Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 V 498



Urteilskopf

133 V 498

  61. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S.
gegen Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel sowie Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  H 203/06 vom 28. August 2007

Regeste

  Art. 5 Abs. 2 AHVG; Art. 7 lit. h AHVV; Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und
Art. 9 AHVG: Verwaltungsratshonorar.

  Das Verwaltungsratshonorar stellt nur dann und soweit massgebenden Lohn
dar, wenn es an den Mandatsträger selber bezahlt wird. Übt der
Verwaltungsrat seine Tätigkeit als Arbeitnehmer eines Dritten aus und wird
die Entschädigung für die Verwaltungsratstätigkeit diesem Dritten
ausbezahlt, so ist sie nicht massgebender Lohn des Verwaltungsrats, sondern
allenfalls Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit dieses Dritten, wenn
es sich um eine natürliche Person handelt (Änderung der Rechtsprechung
gemäss EVGE 1953 S. 275; E. 5).

Sachverhalt

  A.- Der 1940 geborene S. war seit 1997 Verwaltungsratspräsident der Firma
P. AG mit Sitz in X. 2001 bis 2003 bezog er für diese Tätigkeit ein Honorar
von netto Fr. 10'000.- im Jahr. Dazu kam ein Spesenersatz von Fr. 5'000.-.
Am 4. Januar 2004 schlossen die P. AG und die ebenfalls in X. domizilierte
Büro Dr. S. AG einen Dienstleistungsvertrag. Die Vereinbarung bestimmte im
Wesentlichen Folgendes:

   "1. Aufgaben

    Die P. AG überträgt und die Büro Dr. S. AG übernimmt im Rahmen der
    Geschäftstätigkeit der P. AG mit Wirkung ab Januar 2004 besondere
    Aufgaben im Bereich Promotion und Vermietung sowie die Leitung des
    Verwaltungsrates und weitere damit im Zusammenhang stehende Aufgaben.

    2. Honorierung

    2.1 Die P. AG vergütet der Büro Dr. S. AG pro Jahr eine Pauschale von
    CHF 15'000.00 inklusive der erforderlichen Reisespesen zuzüglich 7,6 %
    MWST.

    2.2 (...)

    (...)"

  Die Büro Dr. S. AG war seit 12. Januar 2004 im Handelsregister
eingetragen. Einziger Verwaltungsrat und Alleinaktionär der Gesellschaft war
S. Am 17. März 2004 stellte die Büro Dr. S. AG der P. AG "für die
Dienstleistungen durch Herrn Dr. S." für 2004 Rechnung in der Höhe von Fr.
16'140.- (Fr. 15'000.- [VR-Honorar] + Fr. 1'140.- [7,6 % MWST]). Mit Valuta
vom 22. März 2004 beglich die P. AG die Rechnung.

  Am 30. August 2005 führte die zuständige Ausgleichskasse des Basler
Volkswirtschaftsbundes bei der P. AG eine Arbeitgeberkontrolle durch. In der
Folge forderte sie von der Firma für 2001 bis 2004 paritätische und
FAK-Beiträge sowie Verzugszinsen in der Höhe von insgesamt Fr. 12'199.15
nach. Der Beitragspflicht unterworfen wurden u.a. die 2001 bis 2003 an S.
ausgerichteten Verwaltungsratshonorare sowie das im März 2004 der Büro Dr.
S. AG bezahlte Entgelt (ohne MWST) für dessen Dienstleistungen für 2004. Mit
Einspracheentscheid vom 1. Dezember 2005 bestätigte die Ausgleichskasse die
Beitragsforderung sowohl der P. AG als auch S. gegenüber.

  B.- Die Beschwerde des S. wies das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
nach Durchführung einer Hauptverhandlung in Anwesenheit der Parteivertreter
mit Entscheid vom 20. September 2006 ab.

  C.- S. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
der Entscheid vom 20. September 2006 sei aufzuheben.

  Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen auf einen Antrag verzichtet.

  Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.

  3.1
  3.1.1  Die Beiträge der erwerbstätigen Versicherten werden in Prozenten
des Einkommens aus unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit
festgesetzt (Art. 4 Abs. 1 AHVG). Vom Einkommen aus unselbständiger
Erwerbstätigkeit, im folgenden massgebender Lohn genannt, wird ein Beitrag
von 4,2 Prozent erhoben (Art. 5 Abs. 1 AHVG). Der Arbeitgeberbeitrag beträgt
4,2 Prozent der Summe der an beitragspflichtige Personen bezahlten
massgebenden Löhne (Art. 13 AHVG). Die Beiträge vom Einkommen aus
unselbständiger Erwerbstätigkeit sind bei jeder Lohnzahlung in Abzug zu
bringen und vom Arbeitgeber zusammen mit dem Arbeitgeberbeitrag periodisch
zu entrichten (Art. 14 Abs. 1 AHVG; Prinzip der Beitragserhebung an der
Quelle: BGE 114 V 65 E. 4c S. 71; AHI 1995 S. 149, E. 3b, H 8/94; EVGE 1966
S. 205 E. 1).

  Als Arbeitgeber gilt, wer obligatorisch versicherten Personen
Arbeitsentgelte gemäss Artikel 5 Absatz 2 ausrichtet (Art. 12 Abs. 1 AHVG).

  3.1.2  Als massgebender Lohn gilt jedes Entgelt für in unselbständiger
Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit (Art. 5 Abs.
2 erster Satz AHVG). Dazu gehören u.a. auch feste Entschädigungen und
Sitzungsgelder an die Mitglieder der Verwaltung und der geschäftsführenden
Organe, soweit sie nicht Unkostenentschädigungen darstellen (Art. 7 lit. h
AHVV).

  3.2  In mehreren, allerdings bereits älteren Urteilen hat das
Bundesgericht (damals noch Eidg. Versicherungsgericht) entschieden, dass das
Verwaltungsratshonorar auch dann massgebenden Lohn darstellt, wenn es nicht
an den Mandatsträger persönlich, sondern an eine natürliche oder juristische
Person bezahlt wird, zu deren Tätigkeitsbereich die Ausübung des Mandats
gehört (EVGE 1953 S. 275;

ZAK 1970 S. 28, H 20/69; Urteile H 144/74 vom 21. April 1975 und H 110/76
vom 11. August 1977).

Erwägung 4

  4.  In Anwendung der mit EVGE 1953 S. 275 begründeten Rechtsprechung sowie
des Prinzips der Beitragserhebung an der Quelle hat das kantonale Gericht
die streitige Beitragspflicht der P. AG auf den der Büro Dr. S. AG bezahlten
Fr. 15'000.- netto für die von dieser Firma durch den Beschwerdeführer als
ihr Arbeitnehmer erbrachten Dienstleistungen im Jahre 2004 (u.a. Leitung des
Verwaltungsrates und weitere damit im Zusammenhang stehende Aufgaben) im
Grundsatz bejaht. Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, er übe seine
Funktion im Verwaltungsrat der P. AG nicht persönlich, sondern für die Büro
Dr. S. AG im Rahmen des Dienstleistungsvertrages vom 4. Januar 2004 aus. Das
Honorar für seine Tätigkeit werde zwar der Büro Dr. S. AG entrichtet. Die
Zahlungen an juristische Personen fielen jedoch nicht unter die
Beitragspflicht, jedenfalls soweit keine Rechtsumgehungsabsicht bestehe. Im
Übrigen sehe Rz. 2033 der bundesamtlichen Wegleitung über den massgebenden
Lohn in der AHV, IV und EO (WML) u.a. für Fälle wie den vorliegenden eine
Ausnahme vom Beitragsbezug an der Quelle vor.

  Rz. 2033 WML in der vom 1. Januar bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen
Fassung bestimmt Folgendes: "Erhielt der Verwaltungsrat das Honorar nicht,
sondern erfolgte die Vergütung direkt an seinen Arbeitgeber, welchen er im
Verwaltungsrat der auszahlenden Gesellschaft vertritt, so hat die
auszahlende Gesellschaft über dieses Entgelt nicht abzurechnen (...)."
Gemäss der seit 1. Januar 2007 geltenden Fassung muss der
(Haupt-)Arbeitgeber seinen Sitz in der Schweiz haben und die Rechtsform
einer juristischen Person des privaten oder des öffentlichen Rechts
aufweisen.

Erwägung 5

  5.

  5.1  Nach der in E. 3.1 dargelegten gesetzlichen Regelung kann nur an
Unselbständigerwerbende massgebender Lohn ausgerichtet werden (vgl. EVGE
1957 S. 123 E. 4; 1953 S. 279 E. 2 am Anfang; vgl. auch DOMINIK BÜRGY/PHILIP
ROBINSON, Verwaltungsratshonorare im Spannungsfeld von Mehrwertsteuer und
AHV: Fehlqualifikation mit befremdlichen Folgen, in: StR 50/1995 S. 353).
Ein Arbeitgeber kann dieselbe Arbeit durch eigene von ihm entlöhnte
Angestellte ausführen lassen oder damit einen selbständigerwerbenden Dritten
oder - wie vorliegend - eine juristische Person beauftragen,

welche hiefür allenfalls eigene Arbeitnehmer einsetzt. Im zweiten Fall
stellt die an den Dritten geleistete Entschädigung für diese Tätigkeit nicht
massgebenden Lohn, sondern Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit nach
Art. 9 AHVG bzw., im Falle einer juristischen Person, überhaupt kein
beitragspflichtiges Einkommen dar. Dies gilt auch im Rahmen des Art. 7 lit.
h AHVV. Die Tätigkeit eines Verwaltungsrats weist zwar, wie bereits in EVGE
1953 S. 279 E. 2 dargelegt, in verschiedener Hinsicht Besonderheiten auf.
Vorab kann der Dritte nicht frei bestimmen, wer das Mandat ausübt. Der
Verwaltungsrat ist ein Organ der Aktiengesellschaft und wird von dieser nach
Massgabe der Statuten gewählt. Es kommt dazu, dass die Mandatsausübung im
Wesentlichen durch die aus dem Gesetz und den Statuten sich zwingend
ergebenden Rechte und Pflichten eines Verwaltungsrates, u.a. die Sorgfalts-
und Treuepflicht gemäss Art. 717 OR, bestimmt ist. Trotzdem ist es,
namentlich in Konzernverhältnissen, möglich und zulässig, dass der
Verwaltungsrat diese Funktion als Arbeitnehmer eines Dritten ausübt und in
gewissen Schranken auch diesem gegenüber weisungsgebunden ist (CLAUDIO
BAZZANI, Vertragliche Schadloshaltung weisungsgebundener
Verwaltungsratsmitglieder, Zürich 2007, S. 8 ff. mit zahlreichen Hinweisen).
Bezieht er von diesem Dritten Lohn als Arbeitnehmer, so ist dies
beitragspflichtiges Einkommen; würde die Entschädigung, welche die
Aktiengesellschaft dem Dritten ausrichtet, ebenfalls der Beitragspflicht
unterworfen, würde das Verwaltungsratshonorar im Ergebnis unzulässigerweise
doppelt belastet (vgl. EVGE 1953 S. 280 E. 2). Dass die aktienrechtliche
Verantwortlichkeit (Art. 754 OR) sowie die sozialversicherungsrechtliche
Schadenersatzpflicht (Art. 52 AHVG) beim Verwaltungsrat verbleiben,
unbekümmert darum, ob die Ausübung des Mandats zum Geschäftsbereich eines
selbständigen Dritten gehört (Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H
217/02 vom 23. Juni 2003, E. 5.3, und H 37/00 vom 21. November 2000, E. 3a),
ändert nichts daran, dass nach der gesetzlichen Konzeption lediglich das
persönlich an den Verwaltungsrat ausbezahlte Honorar massgebenden Lohn im
Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG darstellen kann.

  Aufgrund des Vorstehenden trifft die Aussage in ZAK 1970 S. 29, E. 2, H
20/69, wonach Lohn im Sinne des Art. 5 Abs. 2 AHVG grundsätzlich jeder
Personalaufwand einer Firma ist, der von ihr aus betrachtet Vergütung für in
unselbständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt, in dieser allgemeinen
Form nicht zu.

  5.2  Die Rechtsprechung gemäss EVGE 1953 S. 275 und ZAK 1970 S. 28 beruht
somit auf einer systemwidrigen Rechtsauffassung und ist daher aufzugeben
(vgl. zu den Voraussetzungen für eine Praxisänderung BGE 132 V 257 E. 2.4 S.
262 mit Hinweisen). Das Verwaltungsratshonorar stellt nur dann und soweit
massgebenden Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG und Art. 7 lit. h AHVV
dar, wenn es an den Mandatsträger persönlich bezahlt wird. Übt hingegen der
Verwaltungsrat seine Tätigkeit als Arbeitnehmer eines Dritten aus und wird
die Entschädigung für die Verwaltungsratstätigkeit diesem Dritten
ausbezahlt, so ist sie nicht massgebender Lohn des Verwaltungsrats, sondern
allenfalls Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit dieses Dritten (wenn
es sich um eine natürliche Person handelt). Der Lohn, den der Verwaltungsrat
für seine Tätigkeit als Arbeitnehmer des Dritten erhält, ist seinerseits
Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit. Allfälligen Missbräuchen
etwa in dem Sinne, dass das Honorar dem Verwaltungsrat in Form einer
beitragsfreien Dividende weitergegeben wird, ist im Beitragsverhältnis AHV/
Dritter unter Berücksichtigung steuerrechtlicher Grundsätze zu begegnen.

  Im dargelegten Sinne ist Rz. 2033 WML gesetzmässig. Offenbleiben kann, ob
diese Verwaltungsweisung (vgl. zu deren Verbindlichkeit BGE 132 V 121 E. 4.4
S. 125, 321 E. 3.3 S. 324) lediglich für Konstellationen nach Art. 707 Abs.
3 OR gilt, wie die Ausgleichskasse in der vorinstanzlichen Vernehmlassung
geltend machte. Nach dieser Bestimmung ist eine an der Gesellschaft
beteiligte juristische Person oder eine Handelsgesellschaft als solche nicht
als Mitglied des Verwaltungsrates wählbar; dagegen können an ihrer Stelle
ihre Vertreter gewählt werden. Es änderte nichts am Ergebnis. Ebenfalls
stellt sich die Frage der doppelten Beitragserhebung bei der
Aktiengesellschaft und beim Arbeitgeber des Verwaltungsrates, an welchen das
Honorar für die Mandatsausübung ausbezahlt werden, nicht (vgl. EVGE 1953 S.
280 E. 3 und ZAK 1970 S. 29, E. 3b, H 20/69). Schliesslich braucht nicht
geprüft zu werden, inwieweit die mit Fr. 16'140.- ("Pauschale von CHF
15'000.00 inklusive die erforderlichen Reisespesen zuzüglich 7,6 % MWST"
gemäss Ziff. 1 des Dienstleistungsvertrages vom 4. Januar 2004) entschädigte
Tätigkeit in direktem Zusammenhang mit dem Verwaltungsmandat stand oder
ebenso gut losgelöst davon hätte erfolgen können (vgl. BGE 105 V 113 E. 3 S.
114; ZAK 1983 S. 23, H 136/81; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H
125/04 vom 7. März 2005, E. 7.1).