Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 656



Urteilskopf

134 III 656

100. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Yashar
Foundation in Liquidation gegen Transinvest Holding AG (Beschwerde in
Zivilsachen)
5A_164/2008 vom 9. September 2008

Regeste

Art. 80 Abs. 1 SchKG; definitive Rechtsöffnung; Aberkennungsurteil. Definitive
Rechtsöffnung kann aufgrund eines Urteils gewährt werden, in dem die
Aberkennungsklage abgewiesen wurde, die der Betriebene im Zuge einer früheren
und nunmehr verwirkten Betreibung bezüglich derselben Forderung angehoben hatte
(E. 5).

Sachverhalt ab Seite 656

BGE 134 III 656 S. 656
Die Yashar Foundation in Liquidation mit Sitz in Vaduz (hiernach:
Beschwerdeführerin) schloss mit der Rechtsvorgängerin der Transinvest Holding
AG mit Sitz in St. Gallen (hiernach: Beschwerdegegnerin) am 15. Juli 1997 einen
Darlehensvertrag. Zwischen den Vertragsparteien kam es zu Streitigkeiten über
die Fälligkeit und die Rückzahlung der Darlehensforderung.
Die Beschwerdeführerin leitete vor den Gerichten in Vaduz gegen die
Beschwerdegegnerin die Zwangsvollstreckung ein. Das Fürstliche Landgericht
erteilte der Beschwerdeführerin die Rechtsöffnung
BGE 134 III 656 S. 657
für die Darlehensforderung von Fr. 1'149'953.24 samt 5 % Zins seit 14. Dezember
2001. Die Beschwerdegegnerin erhob Aberkennungsklage. Das Fürstliche
Landgericht wies die Aberkennungsklage ab, weil die vertragliche Voraussetzung
einer sofortigen Fälligstellung der Restdarlehensforderung per 14. Dezember
2001 erfüllt sei.
Die Beschwerdeführerin betrieb die Beschwerdegegnerin, die den Kapitalbetrag
von Fr. 1'149'953.24 per 31. Dezember 2006 bezahlt hatte, für die ausstehenden
Zinsen vom 14. Dezember 2001 bis 31. Dezember 2006 und ersuchte in der Schweiz
um definitive Rechtsöffnung für den Betrag von Fr. 290'043.75 zuzüglich
Betreibungskosten und um Beseitigung des Rechtsvorschlags der
Beschwerdegegnerin. Die kantonalen Gerichte wiesen das Gesuch ab. Das
Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und erteilt der Beschwerdeführerin die
definitive Rechtsöffnung.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

5. Das Kantonsgericht hat das Aberkennungsurteil als Vollstreckungstitel im
Sinne von Art. 80 SchKG betrachtet. Die Frage ist streitig.

5.1 Gemäss Art. 80 Abs. 1 SchKG kann der Gläubiger beim Richter die Aufhebung
des Rechtsvorschlags (definitive Rechtsöffnung) verlangen, wenn die Forderung
auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil beruht. Dass ein Gerichtsurteil
vorliegt, ist hier unbestritten. Beurteilt werden muss, ob das rechtskräftige
Urteil des Fürstlichen Landgerichtes vom 4. März 2004 in seiner Wirkung "einem
vollstreckbaren gerichtlichen Urteil" entspricht. Das Urteilsdispositiv lautet
dahin: "Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die von der Beklagten im
Schuldentriebverfahren (EX.2003.176) und Rechtsöffnungsverfahren (07
RÖ.2003.29) des F.L. Landgerichts gegen die Klägerin geltend gemachte Forderung
in der Höhe von CHF 1'149'953.24 samt 5 % Zins seit 14.12.2001 in vollem Umfang
nicht zu Recht bestehe, und der Rechtsöffnungsbeschluss vom 25.06.2003 zu 07
RÖ.2003.29 werde daher aufgehoben, wird abgewiesen". Auf Grund der
Urteilserwägungen steht fest, dass das Fürstliche Landgericht den Bestand der
Darlehensforderung der Beschwerdeführerin gegen die Beschwerdegegnerin und die
Fälligkeit der Darlehensforderung am 14. Dezember 2001 bejaht hat.

5.2 Ein Aberkennungsurteil lautet im Dispositiv nicht auf Verurteilung einer
Partei und enthält deshalb keinen ausdrücklichen
BGE 134 III 656 S. 658
Leistungsbefehl, sondern weist lediglich das Begehren auf negative Feststellung
ab.

5.2.1 Aus prozessualer Sicht wird in der Lehre die Meinung vertreten, dass nur
für Leistungs-, nicht hingegen für blosse Feststellungsurteile die definitive
Rechtsöffnung erteilt werden kann. Das Urteil im Aberkennungsprozess äussert
sich zwar mit materieller Rechtskraft über Bestand und Fälligkeit der in
Betreibung gesetzten Forderung, bleibt dabei jedoch Feststellungsurteil. So
betrachtet kann es im Falle der Abweisung der Klage in einer neuen Betreibung
nicht als Titel für die Erteilung definitiver Rechtsöffnung dienen. Hierfür
muss der Gläubiger eine zweite Klage auf Leistung erheben, wobei der zweite
Richter an den Entscheid über den Bestand der Forderung gebunden ist und bloss
noch formell die Verurteilung zur Zahlung auszusprechen hat, sofern kein
nachträglicher Untergang bewiesen wird (in diesem Sinne ausführlich: D.
STAEHELIN, Basler Kommentar, 1998, N. 6 zu Art. 80 und N. 59 und 62 zu Art. 83
SchKG).

5.2.2 Aus betreibungsrechtlicher Sicht wird in der Lehre zu bedenken gegeben,
dass der Aberkennungsprozess, wiewohl eine Einrichtung des SchKG, kein
betreibungsrechtliches Inzidenzverfahren ist und dass das hier ergehende Urteil
sich über Bestand oder Nichtbestand der Forderung ausspricht, und zwar mit
materieller Rechtskraftwirkung, die über die konkrete Betreibung hinausgeht.
Dass dieser Prozess mit vertauschten Parteirollen geführt und mit einer
negativen Feststellungsklage eingeleitet wird, hat ausschliesslich
betreibungsrechtliche Gründe. Im Übrigen unterscheidet sich das
Aberkennungsurteil in seinen Wirkungen durch nichts von dem durch den Gläubiger
herbeigeführten Leistungsurteil. Das in einer zweiten Betreibung gestützt auf
das Aberkennungsurteil aus einer ersten Betreibung gestellte Gesuch um
definitive Rechtsöffnung kann bei dieser Betrachtungsweise bewilligt werden (so
namentlich: E. FISCHER, Rechtsöffnungspraxis in Basel-Stadt, BJM 1980 S. 113
ff., 120 f.).

5.2.3 In Anbetracht der unterschiedlichen Standpunkte in der Lehre hat es das
Bundesgericht nicht als willkürlich bezeichnet, definitive Rechtsöffnung
aufgrund eines Urteils zu gewähren, in dem die Aberkennungsklage abgewiesen
wurde, die der Betriebene im Zuge einer früheren und nunmehr verwirkten
Betreibung bezüglich derselben Forderung angehoben hatte (BGE 127 III 232 Nr.
41 mit Hinweisen; seither: A. SCHMIDT, Commentaire romand, 2005, N. 6
BGE 134 III 656 S. 659
zu Art. 80 SchKG; STOFFEL, Voies d'exécution, Bern 2002, N. 94 S. 105).

5.3 Für die Beantwortung der Streitfrage massgebend sind vorab die
Besonderheiten der Aberkennungsklage und die Funktion der definitiven
Rechtsöffnung.

5.3.1 Die Aberkennungsklage hat eine Doppelnatur. Sie ist einerseits in das
Betreibungsverfahren eingebaut und andererseits nicht bloss ein
Zwischenverfahren in der Betreibung, sondern eine negative Feststellungsklage
des materiellen Rechts. Das Aberkennungsurteil wirkt sich zwar unmittelbar auf
die laufende Betreibung aus (BGE 130 III 285 E. 5.3.1 S. 292), hat jedoch
materielle Rechtskraftwirkung für Bestand und Fälligkeit der in Betreibung
gesetzten Forderung (BGE 124 III 207 E. 3a S. 208; BGE 128 III 44 E. 4a und b
S. 47). Dass es nicht auch die Verurteilung zur festgestellten Leistung
ausspricht und insoweit keinen Leistungsbefehl enthält, ergibt sich aus der
Doppelnatur der Aberkennungsklage und ist nicht nötig, weil durch den
erlassenen Zahlungsbefehl der Antrag auf Leistung vom Gläubiger schon gestellt
ist und die Möglichkeit der zwangsweisen Eintreibung der Leistung nur noch
davon abhängt, dass das Gericht feststelle, ob die vom Schuldner der
Zahlungspflicht entgegengestellten Einwendungen berechtigt seien oder nicht
(vgl. JAEGER, Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I,
3. Aufl., Zürich 1911, N. 10 zu Art. 83 SchKG, S. 219).

5.3.2 Der Richter des Betreibungsortes entscheidet über Gesuche um
Rechtsöffnung (Art. 84 Abs. 1 SchKG). Er hat insbesondere zu prüfen, ob die
Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil beruht (vgl. Art. 80
SchKG) und nicht seit Erlass des Urteils untergegangen ist (vgl. Art. 81
SchKG). Anhand des gerichtlichen Urteils hat der Rechtsöffnungsrichter
namentlich zu prüfen, ob die im Urteil genannten Personen des Gläubigers und
des Schuldners mit dem Betreibungsgläubiger und dem Betreibungsschuldner
identisch sind und ob sich die in Betreibung gesetzte Forderung aus dem
vorgelegten gerichtlichen Urteil ergibt (vgl. A. SCHMIDT, a.a.O., N. 17 f. zu
Art. 84 SchKG). Dabei hat er weder über den materiellen Bestand der Forderung
zu befinden noch sich mit der materiellen Richtigkeit des Urteils zu befassen.
Ist dieses unklar oder unvollständig, bleibt es Aufgabe des Sachgerichts, eine
Erläuterung oder Vervollständigung vorzunehmen (BGE 113 III 6 E. 1b S. 9/10;
BGE 134 III 656 S. 660
BGE 124 III 501 E. 3a S. 503). Diese Einschränkung der Prüfungsbefugnis
bedeutet freilich nicht, dass der Rechtsöffnungsrichter ausschliesslich auf das
Dispositiv des Urteils abzustellen hätte. Er darf gegenteils auch die
Urteilsgründe berücksichtigen, wenn es darum geht, die Frage nach der Eignung
des Urteils als Vollstreckungstitel im Sinne von Art. 80 Abs. 1 SchKG zu
beantworten (BGE 79 I 327 E. 2 S. 330; zuletzt: Urteil 5P.324/2005 vom 22.
Februar 2006, E. 3.4-3.9, publ. in: Schweizerische Zeitschrift für
Zivilprozessrecht [SZZP] 2006 S. 296; ausführlich: SCHWANDER, Zu den
verschiedenen Funktionen der Rechtsöffnung, in: Festschrift 75 Jahre Konferenz
der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz, Basel 2000, S. 374 ff.).

5.4 Gegen die Zulassung des Aberkennungsurteils als Vollstreckungstitel im
Sinne von Art. 80 SchKG spricht, dass es sich um ein Feststellungs- und nicht
um ein Leistungsurteil handelt. Wird es im Gesamtzusammenhang der konkreten
Betreibung gesehen, ergänzt das Aberkennungsurteil indessen lediglich ein
bereits gestelltes Leistungsbegehren des Gläubigers mit der Feststellung, dass
die geltend gemachte Forderung besteht und fällig ist. Da das
Aberkennungsurteil diesbezüglich in materielle Rechtskraft erwächst und damit
über die konkrete Betreibung hinaus wirksam ist, kann es in einer späteren
Betreibung als Vollstreckungstitel gelten unter der Voraussetzung, dass der
selbe Gläubiger gegen den nämlichen Schuldner für die gleiche Forderung auf dem
Betreibungsweg die Leistung erneut begehrt und dass die Forderung nicht seit
Erlass des Urteils untergegangen ist. Diese Voraussetzungen, die aus streng
prozessrechtlicher Sicht in einem ordentlichen Verfahren von einem Gericht
beurteilt werden müssten, kann auch der Rechtsöffnungsrichter auf Grund seiner
Befugnisse im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung prüfen. Sind sie erfüllt,
kann die definitive Rechtsöffnung aufgrund eines Urteils gewährt werden, in dem
die Aberkennungsklage abgewiesen wurde, die der Betriebene im Zuge einer
früheren und nunmehr verwirkten Betreibung bezüglich derselben Forderung
angehoben hatte.

5.5 Die Voraussetzungen für die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung auf
Grund des Urteils des Fürstlichen Landgerichtes vom 4. März 2004 sind erfüllt.
Dem Antrag kann entsprochen werden.