Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 92



Urteilskopf

134 III 92

  16. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Stiftung
A. und Mitb. gegen X. AG und Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
  4A_263/2007 vom 12. November 2007

Regeste

  Beschwerde an das Bundesgericht; Beginn der Beschwerdefrist (Art. 100 Abs.
6 BGG).

  Art. 100 Abs. 6 BGG kommt nur zur Anwendung, wenn das anwendbare kantonale
Prozessrecht die Möglichkeit vorsieht, den Entscheid der oberen kantonalen
Instanz an eine zusätzliche kantonale Rechtsmittelinstanz mit beschränkter
Kognition weiterzuziehen (E. 1).

Sachverhalt ab Seite 92

  A.- B. (Beschwerdeführer 2), C. (Beschwerdeführer 3) und D.
(Beschwerdeführerin 4) sind selbständige Therapeuten, welche ein von der
Stiftung A. (Beschwerdeführerin 1) betriebenes Therapiezentrum als
Gemeinschaftspraxis führen. Y. (Beschwerdegegner 2) verfasste Artikel für
ein Magazin, eine Tageszeitung und deren Website, alle herausgegeben von der
X. AG (Beschwerdegegnerin 1), in denen angebliche Missstände im Zusammenhang
mit dem Therapiezentrum thematisiert wurden. Mit Eingabe vom 25. Oktober
2006 stellten die Beschwerdeführer gestützt auf Art. 14 UWG (SR 241) beim
Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich das vorsorgliche Massnahmebegehren,

es sei den Beschwerdegegnern unter Strafandrohung zu verbieten, diverse
namentlich aufgeführte unlautere Äusserungen im Zusammenhang mit dem
Therapiezentrum zu wiederholen. Der Einzelrichter wies das Gesuch mit
Verfügung vom 2. November 2006 ab. Den von den Beschwerdeführern erhobenen
Rekurs wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 29. März
2007 (versandt am 3. April 2007) ab. Auf die gegen diesen Beschluss erhobene
Nichtigkeitsbeschwerde trat das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 21.
Mai 2007 nicht ein, da die Nichtigkeitsbeschwerde gegen Rekursentscheide
betreffend vorsorgliche Massnahmen nicht zulässig sei.

  B.- Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 6. Juli 2007 beantragen die
Beschwerdeführer dem Bundesgericht im Wesentlichen, den angefochtenen
Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die im kantonalen Verfahren
beantragten Massnahmen anzuordnen. Die Beschwerdegegner schliessen auf
kostenfällige Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

  Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde zufolge Verspätung nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Die Beschwerde gegen einen Entscheid ist innert 30 Tagen nach der
Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen
(Art. 100 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführer verlangen mit ihrer Eingabe vom
6. Juli 2007 einzig die Aufhebung des Entscheides des Obergerichts vom 29.
März 2007. Dieser wurde dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführer gemäss
Rückschein am 4. April 2007 zugestellt. Insoweit ist die Rechtsmittelfrist
offensichtlich abgelaufen.

  1.1  Nach Art. 100 Abs. 6 BGG beginnt allerdings die Beschwerdefrist, wenn
der Entscheid eines oberen kantonalen Gerichts mit einem Rechtsmittel, das
nicht alle Rügen nach den Artikeln 95-98 zulässt, bei einer zusätzlichen
kantonalen Gerichtsinstanz angefochten worden ist, erst mit der Eröffnung
des Entscheids dieser Instanz. Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann unter
dieser Voraussetzung auch das Urteil der oberen kantonalen Instanz
angefochten werden, soweit im Rahmen der Beschwerde in Zivilsachen zulässige
Rügen dem höchsten kantonalen Gericht nicht unterbreitet werden konnten
(vgl. PETER REETZ, Das neue Bundesgerichtsgesetz unter besonderer

Berücksichtigung der Beschwerde in Zivilsachen, Auswirkungen auf die
Anfechtung von Entscheiden des Zürcher Obergerichts und Handelsgerichts, in:
SJZ 103/2007 S. 36 ff.).

  1.2  Aus Art. 100 Abs. 6 BGG können die Beschwerdeführer indessen entgegen
ihrer Auffassung nichts zu ihren Gunsten ableiten. Diese Bestimmung kommt
nur zum Tragen, wenn in einem Kanton noch ein Rechtsmittel zulässig ist, mit
dem nicht alle vor Bundesgericht möglichen Rügen vorgebracht werden können
(vgl. KARLEN, Das neue Bundesgerichtsgesetz, S. 41). Art. 100 Abs. 6 BGG
setzt mithin voraus, dass nach kantonalem Recht tatsächlich eine zusätzliche
kantonale Gerichtsinstanz vorgesehen ist, der entsprechende Rügen
unterbreitet werden können. Dieses Verständnis wird auch durch die
Formulierung in der französischen Version der Gesetzesbestimmung
unterstrichen, wonach Art. 100 Abs. 6 BGG nur Anwendung findet, wenn der
Entscheid eines oberen kantonalen Gerichts mit Bezug auf entsprechende Rügen
bei einer anderen kantonalen Instanz angefochten werden kann (Si la décision
d'un tribunal cantonal supérieur peut être déférée à une autre autorité
judiciaire cantonale ...). Diese Formulierung wird auch in der Lehre ohne
Einschränkung übernommen (vgl. CORBOZ, Introduction à la nouvelle loi sur le
Tribunal fédéral, in: SJ 2006 II S. 319 ff., 333). Nur wenn die
Kassationsinstanz über ein ausserordentliches kantonales Rechtsmittel
urteilt, beginnt die Rechtsmittelfrist mit deren Urteil neu zu laufen (vgl.
HANS PETER WALTER, Neue Zivilrechtspflege, in: Pierre Tschannen [Hrsg.],
Neue Bundesrechtspflege, Auswirkungen der Totalrevision auf den kantonalen
und eidgenössischen Rechtsschutz, S. 113 ff., 143).

  1.3  Nach § 284 Ziff. 7 des Gesetzes über die Zivilprozessordnung vom 13.
Juni 1976 (Zivilprozessordnung, ZPO/ZH; LS 271) ist gegen Rekursentscheide
betreffend vorsorgliche Massnahmen keine Nichtigkeitsbeschwerde zulässig.
Unter Hinweis auf diese Bestimmung ist das Kassationsgericht auf die Eingabe
der Beschwerdeführer nicht eingetreten. Mithin hat es nicht über ein
ausserordentliches kantonales Rechtsmittel gegen den Beschluss des
Obergerichts entschieden (vgl. WALTER, a.a.O., S. 143), sondern vielmehr
festgehalten, das von den Beschwerdeführern ergriffene Rechtsmittel sei nach
kantonalem Recht nicht gegeben. Bei dieser Sachlage hätte mit Beschwerde
gegen diesen Entscheid gerügt werden können, das Kassationsgericht verletze
verfassungsmässige Rechte, wenn es die Nichtigkeitsbeschwerde für unzulässig
erachte. Solches bringen die Beschwerdeführer mit gutem Grund nicht vor.
Vielmehr richtet sich die Beschwerdeschrift

ausschliesslich gegen den obergerichtlichen Entscheid. Damit bleibt es bei
der vom Kassationsgericht festgestellten Unzulässigkeit der
Nichtigkeitsbeschwerde.

  1.4  Tritt die angerufene kantonale Instanz wie im vorliegenden Fall
mangels Zulässigkeit des Rechtsmittels darauf nicht ein, sind die
Voraussetzungen für eine Mitanfechtung des Entscheids der unteren Instanz
nicht gegeben (vgl. schon BGE 109 Ia 248 E. 1 S. 250; ebenso Urteil des
Bundesgerichts 2P.101/1996 vom 8. Oktober 1996, E. 1b). Von dieser im
Zusammenhang mit der staatsrechtlichen Beschwerde entwickelten Praxis
abzuweichen, besteht kein Anlass. Art. 100 Abs. 6 BGG soll den Parteien
ermöglichen, vor der Einreichung einer Beschwerde vor Bundesgericht
sämtliche kantonalen Rechtsmittel auszuschöpfen, da sich bei ihrem Obsiegen
ein Weiterzug ans Bundesgericht erübrigen kann (SPÜHLER/DOLGE/VOCK,
Kurzkommentar zum Bundesgerichtsgesetz [BGG], N. 9 zu Art. 100 BGG). Es ist
aber offensichtlich nicht Zweck der Norm, einen Beschwerdeführer in die Lage
zu versetzen, durch die Ergreifung eines nach kantonalem Recht nicht
vorgesehenen Rechtsmittels die Frist zur Einreichung der Beschwerde vor
Bundesgericht hinauszuzögern.

  1.5  Wie dargelegt steht fest und die Beschwerdeführer bestreiten auch
nicht, dass der Entscheid des Obergerichts nach kantonalem Recht nicht an
eine weitere kantonale Instanz mit beschränkter Kognition weitergezogen
werden kann (vgl. KARLEN, a.a.O., S. 41; CORBOZ, a.a.O., S. 333), so dass
Art. 100 Abs. 6 BGG nicht zur Anwendung gelangt. Daher hätten die
Beschwerdeführer den Entscheid des Obergerichts direkt mit Beschwerde in
Zivilsachen anfechten müssen.

  1.6  Das Obergericht weist denn auch in der Rechtsmittelbelehrung auf die
Möglichkeit, Beschwerde in Zivilsachen zu erheben, hin. Demgegenüber enthält
die Rechtsmittelbelehrung des Kassationsgerichts den unzutreffenden Hinweis,
die Frist für die Anfechtung des Entscheides des Obergerichts beginne neu ab
Empfang des Entscheides des Kassationsgerichts zu laufen. Daraus könnten die
Beschwerdeführer indessen nichts ableiten, da ihnen der Entscheid des
Obergerichts bereits am 4. April 2007 zugestellt wurde, so dass die Frist
zur Einreichung der Beschwerde auch unter Berücksichtigung der
Gerichtsferien im Zeitpunkt, als der Entscheid des Kassationsgerichts
gefällt wurde, bereits abgelaufen war. Die unzutreffende
Rechtsmittelbelehrung war mithin für das Fristversäumnis nicht kausal,

weshalb den Beschwerdeführern durch die unrichtige Rechtsmittelbelehrung
kein Nachteil erwachsen ist (Art. 49 BGG).

  1.7  Mit Blick auf die klare Regelung in § 284 Ziff. 7 ZPO/ZH konnten für
die anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer keine berechtigten Zweifel an
der Unzulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde bestehen. Ebenso setzt bereits
der Wortlaut von Art. 100 Abs. 6 BGG für eine Mitanfechtung des Entscheides
des oberen kantonalen Gerichts voraus, dass tatsächlich eine weitere
kantonale Gerichtsinstanz besteht (vgl. E. 1.2 hiervor). Dies entspricht der
publizierten, unter Geltung des OG zur staatsrechtlichen Beschwerde
ergangenen Rechtsprechung (vgl. BGE 109 Ia 248 E. 1 S. 250). In der
Literatur wird darauf hingewiesen, Art. 100 Abs. 6 BGG greife nur, wenn in
einem Kanton noch ein Rechtsmittel zulässig ist, mit dem nicht alle vor
Bundesgericht möglichen Rügen vorgebracht werden können (vgl. KARLEN,
a.a.O., S. 41), und festgehalten, gegen Entscheide des Obergerichts müsse
direkt vorgegangen werden, wenn das Kassationsgericht nicht zum Entscheid
berufen sei (REETZ, a.a.O., S. 38). Daher hätten die Beschwerdeführer
erkennen können und müssen, dass gegen den Entscheid des Obergerichts als
weiteres Rechtsmittel einzig die Beschwerde in Zivilsachen zur Verfügung
steht, so dass Art. 100 Abs. 6 BGG nicht greift.