Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 289



Urteilskopf

134 III 289

49. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Vormundschaftsbehörde Y. (Beschwerde in Zivilsachen) 5A_58/2008 vom 27. Februar
2008

Regeste

Fürsorgerische Freiheitsentziehung. Über die Zuständigkeit für die Anordnung
der fürsorgerischen Freiheitsentziehung in den Fällen von Art. 397b Abs. 2 ZGB
(E. 2). Überprüfung der Recht- und Verhältnismässigkeit einer fürsorgerischen
Freiheitsentziehung (Art. 397a Abs. 1 ZGB) bei einer schweren psychischen
Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 290

BGE 134 III 289 S. 290
A. Nach Einholung eines Gutachtens beim Bezirksarzt Dr. med. O. verfügte der
Präsident der Vormundschaftsbehörde Y. am 17. Dezember 2007 gestützt auf Art.
397a ff. ZGB die Einweisung von X. in die Psychiatrische Klinik U. Diese
Präsidialverfügung wurde am 7. Januar 2008 von der Vormundschaftsbehörde Y.
genehmigt.

B. Bereits am 17. Dezember 2007 hatte X. gegen die durch den Präsidenten der
Vormundschaftsbehörde verfügte Einweisung Beschwerde beim Verwaltungsgericht
des Kantons Schwyz erhoben mit dem Begehren, sie aus der Anstalt zu entlassen.
Am 9. Januar 2008 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab, nachdem es die
Beschwerdeführerin und ihren Vertreter sowie Oberarzt Dr. med. P. gehört hatte.

C. X. gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht mit dem
Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 9. Januar
2008 aufzuheben und die Direktion der Psychiatrischen Klinik U. anzuweisen, sie
unverzüglich aus der Anstalt zu entlassen. Das Verwaltungsgericht schliesst auf
Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Die Beschwerdeführerin erachtet die am 17. Dezember 2007 durch den
Präsidenten der Vormundschaftsbehörde verfügte Einweisung als nichtig, da
gestützt auf Art. 397b Abs. 1 ZGB die Vormundschaftsbehörde, d.h. hier der
Gemeinderat, und nicht nur der Präsident der Vormundschaftsbehörde, also der
Gemeindepräsident, für die Einweisung sachlich zuständig sei. Liege Gefahr im
Verzug, so sei gestützt auf § 36b des Einführungsgesetzes vom 14. September
1978 zum schweizerischen Zivilgesetzbuch (SRSZ 210.100; nachfolgend: EG ZGB)
jeder in der Schweiz zur selbstständigen Berufsausübung zugelassene Arzt
befugt, die fürsorgerische Freiheitsentziehung anzuordnen. Das
Verwaltungsgericht ist der Ansicht, die Zuständigkeit des Präsidenten der
Vormundschaftsbehörde ergebe
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sich aus § 53 des Gesetzes vom 29. Oktober 1969 über die Organisation der
Gemeinden und Bezirke (SRSZ 152.100; nachfolgend: GOG). Nach Absatz 1 dieser
Bestimmung sei der Gemeindepräsident zu vorsorglichen Anordnungen verpflichtet,
wenn der Gemeinderat nicht rechtzeitig einberufen werden könne. Gemäss Absatz 3
gelte diese Regelung auch für vorsorgliche Verfügungen der mit selbständigen
Befugnissen ausgestatteten Kommissionen, zu welchen auch die
Vormundschaftsbehörde zu zählen sei.

2.1 Nach Art. 397b Abs. 1 ZGB ist eine vormundschaftliche Behörde am Wohnsitz
oder, wenn Gefahr im Verzug liegt, eine vormundschaftliche Behörde am
Aufenthaltsort für die fürsorgerische Freiheitsentziehung zuständig. Unter der
vormundschaftlichen Behörde dieser Bestimmung werden die Vormundschaftsbehörde
und die Aufsichtsbehörde verstanden (Art. 361 ZGB). Gestützt auf Art. 397b Abs.
1 ZGB ist demnach die Vormundschaftsbehörde und nicht der Präsident der
Vormundschaftsbehörde zuständig.

2.2 Für Fälle, in denen Gefahr im Verzug liegt oder die Person psychisch krank
ist, können die Kantone diese Zuständigkeit ausserdem anderen geeigneten
Stellen einräumen (Art. 397b Abs. 2 ZGB), wobei die geeignete Stelle vom
kantonalen Recht im Voraus in genereller Weise bezeichnet werden muss (GEISER,
Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, N. 10 zu Art. 397b ZGB). Eine
entsprechende Regelung hat der Kanton Schwyz in § 36b EG ZGB getroffen. Danach
ist bei Gefahr im Verzug jeder in der Schweiz zur selbstständigen
Berufsausübung zugelassene Arzt befugt, die fürsorgerische Freiheitsentziehung
anzuordnen (Art. 314a Abs. 3, Art. 397b Abs. 2 ZGB). Zwar bleiben auch in
diesen Fällen die vormundschaftlichen Behörden gemäss Art. 397b Abs. 1 ZGB
zuständig, womit insoweit eine kumulative Zuständigkeit besteht (Botschaft des
Bundesrates vom 26. September 1977 über die Änderung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches [Fürsorgerische Freiheitsentziehung] und den Rückzug des
Vorbehaltes zu Artikel 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten, BBl 1977 III 31). Die Zuständigkeit des Präsidenten der
Vormundschaftsbehörde ist aber aufgrund der gestützt auf Art. 397b Abs. 2 ZGB
speziell für dringende Fälle erlassenen Regelung im kantonalen
Ausführungsgesetz ausgeschlossen. Angesichts dieser Spezialregelung bleibt für
eine Anwendung von § 53 GOG kein Raum.

2.3 Insoweit war die am 17. Dezember 2007 angeordnete fürsorgerische
Freiheitsentziehung mit einem formellen Mangel behaftet, der
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allerdings mit der Genehmigung der Anordnung ihres Präsidenten durch die
Vormundschaftsbehörde am 7. Januar 2008 behoben wurde.
(...)

4. Eine mündige oder entmündigte Person darf wegen Geisteskrankheit,
Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer
Verwahrlosung in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten
werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden
kann (Art. 397a Abs. 1 ZGB). Die Zurückbehaltung in einer Anstalt kann nur
unter den in Art. 397a Abs. 1 ZGB aufgeführten Voraussetzungen erfolgen (vgl.
Botschaft, a.a.O., S. 27). Wie bei der Einweisung in eine Anstalt (vgl.
SCHNYDER, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung, in: Zeitschrift für
öffentliche Fürsorge 1979 S. 119) ist somit auch bei der Zurückbehaltung des
oder der Betroffenen als der anderen Form des Freiheitsentzuges (Botschaft,
a.a.O., S. 27) das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen;
vorausgesetzt ist mit anderen Worten, dass der oder die Betroffene infolge der
im Gesetz umschriebenen Schwächezustände persönlicher Fürsorge bedarf, die ihm
bzw. ihr nur in einer Anstalt gewährt werden kann (BGE 114 II 213 E. 5). Zu
berücksichtigen ist ferner die Belastung, welche die Person für ihre Umgebung
bedeutet (Art. 397a Abs. 2 ZGB). Nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art.
397a Abs. 3 ZGB muss denn auch die von der fürsorgerischen Freiheitsentziehung
betroffene Person entlassen werden, sobald ihr Zustand es erlaubt.

4.1 Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts leidet die
Beschwerdeführerin an einer schweren Erkrankung aus dem schizophrenen
Formenkreis, die insoweit als liquid zu bezeichnen ist, als sie auch vom
medizinischen Laien ohne weiteres und rasch erkannt wird und damit den Begriff
der Geisteskrankheit im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB erfüllt. Die stationäre
Behandlung der Beschwerdeführerin habe sich - so das Verwaltungsgericht - im
Zeitpunkt der Einweisung sowie im Moment der gerichtlichen Anhörung als
notwendig erwiesen, da die Beschwerdeführerin unter einer eindrücklichen,
produktiven psychotischen Symptomatik mit Angst, Erregung, Halluzinationen und
paranoiden Wahnvorstellungen gelitten habe und immer noch leide. Dass für die
Beschwerdeführerin subjektiv reale Wahnvorstellungen im vorliegenden Ausmass
(Niedergang von Atombomben und dergleichen; Erleiden eines Hirnschlages infolge
angeblichen Angriffs von Dritten mit schleifenden
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Maschinen) ungeheure Stress- und Angstzustände auslösen, sei auch für einen
besonnenen Laien evident, weshalb das Gebot medizinischen und allgemein
ethischen verantwortungsbewussten Handelns erheische, diese Denkstörungen zu
beseitigen oder mindestens zu lindern. Die stationäre Behandlung bis zur guten
medikamentösen Einstellung sei erforderlich, umso mehr, als bisher noch nie
eine ambulante nachhaltige Psychopharmakotherapie habe aufgenommen werden
können. Entgegen der vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin geäusserten
Auffassung stehe für das Verwaltungsgericht hier nicht die Drittgefährdung oder
die Belastung der Beschwerdeführerin für die Umgebung im Vordergrund, sondern
die Linderung der paranoid-wahnhaften Erlebnisse. Würden der grosse
Leidensdruck der Beschwerdeführerin und der Umstand berücksichtigt, dass bisher
noch nie ein ernsthafter und vor allem kein kontinuierlicher Versuch zur
Etablierung einer Therapie in stationärem Rahmen unternommen worden sei,
erscheine ein zweimonatiger stationärer Versuch ab Entscheiddatum zur
Etablierung einer Psychotherapie durchaus als angemessen. Sollten sich keine
Fortschritte einstellen, müsste der stationäre Aufenthalt im Rahmen der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung durch die Vorinstanz überprüft werden.

4.2 Die Beschwerdeführerin stellt die tatsächlichen Feststellungen zum
Gesundheitszustand sowie die rechtliche Qualifikation dieses Zustandes durch
das Verwaltungsgericht, aber auch die Schwere der festgestellten Krankheit und
den damit verbundenen Leidensdruck nicht substanziiert in Frage, so dass sich
Weiterungen erübrigen. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass
sie an einem Schwächezustand im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB leidet. Das
Gutachten des Bezirksarztes vom 28. November 2007 geht aufgrund des
festgestellten Geisteszustandes der Beschwerdeführerin von einer deutlichen
Selbstgefährdung und von einer begrenzten Fremdgefährdung aus, was auch vom
anlässlich der Anhörung befragten Sachverständigen bejaht worden ist. Die
Beschwerdeführerin ist krankheitsuneinsichtig; aufgrund des festgestellten
gravierenden Gesundheitszustandes und der durch die Sachverständigen bejahten
Selbstgefährdung steht - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin -
ausser Frage, dass sie der persönlichen Fürsorge in Form einer Behandlung ihrer
Krankheit bedarf. Da die Beschwerdeführerin überdies die notwendige Therapie
(zur Zeit) ablehnt, ist eine ambulante Behandlung ausgeschlossen und kann ihr
die im konkreten Fall notwendige persönliche Fürsorge folglich nur in einer
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Anstalt gewährt werden. Die fürsorgerische Freiheitsentziehung erweist sich
damit - entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin - als gesetzeskonform
und verhältnismässig. Der Notwendigkeit der Einweisung in die Anstalt kann
insbesondere nicht mit dem Einwand begegnet werden, jegliche Behandlung werde
strikt abgelehnt. Dass sich die Beschwerdeführerin zur Zeit gegen jegliche
Behandlung wehrt, bedeutet noch nicht, dass sie sich nicht in absehbarer
Zukunft von der Notwendigkeit der Behandlung wird überzeugen lassen und eines
Besseren belehrt darin einwilligt.