Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 V 575



Urteilskopf

133 V 575

  73. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Pensionskasse der Firma X. gegen I. sowie Verwaltungsgericht des Kantons Zug
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  B 7/07 vom 28. August 2007

Regeste

  Art. 6, Art. 13 Abs. 2 und Art. 17 BVG: Kinderrente bei vorzeitiger
Pensionierung.

  Auch bei vorzeitiger Pensionierung besteht im obligatorischen Bereich
Anspruch auf eine Kinderrente nach Art. 17 BVG (E. 3-6).

Sachverhalt ab Seite 575

  A.- I., geboren 1944, war bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung am 1.
Mai 2005 in einem Betrieb tätig, welcher berufsvorsorgerechtlich der
Pensionskasse der Firma X. angeschlossen war. Die Pensionskasse lehnte es
ab, ihm vor Erlangen des ordentlichen Rücktrittsalters von 65 Jahren im
Jahre 2009 nebst der unbestrittenen Altersrente auch Kinderrenten für die
1990 und 1991 geborenen Töchter auszurichten.

  B.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug hiess die von I. eingereichte
Klage mit Entscheid vom 30. November 2006 insofern gut, als es feststellte,
dass er gegenüber der Pensionskasse für seine beiden Töchter Anspruch auf
zwei Pensionierten-Kinderrenten habe, dies im Rahmen der
BVG-Mindestleistungen für den Zeitraum vom 1. Mai 2005 bis zum Erreichen der
Altersgrenze gemäss AHV-Gesetzgebung.

  C.- Die Pensionskasse wendet sich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
den kantonalen Entscheid und beantragt, die Klage sei vollständig
abzuweisen.

  I. lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) enthält sich in seiner
Vernehmlassung eines Antrages.

  D.- Am 28. August 2007 hat das Bundesgericht eine parteiöffentliche
Beratung durchgeführt.

  Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.

  3.1  Nach Art. 13 Abs. 1 BVG haben Männer (lit. a), die das 65. Altersjahr
und Frauen (lit. b), die das 62. Altersjahr (heute 64. Altersjahr gemäss
Art. 62a Abs. 1 BVV 2) zurückgelegt haben, Anspruch auf Altersleistungen.
Nach Art. 13 Abs. 2 BVG können die reglementarischen Bestimmungen der
Vorsorgeeinrichtung abweichend davon vorsehen, dass der Anspruch auf
Altersleistungen mit der Beendigung der Erwerbstätigkeit entsteht. In diesem
Fall ist der Umwandlungssatz (Art. 14) entsprechend anzupassen.

  3.2  Versicherte, denen eine Altersrente zusteht, haben für jedes Kind,
das im Falle ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf
eine Kinderrente in Höhe der Waisenrente (Art. 17 BVG). Der Kinderrente, die
teilweise den Ersatz des Einkommensbestandteils der im Erwerbsleben durch
den Arbeitgeber ausgerichteten Kinderzulagen bezweckt (SZS 2003 S. 432, E.
5b, B 25/00), kommt insofern akzessorischer Charakter zu, als sie nur zur
Ausrichtung gelangt, wenn Anspruch auf eine Altersrente besteht (BGE 121 V
104 E. 4c S. 107 mit Hinweis).

Erwägung 4

  4.

  4.1  Das kantonale Gericht bejaht den strittigen Anspruch im Wesentlichen
mit der Begründung, der zweite Teil des BVG (Art. 7 bis 47) enthalte nach
Art. 6 BVG Mindestvorschriften; dazu gehöre auch Art. 17 BVG. Umhüllende
Vorsorgeeinrichtungen hätten daher im Rahmen des obligatorischen Bereichs
sämtliche Leistungsarten vorzusehen, die das BVG vorschreibe. Dies treffe
insbesondere auch hinsichtlich des hier streitigen Anspruchs auf eine
Pensionierten-Kinderrente nach Art. 17 BVG zu. Gleiches gelte

auch bei einer vorzeitigen Pensionierung, da die in Art. 13 Abs. 2 BVG
statuierte Kann-Vorschrift, wonach die reglementarischen Bestimmungen der
Vorsorgeeinrichtung abweichend von Abs. 1 vorsehen können, dass der Anspruch
auf Altersleistungen mit der Beendigung der Erwerbstätigkeit entsteht, Teil
des Mindestvorschriften enthaltenden zweiten Teils des BVG sei und damit den
obligatorischen Bereich betreffe. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber
geltend, die gemäss ihrem Reglement an frühzeitig Pensionierte
ausgerichteten Leistungen hätten rein überobligatorischen Charakter, weshalb
erst mit Alter 65 ein Anspruch auf Kinderrente entstehe.

  4.2  Nach der Rechtsprechung sind im obligatorischen Bereich die
Mindestvorschriften des zweiten Teils des BVG zu beachten, wozu nicht nur
die Bestimmungen über die Leistungshöhe, sondern auch diejenigen über die
Leistungsarten gehören (BGE 121 V 104 E. 4a S. 106). Im genannten Entscheid
wurde daher bezüglich einer Invaliden-Kinderrente nach Art. 25 BVG
entschieden, dass die im obligatorischen und überobligatorischen Bereich
tätige Vorsorgeeinrichtung (umhüllende Kasse) ihrer Leistungspflicht nicht
genügt, wenn sie insgesamt Leistungen in Höhe der BVG-Mindestleistungen
erbringt. Daraus folgt unter anderem, dass umhüllende Vorsorgeeinrichtungen
im Rahmen des obligatorischen Bereichs sämtliche Leistungsarten vorzusehen
haben, die das BVG vorschreibt (BGE 121 V 104 E. 4b S. 106). An dieser
Rechtsprechung wurde - soweit ersichtlich - weder von der Lehre noch der
Praxis je Kritik geübt, sodass kein Grund besteht, davon abzuweichen.
Aufgrund der Systematik des Gesetzes und der akzessorischen Natur der
Kinderrente nach Art. 17 BVG gilt auch diese als eine vom BVG
vorgeschriebene Leistungsart, was dazu führt, dass das sog.
Anrechnungsprinzip (siehe dazu BGE 127 V 264 E. 4 S. 266) hier nicht zur
Anwendung gelangen kann.

Erwägung 5

  5.  Auch die bei (reglementarisch vorgesehener) vorzeitiger Pensionierung
auszurichtenden Leistungen können in den obligatorischen Bereich des BVG
gehören. Das BSV weist in seiner Stellungnahme vom 20. April 2007 darauf
hin, dass die ursprünglich vorgesehene Charakterisierung der
Altersleistungen aus vorzeitiger Pensionierung als weitergehende
(überobligatorische) Leistung (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die
berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 19. Dezember
1975, BBl 1976 I 227) vom Parlament ausdrücklich fallen gelassen wurde. Der

Berichterstatter wies darauf hin, dass nach der von der Ständeratskommission
beantragten Lösung der Vorbezug innerhalb des Obligatoriums möglich sein
soll. Der Beginn des Anspruchs soll zusammenfallen können mit der Beendigung
der Erwerbstätigkeit. Die fragliche Bestimmung wurde dann in der von der
Ständeratskommission vorgeschlagenen Fassung diskussionslos angenommen (vgl.
AB 1980 S 268 zu Art. 14). Aufgrund dieses klaren gesetzgeberischen Willens
steht fest, dass auch den vorzeitig bezogenen Altersleistungen
obligatorischer Charakter zukommen kann. Soweit in früheren Urteilen -
allerdings ohne nähere Begründung - davon ausgegangen wurde, es handle sich
dabei um weitergehende berufliche Vorsorge (vgl. Urteile des Eidg.
Versicherungsgerichts B 74/04 vom 28. Juni 2005, E. 2, und B 51/02 vom 13.
September 2002, E. 1), kann daran nicht festgehalten werden.

Erwägung 6

  6.

  6.1  Nach der Auffassung des BSV kann bei Altersleistungen aus vorzeitiger
Pensionierung indessen nur dann von obligatorischen Leistungen ausgegangen
werden, wenn im Reglement einerseits auf die Aufgabe der Erwerbstätigkeit
abgestellt und anderseits der Umwandlungssatz nach Art. 14 BVG an das
frühere als das gesetzliche Rentenalter angepasst wird. Unterbleibe im
Reglement diese Anpassung des Umwandlungssatzes, so handle es sich nicht um
den Vorbezug der BVG-Altersleistungen, sondern um das ordentliche
reglementarische Rücktrittsalter und somit um überobligatorische Leistungen.

  6.2  Diese Ansicht lässt sich mit dem in E. 4.2 zur umhüllenden
Vorsorgeeinrichtung Gesagten nicht vereinbaren. Sieht diese zwar
reglementarisch ein früheres Rücktrittsalter vor, unterlässt sie es aber -
wie im hier zu entscheidenden Fall - den Umwandlungssatz reglementarisch
anzupassen, hat dies nicht zur Folge, dass damit der Charakter der gesamten
Altersleistung ins Überobligatorische kippt und damit der Anspruch auf die
akzessorische Kinderrente vollständig entfällt. Eine solche
Betrachtungsweise würde insbesondere dem in E. 3.2 dargestellten Zweck der
Kinderrente nicht gerecht. Bei Lücken im Reglement der Beschwerdeführerin
trifft der Stiftungsrat nach Art. 30 des Reglementes eine dem Stiftungszweck
und dem Gesetz entsprechende Regelung. Im Sinne einer Schattenrechnung ist
daher die Mindest-Kinderrente gemäss BVG-Obligatorium aufgrund eines
angepassten Umwandlungssatzes (siehe dazu SZS 2002 S. 492, E. 3b, B 41/98)
zu berechnen. Da die Kinderrente

in der Höhe derjenigen der Waisenrente entspricht und letztere 20 % der
zuletzt ausgerichteten Altersrente beträgt (Art. 21 Abs. 2 BVG), kann
entsprechend der Mitteilung des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 7 vom
5. Februar 1988, Rz. 37, S. 5, der Rentenumwandlungssatz, der gemäss Art. 8
Abs. 2 des Reglementes der Beschwerdeführerin 6,8 % beträgt, für jedes Jahr
der vorzeitigen Pensionierung um 0,2 % abgesenkt werden. Auf 20 % der so
errechneten Altersrente hat der Beschwerdegegner unter dem Titel Kinderrente
im Rahmen der BVG-Mindestleistungen Anspruch, wie das kantonale Gericht
richtig erkannt hat.