Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 II 45



Urteilskopf

134 II 45

6. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Amt für
Justiz Nidwalden gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
2C_622/2007 vom 14. Dezember 2007

Regeste

Art. 89 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; Legitimation eines
kantonalen Amtes zur Anfechtung eines Kostenentscheids des kantonalen
Verwaltungsgerichts im Ausländerrecht. Zusammenfassung der Rechtsprechung zur
Behördenbeschwerde (Art. 89 Abs. 2 BGG) und zur Beschwerdebefugnis des
Gemeinwesens im Rahmen der allgemeinen Beschwerdelegitimation (Art. 89 Abs. 1
BGG; E. 2.1 und 2.2.1). Gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG kann nur ein
Gemeinwesen an das Bundesgericht gelangen, nicht eine einzelne Behörde oder ein
Verwaltungszweig ohne Rechtspersönlichkeit; das beschwerdeführende Amt muss im
Rahmen von Art. 42 BGG darlegen, inwiefern es befugt ist, im
bundesgerichtlichen Verfahren für den Kanton zu handeln (E. 2.2.2 und 2.2.3).

Sachverhalt ab Seite 46

BGE 134 II 45 S. 46
X. stammt aus Serbien und verfügt seit dem 4. November 1999 im Kanton Nidwalden
über eine Niederlassungsbewilligung. Am 5. Mai 2006 ersuchte er das kantonale
Amt für Justiz erfolglos darum, ihm den Nachzug seiner zweiten Ehefrau und des
gemeinsamen Sohns sowie dreier Kinder aus erster Ehe zu gestatten. Am 13.
September 2007 kam das Amt für Justiz wiedererwägungsweise auf seine Verfügung
zurück, worauf das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden das bei ihm hängig
gemachte Beschwerdeverfahren am 1. Oktober 2007 als gegenstandslos abschrieb.
Es auferlegte die Gerichtskosten von Fr. 600.- dem Amt für Justiz und
verpflichtete dieses, den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer mit Fr.
3'186.25 zu entschädigen. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten des Amts für Justiz Nidwalden gegen den
Kostenentscheid nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägungen:

1. Das angefochtene Urteil ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in
einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, die unter keinen der
Ausschlussgründe von Art. 83 BGG fällt. Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist deshalb zulässig (Art. 82 ff. BGG),
falls das Amt für Justiz Nidwalden hierzu legitimiert (vgl. Art. 89 BGG) und
seinen gesetzlichen Begründungsanforderungen (vgl. Art. 42 BGG) nachgekommen
ist.

2.

2.1 Zu Recht beruft sich das Amt nicht auf eine besondere Beschwerdebefugnis im
Sinne von Art. 89 Abs. 2 BGG: Es ist weder Träger von speziellen, für Gemeinden
und vergleichbare Körperschaften geschaffenen Verfassungsgarantien (Art. 89
Abs. 2 lit. c BGG), noch ist es gestützt auf eine besondere bundesgesetzliche
Norm ermächtigt, vorliegend an das Bundesgericht zu gelangen (Art. 89 Abs. 2
lit. d BGG). Die Befugnis, kantonale Entscheide im Bereich des Ausländerrechts
mittels Behördenbeschwerde anzufechten, steht ausschliesslich dem
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) sowie dem Bundesamt für
Migration (BFM) zu, indessen nicht auch den kantonalen Bewilligungsbehörden
(vgl. Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG; Art. 14 Abs. 2 OV-EJPD [SR 172.213.1];BGE 129
II 1 E. 1.1 S. 3 f.; zum BGG bestätigt in Urteil 2C_411/ 2007 vom 6. November
2007, E. 1).

2.2

2.2.1 Das kantonale Amt für Justiz beruft sich für seine Legitimation auf das
allgemeine Beschwerderecht im Sinne von Art. 89 Abs. 1
BGE 134 II 45 S. 47
BGG. Danach ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
befugt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit
zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt
ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat
(Art. 89 Abs. 1 BGG; BGE 133 II 400 E. 2.2 S. 404). Diese Regelung ist zwar in
erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten, doch kann sich auch das
Gemeinwesen darauf stützen, falls es durch einen angefochtenen Entscheid gleich
oder ähnlich wie ein Privater betroffen wird (BGE 133 II 400 E. 2.4.2 mit
Hinweisen). Darüber hinaus können Gemeinwesen zur Beschwerde gemäss Art. 89
Abs. 1 BGG legitimiert sein, soweit sie in schutzwürdigen eigenen hoheitlichen
Interessen berührt sind (zur Fortführung der bisherigen Praxis: BGE 133 II 400
E. 2.4.2). Das kann bei vermögensrechtlichen Interessen der Fall sein - etwa
als Subventionsempfänger (BGE 122 II 382 E. 2b S. 383), als Gläubiger von
Kausalabgaben (BGE 119 Ib 389 E. 2e S. 391; BGE 125 II 192 E. 2a/bb S. 195),
als lohnzahlungspflichtiger öffentlicher Arbeitgeber (BGE 124 II 409 E. 1e S.
417 f.) oder als Erbringer von Fürsorgeleistungen (ZBl 98/1997 S. 414 ff.) -,
aber auch bei Eingriffen in spezifische eigene öffentliche Sachanliegen (vgl.
Bernhard Waldmann in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger, Basler Kommentar zum BGG,
Basel 2008, Rz. 43 f. zu Art. 89 BGG; HANSJÖRG SEILER, in: Seiler/von Werdt/
Güngerich, Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, Rz. 35 zu Art. 89 BGG). Das
allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung verschafft indessen keine
Beschwerdebefugnis im Sinne dieser Regelung; insbesondere ist die im
Rechtsmittelverfahren unterlegene Vorinstanz nicht berechtigt, gegen den sie
desavouierenden Entscheid an das Bundesgericht zu gelangen (BGE 131 II 58 E.
1.3 S. 62; BGE 127 II 32 E. 2e S. 38 mit Hinweisen). Zur Begründung des
allgemeinen Beschwerderechts genügt auch nicht jedes beliebige, mit der
Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe direkt oder indirekt verbundene
finanzielle Interesse des Gemeinwesens (BGE 133 II 400 E. 2.4.2 S. 407; BGE 133
V 188 E. 4.4.2 S. 194; BGE 131 II 58 E. 1.3 S. 62; BGE 124 II 409 E. 1e/bb S.
418; BGE 123 II 425 E. 3c S. 428; WALDMANN, a.a.O., Rz. 44 zu Art. 89 BGG).

2.2.2 Das Amt für Justiz wäre vorliegend - unbestrittenermassen - in der Sache
selber nicht legitimiert gewesen, den kantonalen Rechtsmittelentscheid
anzufechten: Es fehlt an einer Norm, die es als Behörde hierzu ermächtigen
würde. Durch die Pflicht, eine einzelne ausländerrechtliche Bewilligung zu
erteilen, wird auch der Kanton nicht in relevanter Weise in schutzwürdigen
eigenen Hoheitsinteressen betroffen. Wer jedoch in der Sache selber nicht
legitimiert ist,
BGE 134 II 45 S. 48
Beschwerde zu führen, kann grundsätzlich auch den damit verbundenen
Kostenentscheid nicht beanstanden. Durch die Pflicht zur Tragung von
Verfahrens- und Parteikosten in einem einzelnen Rechtsmittelverfahren wird das
Gemeinwesen regelmässig nicht derart belastet, dass ihm - trotz fehlender
Legitimation bzw. unabhängig von der Legitimation in der Sache selber - ein
schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung der Kostenregelung einzuräumen wäre.

2.2.3 Inwieweit dies in besonderen Fällen ausnahmsweise anders sein könnte,
braucht hier nicht weiter geklärt zu werden: Die Beschwerde des Amtes für
Justiz scheitert schon daran, dass es seine Befugnis, den Kanton Nidwalden als
Partei des Rechtsmittelverfahrens vor Bundesgericht zu vertreten, in der
Beschwerdeschrift nicht dartut und eine solche auch nicht ohne weiteres als
ersichtlich gelten kann; es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, anhand der
Akten oder weiterer, noch beizuziehender Unterlagen nachzuforschen, ob und
inwiefern ein Beschwerdeführer zur Beschwerde zuzulassen ist; es obliegt in
Zweifelsfällen diesem, die entsprechenden Grundlagen hierfür zu liefern (BGE
133 II 400 E. 2 S. 404). Die Befugnis, öffentlich-rechtliche Korporationen
prozessual zu vertreten, steht praxisgemäss, soweit nichts Abweichendes
bestimmt ist, nur der obersten vollziehenden Behörde zu (MATTHIAS SUTER, Der
neue Rechtsschutz in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor dem
Bundesgericht, Diss. St. Gallen 2007, S. 29, mit Hinweisen). Gemäss Art. 65
Abs. 1 der Kantonsverfassung von Nidwalden (SR 131.216.2) vertritt der
Regierungsrat den Kanton nach aussen. Es wäre deshalb Sache des
beschwerdeführenden Amtes gewesen, darzulegen, aufgrund welcher kantonalen
Vorschriften es sich als zuständig erachtet, für den Kanton zu handeln. Nur das
Gemeinwesen als solches kann im Rahmen von Art. 89 Abs. 1 BGG an das
Bundesgericht gelangen, nicht eine einzelne Behörde oder ein Verwaltungszweig
ohne eigene Rechtspersönlichkeit (BGE 127 II 32 E. 2f S. 38). Auf die
vorliegende Eingabe ist deshalb schon mangels hinreichender Substantiierung der
Beschwerdevoraussetzungen nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133
II 249 E. 1.1 S. 251, BGE 133 II 353 E. 1 S. 356, 400 E. 2 S. 403).

3 Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Kanton Nidwalden die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen: Sein Amt für Justiz hat in Verfolgung von
Vermögensinteressen gehandelt, wobei der Kanton sich dessen Vorgehen
verfahrensrechtlich anrechnen lassen muss (Art. 66 Abs. 4 BGG).
Parteientschädigungen sind nicht geschuldet, da dem Beschwerdegegner kein
weiterer Aufwand entstanden ist (vgl. Art. 68 BGG).