Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 255



Urteilskopf

134 III 255

44. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. V. AG gegen B.
und Mitb. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_440/2007 vom 6. Februar 2008

Regeste

Edition eines Unternehmensbewertungsberichts im Klageverfahren nach Art. 105
FusG. Aus Art. 14 und 16 FusG kann nicht abgeleitet werden, das Fusionsgesetz
behandle einen Bewertungsbericht als integral nicht zu offenbarendes
Geschäftsgeheimnis (E. 2.3). Im Klageverfahren nach Art. 105 FusG muss es der
klagenden Partei möglich sein, den Beweis mit allen Beweismitteln und somit
grundsätzlich auch mit dem Bewertungsbericht zu führen (E. 2.4). Beruft sich
die herausgabepflichtige Partei auf im Bewertungsbericht enthaltene
Geschäftsgeheimnisse, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (E. 2.5).

Sachverhalt ab Seite 256

BGE 134 III 255 S. 256
A. Die X. AG hat die Y. AG gemäss dem von den Verwaltungsräten beider
Aktiengesellschaften unterzeichneten Fusionsvertrag vom 12. November 2005 sowie
den diesbezüglichen Zustimmungsbeschlüssen ihrer Generalversammlungen vom 16.
und 17. Dezember 2005 durch Absorptionsfusion i.S. von Art. 3 Abs. 1 lit. a
FusG übernommen und wurde gleichzeitig zur V. AG (Beschwerdeführerin). Gemäss
Ziff. 6.1 des Fusionsvertrags haben die fusionierenden Gesellschaften nach
Verhandlungen und unter Berücksichtigung von vorgängig durchgeführten
Einzelbewertungen der beiden Bergbahnunternehmungen ein
Aktienumtauschverhältnis von 1 X.-Aktie zu 5 Y.-Aktien bzw. von 1 X.-Aktie zu 1
Y.-Aktie nach einem bei der X. AG durchzuführenden Aktiensplit von 1:5
festgelegt.
A. (Beschwerdegegner) war vor dem Aktiensplitting Eigentümer von 980
Namenaktien der vormals unter der Firma X. AG geführten Beschwerdeführerin.
Nach dem Aktiensplitting und der Fusion ist er Eigentümer von 4'900 Namenaktien
der Beschwerdeführerin.
B., C. und die W. AG (Nebenintervenienten) waren im Zeitpunkt der Fusion
ebenfalls Aktionäre der vormals unter der Firma X. AG geführten
Beschwerdeführerin. Sie begehrten mit Eingabe vom 21. September 2006 sich als
Nebenintervenienten i.S. von Art. 33 der Zivilprozessordnung des Kantons
Graubünden vom 1. Dezember 1985 (ZPO/GR) zur Unterstützung des
Beschwerdegegners am Rechtsstreit zu beteiligen.

B. Der Beschwerdegegner stellte am 24. Februar 2006 beim Kreispräsidenten N.
folgendes Sühnebegehren:
1. Die Beschwerdeführerin sei zu verpflichten, dem Beschwerdegegner und allen
übrigen Aktionären der vormals unter der Firma X. AG geführten
Beschwerdeführerin, die ihre Stellung als Aktionär dieser Gesellschaft bereits
vor der Fusion mit der Y. AG erworben und nicht vor dem Vollzug dieser Fusion
wieder aufgegeben haben, eine vom Gericht festzulegende angemessene
Ausgleichszahlung gemäss Art. 105 FusG zu zahlen.
2. Eventualiter sei die Beschwerdeführerin zu verpflichten, an den
Beschwerdegegner für 980 alte Aktien der X. AG beziehungsweise 4'900 neue
Aktien der Beschwerdeführerin insgesamt eine Ausgleichszahlung von Fr. 29'400.-
zu leisten.
Mangels Streitbeilegung setzte der Beschwerdegegner das Verfahren durch
Einreichung einer Prozesseingabe an das Bezirksgericht L.
BGE 134 III 255 S. 257
fort. Er machte geltend, mit 1:5 sei zu Lasten der (Alt-)Aktionäre der
Beschwerdeführerin (Aktionäre der ehemaligen X. AG) ein unangemessenes
Umtauschverhältnis festgesetzt worden. Die X. AG als übernehmende Gesellschaft
sei gezielt im Hinblick auf die Fusion erheblich unterbewertet und die Y. AG
als zu übernehmende Gesellschaft extrem überbewertet worden. Zum Beweis seiner
Sachdarstellungen verlangte der Beschwerdegegner unter anderem die Edition des
sich in den Händen der Beschwerdeführerin befindenden
Unternehmensbewertungsgutachtens. Mit Prozessantwort vom 31. August 2006
beantragte die Beschwerdeführerin, die Klage abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei. Zudem reichte sie einen verschlossenen Briefumschlag ein, der
das vom Beschwerdegegner zur Edition herausverlangte Bewertungsgutachten der Z.
AG vom 10. November 2005 enthalten solle, und stellte den Verfahrensantrag, dem
Beschwerdegegner von diesem Bewertungsbericht keine direkte Kenntnis zu geben,
sondern zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse die notwendigen Schutzmassnahmen
nach Art. 160 Abs. 1 und Art. 171 Abs. 2 ZPO/GR anzuordnen, sofern das Gericht
auf die Klage überhaupt eintrete. Mit Verfügung vom 2. Mai 2007 wies der
Bezirksgerichtspräsident L. das Gesuch der Beschwerdeführerin betreffend die
Verweigerung bzw. Einschränkung des Einsichtsrechts in den Bewertungsbericht
der Z. AG ab und ordnete an, den Bericht dem Beschwerdegegner und den
Nebenintervenienten zur Einsicht und Stellungnahme zuzustellen.
Mit Beschwerde an den Kantonsgerichtspräsidenten von Graubünden beantragte die
Beschwerdeführerin, die Verfügung vom 2. Mai 2007 aufzuheben sowie dem
Beschwerdegegner und den Nebenintervenienten die Einsicht in den
Bewertungsbericht zu verweigern. Eventuell sei die Angelegenheit zur erneuten
Entscheidung in der Sache zurückzuweisen. Das Kantonsgerichtspräsidium wies am
16. August 2007 die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

C. Die Beschwerdeführerin begehrt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des
Kantonsgerichtspräsidiums vom 16. August 2007 und den Entscheid des
Bezirksgerichtspräsidenten L. vom 2. Mai 2007 aufzuheben. Die Vorinstanzen
seien anzuweisen, dem Beschwerdegegner und den Nebenintervenienten die Einsicht
in den Bewertungsbericht der Z. AG zu verweigern. Eventuell sei die Sache an
das Bezirksgerichtspräsidium L. zur erneuten Entscheidung zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 134 III 255 S. 258

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2.

2.3 Die Bestimmung von Art. 14 des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 2003 über
Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (FusG; SR 221.301) zum
Fusionsbericht bezweckt in erster Linie, den Gesellschaftern die erforderlichen
Informationen als Entscheidgrundlage für eine sachgerechte Beschlussfassung
über die beantragte Fusion zur Verfügung zu stellen (Botschaft vom 13. Juni
2000 zum Bundesgesetz über Fusion, Spaltung, Umwandlung und
Vermögensübertragung, BBl 2000 S. 4337 ff., 4410; Beat Kühni, Fusionsgesetz,
Basler Kommentar, N. 5 zu Art. 14 FusG). Die obersten Leitungs- oder
Verwaltungsorgane der an der Fusion beteiligten Gesellschaften müssen einen
schriftlichen Bericht über die Fusion erstellen, in dem insbesondere das
Umtauschverhältnis für Anteile zu erläutern und zu begründen ist (Art. 14 Abs.
3 lit. c FusG). In der Lehre wird die Meinung vertreten, eine integrale
Offenlegung des Bewertungsgutachens im Fusionsbericht zur Erläuterung der
Umtauschverhältnisse sei vom Informationsinteresse der Gesellschafter nicht
mehr gedeckt und für die Plausibilitätskontrolle der Gesellschafter im Hinblick
auf die Beschlussfassung über die Fusion auch nicht erforderlich (Albert
Comboeuf, Fusionsgesetz, Stämpflis Handkommentar, N. 27 zu Art. 14 FusG; Beat
Kühni, a.a.O., N. 47e zu Art. 14 FusG).
Art. 16 FusG regelt die gesellschaftsinterne Offenlegung der wesentlichen
Unterlagen zur Fusion vor der Beschlussfassung durch die Generalversammlung.
Nach dieser Bestimmung muss jede der an der Fusion beteiligten Gesellschaften
den Gesellschaftern während der 30 Tage vor der Beschlussfassung Einsicht in
verschiedene Unterlagen (Fusionsvertrag, Fusionsbericht, Prüfungsbericht,
Jahresrechnungen und Jahresberichte der letzten drei Geschäftsjahre sowie
gegebenenfalls Zwischenbilanz) aller an der Fusion beteiligten Gesellschaften
gewähren. Das Einsichtsrecht nach Art. 16 FusG gewährleistet die
innergesellschaftliche Transparenz des Fusionsverfahrens und soll der
Willensbildung der Gesellschafter im Hinblick auf die Beschlussfassung über die
Fusion an der Generalversammlung dienen (Botschaft, a.a.O., S. 4415). Art. 16
FusG regelt demnach nicht das Einsichtsrecht im Stadium der Überprüfungsklage
gemäss Art. 105 FusG nach erfolgter Beschlussfassung über die Fusion. Entgegen
den Ausführungen der Beschwerdeführerin kann aus Art. 14 und 16 FusG auch nicht
abgeleitet werden, das
BGE 134 III 255 S. 259
Fusionsgesetz behandle ein Bewertungsgutachten generell als schutzwürdiges
Geschäftsgeheimnis.

2.4 Nach Art. 105 Abs. 1 FusG kann jeder Gesellschafter innerhalb von zwei
Monaten nach der Veröffentlichung des Fusionsberichts verlangen, dass das
Gericht eine angemessene Ausgleichszahlung festsetzt, wenn bei der Fusion die
Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte nicht angemessen gewahrt sind oder die
Abfindung nicht angemessen ist. In der Literatur wird postuliert, dass an die
Substantiierung bei der Klage nach Art. 105 FusG keine zu hohen Anforderungen
gestellt werden dürfen (Felix C. Meier-Dieterle, Zürcher Kommentar zum
Fusionsgesetz, N. 46 zu Art. 105 FusG; Daniel Emch, System des Rechtsschutzes
im Fusionsgesetz, Diss. Bern 2006, S. 153; Karin Eugster, Die Überprüfung der
Anteils- und Mitgliedschaftsrechte nach Art. 105 FusG, Diss. Zürich 2006, S.
147 Rz. 372). Die klagende Partei trägt nach Art. 8 ZGB die Beweislast für das
Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 105 Abs. 1 FusG (Felix C.
Meier-Dieterle, a.a.O., N. 46 zu Art. 105 FusG; Daniel Emch, a.a.O., S. 151;
Karin Eugster, a.a.O., S. 146 Rz. 370) und das Beweismass ist jenes der
strikten Beweisführung (Daniel Emch, a.a.O., S. 154). Demnach muss es der
klagenden Partei möglich sein, den Beweis mit allen Beweismitteln zu führen
(vgl. Karin Eugster, a.a.O., S. 148 Rz. 374); grundsätzlich auch mit dem
Bewertungsbericht, muss sich der Aktionär doch im Klageverfahren nicht mehr mit
einer blossen Plausibilitätsprüfung zufriedengeben.

2.5 Aus dem Fusionsgesetz lässt sich demnach nicht herleiten, dass die Edition
des Bewertungsberichts im Klageverfahren nach Art. 105 FusG grundsätzlich
unzulässig wäre und es sich bei der Unternehmensbewertung um ein integral nicht
zu offenbarendes Geschäftsgeheimnis handeln würde. Dies bedeutet indes nicht,
dass die Beschwerdeführerin im Bewertungsbericht enthaltene
Geschäftsgeheimnisse im Verfahren nach Art. 105 FusG nicht schützen lassen
könnte. Wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat, ist bei einem
Editionsbegehren eine Interessenabwägung vorzunehmen, wenn sich die
herausgabepflichtige Partei auf Geheimhaltungsinteressen beruft. Diese hat
jedoch hinreichend zu substantiieren, inwiefern solche geheimzuhaltende
Informationen vorliegen. Dieser Pflicht ist die Beschwerdeführerin gemäss den
vorinstanzlichen Ausführungen nicht nachgekommen. Sie macht vor Bundesgericht
zudem nicht geltend, die Vorinstanz wäre zu Unrecht davon ausgegangen, sie habe
nicht substantiiert dargelegt, dass der Bewertungsbericht der Z. AG
BGE 134 III 255 S. 260
schützens werte Geschäftsgeheimnisse enthalte. Auch rügt sie keine willkürliche
Anwendung von Art. 160 Abs. 1 i.V.m. Art. 171 ZPO/GR.
Die Beschwerdeführerin hat somit den Bewertungsbericht der Z. AG vom 10.
November 2005 dem Beschwerdegegner und den Nebenintervenienten im
Klageverfahren nach Art. 105 FusG zur Einsicht offenzulegen.