Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 11



Urteilskopf

134 III 11

  2. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S.
Paritätische Berufskommission Bauhauptgewerbe Kanton Luzern gegen Y. AG
(Beschwerde in Zivilsachen)
  4A_256/2007 vom 8. November 2007

Regeste

  Geltungsbereich eines allgemeinverbindlich erklärten GAV (Art. 1 Abs. 1
AVEG).

  Voraussetzungen, unter denen ein ausländischer Betrieb, der zur Hauptsache
eine auf dem einheimischen Markt konkurrenzlose Tätigkeit anbietet, einem
allgemeinverbindlich erklärten GAV untersteht (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 11

  A.- Die Y. AG (Beschwerdegegnerin) ist eine ausländische Unternehmung,
deren Zweck gemäss Handelsregisterauszug ihrer schweizerischen
Zweigniederlassung der Bau von Wasser- und Abwasserleitungen, Erdgas- und
Ölleitungen, Strassenbau sowie weitere Tätigkeiten auf dem Gebiet der
Konstruktion und Wartung von Bauten und Anlagen ist. Im Rahmen eines
öffentlichen Ausschreibungsverfahrens im Frühjahr 1999 wurde sie von der B.
AG beauftragt, die Transitgasleitung des internationalen
Erdgastransportsystems in einem bestimmten Abschnitt neu zu erstellen. Einen
Teil der dafür notwendigen Tiefbauarbeiten vergab die Beschwerdegegnerin der
C.

AG und der D. AG. Auf Verlangen von nicht berücksichtigten Baufirmen und
Verbandsmitgliedern beauftragte die Paritätische Berufskommission
Bauhauptgewerbe Kanton Luzern (Beschwerdeführerin), ein Verein im Sinn von
Art. 60 ZGB, den Lohnbuchrevisor E. mit Lohnbuchkontrollen bei der
Beschwerdegegnerin. Am 15. Oktober 1999 reichte dieser einen ersten
Kontrollbericht ein, dem am 26. April 2000 eine erweiterte Lohnbuchkontrolle
folgte. Mit Beschluss vom 10. Oktober 2000 stellte die Beschwerdeführerin
gestützt auf die Lohnbuchkontrollen fest, dass die Beschwerdegegnerin ihren
Mitarbeitern von April bis November 1999 insgesamt Fr. 1'048'877.75 brutto
an geldwerten Leistungen vorenthalten sowie gegen verschiedene Bestimmungen
des Landesmantelvertrags für das Bauhauptgewerbe 1998-2000 (LMV 2000) vom
13. Februar 1998 verstossen haben soll, und auferlegte ihr eine
Konventionalstrafe in der Höhe von Fr. 786'000.- sowie die Kontroll-, Neben-
und Verfahrenskosten im Betrag von insgesamt Fr. 39'896.10.

  B.- Die Beschwerdegegnerin focht diesen Entscheid mit Klage vom 28.
Oktober 2000 beim Amtsgericht Luzern-Stadt an mit dem Begehren, der
Entscheid der Beschwerdeführerin sei aufzuheben und es sei festzustellen,
dass die Beschwerdegegnerin dem LMV 2000 nicht unterstehe. Mit Urteil vom
26. Juli 2006 wies das Amtsgericht Luzern-Stadt die Klage ab und bestätigte
den Entscheid der Beschwerdeführerin vom 10. Oktober 2000.

  C.- Die Beschwerdegegnerin erhob am 28. August 2006 Appellation und
beantragte dem Obergericht des Kantons Luzern, das Urteil des Amtsgerichts
Luzern-Stadt vom 26. Juli 2006 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass
die Beschwerdegegnerin dem LMV 2000 nicht unterstehe. Das Obergericht hiess
die Appellation mit Urteil vom 23. Mai 2007 gut.

  D.- Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 3. Juli 2007 beantragt die
Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Luzern vom 23. Mai 2007 sei aufzuheben und das Urteil des
Amtsgerichts Luzern-Stadt vom 26. Juli 2006 sei zu bestätigen. Sie rügt
insbesondere die Verletzung von Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 28.
September 1956 über die Allgemeinverbindlicherklärung von
Gesamtarbeitsverträgen (AVEG; SR 221.215.311).

  Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache
zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht vor, Art. 1 Abs. 1 AVEG
verletzt zu haben, als es zum Schluss kam, die Beschwerdegegnerin sei dem
LMV 2000 nicht unterstellt, weil es an einem direkten Konkurrenzverhältnis
fehle.

  2.1  Bei einem Branchen- bzw. Industrievertrag unterstehen diejenigen
Arbeitnehmer dem GAV, die in einem bestimmten Wirtschaftszweig tätig sind
(Urteil 4C.45/2002 vom 11. Juli 2002, E. 2.1.1). Die Frage, welchem
Wirtschaftszweig ein Unternehmen zuzurechnen ist, beantwortet sich nach der
Tätigkeit, die ihm das Gepräge gibt; entscheidend ist nicht der
Handelsregistereintrag, sondern die tatsächliche Tätigkeit (Urteile
4C.191/2006 vom 17. August 2006, E. 2.2; 4C.409/1995 vom 15. Mai 1996, E.
2b). Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit gilt der GAV für den ganzen Betrieb
und somit auch für berufsfremde Arbeitnehmer, wobei regelmässig gewisse
Funktionsstufen und besondere Anstellungsverhältnisse ausgenommen werden.
Allerdings kann ein Unternehmen mehrere Betriebe umfassen, welche
unterschiedlichen Branchen angehören, oder es können innerhalb ein und
desselben Betriebes mehrere Teile bestehen, welche eine unterschiedliche
Zuordnung rechtfertigen, weil sie eine genügende, auch nach aussen
erkennbare Selbständigkeit aufweisen. In diesen Fällen können dann auf die
einzelnen Teile des Unternehmens unterschiedliche Gesamtarbeitsverträge zur
Anwendung gelangen. Massgebliches Zuordnungskriterium bei einem
Industrievertrag ist somit die Art der Tätigkeit, die dem Betrieb oder dem
selbständigen Betriebsteil - und nicht dem Unternehmen als wirtschaftlichem
Träger allenfalls mehrerer Betriebe - das Gepräge gibt (Urteile 4C.45/2002
vom 11. Juli 2002, E. 2.1.1; 4C.350/2000 vom 12. März 2001, E. 3b).

  2.2  Gemäss Art. 1 Abs. 1 AVEG kann der Geltungsbereich eines zwischen
Verbänden abgeschlossenen Gesamtarbeitsvertrags auf Antrag aller
Vertragsparteien durch Anordnung der zuständigen Behörde auf Arbeitgeber und
Arbeitnehmer des betreffenden Wirtschaftszweiges ausgedehnt werden, die am
Vertrag nicht beteiligt sind. Die Allgemeinverbindlicherklärung will
einheitliche Mindestarbeitsbedingungen für die auf dem gleichen Markt
tätigen Unternehmen schaffen und damit verhindern, dass ein Unternehmen
durch schlechtere Arbeitsbedingungen einen Wettbewerbsvorteil erlangen kann
(Urteil 4C.45/2002 vom 11. Juli 2002, E. 2.2.2), der als unlauter gilt

(vgl. zu Art. 7 UWG [SR 241] etwa BAUDENBACHER/GLÖCKNER, in: Baudenbacher,
Lauterkeitsrecht, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
[UWG], N. 3 und 11 f. zu Art. 7 UWG). Es ist bei der
Allgemeinverbindlicherklärung in verfassungskonformer Auslegung von Art. 1
Abs. 1 AVEG darauf zu achten, dass direkte Konkurrenten in ihrer
Wirtschaftsfreiheit gleichmässig eingeschränkt werden und im
wirtschaftlichen Wettbewerb gleich lange Spiesse erhalten (vgl. Art. 28 und
94 Abs. 4 BV). Zum selben Wirtschaftszweig sind nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung Betriebe zu zählen, die zueinander insofern in einem direkten
Konkurrenzverhältnis stehen, als sie Erzeugnisse oder Dienstleistungen
gleicher Art anbieten (Urteile 4C.191/2006 vom 17. August 2006, E. 2.2;
4P.49/2006 vom 24. April 2006, E. 3.3; 4C.391/2001 vom 30. April 2002, E.
3.1; 4C.45/2002 vom 11. Juli 2002, E. 2.1.2; 4C.409/1995 vom 15. Mai 1996,
E. 2a).

  2.3  Beim LMV 2000 handelt es sich um einen Branchenvertrag (Urteil
4C.350/2000 vom 12. März 2001, E. 3a), den der Bundesrat mit Beschluss vom
10. November 1998 für allgemeinverbindlich erklärt hat (BBl 1998 S. 5643);
gemäss Art. 2 Abs. 5 des Beschlusses gelten bestimmte allgemeinverbindlich
erklärte Bestimmungen auch für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland. Nach den
Feststellungen der Vorinstanz bestand die Tätigkeit des Betriebsteils der
Beschwerdegegnerin in der Schweiz im Verlegen einer Erdgasleitung, im
Speziellen eines Teils der Erdgashochdruckleitung, die die Erdgasfelder
Nordeuropas mit Italien verbindet und auch der Erdgasversorgung der Schweiz
dient. Die Beschwerdegegnerin untersteht nach eigenen Angaben in ihrem
Heimatstaat dem Gesamtarbeitsvertrag des Metallgewerbes. Das Obergericht
hielt auf Grund der zu beurteilenden Tätigkeiten sowohl eine Unterstellung
des Betriebs unter den vom Bundesrat für allgemeinverbindlich erklärten
Landes-Gesamtarbeitsvertrag für das Metallgewerbe als auch eine
Unterstellung unter den LMV 2000 für denkbar. Es liess jedoch die Frage
offen, welcher GAV letztlich zur Anwendung kommt. Die Unterstellung unter
den LMV 2000 verneinte es mit der Begründung, die Beschwerdegegnerin stehe
mit keinem schweizerischen Betrieb in einem direkten Konkurrenzverhältnis,
da es in der Schweiz keine Unternehmung gebe, die über das erforderliche
technische Fachwissen für die Errichtung der nationalen Transitgasleitung
verfüge. Umfasse das Angebot des einheimischen Baugewerbes lediglich einen
Teilbereich des Pipelinebaus, gewissermassen in einer Hilfsfunktion, vermöge
es

mit dem Angebot der Beschwerdegegnerin in Bezug auf die Gesamtleistung nicht
zu konkurrieren, weshalb eine Unterstellung der Beschwerdegegnerin unter den
LMV 2000 nicht gerechtfertigt erscheine.

  2.4  Der Vorinstanz ist insoweit Recht zu geben, als ein Betrieb, der eine
auf dem einheimischen Markt konkurrenzlose Tätigkeit anbietet, mit Bezug auf
diese Tätigkeit keinem allgemeinverbindlich erklärten GAV untersteht, da ein
unlauterer Wettbewerbsvorteil gar nicht erlangt werden kann. Entgegen der
Ansicht der Vorinstanz führt dies jedoch nicht dazu, dass die Unterstellung
des Betriebs in jedem Fall ausgeschlossen ist. Führt das Unternehmen nämlich
neben der konkurrenzlosen Spezialtätigkeit Arbeiten aus, die auch von
anderen Unternehmen angeboten werden, und beschäftigt es insoweit auch nicht
spezialisierte Arbeitnehmer, ist eine Konkurrenzsituation zu bejahen. So
wird etwa in der Praxis ein Konkurrenzverhältnis auch angenommen, wenn eine
zunächst ausschliesslich für das eigene Personal zuständige Betriebskantine
beginnt, im Interesse einer besseren Auslastung Speisen an andere Kantinen
abzugeben (vgl. die Auskunft des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und
Arbeit [BIGA] vom 2. April 1970, publ. in: Arbeitsrecht und
Arbeitslosenversicherung [ARV] 1971 S. 21 f.). Der Zweck der
Allgemeinverbindlicherklärung, unlautere Wettbewerbsvorteile zu verhindern,
kann nur erreicht werden, wenn die Regeln des entsprechenden GAV
grundsätzlich von sämtlichen Anbietern auf einem bestimmten Markt
eingehalten werden müssen. Sobald daher ein Betrieb in nicht offensichtlich
untergeordnetem Umfang in einem Markt auftritt, für den ein
allgemeinverbindlich erklärter GAV gilt, kommen - unbesehen einer
konkurrenzlosen Spezialtätigkeit - die allgemeinen Grundsätze für die
Unterstellung zur Anwendung (vgl. oben E. 2.1). Die fehlende Konkurrenz auf
dem Gebiet der Spezialisierung hat allein zur Folge, dass die entsprechenden
Tätigkeiten ausser Betracht bleiben. Die Unterstellung unter einen
allgemeinverbindlich erklärten GAV ist damit ausschliesslich nach den
Tätigkeiten zu beurteilen, die von einem Unternehmen im Blick auf seine
Angebote am Markt - das heisst im Wettbewerb - ausgeübt werden; fallen diese
unter verschiedene Wirtschaftszweige, ist festzustellen, welche Aktivität
dem Betrieb bzw. dem Betriebsteil das Gepräge gibt. Das hat die Vorinstanz
verkannt, wenn sie wegen der konkurrenzlosen Spezialangebote unbesehen der
Leistungen, die die Beschwerdegegnerin in Konkurrenz mit Mitbewerbern anbot,
die Unterstellung unter den LMV 2000 verneinte.

  2.5  Nach den Feststellungen der Vorinstanz führte die Beschwerdegegnerin
über ihre konkurrenzlose Spezialtätigkeit im Rohrleitungsbau hinaus auch
Bauarbeiten aus, die von einheimischen Unternehmen ebenfalls angeboten
werden. Die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, dass diese Arbeiten ihrer
Art nach unter den LMV 2000 fallen. Den tatsächlichen Feststellungen im
angefochtenen Entscheid lässt sich jedoch nicht entnehmen, welchen Umfang
und welche Bedeutung diese Arbeiten im Vergleich zu allfälligen anderen
Tätigkeiten im Betrieb der Beschwerdegegnerin aufwiesen, mit denen sich
diese im Wettbewerb behaupten musste. Dem angefochtenen Entscheid lässt sich
auch nicht entnehmen, ob die fraglichen Bauarbeiten von Hilfskräften
ausgeführt wurden oder ob sie allenfalls von den Spezialisten selber
erbracht wurden. Träfe dies zu, weil sich die Arbeiten etwa nicht vernünftig
von den Spezialwissen erfordernden Aufgaben trennen lassen und
dementsprechend der Beizug nicht spezialisierter Arbeitskräfte für den
Betrieb unrentabel wäre, läge in Bezug auf diese Arbeiten grundsätzlich
keine direkte Konkurrenzsituation vor. Auf der Grundlage der Feststellungen
im angefochtenen Entscheid lässt sich nicht beurteilen, ob die Vorinstanz
die Unterstellung des Betriebs der Beschwerdegegnerin in der Schweiz unter
den allgemeinverbindlich erklärten LMV 2000 im Ergebnis zutreffend verneint
hat. Die Sache ist deshalb zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.