Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 188



Urteilskopf

134 III 188

34. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Hilti
Aktiengesellschaft gegen Milwaukee Electric Tool Corporation (Beschwerde in
Zivilsachen)
4A_453/2007 vom 9. Januar 2008

Regeste

Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; Beschwerde gegen einen Vor- oder Zwischenentscheid
über eine Beweismassnahme im Bereich des Markenrechts. Ein nicht wieder
gutzumachender Nachteil im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss rechtlicher
Natur und damit auch mit einem für die Beschwerde führende Partei günstigen
Endentscheid nicht oder nicht vollständig behebbar sein (E. 2.1 und 2.2).
Vorliegen eines rechtlichen Mangels im konkreten Fall verneint (E. 2.3).

Sachverhalt ab Seite 189

BGE 134 III 188 S. 189
A. Die Hilti Aktiengesellschaft, Schaan/FL (Klägerin, Beschwerdeführerin) ist
Inhaberin der schweizerischen Farbmarke Rot (RAL 3020) CH 540 979 für
Werkzeugkoffer aus Kunststoff für Bohrhämmer für Profis der Baubranche
(internationale Klasse 20), die sie als durchgesetzte Marke beansprucht.
Ausserdem hält sie die internationale dreidimensionale Marke IR 805 947 (3D)
mit dem Farbanspruch rot (RAL 3020) für Metallkoffer (containers of metal for
storage and transport/Conteneurs métalliques de stockage et de transport) für
Handwerkzeug der Klassen 6, 7 und 20. Sie reichte am 2. September 2005 beim
Handelsgericht des Kantons Bern Klage ein gegen die Milwaukee Electric Tool
Corporation, Delaware/USA (Beklagte, Beschwerdegegnerin) mit den Begehren, der
Beklagten sei zu verbieten, in der Schweiz Bohrhämmer zusammen mit Koffern mit
einem unifarben in RAL 3020 gehaltenen Korpus selber oder durch Dritte Profis
der Baubranche anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder solche Koffer zu
bewerben. Die Beklagte erhob Widerklage mit dem Begehren, es sei festzustellen,
dass die schweizerische Schutzausdehnung der internationalen Marke IR 805 947
für sämtliche beanspruchten Waren und Dienstleistungen nichtig ist.

B. Am 1. Oktober 2007 erliess der Vizepräsident des Handelsgerichts des Kantons
Bern folgenden Beschluss:
"1. Als relevante Verkehrskreise werden die Käufer und potentiellen Käufer von
Bohrhämmern festgelegt.
2. Es werden zwei Umfragen, eine betreffend die Marke Rot für Koffer für
Bohrhämmer für Profis sowie eine für die Marke 'roter Koffer 3D', in der
Schweiz bei den relevanten Verkehrskreisen durchgeführt."
Zur Begründung von Ziffer 1 führte das Gericht aus, es sei für die Beurteilung
der massgeblichen Verkehrskreise nicht einfach auf die Einschränkung in der
Eintragung abzustellen, sondern diese seien danach zu umschreiben, welche
Käufer oder Kunden die "objektiviert normativ" definierten Produkte abnähmen.
Selbst wenn die Klägerin
BGE 134 III 188 S. 190
ihre Werkzeuge und damit auch die Koffer für Bohrhämmer über andere
Verkaufskanäle vertreibe, sei nicht ausgeschlossen, dass die Werkzeuge auch
durch Hobby-Handwerker erworben würden. Es müsse darauf abgestellt werden, wie
die Bohrhämmer insgesamt verkauft würden und entsprechend sei der massgebliche
Adressatenkreis zu definieren. Zu Ziffer 2 legte das Gericht dar, eine Umfrage
sei notwendig zur Beantwortung der Frage der Verkehrsdurchsetzung, wobei zwei
Umfragen durchzuführen seien, da eine Beeinflussung nicht ausgeschlossen werden
könne, wenn in einer einzigen Umfrage die Durchsetzung des roten Koffers wie
auch der abstrakten Frage der Farbe Rot für Koffer erhoben würde.

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 1. November 2007 stellt die
Beschwerdeführerin vor Bundesgericht das Rechtsbegehren, Ziffer 1 des
Beschlusses des Handelsgerichts des Kantons Bern vom 1. Oktober 2007 sei
aufzuheben und es seien als relevanter Verkehrskreis Personen in Bauunternehmen
(vorbereitende Baustellenarbeiten, Hoch- und Tiefbau, Bauinstallation, Ausbau-
und Bauhilfsgewerbe) festzulegen, welche für die gewerbliche Anwendung
geeignete Bohrhämmer beschaffen oder beschaffen könnten.
Die Beschwerdeführerin hält dafür, sie erleide durch den selbständig eröffneten
Vor- bzw. Zwischenentscheid einen rechtlichen Nachteil; eventuell sei ihre
Beschwerde auch ohne den Nachweis eines Nachteils rechtlicher Natur zulässig.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Selbständig eröffnete Vor- oder Zwischenentscheide können nach Art. 93 Abs.
1 lit. a BGG angefochten werden, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken können.

2.1 Ein im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht wieder gutzumachender
Nachteil muss nach der von sämtlichen Abteilungen des Bundesgerichts befolgten
Rechtsprechung rechtlicher Natur und somit auch mit einem für die Beschwerde
führende Partei günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behebbar
sein (BGE 133 III 629 E. 2.3 S. 632; BGE 133 IV 139 E. 4 S. 141, BGE 133 IV 335
E. 4 S. 338; BGE 133 V 645 E. 2.1 S. 647; Urteil 4A_85/2007 vom 11. Juni 2007,
E. 3.1). Dies entspricht der gesetzgeberischen Absicht, die für die
altrechtliche staatsrechtliche Beschwerde geltende Regelung auch für die neuen
Beschwerdeverfahren zu übernehmen (vgl. die Botschaft zur
BGE 134 III 188 S. 191
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4333 f. zu Art. 88 Entwurf).
Das Bundesgericht bezieht die bisherige konstante Praxis dazu mit ein (Urteil
4A_92/2007 vom 8. Juni 2007, E. 2). Nach der Rechtsprechung zu Art. 87 Abs. 2
OG genügt die blosse Möglichkeit eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils
rechtlicher Natur (BGE 126 I 97 E. 1b S. 100). Dabei ist es nicht nötig, dass
sich der Nachteil schon im kantonalen Verfahren durch einen günstigen
Endentscheid beheben lässt. Es reicht aus, wenn er in einem anschliessenden
bundesgerichtlichen Verfahren beseitigt werden kann (BGE 126 I 97 E. 1b S. 100
f.; BGE 117 Ia 251 E. 1 b S. 254, je mit Hinweis).

2.2 Der Beschwerdeführerin kann nicht gefolgt werden, wenn sie eine ausdehnende
Interpretation des erforderlichen Nachteils auch auf rein tatsächliche
Nachteile wie die Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens befürwortet.
Denn grundsätzlich soll sich das Bundesgericht nur einmal mit einem Fall
befassen müssen und diesen insgesamt beurteilen können (BGE 133 III 629 E. 2.1
S. 631 mit Hinweisen). Nur wenn prozessökonomische Gründe eine frühere
Befassung zwingend gebieten und mit der Öffnung des Rechtswegs der Trölerei
nicht grundsätzlich Vorschub geleistet wird, erscheint ein Zwischenverfahren
gerechtfertigt. Sofern die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen (sofort
möglicher Endentscheid gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG, vorweg zu bereinigende
gerichtsorganisatorische Fragen gemäss Art. 92 BGG) nicht vorliegen, ist daher
an der restriktiven Praxis festzuhalten. Es bedarf eines rechtlichen Nachteils,
der durch einen günstigen Entscheid in der Sache nicht mehr behoben werden
kann.

2.3 Der angefochtene Beschluss hat eine Beweismassnahme zum Gegenstand. Es
werden zwei demoskopische Gutachten angeordnet, die notorisch kostspielig und
regelmässig auch zeitaufwändig sind. Diese Nachteile sind jedoch grundsätzlich
rein tatsächlicher Art und daher nur im Rahmen der Voraussetzungen von Art. 93
Abs. 1 lit. b BGG, nicht jedoch nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG beachtlich. Dass
sodann - wie die Beschwerdeführerin vorbringt - mit der Verlängerung des
Verfahrens die nach ihrer Ansicht markenverletzenden Produkte der
Beschwerdegegnerin auf dem Markt weiterhin vertrieben werden und zu einer
Markt- oder Zuordnungsverwirrung führen können, ist nicht als rechtlicher
Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu qualifizieren. Denn zur
Verhinderung derartiger Nachteile steht das Massnahmeverfahren nach Art. 59
MSchG (SR 232.11)
BGE 134 III 188 S. 192
zur Verfügung. Dass die Beschwerdeführerin in diesem Verfahren mit ihren
Anträgen erfolglos blieb, vermag den Rechtsweg gegen Vor- oder
Zwischenentscheide im Hauptverfahren nicht zu öffnen. Schliesslich ist auch
entgegen der Ansicht der Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung nicht davon
auszugehen, dass eine allfällige Wiederholung von Umfragen nach allgemeiner
Erfahrung schon deshalb ausgeschlossen wäre, weil die früheren Befragungen bei
zum Teil gleichen Verkehrskreisen das Resultat beeinflussen könnten. Selbst
wenn teilweise dieselben Adressaten ein weiteres Mal befragt werden sollten,
ist weder anzunehmen, dass sich diese nach einer gewissen Zeit wesentlich von
der Fragestellung beeinflussen lassen, noch ist auszuschliessen, dass sich
durch andere Einflüsse ihre Sensibilität gegenüber dem in Frage stehenden
Produkt verändert hat. Soweit der Zeitpunkt der Umfrage für das Urteil nicht
von erheblicher Bedeutung ist, kann daher nicht angenommen werden, die
Beweismassnahme liesse sich im Falle eines für die Beschwerdeführerin günstigen
Endentscheides nicht wiederholen und die Beschwerde müsse deshalb behandelt
werden, weil sonst der Beweis vereitelt werden könnte.

2.4 Einen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erleidet die
Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Beschluss nicht.