelberg-Trübsee-Titlis AG, Gemeinderat
Wolfenschiessen und Baudirektion des Kantons Nidwalden
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
1A.50/2007 vom 11. März 2008

Regeste

Art. 24 lit. b RPG, Art. 11 JSG, Art. 6 VEJ und Art. 18 Abs. 1bis NHG;
Skipistenbau in einem eidgenössischen Jagdbanngebiet. Schutzziele des
Jagdbanngebietes (E. 3.2). Die bei Vorhaben ausserhalb der Bauzone in einem
Jagdbanngebiet notwendige umfassende Interessenabwägung wurde vom
Verwaltungsgericht unzureichend vorgenommen (E. 3.3-3.7).

Sachverhalt ab Seite 98

BGE 134 II 97 S. 98
Am 19. Juli 2002 reichte die Bergbahnen Engelberg-Trübsee-Titlis AG der
Gemeinde Wolfenschiessen ein Baugesuch für eine (Entlastungs-)Piste im Gebiet
"Sulzli" und einen Schlepplift auf Parzelle Nr. 1,
Rindertitlis-Stäubi-Schlächtismatt, ein. Die Piste soll unterhalb der Station
"Stand" (Rindertitlis) über eine Strecke von rund 1,6 km zur Ebene
"Schlächtismatt" (beim Trübsee) führen. Von dort ist geplant, mit einem
demontierbaren Schlepplift den Anschluss an die Sesselbahn "Trübseehopper" zu
ermöglichen. Das Vorhaben liegt ausserhalb der Bauzone.
Gegen dieses Projekt erhoben u.a. Pro Natura Schweiz, Pro Natura Unterwalden,
der WWF Schweiz, der WWF Unterwalden sowie die Stiftung Landschaftsschutz
Schweiz gemeinsam Einsprache. Sie machten geltend, mit der geplanten Piste
würden die Schutzziele des eidgenössischen Jagdbanngebietes Nr. 11, Hutstock,
Kantone Obwalden/Nidwalden, verletzt. Das Projekt beeinträchtige bzw. störe
bestehende Wintereinstände von Rauhfusshühnern, insbesondere Schnee- und
Birkhühnern sowie Schneehasen stark.
Mit Verfügung vom 14. November 2003 erteilte die Baudirektion Nidwalden der
Bauherrin unter Auflagen und Bedingungen die Ausnahmebewilligung nach Art. 24
RPG. Der Gemeinderat Wolfenschiessen beschloss am 17. November 2003 - unter
gleichzeitiger Eröffnung der Ausnahmebewilligung -, die vorerwähnte Einsprache
abzuweisen und das Baugesuch zu bewilligen.
Die Einsprecher gelangten sowohl gegen die Ausnahmebewilligung der Baudirektion
wie gegen die Baubewilligung der Gemeinde an den Regierungsrat des Kantons
Nidwalden. Die
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Rodungsbewilligung, welche am 17. März 2004 erteilt wurde, erwuchs dagegen
unangefochten in Rechtskraft.
Mit Beschluss Nr. 418 vom 21. Juni 2005 bestätigte der Regierungsrat die beiden
angefochtenen Bewilligungen. Das hierauf angerufene Verwaltungsgericht schützte
diesen Entscheid mit Urteil vom 2. Oktober 2006.
Pro Natura Schweiz, Pro Natura Unterwalden, der WWF Schweiz, der WWF
Unterwalden und die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz erhoben mit Eingabe vom
8. Juni 2007 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragten,
das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 2. Oktober 2006 sei aufzuheben und die
Baubewilligung sowie die raumplanerische Ausnahmebewilligung für die Piste
"Sulzli" und den Schlepplift "Schlächtismatt" auf der Parzelle Nr. 1 der
Gemeinde Wolfenschiessen seien zu verweigern. Eventualiter sei das
verwaltungsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an
den Regierungsrat, subeventualiter an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und hebt das
angefochtene Urteil auf. Die ordentliche Baubewilligung und die
raumplanungsrechtliche Ausnahmebewilligung werden verweigert und die
Angelegenheit zu neuem Entscheid im Kostenpunkt an das Verwaltungsgericht
Nidwalden zurückgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

3. Die Beschwerdeführer machen sinngemäss geltend, das Vorhaben verstosse gegen
das Bundesgesetz vom 20. Juni 1986 über die Jagd und den Schutz wildlebender
Säugetiere und Vögel (JSG; SR 922.0), verletze Art. 18 des Bundesgesetzes vom
1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451) und missachte Art.
24 lit. b RPG (SR 700), indem die dort vorgesehene Interessenabwägung
mangelhaft vorgenommen worden sei.

3.1 Die geplante Skipiste liegt ausserhalb der Bauzone und bedarf daher u.a.
einer raumplanungsrechtlichen Ausnahmebewilligung gemäss Art. 24 RPG. Eine
Ausnahmebewilligung kann nur erteilt werden, wenn keine überwiegenden
Interessen entgegenstehen (Art. 24 lit. b RPG). Es sind all jene Anliegen der
Raumplanung zu berücksichtigen, die für den Fall eine Aussage enthalten (EJPD/
BRP, Erläuterungen RPG, N. 26 und 47 zu Art. 24 RPG). Mithin ist zu prüfen, ob
dem Projekt Interessen des Umweltschutzes entgegenstehen,
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sollen doch mit Massnahmen der Raumplanung die natürlichen Lebensgrundlagen wie
Boden, Luft, Wasser, Wald und die Landschaft geschützt werden (Art. 1 Abs. 2
lit. a RPG). Sie alle bilden Teil der natürlichen Umwelt, deren Erhaltung vorab
durch den Umweltschutzartikel (Art. 74 BV) sowie durch besondere Schutzaufträge
(wie Wassererhaltung, Gewässerschutz, Natur- und Heimatschutz, Tierschutz [Art.
76-80 BV]) zur Staatsaufgabe erklärt werden (BERNHARD WALDMANN/PETER HÄNNI,
Handkommentar RPG, Bern 2006, N. 26 zu Art. 1 RPG). Diese Anliegen sind im
Rahmen der umfassenden Interessenabwägung zu berücksichtigen (vgl. BGE 129 II
63 E. 3.1 S. 68; siehe dazu auch BGE 115 Ib 472 E. 2e/aa S. 486 zu Art. 24 Abs.
2 aRPG). Nach Art. 3 Abs. 1 RPV (SR 700.1) haben die Behörden, denen bei
Erfüllung und Abstimmung raumwirksamer Aufgaben Handlungsspielräume zustehen,
alle berührten Interessen zu ermitteln, diese einzeln zu beurteilen und dabei
besonders die Vereinbarkeit mit der anzustrebenden räumlichen Entwicklung und
die möglichen Auswirkungen zu berücksichtigen sowie den Interessen aufgrund der
Beurteilung im Entscheid möglichst umfassend Rechnung zu tragen; diese
Interessenabwägung ist in der Begründung darzulegen (Art. 3 Abs. 2 RPV).
Lenkender Massstab der vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung bilden
nach den vorstehenden Ausführungen hauptsächlich die Planungsziele und
Grundsätze des eidgenössischen RPG (Art. 1 und 3 RPG, siehe etwa BGE 112 Ib 26
E. 5a S. 33 f.). Soweit das positive Verfassungs- und Gesetzesrecht einzelne
Aspekte der Interessenabwägung konkret regelt, ist vorweg zu klären, ob das
Vorhaben mit diesen Vorschriften zu vereinbaren ist. Erst wenn dies zutrifft,
ist die Abwägung aller zu berücksichtigenden Interessen koordiniert
durchzuführen (vgl. BGE 117 Ib 28 E. 3 S. 31 f. mit Hinweisen; vgl. auch BGE
121 II 72 E. 3 S. 79). Dementsprechend sind hier u.a. die Vorschriften des JSG
und des NHG anzuwenden.

3.2

3.2.1 Art. 1 Abs. 1 lit. a des JSG sieht vor, dass die Artenvielfalt und die
Lebensräume der einheimischen wildlebenden Säugetiere und Vögel erhalten
bleiben sollen. Zu diesem Zweck werden unter anderem Schutzgebiete
(Jagdbanngebiete usw.) ausgeschieden (Art. 11 JSG). Bund und Kantone sorgen bei
der Erfüllung ihrer Aufgaben dafür, dass die Schutzziele der Banngebiete nicht
durch andere Nutzungen beeinträchtigt werden. Liegen im Einzelfall andere
Interessen vor, ist anhand einer Interessenabwägung zu entscheiden (Art. 6
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Abs. 1 der Verordnung vom 30. September 1991 über die eidgenössischen
Jagdbanngebiete [VEJ; SR 922.31]).
Betroffen vom umstrittenen Pistenprojekt ist vorliegend das Objekt Nr. 11,
Hutstock, des eidgenössischen Jagdbanngebietes (vgl. Anhang 1 zur VEJ). Gemäss
dem Bundesinventar über die eidgenössischen Jagdbanngebiete liegt das
Schutzgebiet zwischen dem Engelbergertal und dem Melchtal im Bereich der
nördlichen Kalkalpen. Ein abwechslungsreiches, biologisch wertvolles Gemisch
von Wald, Weiden und Gebüschen prägt die Waldzone, darüber schliesst sich ein
breiter Gürtel von subalpinen und alpinen Weiden, ausgedehnten Felslandschaften
und Geröllfeldern an. Das Gebiet zeichnet sich durch eine Vielzahl
unterschiedlicher Lebensräume aus. Als Zielsetzung wird die Erhaltung des
Gebiets als Lebensraum für wildlebende Säugetiere und Vögel, der Schutz der
Tiere vor Störung und der besondere Schutz der Rauhfusshuhnbestände formuliert.
Unter dem Stichwort "besondere Massnahmen" nennt das Inventar sodann den
integralen Schutz des gesamten Banngebiets.

3.2.2 Die Banngebiete sind bei der Richt- und Nutzungsplanung zu
berücksichtigen (Art. 6 Abs. 2 VEJ). Zudem ist der Erhaltung von Biotopen im
Sinne von Art. 18 Abs. 1^bis NHG, insbesondere als Lebensräume der
einheimischen und ziehenden wildlebenden Säugetiere und Vögel, besondere
Beachtung zu schenken (Art. 6 Abs. 3 VEJ). Art. 5 Abs. 1 lit. g VEJ verbietet
in Banngebieten ausdrücklich das Skifahren ausserhalb von markierten Pisten,
Routen und Loipen.

3.3

3.3.1 Das Verwaltungsgericht stützt sich bei seiner Beurteilung u.a. auf ein
Gutachten zur Wildtierbiologie (im Folgenden: Gutachten Righetti) vom 15.
August 2001 und den Umweltverträglichkeitsbericht vom 17. Juli 2002. Im
Gutachten Righetti werde im Wesentlichen festgehalten, das Projekt bringe zwar
grundsätzlich neue Störungen ins Gebiet, durch die Umsetzung von mehreren
Massnahmen könnten jedoch negative Einwirkungen kompensiert und heutige
Missstände verbessert werden. Dem Umweltverträglichkeitsbericht könne entnommen
werden, dass das Vorhaben unter Vorbehalt verschiedener Auflagen und
Bedingungen den Vorschriften über den Schutz der Umwelt entspreche. Aus den
genannten Unterlagen ergibt sich laut den Ausführungen des Verwaltungsgerichts,
dass der Raum im Projektperimeter bereits heute intensiv durch den Menschen für
Erholung und Freizeit beansprucht werde. Im Winter/Frühling seien die
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Vorbereitungen (Pistenpräparierung, Sicherheit) und der Skitourismus abseits
der markierten Pisten zu nennen. Massive Störungen bestünden für die
Schneehühner und Schneehasen im Wintereinstand "Oberen Wäng/Titlisboden" sowie
für die im Frühling in den Sommereinstand wechselnden und dort weilenden Gämsen
im "Gross Sulzli/Steinberg". Was die Störung der Wildtiere anbelange, bestehe
im fraglichen Gebiet eine hohe Vorbelastung, v.a. im Winter/Frühling. Der
Betrieb der Piste als solche stelle für die Tiere keine massive Zunahme der
Belastungssituation dar. Relevante negative Folgen könnten aber von
Begleiterscheinungen des Pistenbetriebes ausgehen. Die gesteigerte
Attraktivität für Variantenskifahrer sowie massive Lawinensprengsätze zur
Pistensicherung würden den Wintereinstand von Schneehasen und Schneehühnern wie
auch den Sommereinstand der Gämse massiv entwerten, zum Teil sogar in Frage
stellen. Diese negativen Nebeneffekte würden durch die Umsetzung des
Nutzungskonzeptes der Piste jedoch minimiert. Durch Bau und Betrieb der Piste
"Sulzli" werde eine bis anhin offiziell störungsfreie Geländekammer des
Jagdbanngebietes (zeitweise) für die touristische Nutzung frei gegeben. Während
der Bau punktuell eine indirekte höhere Belastung für die Wildtiere mit sich
bringe, könne die durch die Piste "Sulzli" beabsichtigte Kanalisierung des
Skibetriebs eine tendenzielle Verbesserung der Situation für die Wildtiere mit
sich bringen. Wichtig seien die einleuchtende Information, die rigorose
Durchsetzung des Variantenskifahrverbots und die zeitgerechte Sperrung der
Piste im Frühling. Die Bauarbeiten würden von einer Fachperson in Ökologie
begleitet. Zur Verhinderung des Variantenskifahrens sollten feste Schutzzäune
entlang des Grates im Gebiet "Oberen Wäng" bis "Titlisboden" errichtet werden;
zudem würden Abfahrtsmöglichkeiten vom "Steinberg" Richtung "Staub" unterbunden
(Markierung) und die abgesperrten Skibereiche regelmässig kontrolliert. Gegen
Missachtungen des Verbots seien Massnahmen zu ergreifen.

3.3.2 Das Verwaltungsgericht sieht keinen Anlass, an den Berichtergebnissen zu
zweifeln. Zwar lasse sich das Bauvorhaben nicht ohne jede Beeinträchtigung
realisieren, unter konsequenter Beachtung der Auflagen und Bedingungen könnten
die Schutzziele des Jagdbanngebiets aber weiterhin erreicht werden.

3.3.3 Zu den Lawinensprengungen hält das Verwaltungsgericht fest, der
Umweltverträglichkeitsbericht habe die Situation der Schneehühner im Winter
mitberücksichtigt und sei dabei zum Schluss gekommen, dass der Betrieb der
Piste als solche für die Wildtiere keine
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massive Zunahme der Belastungssituation darstelle. Das Verwaltungsgericht
verweist insbesondere darauf, dass die Betriebszeiten der Piste begrenzt seien,
Orientierungstafeln und Markierungen angebracht würden und Fragen bezüglich
Wild wie bis anhin von Fall zu Fall mit dem Wildhüter abgesprochen würden.
Schliesslich bestehe auch im Skigebiet "Stand" und "Jochpass" bereits seit
Jahren eine überlagerte Nutzung, welche funktioniere.

3.4

3.4.1 Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hält dem Verwaltungsgericht in seiner
Vernehmlassung ans Bundesgericht entgegen, mit der geplanten Entlastungspiste
würde eine heute noch relativ ruhige und unberührte Geländekammer neu
erschlossen. Dieses Teilgebiet sei im intensiv genutzten Skigebiet Titlis ein
äusserst wertvolles und bedeutendes Rückzugsgebiet bzw. ein wichtiges
Wintereinstandsgebiet für verschiedene, teils gefährdete Wildtierarten wie
Schnee- und Birkhühner sowie Schneehasen. Ebenso diene es im Sommer als
Gämseinstand und werde auch von Murmeltieren und Füchsen bewohnt. Der Pistenbau
und die daraus folgende Nutzung würden nach Auffassung des BAFU den Lebensraum
dieser Tiere stark beeinträchtigen und einschränken. Neben den herkömmlichen
Pistengängern würden insbesondere den Variantenskifahrern oder den so genannten
"Freeridern", welche das Gebiet bereits heute stark frequentieren würden,
zusätzliche Möglichkeiten geboten, in die Lebensräume der genannten Tierarten
vorzudringen. Engelberg gelte als eines der bedeutenden "Freeriding-Center" in
der Schweiz. Die Variantenskifahrer durch Absperrungen, Markierungen und
Information abzuhalten, gelinge trotz Anstrengungen oft nur in geringem
Ausmasse; eine Kanalisierung sei schwer möglich, da die Fahrer den unberührten
Schnee suchen würden. Bereits sehr wenige Fahrer verteilen sich nach
Einschätzung des BAFU über eine ansehnliche Fläche und können grosse
Störeffekte auf die Tiere haben. Wie neuere Studien zeigen würden, könnten
Freizeitaktivitäten und Erschliessungen die Überlebenswahrscheinlichkeit von
Tieren, insbesondere die des sensiblen Birkwildes, verringern. Obwohl der
geplante Bau der Piste und Anlagen in einer für die Fauna wenig sensiblen Zeit
erfolgen soll, sind nach Meinung des BAFU die direkte wie auch die indirekte
Störung während der Bauphase massiv.

3.4.2 Sodann weist das BAFU darauf hin, dass das Eidgenössische Institut für
Schnee- und Lawinenforschung (SLF) die Gewährleistung der Pistensicherheit
während der Betriebsphase infolge der
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Lawinengefahr als sehr problematisch erachte; diese werde nur mit äusserst
sorgfältigen Arbeiten zu erreichen sein. Gemäss der Technischen Beratung SLF
210.00 "Sicherungsmassnahmen Piste Sulzli Skigebiet Titlis Engelberg" vom 28.
Juli 2000 ist die Piste "Sulzli" praktisch auf ihrer gesamten Länge von 2 km
von Lawinen gefährdet. Die Gefährdung der Piste sei unterschiedlich:
Grosslawinen aus den Anrissgebieten "Titlis" bis "Reissend Nollen" könnten laut
SLF bis in die Ebene von "Schächtismatt" vordringen. Bereits während und nach
geringen Schneefällen oder Triebschneeansammlungen sowie bei markanten
Temperaturänderungen seien Abgänge auf den Skiweg v.a. nördlich und
nordwestlich von "Sulzlischulter" möglich. Durch den Hanganschnitt seien
Skifahrer, aber auch Pistenfahrzeuge auf dem Skiweg speziell gefährdet. Aus
Erfahrung mit ähnlichen Situationen wird es gemäss dem Bericht notwendig sein,
die Piste jeden Winter über längere Zeitspannen zu sperren. Der Betrieb der
Piste sei mit einem sehr grossen Sicherungsaufwand verbunden. Oberhalb des
Skiweges seien im Anrissgebiet E1 ca. 15 Sprengpunkte zu empfehlen. Da bereits
bei kleinen Schneefällen und Schneeverfrachtungen eine Gefährdung des Skiweges
bestehe, müsse das Gebiet ungefähr 25 mal pro Winter gesichert werden. Auch von
Variantenskifahrern ausgelöste Lawinen dürften die Piste nicht erreichen. Das
SLF gelangt zum Schluss, ein nicht zu unterschätzendes Risiko bleibe bestehen
(Auslösungen nach negativen Sprengungen, Abgänge durch Variantenskifahrer,
Auslösungen nach Gletscherabbrüchen oder Gletscherbewegungen,
Nassschneerutsche). Als Sprengmethode schlägt es beim Gebiet
"Sulzlischulter-Nord" einen Lawinensprengmast an ca. 3 Standorten, in
Kombination mit Hand- und Helikopter-Sprengungen vor. Mit dem Lawinensprengmast
können in Anrissgebieten Ladungen ferngesteuert zur Detonation gebracht werden.
Für das Anrissgebiet C "Titlisboden-Süd" werden Handsprengungen empfohlen. Das
SLF betrachtet die geplante Piste "Sulzli" gesamthaft als sehr problematisch.
Es handelt sich seines Erachtens um einen Grenzfall. Nur mit äusserst
sorgfältigem Arbeiten dürfte es möglich sein, die Verkehrssicherungspflicht für
die Piste erfüllen zu können.

3.4.3 Ergänzend hält das BAFU dazu fest, einige Sprengpunkte würden direkt im
Wintereinstandsgebiet liegen. Sowohl der Wintereinstand der Schneehasen,
Schnee- und Birkhühner wie auch der Sommereinstand der Gämsen würden wohl
grösstenteils zerstört oder als elementarer Lebensraum für die genannten Arten
in Frage gestellt. Es sei nicht auszuschliessen, dass bei den künstlich
ausgelösten
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Lawinen immer wieder Schneehühner verschüttet würden, welche nicht rechtzeitig
wegfliegen könnten. Damit könne die Zielsetzung des Jagdbanngebietobjekts Nr.
11, nämlich insbesondere der Schutz der Rauhfusshuhnbestände, nicht
gewährleistet werden.

3.5

3.5.1 Den Vorbehalten des BAFU ist zuzustimmen. Hinzu kommt, dass auch das
Gutachten Righetti in Ziff. 3.3 zu bedenken gibt, anders als die Bauphase könne
die Betriebsphase zu relevanten negativen Projekteinwirkungen führen; dies sei
u.a. der Fall, wenn die Skipistensicherung massive Lawinensprengeinsätze zur
Folge hätte. Dies würde nach Einschätzung des Gutachters sowohl den
Wintereinstand der Schneehasen und Schneehühner ("Oberen Wäng" und westlich
"Staub") als auch den Sommereinstand der Gämse ("Gross Sulzli/Steinberg")
massiv entwerten, teilweise sogar in Frage stellen. Ergänzend sei hier
angemerkt, dass das von der Beschwerdegegnerin im Verfahren vor dem
Regierungsrat eingereichte Lawinensicherungskonzept vom 19. Februar 2003 davon
ausgeht, dass auf der ganzen Länge der geplanten Piste Lawinensprengungen nötig
sein werden.

3.5.2 Aus den Ausführungen des BAFU und des SLF wird denn auch klar, dass
bedeutende Interessen - insbesondere des Tierschutzes - auf dem Spiel stehen.
Wie in E. 3.1 und 3.2.1 gesehen ist bei Vorhaben ausserhalb der Bauzone in
einem Jagdbanngebiet eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen (Art. 24
lit. b RPG und Art. 6 Abs. 1 VEJ). Das Verwaltungsgericht und die kantonalen
Behörden haben den augenscheinlich wirtschaftlich motivierten Interessen der
Beschwerdegegnerin einen überhöhten Stellenwert eingeräumt, ohne zu beachten,
dass mit der Bewilligung der Piste die Zielsetzung des Objekts Nr. 11 im
Jagdbanngebiet illusorisch wird. Der hohe natur- und jagdschutzrechtliche
Stellenwert, welcher der Gegend beizumessen ist, ergibt sich schon daraus, dass
sie als eidgenössisches Jagdbanngebiet ausgeschieden wurde. Wie das
Bundesgericht im Zusammenhang mit BLN-Objekten (Bundesinventar der Landschaften
und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung) festgehalten hat, wird durch die
Aufnahme eines Objekts von nationaler Bedeutung in ein Inventar des Bundes
dargetan, dass es jedenfalls unter Einbezug von Wiederherstellungs- oder
angemessenen Ersatzmassnahmen die grösstmögliche Schonung verdient (vgl. Art. 6
Abs. 1 NHG; in diesem Sinne Urteil des Bundesgerichts 1A.168/2005 vom 1. Juni
2006, publ. in: URP 2006 S. 705 und ZBl 108/2007
BGE 134 II 97 S. 106
S. 338, E. 3.4.1). Ähnliches muss auch für Objekte im Jagdbanngebiet gelten.
Der natürliche Lebensraum der dort ansässigen Tierarten wird durch das
vorliegende Projekt stark in Mitleidenschaft gezogen und ein Erhalt scheint
auch aufgrund der regelmässig notwendigen Lawinensprengungen in Frage gestellt.
Schwere Beeinträchtigungen der Wintereinstände von Schneehase und Schneehuhn
sind sehr wahrscheinlich. Die Auflagen und Bedingungen der Baubewilligung
erscheinen bei Weitem nicht als ausreichend, um den mit der Piste verbundenen
Eingriff möglichst schonend zu gestalten.

3.6 Die demgegenüber geltend gemachten Interessen am Bau der Piste sind als
geringer einzustufen:

3.6.1 So verkennt etwa die Argumentation, wonach mit dem Pistenbau das
Variantenskifahren kanalisiert werden soll, dass Letzteres aufgrund von Art. 5
Abs. 1 lit. g VEJ überhaupt zu unterbinden ist: In Banngebieten ist das
Skifahren ausserhalb von markierten Pisten, Routen und Loipen nicht zulässig.
Selbst wenn Vollzugsschwierigkeiten bestehen, ist solchem Verhalten nicht noch
Vorschub zu leisten, indem das Freizeitangebot im Schutzgebiet vergrössert
wird. Dadurch werden die letzten noch bestehenden Rückzugsmöglichkeiten für das
Wild zerstört. Der Pistenbau läuft dem Schutzgedanken des Jagdbanngebietes
deutlich zuwider.

3.6.2 Ebenso wenig vermögen die Überlegungen des Verwaltungsgerichts zur
Pistensicherheit zu überzeugen. Die Ausführungen im Bericht des SLF zeigen,
dass die gesamte Entlastungspiste unter dem Aspekt der Lawinengefahr als sehr
problematisch eingestuft wird. Dass durch die zahlreich nötigen Sprengungen
zudem der natürliche Lebensraum der im Gebiet vorkommenden Tierarten stark
beeinträchtigt und gefährdet wird, liegt auf der Hand.

3.6.3 Schliesslich ist in den Banngebieten gemäss Art. 6 Abs. 3 VEJ der
Erhaltung von Biotopen im Sinne von Art. 18 Abs. 1^bis NHG, insbesondere als
Lebensräume der einheimischen und ziehenden wildlebenden Säugetiere und Vögel,
besondere Beachtung zu schenken. Die Kantone sorgen insbesondere dafür, dass
solche Lebensräume land- und forstwirtschaftlich angepasst genutzt (lit. a) und
nicht zerschnitten werden (lit. b) sowie ein ausreichendes Äsungsangebot
aufweisen (lit. c). Art. 18 Abs. 1^bis NHG zählt in nicht abschliessender Weise
auf, welche Gebiete als Biotope Schutz verdienen. Teile des Jagdbanngebietes
wurden als kantonales Pflanzenschutzgebiet, Grundwasserschutzzone und
Landschaftsschutzgebiet
BGE 134 II 97 S. 107
"Schlächtismatt-Trübsee-Bitzistock" ausgeschieden. Dies ist ein hinreichendes
Indiz dafür, dass der Gegend Biotop-Qualität zukommt (siehe dazu auch KARL
LUDWIG FAHRLÄNDER, Kommentar NHG, Zürich 1997, N. 15 ff. zu Art. 18 NHG). Zudem
dürften aufgrund dieser kantonalen Ausscheidungen nicht nur Säugetiere und
Vögel, sondern weitere heimische Flora und Fauna wie auch die Landschaft als
solche durch das umstrittene Projekt beeinträchtigt werden.

3.7 Insgesamt muss die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichtes als
unzureichend und im Ergebnis bundesrechtswidrig bezeichnet werden. Den
nationalen Interessen am Erhalt der Artenvielfalt im Jagdbanngebiet wurde, wie
dargelegt, zu wenig Gewicht beigemessen. Zudem wurde wirtschaftlichen
Interessen an einer besseren Erschliessung der touristischen Attraktionen ein
zu grosser Stellenwert eingeräumt. Mit Absperrungen, Markierungen und
Informationen der Skifahrer kann der Schutz der Tiere vor Störung und der
Erhalt ihres Lebensraums nicht gewährleistet werden. Regelmässige
Lawinensprengungen laufen diesem Schutzziel gar diametral entgegen. Eine
Verbesserung der Sicherheitssituation scheint wenig wahrscheinlich, nachdem das
SLF den gesamten neuen Pistenabschnitt als sehr problematisch erachtet. Deshalb
vermag auch dieses Interesse gegenüber dem Schutzgedanken des Jagdbanngebietes
nicht zu überwiegen. Die Berufung auf den Umweltverträglichkeitsbericht und das
wildtierbiologische Gutachten ändern daran nichts.