Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 214



Urteilskopf

134 III 214

37. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. ProLitteris
gegen A. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_522/2007 vom 15. Februar 2008

Regeste

Gerichtsstandsgesetz; Klagen aus unerlaubter Handlung (Art. 25 GestG). Art. 25
GestG kommt nur zur Anwendung, wenn das Fundament der Klage in einer
unerlaubten Handlung liegt; die Klage auf Leistung einer nach dem
Urheberrechtsgesetz geschuldeten Vergütung erfüllt diese Voraussetzung nicht
(E. 2).

Sachverhalt ab Seite 215

BGE 134 III 214 S. 215
A. Die ProLitteris (Beschwerdeführerin) ist die Schweizerische
Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst, eine der
konzessionierten schweizerischen Verwertungsgesellschaften im Sinne der Art. 40
ff. des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte
Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG; SR 231.1).
A. (Beschwerdegegner) ist Inhaber einer Anwaltskanzlei.

B. Am 12. März 2007 reichte die Beschwerdeführerin beim Obergericht des Kantons
Zürich Klage gegen den Beschwerdegegner ein mit dem Rechtsbegehren, dieser sei
zu verpflichten, ihr Fr. 302.05 nebst 5 % Zins seit 4. Dezember 2006 zu
bezahlen. Sie machte damit Reprographieentschädigungen gemäss Gemeinsamem Tarif
8/VI für die Jahre 2002 bis 2006 und Netzwerkentschädigungen gemäss Gemeinsamem
Tarif 9/VI für die Jahre 2004 bis 2006 geltend.
Mit Beschluss vom 20. November 2007 trat das Obergericht auf die Klage nicht
ein. Es kam zum Schluss, die Nichtleistung einer nach Art. 20 Abs. 2 URG
geschuldeten Vergütung sei nicht als unerlaubte Handlung im Sinn von Art. 25
GestG zu qualifizieren, weshalb gestützt auf Art. 3 lit. b GestG die Gerichte
am Sitz des Beschwerdegegners örtlich zuständig seien.

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 7. Dezember 2007 (ergänzt am 11. Dezember
2007) beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, der Beschluss des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. November 2007 sei aufzuheben und es sei
auf die Klage einzutreten. Sie rügt eine Verletzung von Art. 25 GestG sowie die
unrichtige Anwendung der Art. 20 Abs. 2 und Art. 45 Abs. 1 URG.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Nach Art. 3 Abs. 1 GestG (SR 272) ist - in Übereinstimmung mit Art. 30 Abs.
2 BV - das Gericht am Wohnsitz bzw. am Sitz des Beklagten örtlich zuständig,
sofern das Gesetz nicht etwas anderes vorsieht. Im Rahmen der besonderen
Gerichtsstände bestimmt Art. 25 GestG, dass für Klagen aus unerlaubter Handlung
das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der geschädigten Person oder der beklagten
Partei oder am Handlungs- oder Erfolgsort zuständig ist. Nach Ansicht der
Beschwerdeführerin liegt eine unerlaubte Handlung im Sinn dieser Bestimmung
vor, wenn ein Nutzer die nach Art. 20 Abs. 2 URG geschuldete Vergütung nicht
bezahlt.
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2.1 Art. 19 Abs. 1 URG erlaubt die Verwendung veröffentlichter Werke zum
Eigengebrauch. Das Vervielfältigen von Werkexemplaren in Betrieben,
öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen
für die interne Information oder Dokumentation ist allerdings gestützt auf Art.
20 Abs. 2 URG vergütungspflichtig; nach Abs. 4 der Norm werden die
Vergütungsansprüche von den zugelassenen Verwertungsgesellschaften geltend
gemacht. Durch diese Vergütungspflicht soll die gesetzlich statuierte
Beschränkung des Urheberrechts im Bereich des Eigengebrauchs ausgeglichen
werden. Der Anspruch auf Zahlung der Vergütung beruht auf Gesetz; er ist nicht
Folge einer unerlaubten Handlung im haftpflichtrechtlichen Sinn, lässt das
Gesetz die Verwendung des Werks zum Eigengebrauch in Art. 19 URG doch
ausdrücklich zu (vgl. BGE 124 III 370 E. 3b/bb S. 373). Daran ändert auch
nichts, dass der Nutzer gegen Art. 20 Abs. 2 URG verstösst, wenn er seiner
Vergütungspflicht nicht nachkommt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin
handelt es sich bei Art. 20 Abs. 2 URG nicht um eine haftpflichtrelevante
Schutznorm, da die Bestimmung nicht dem Schutz des Vermögens des Urhebers
dient, sondern dem Urheber einen Anspruch auf Vergütung einräumt. Es geht
vorliegend also nicht darum, einen Anspruch nach Art. 41 OR durchzusetzen.

2.2 Nach der Botschaft vom 18. November 1998 zum Gerichtsstandsgesetz ist der
Begriff der unerlaubten Handlung im Sinn von Art. 25 GestG weit auszulegen;
darunter sind nicht nur die klassischen Delikte nach Art. 41 ff. OR und die
Tatbestände der Kausal- oder Gefährdungshaftungen, sondern alle
ausservertraglichen Rechtsverletzungen zu verstehen (BBl 1999 S. 2864). Art. 25
GestG kommt allerdings selbst dann nicht zum Zug, wenn man die Nichtzahlung
einer nach Art. 20 Abs. 2 URG geschuldeten Vergütung mit der Beschwerdeführerin
als eine solche Rechtsverletzung ansieht. Die Beschwerdeführerin macht mit
ihrer Klage nämlich nicht Ansprüche aus dieser Rechtsverletzung geltend,
sondern will ihren gesetzlichen Anspruch auf Leistung der Vergütung
durchsetzen. Das Fundament der Klage liegt mit anderen Worten nicht in der
unerlaubten Handlung (vgl. auch Botschaft, a.a.O., S. 2865). Die Ansicht der
Beschwerdeführerin, dass sämtliche nichtvertraglichen Ausgleichsansprüche unter
Art. 25 GestG fallen, findet keine Stütze in der Entstehungsgeschichte der
Norm, subsumiert doch die Botschaft namentlich die Ansprüche aus
ungerechtfertigter Bereicherung oder aus (echter) Geschäftsführung ohne Auftrag
nicht unter den Begriff der
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unerlaubten Handlung (Botschaft, a.a.O., S. 2865). Auch in der Lehre werden
gewisse ausservertragliche Ansprüche vom Anwendungsbereich des Art. 25 GestG
ausgenommen (vgl. etwa Kurth/Bernet, in: Kellerhals/von Werdt/Güngerich
[Hrsg.], Gerichtsstandsgesetz, 2. Aufl. 2005, N. 6 und 20 ff. zu Art. 25 GestG;
Romerio, in: Müller/Wirth [Hrsg.], Gerichtsstandsgesetz, N. 34 ff. zu Art. 25
GestG; VOCK, Besondere Gerichtsstände im Gerichtsstandsgesetz [GestG], in: Das
Gerichtsstandsgesetz, La loi sur les fors, Bern 2001, S. 43).

2.3 Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung steht diese Auslegung
von Art. 25 GestG der angestrebten Angleichung an die eurointernationale
Ordnung nicht entgegen (vgl. dazu die Botschaft, a.a.O., S. 2863). Auch die
eurointernationalen Bestimmungen verlangen nämlich als Klagefundament eine
unerlaubte Handlung bzw. ein Quasidelikt. So begründet der (autonom
auszulegende) Art. 5 Ziff. 3 LugÜ (SR 0.275.11) den Gerichtsstand am Ort, an
dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, "wenn eine unerlaubte Handlung
oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder
wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens
bilden". Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geht es um Ansprüche, die
eine Haftung des angeblichen Schädigers begründen würden (BGE 133 III 282 E. 4
S. 289; BGE 125 III 346 E. 4a S. 348). Gemäss ständiger Rechtsprechung des EuGH
setzt der entsprechende Art. 5 Ziff. 3 EuGVÜ (bzw. EuGVVO) eine Klage voraus,
mit der eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird (Urteil des
EuGH vom 20. Januar 2005 in der Rechtssache C-27/02, Engler gegen Janus Versand
GmbH, Slg. 2005, I-481, Randnr. 29 mit zahlreichen Hinweisen; vgl. in diesem
Zusammenhang auch SEBASTIAN KUBIS, Internationale Zuständigkeit bei
Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, Diss. Bielefeld 1999,
S. 110, wonach der Tatortgerichtsstand nicht zu einem "Auffanggerichtsstand"
für alle nichtvertraglichen Ansprüche und damit konturenlos werden dürfe). Der
Hinweis der Beschwerdeführerin auf die fremdsprachigen Fassungen dieser
Rechtsprechung ist unbehelflich, ergibt sich doch aus den Begriffen
"responsabilité", "liability" bzw. "responsabilità" nichts anderes.

2.4 Auch aus der in Art. 45 Abs. 2 URG statuierten Pflicht der
Verwertungsgesellschaften, die Verwertung nach festen Regeln und nach dem Gebot
der Gleichbehandlung zu besorgen, kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren
Gunsten ableiten. Dass sie aufgrund von Art. 3 GestG in nahezu allen Kantonen
der Schweiz klagen muss, um
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die Vergütungsansprüche gegenüber säumigen Nutzern durchzusetzen, mag zwar dem
Gebot der wirtschaftlichen Verwertung und dem Sinn und Zweck der Pauschalierung
in den Gemeinsamen Tarifen zuwiderlaufen. Dies lässt sich aber nur durch die
Einführung eines speziellen Gerichtsstands am Sitz der Verwertungsgesellschaft
verhindern. Eine örtliche Zuständigkeit gestützt auf Art. 25 GestG lässt sich
damit nicht begründen. Weiter ist nicht ersichtlich, wieso es den
Verwertungsgesellschaften unmöglich sein soll, die Verwertung nach dem Gebot
der Gleichbehandlung zu besorgen, wenn sie die Klage auf Leistung der Vergütung
am Wohnsitz des jeweiligen Beklagten einreichen müssen.

2.5 Das Obergericht hat nach dem Gesagten kein Bundesrecht verletzt, als es auf
die Klage der Beschwerdeführerin mangels örtlicher Zuständigkeit nicht eintrat.