Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 I 156



Urteilskopf

133 I 156

  18. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
A.X. gegen Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
(Staatsrechtliche Beschwerde)
  2P.276/2005 / 2P.314/2006 vom 7. Mai 2007

Regeste

  Art. 19 und 62 Abs. 2 BV; Art. 27 Abs. 2 aBV; Art. 8, 11, 27 Abs. 2 und
Art. 41 Abs. 1 lit. f BV; Art. 13 Abs. 2 UNO-Pakt I; Art. 28 Abs. 1 der
Kinderrechtekonvention; Übernahme der Transportkosten für den Besuch des
Untergymnasiums.

  Der bundesverfassungsrechtliche Anspruch auf Unentgeltlichkeit des
Grundschulunterrichts erstreckt sich - trotz gegenüber der bisherigen
Bundesverfassung geänderter Terminologie ("Grundschulunterricht" statt
"Primarunterricht") - grundsätzlich nicht auch auf den Unterricht an
(staatlichen) Untergymnasien, wiewohl dieser noch in die obligatorische
Schulzeit fällt; keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Kantone, die
notwendigen Transportkosten für den Besuch des Untergymnasiums (vollständig)
zu übernehmen (E. 3).

Sachverhalt

  A.X., wohnhaft in Udligenswil/LU, besuchte im Schuljahr 2004/2005 die
erste Klasse des Untergymnasiums an der Kantonsschule Luzern. Die Kosten für
das während dieser Zeit für den Schulweg (Udligenswil - Luzern) benötigte
Busabonnement beliefen sich auf Fr. 612.-, woran sich die Gemeinde
Udligenswil mit Fr. 320.- beteiligte. Ein Gesuch von A.X. um Übernahme des
Restbetrages von Fr. 292.- wies das Bildungs- und Kulturdepartement des
Kantons Luzern am 10. März 2005 ab. Eine dagegen erhobene
Verwaltungsbeschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Luzern mit
Entscheid vom 30. August 2005 ab.

  Gegen diesen regierungsrätlichen Beschwerdeentscheid erhob A.X. sowohl
(kantonale) Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern als auch staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht
(Verfahren 2P.276/2005).

  Mit Urteil vom 24. Oktober 2006 trat das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern auf die bei ihm erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein mit
der Begründung, es fehle an einem diesen

Rechtsmittelweg öffnenden Rechtsanspruch auf Vergütung der Kosten des
Schulweges für einen Schüler des Untergymnasiums.

  Mit Eingabe vom 24. November 2006 erhebt A.X. beim Bundesgericht auch
gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2006
staatsrechtliche Beschwerde (Verfahren 2P.314/2006) mit den Anträgen, das
angefochtene Urteil aufzuheben und den Kanton Luzern, eventualiter die
Gemeinde Udligenswil, zu verpflichten, ihm bzw. seinen Eltern "bis zur
Erfüllung der obligatorischen Schulzeit die im Zusammenhang mit dem Besuch
des Untergymnasiums in Luzern bereits entstandenen und noch entstehenden
Transportkosten rückwirkend und in Zukunft vollumfänglich zu vergüten".

  Das Bundesgericht tritt auf die gegen den regierungsrätlichen Entscheid
gerichtete staatsrechtliche Beschwerde (2P.276/2005) mangels Erschöpfung des
Instanzenzuges nicht ein; jene gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
(2P.314/2006) weist es ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.

  3.1  Art. 19 BV gewährleistet als Grundrecht einen Anspruch auf
ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht (BGE 129 I 12 E. 4.1
S. 16, 35 E. 7.2 S. 38). Nach Art. 62 Abs. 1 und Abs. 2 BV sorgen die für
das Schulwesen zuständigen Kantone für einen ausreichenden, allen Kindern
offenstehenden und an öffentlichen Schulen unentgeltlichen obligatorischen
Grundschulunterricht (vgl. Abs. 2 in der diesbezüglich unverändert
gebliebenen Fassung vom 16. Dezember 2005, in Kraft seit 21. Mai 2006 [AS
2006 S. 3033; vgl. den betreffenden Bericht der zuständigen
nationalrätlichen Kommission, in: BBl 2005 S. 5479, 5521, zu Absatz 2]). Die
Anforderungen, die Art. 19 BV an den obligatorischen Grundschulunterricht
stellt ("ausreichend"), belassen den Kantonen einen erheblichen
Gestaltungsspielraum. Die Ausbildung muss aber auf jeden Fall für den
Einzelnen angemessen und geeignet sein (BGE 117 Ia 27 E. 6a) und genügen, um
die Schüler angemessen auf ein selbstverantwortliches Leben im modernen
Alltag vorzubereiten; dies bedingt auch eine Mindestdauer der Schulpflicht,
welche die Kantone auf neun Jahre festgelegt haben (vgl. Art. 2 lit. b des
Konkordates vom 29. Oktober 1970 über die Schulkoordination [Systematische
Rechtssammlung des Kantons Luzern/SRL Nr. 401]). Der Unterricht muss
grundsätzlich am Wohnort der Schüler erteilt werden;

die räumliche Distanz zwischen Wohn- und Schulort darf den Zweck der
ausreichenden Grundschulausbildung nicht gefährden (BGE 129 I 12 E. 4.2 S.
16, 35 E. 7.3 S. 38). Aus der in Art. 19 BV verankerten Garantie ergibt sich
daher auch ein Anspruch auf Übernahme der Transportkosten, wenn der Schulweg
wegen übermässiger Länge oder Gefährlichkeit dem Kind nicht zugemutet werden
kann (Urteile des Bundesgerichts 2P.101/2005 vom 25. Juli 2005, E. 3.1 und
2P.101/2004 vom 14. Oktober 2004, publ. in: ZBl 106/2005 S. 430 ff., E. 3.1
mit Hinweisen).

  3.2  Vorliegend ist umstritten, ob unter den Begriff
"Grundschulunterricht", wie er in Art. 19 BV verwendet wird, auch der
Unterricht an einem Untergymnasium zu subsumieren ist, was grundsätzlich zur
Konsequenz hätte, dass auch für diese Stufe an öffentlichen Schulen die
Garantie der Unentgeltlichkeit zum Tragen käme.

  Vorauszuschicken ist, dass der hier in Frage stehende untergymnasiale
Unterricht zwar Teil der Mittelschule bildet und der betreffende Stoff
organisatorisch an einer solchen Bildungseinrichtung (Kantonsschule)
vermittelt wird, jedoch noch die Zeit der (neunjährigen) obligatorischen
Schulpflicht (7.-9. Klasse, sog. Sekundarstufe I) betrifft.

  3.3  Die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 garantierte in Art. 27 Abs. 2
lediglich die Unentgeltlichkeit des "Primarunterrichts" ("instruction
primaire", "istruzione primaria") an öffentlichen Schulen. Unter diese
Garantie fiel der Schulbesuch während der gesamten obligatorischen
Schulpflicht (vgl. MARCO BORGHI, in: Kommentar aBV, Rz. 29 sowie Rz. 53 f.
zu Art. 27 aBV), wobei dazu in jüngerer Zeit neben den Primarschulen (in
höheren Schulklassen auch etwa Real- oder Oberschulen genannt) auch die
Sekundarschulen (Bezirksschulen etc.) gezählt wurden (vgl. HERBERT PLOTKE,
Die Bedeutung des Begriffes Grundschulunterricht in Art. 19 und in Art. 62
Abs. 2 der Bundesverfassung, in: ZBl 106/2005 S. 556; derselbe,
Schweizerisches Schulrecht, 1. Aufl., Bern 1979, S. 92). Nicht zum
Primarunterricht im umschriebenen Sinne gehörte hingegen der Unterricht an
Mittelschulen, und zwar auch dann nicht, wenn er noch die obligatorische
Schulzeit betraf (vgl. PLOTKE, Schulrecht, 1. Aufl., a.a.O., S. 92;
Entscheid des Bundesrates vom 14. August 1991, publ. in: VPB 57/1993 Nr. 42
S. 345, E. 3.1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 103 Ia 394 E. 2a S. 398).
Weitergehende Ansprüche konnten sich diesbezüglich aus dem kantonalen Recht
ergeben, wie

beispielsweise aus Art. 29 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Bern vom 6.
Juni 1993, dessen Tragweite sich auf alle Schulen innerhalb der
obligatorischen Schulzeit (und damit auch auf Untergymnasien) erstreckt
(vgl. BGE 129 I 12 E. 5 S. 17 f.).

  3.4  Die geltende Bundesverfassung verwendet im Unterschied zu Art. 27
Abs. 2 aBV nicht mehr den Begriff des "Primarunterrichts", sondern sowohl in
Art. 19 BV als auch in Art. 62 Abs. 2 BV jenen des "Grundschulunterrichts"
("enseignement de base", "istruzione scolastica di base"). Das
Verwaltungsgericht kommt im angefochtenen Urteil zum Ergebnis, trotz dieser
terminologischen Anpassung fänden sich in der Entstehungsgeschichte von Art.
19 BV und Art. 62 BV keine Anhaltspunkte dafür, dass das Parlament den
Geltungsbereich der Garantie des unentgeltlichen Schulunterrichtes (und
damit des Schülertransportes) auf die Untergymnasien habe ausdehnen wollen,
weshalb sich daraus kein Anspruch auf Übernahme der streitigen
Transportkosten ableiten lasse. Auch aus anderen Verfassungsbestimmungen und
staatsvertraglichen Garantien ergebe sich keine solche Verpflichtung. In
seinem Entscheid vom 30. August 2005 hatte bereits der Regierungsrat
festgehalten, dass im kantonalen Recht eine gesetzliche Grundlage fehle,
welche den Kanton oder die Gemeinden zur Übernahme der Transportkosten an
ein Untergymnasium bei unzumutbarem Schulweg verpflichten würde, was in der
Folge unbestritten blieb. Hingegen macht der Beschwerdeführer eine
Verletzung von Art. 19 BV geltend, welche er darin erblickt, dass diese
Bestimmung einen Anspruch auf unentgeltlichen Unterricht auch an
Untergymnasien gewähre, womit der Kanton entgegen der im angefochtenen
Urteil vertretenen Auffassung zur (vollständigen) Übernahme der
Transportkosten verpflichtet sei.

  3.5
  3.5.1  Bereits der der Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20.
November 1996 zugrunde liegende Entwurf, welcher den Grundsatz der
Unentgeltlichkeit einzig bei den die Kompetenzverteilung zwischen Bund und
Kantonen regelnden Verfassungsnormen verankerte, ohne dieses "kleine
Sozialrecht" mit justiziablem Gehalt auch im Katalog der Grundrechte
aufzuführen, verwendete den Terminus "Grundschulunterricht" (Art. 78 Abs. 2
Entwurf). Der Botschaft lässt sich nichts Näheres zu diesem Begriff und
namentlich dazu entnehmen, ob die damit verknüpften Grundsätze
(ausreichender, obligatorischer, staatlicher Leitung oder Aufsicht
unterstellter, an öffentlichen Schulen unentgeltlicher Grundschulunterricht)
im

Vergleich zu Art. 27 Abs. 2 aBV eine erweiterte Tragweite erhalten (vgl. die
genannte Botschaft, BBl 1997 I 1 ff., S. 277 f., zu Art. 78). Allerdings
wird - was mit Blick auf den der Totalrevision als Leitlinie zugrunde
liegenden Nachführungsauftrag (Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 3. Juni
1987, BBl 1987 II 963) von Bedeutung sein mag - auch nicht angemerkt, die
terminologisch veränderte Bestimmung gehe materiell über den im Schulbereich
bis anhin verfassungsrechtlich gebotenen Minimalstandard hinaus. Im Rahmen
der parlamentarischen Beratung wurde die erwähnte, von ihrer systematischen
Einordnung her lediglich die Kantone verpflichtende Kompetenznorm mit
geringfügigen Änderungen übernommen (Art. 62 Abs. 2 BV) und durch eine den
individualrechtlichen Gehalt zum Ausdruck bringende Verfassungsbestimmung im
Grundrechtsteil ergänzt (Art. 19 BV), wobei zur Umschreibung des
Schutzbereichs wiederum der Ausdruck "Grundschulunterricht" Verwendung fand.
Inhaltlich setzten sich die Eidgenössischen Räte im Plenum indessen mit
diesem Begriff nicht näher auseinander (vgl. AB 1998 N, Separatdruck, S. 206
ff. sowie S. 294 ff.; AB 1998 S, Separatdruck, S. 72 sowie S. 157). Einzig
der ständerätliche Berichterstatter führte in Bezug auf die grundrechtliche
Verankerung des Anspruches auf Grundschulunterricht aus:
"Grundschulunterricht ist gleichbedeutend mit obligatorischer Schulzeit, und
was als ausreichender obligatorischer Schulunterricht gilt, wird demzufolge
durch die Kantone festgelegt" (AB 1998 S, Separatdruck, S. 157, Votum
Inderkum). Diese Aussage wurde in der Folge jedoch nicht näher diskutiert
(vgl. zu deren Stellenwert auch PLOTKE, Grundschulunterricht, a.a.O., S.
558, insbesondere Fn. 15). Dass das Parlament im Rahmen seiner Beratungen
weitergehende Anträge - so die Einführung eines Anspruches von Jugendlichen
auf eine (unentgeltliche) berufliche Ausbildung oder auf unentgeltlichen
Unterricht auch an Privatschulen - abgelehnt hat unter Hinweis darauf, dass
sie über die Nachführung hinausgehen würden (vgl. AB 1998 N, Separatdruck,
S. 207 f., Voten Pelli, Hubmann und Koller, S. 298, Votum Koller), lässt
darauf schliessen, dass auch mit dem Ersatz des Begriffes "Primarunterricht"
durch jenen des "Grundschulunterrichts" keine gegenüber der vormaligen
Bundesverfassung erweiterten Ansprüche geschaffen werden sollten. Vielmehr
dürfte der Grund für die Bevorzugung des Ausdrucks "Grundschulunterricht"
darin liegen, dass dieser Begriff im kantonalen Schulrecht nicht für einen
bestimmten Schultyp verwendet wird (vgl. auch PLOTKE, Grundschulunterricht,
a.a.O.,

S. 556 f.; derselbe, Schweizerisches Schulrecht, 2. Aufl., Bern 2003, S.
103), wogegen der Begriff "Primar(schul)unterricht" insofern
missverständlich erscheint, als er - in einem engeren Sinne ausgelegt -
lediglich den Unterricht auf der Primarstufe (1.-6. Klasse) bezeichnet,
welcher an Schulen stattfindet, die die Kantone gemeinhin "Primarschulen"
nennen. Auf diese Weise (miss-)verstanden, würde die Garantie lediglich
einen Teil der gemäss kantonalem Recht üblicherweise neunjährigen
Schulpflicht abdecken, unter Ausklammerung des Unterrichts auf der Oberstufe
(7.-9. Klasse) an Real- und Sekundarschulen, was hinter die
Rechtswirklichkeit zum bisherigen Art. 27 Abs. 2 aBV zurückfallen würde. Des
Weiteren stimmt Art. 19 BV damit begrifflich mit der diesem Sozialrecht
verwandten Garantie von Art. 13 Abs. 2 lit. a des Internationalen Pakts vom
16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
(UNO-Pakt I; SR 0.103.1) überein, welche - wenn auch nur in der (nicht
offiziellen) deutschsprachigen Übersetzung - ebenfalls von der
Unentgeltlichkeit des "Grundschulunterrichts" spricht.

  3.5.2  Auch die Lehre scheint Art. 19 BV mehrheitlich im bisherigen Sinne
auslegen zu wollen, indem sie (ohne weitere Begründung) auf die
Rechtsprechung und Doktrin zu Art. 27 Abs. 2 aBV Bezug nimmt (so etwa REGULA
KÄGI-DIENER, in: St. Galler Kommentar, Rz. 11 zu Art. 19 BV; GERHARD
SCHMID/MARKUS SCHOTT, in: St. Galler Kommentar, Rz. 13 f. zu Art. 62 BV;
ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL HOTTELIER, Droit constitutionnel
suisse, Bd. II, 2. Aufl., Bern 2006, S. 685 ff.; REGINA KIENER, Bildung,
Forschung und Kultur, in: Daniel Thürer/Jean-François Aubert/Jörg Paul
Müller [Hrsg.], Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, § 57 Rz. 7), den
Gehalt der Bestimmung im bisherigen Sinne umschreibt (REGINA KIENER/WALTER
KÄLIN, Grundrechte, Bern 2007, S. 388) oder eine weitergehende Tragweite
verneint (PASCAL MAHON, in: Jean-François Aubert/Pascal Mahon, Petit
commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18
avril 1999, Zürich 2003, Rz. 6 f. zu Art. 19 BV, insbesondere Fn. 15, unter
Hinweis auf Kommissionsprotokolle). Andere Stimmen werfen die Frage eines
erweiterten Geltungsbereichs auf, ohne sie abschliessend zu beantworten (so
ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht,  6. Aufl.,
Zürich 2005, N. 928 f.), oder befürworten - in völkerrechtskonformer
Interpretation (insbesondere im Lichte von Art. 13 Abs. 2 lit. b UNO-Pakt I)
- auch den Einschluss verschiedener Formen des höheren Schulwesens (RENÉ
RHINOW, Grundzüge des Schweizerischen

Verfassungsrechts, Basel 2003, S. 545, Rz. 3103 ff.). HERBERT PLOTKE,
welcher sich als vom Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren beigezogener
Gutachter eingehend mit der vorliegenden Problematik befasst hat, kommt zum
Ergebnis, Art. 19 und Art. 62 Abs. 2 BV und damit auch das Gebot der
Unentgeltlichkeit des Schulunterrichts komme bei jenen Klassen der
Mittelschulen zur Anwendung, die in die Jahre der Elementarschulpflicht
fallen (vgl. PLOTKE, Grundschulunterricht, a.a.O., S. 566), eine Auffassung,
welche der Autor bereits zuvor in der Neuauflage seiner Monografie zum
Schulrecht vertreten hat (PLOTKE, Schulrecht, 2. Aufl., a.a.O., S. 103, 185
ff., 190). Der im Gutachten eingenommene Standpunkt findet seine Begründung
jedoch nicht (bzw. nicht in erster Linie) in der Entstehungsgeschichte der
erwähnten beiden Verfassungsbestimmungen oder entsprechenden, in diese
Richtung zielenden Präjudizien (vgl. PLOTKE, Grundschulunterricht, a.a.O.,
S. 557-559), sondern beruht primär auf einer Auslegung, welche Art. 19 und
Art. 62 Abs. 2 BV ins Verhältnis zu anderen Verfassungsnormen (Grundrechte
und Sozialziele) setzt (ebenda, S. 562 ff.).

  3.5.3  Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Wille des
Verfassungsgebers, über eine blosse Weiterführung der bisherigen Rechtslage
hinauszugehen, indem auch der Unterricht an (öffentlichen) Untergymnasien in
den Geltungsbereich des Gebots der Unentgeltlichkeit des Schulunterrichts im
Sinne von Art. 19 bzw. Art. 62 Abs. 2 BV einbezogen wird, trotz der
gegenüber Art. 27 Abs. 2 aBV veränderten Terminologie
("Grundschulunterricht") nicht belegt erscheint. In diesem Sinne wurde Art.
19 BV bereits in BGE 129 I 35 E. 7.4 S. 39 ausgelegt (wenn auch nicht in
entscheidrelevantem Zusammenhang). Auch die Lehre geht in ihrer Mehrheit
nicht (oder jedenfalls nicht ausdrücklich) davon aus, dass die Tragweite der
neuen Verfassungsbestimmungen diesbezüglich erweitert worden sei.

  3.6  Zu untersuchen bleibt, ob Art. 19 BV allenfalls aus anderen, nicht in
seiner Entstehungsgeschichte liegenden Gründen in dem Sinne auszulegen ist,
dass die darin verbürgte Unentgeltlichkeit des Grundschulunterrichts auch
für den untergymnasialen Unterricht Geltung beanspruchen müsste.

  3.6.1  Erklärungsbedürftig im Zusammenhang mit der Tragweite von Art. 19
BV erscheint die vom Beschwerdeführer als rechtsungleiche Behandlung gerügte
Unterscheidung zwischen den verschiedenen Schularten der Oberstufe
(Sekundarstufe I, 7.-9. Klasse) -

d.h. den öffentlichen Volksschulen (Real- und Sekundarschulen) einerseits,
welche als "Grundschulen" von der Unentgeltlichkeit erfasst werden, und den
von dieser Garantie ausgeklammerten Untergymnasien andererseits - insofern,
als beide gleichermassen die Zeit des obligatorischen Schulunterrichts
betreffen und die Unentgeltlichkeit doch als notwendiges Korrelat für das
allgemeine Schulobligatorium angesehen wird. Eine differenzierte Behandlung
lässt sich indessen insofern rechtfertigen, als es sich beim
untergymnasialen Unterricht nicht bloss um eine (neben der Real- und
Sekundarschule) dritte, qualifiziertere Variante schulischer Oberstufe
handelt, welche die Vermittlung einer Elementarschulbildung zum Ziel hat und
mit dem Ende der Schulpflicht ihren Abschluss erfährt. Vielmehr soll das
Untergymnasium (oder äquivalente Schulen nach der Terminologie anderer
Kantone) als lediglich erster, bei Entlassung aus der Schulpflicht noch
unvollendeter Teil der gymnasialen Ausbildung (nach dem Modell eines sog.
Langzeitgymnasiums) mit der Maturität die Hochschulreife herbeiführen. Die
Mittelschule als Ganzes steht damit auf gleicher Stufe mit einer an die
Volksschule anschliessenden beruflichen Ausbildung. Auch in Bezug auf den
Lehrplan unterscheidet sich der untergymnasiale Unterricht vom Unterricht an
den Volksschulen gleicher Stufe, da häufig Fächer angeboten oder in einer
Tiefe behandelt werden, welche über das im Rahmen einer elementaren
Schulbildung zu Vermittelnde hinausgehen (z.B. Lateinunterricht).

  3.6.2  Die Betrachtungsweise des Beschwerdeführers, wonach eine
Ausklammerung der gesamten Mittelschule aus dem Grundschulunterrichtsbereich
bei Schülern des Untergymnasiums zur Konsequenz hätte, dass deren
Grundausbildung bereits nach vier bis sechs Jahren als abgeschlossen
anzusehen wäre, was dem Rechtsgleichheitsgebot zuwiderlaufe, geht damit an
der Sache vorbei. Wohl ist die Vermittlung des elementaren Schulstoffs nach
einem Übertritt von der Primarstufe ins Untergymnasium nicht vollendet und
befinden sich die betreffenden Schüler nach wie vor in der (grundsätzlich
für alle Kinder und Jugendlichen gleich zu bemessenden) obligatorischen
Schulzeit. Die Wissensvermittlung an Untergymnasien erschöpft sich jedoch
wie erwähnt nicht im Grundschulstoff, sondern geht (als weiterführende
Schule) darüber hinaus. Ein Kanton kommt seiner verfassungsrechtlichen
Pflicht zur Gewährung eines ausreichenden und unentgeltlichen
Grundschulunterrichts während der obligatorischen Schulzeit nach, wenn er
einen solchen an einer

Volksschule anbietet. Es kann einem an einer Gymnasialausbildung
interessierten Schüler in der Regel zugemutet werden, die obligatorische
Schulzeit statt am Untergymnasium an einer Sekundarschule zu verbringen,
ohne dass von einem nicht mehr seinen Fähigkeiten entsprechenden
angemessenen oder "ausreichenden" schulischen Unterricht im Sinne von Art.
19 BV gesprochen werden müsste. Da zur Erlangung der (kantonalen) Maturität
auch das sog. Kurzzeitgymnasium besucht werden kann, welches an die
Sekundarstufe I anschliesst und damit den Besuch des unentgeltlichen
Grundschulunterrichts an der Volksschule während der gesamten Dauer der
obligatorischen Schulpflicht ermöglicht, erscheint die fehlende (umfassende)
Unentgeltlichkeit des Unterrichts an Untergymnasien auch unter dem Aspekt
der Chancengleichheit oder der (nach Massgabe von Art. 27 Abs. 2 BV
geschützten) Berufswahlfreiheit als hinnehmbar.

  3.6.3  Zu berücksichtigen ist vorliegend, dass bei der Frage der Vergütung
von Transportkosten nicht der eigentliche Kernbereich der Unentgeltlichkeit
des Unterrichts betroffen ist. Viele Kantone sehen in ihren
Schulgesetzgebungen die Unentgeltlichkeit des Unterrichts auch für
Mittelschulen (oder zumindest für deren untere Klassen) in dem Sinne vor,
dass sie auf die Erhebung von Schulgeldern verzichten (vgl. PLOTKE,
Schulrecht, 2. Aufl., a.a.O., S. 185 unten). Ob es sich angesichts dieser
tatsächlichen Rechtslage allenfalls rechtfertigen könnte, die Garantie des
unentgeltlichen Grundschulunterrichts von Art. 19 BV geltungszeitlich in dem
Sinne umfassender auszulegen, dass sie einer Erhebung von Schulgeldern
während der obligatorischen Schulzeit generell an allen öffentlichen Schulen
(und damit auch an staatlichen Untergymnasien) entgegensteht, kann
offenbleiben, da vorliegend keine solche Gebühr strittig ist. Es steht den
Kantonen nach der heute massgebenden Auslegung von Art. 19 BV jedenfalls
frei, in ihrer Rechtsordnung die Unentgeltlichkeit des (unter-)gymnasialen
Unterrichts auf die Frage der Schulgelder zu beschränken, ohne zugleich
einen allgemeinen Anspruch auf Vergütung allfälliger Schulwegkosten für
diese Schulstufe vorsehen zu müssen. Die Anerkennung eines
verfassungsrechtlichen Anspruches auf Organisierung des notwendigen
Transportes oder aber auf Übernahme der Transport- und aller weiteren mit
dem auswärtigen Schulbesuch verbundenen Folgekosten hätte bei Mittelschulen,
welche regelmässig nur an wenigen Zentren des Kantons geführt werden, eine
wesentlich andere Tragweite als bei Volksschulen (Primar-, Real-

und Sekundarschulen), die meist in der gleichen Gemeinde oder in einer
nahegelegenen anderen Gemeinde besucht werden können. Für eine dahingehende
Erweiterung der Garantie des unentgeltlichen Grundschulunterrichts mögen
sich zwar beachtenswerte Gründe anführen lassen. Ein diesbezüglicher
kantonsübergreifender Konsens ist aber zur Zeit (noch) nicht zu erkennen,
weshalb Art. 19 BV im oben umschriebenen Sinne auszulegen ist. Ob und wie
weit es dem Bund gestützt auf die ihm inzwischen im Schulwesen neu
eingeräumten Kompetenzen (vgl. Art. 62 Abs. 4 BV) möglich sein wird, auf dem
Weg einer (harmonisierenden) Gesetzgebung den Umfang des unentgeltlichen
Grundschulunterrichts näher zu bestimmen, bedarf hier keiner weiteren
Abklärung.

  Überlegungen der Rechtsgleichheit könnten es immerhin gebieten, dass das
zuständige Gemeinwesen wenigstens jenen Teil der (notwendigen)
Transportkosten eines Gymnasiasten während der obligatorischen Schulzeit
übernimmt, welchen es auch bei Besuch der Sekundarschule tragen müsste. Eine
solche (anteilmässige) Entschädigung ist dem Beschwerdeführer - in Anwendung
einer entsprechenden kantonalen Praxis - seitens seiner Wohngemeinde
vorliegend vergütet worden. Der Beschwerdeführer macht im Übrigen nicht
geltend, aus finanziellen Gründen auf eine Übernahme der restlichen Kosten
für das für den Schulbesuch erworbene Bus-Abonnement angewiesen zu sein.
Insofern wirkt sich bei ihm die behauptete fehlende Möglichkeit, nach
Massgabe des kantonalen Stipendiengesetzes bereits im Rahmen der
obligatorischen Schulzeit in den Genuss von Ausbildungsbeiträgen zu kommen,
nicht aus.

  3.6.4  Der Beschwerdeführer beruft sich des Weiteren auf Art. 13 Abs. 2
lit. a UNO-Pakt I, wonach die Vertragsstaaten anerkennen, dass der
Grundschulunterricht für jedermann Pflicht und allen unentgeltlich
zugänglich sein muss, sowie auf die analoge Garantie von Art. 28 Abs. 1 lit.
a des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (KRK;
SR 0.107). Inwieweit diese Normen überhaupt direkt anwendbar sind (vgl. BGE
126 I 240; 130 I 113 E. 3), kann offenbleiben. Aus den erwähnten
Bestimmungen lassen sich jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang keine über
Art. 19 BV hinausgehenden Ansprüche ableiten. Der Systematik von Art. 13
Abs. 2 UNO-Pakt I zufolge, welche zwischen Grundschulen (lit. a), höheren
Schulen (lit. b) und Hochschulen (lit. c) unterscheidet, dürfte es sich bei
den Mittelschulen nach der Konzeption des schweizerischen Bildungswesens um
höhere Schulen im Sinne

von lit. b handeln, für welchen Bereich die Vertragsstaaten lediglich
gehalten sind, die Unentgeltlichkeit "allmählich" einzuführen. Auf diese
Bestimmung programmatischen Charakters (vgl. zur analogen Situation bei lit.
c BGE 130 I 113 E. 3.3 S. 123 f.) beruft sich der Beschwerdeführer indessen
nicht. Entsprechendes gilt in Bezug auf Art. 28 KRK. Nichts zu seinen
Gunsten kann der Beschwerdeführer sodann aus dem Recht auf Förderung der
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gemäss Art. 11 BV ableiten (vgl.
dazu auch Urteil 2P.150/2003 vom 16. September 2003, publ. in: ZBl 105/2004
S. 276 ff., E. 4.3), welches hinsichtlich der Frage der Transportkosten
nicht über Art. 19 BV hinausgeht. Dies gilt erst recht bezüglich Art. 41
Abs. 1 lit. f BV, aus welcher Bestimmung (als Sozialziel) sich ohnehin keine
unmittelbaren Ansprüche ableiten lassen (BGE 129 I 12 E. 4.3 S. 17).
Schliesslich lässt sich die Situation von Untergymnasiasten nicht
vergleichen mit jener von Behinderten, welchen bereits von Verfassungs wegen
besonderer Schutz vor Benachteiligungen (Art. 8 Abs. 4 BV) zukommt und auf
Gesetzesstufe Anspruch auf einen ihren besonderen Bedürfnissen
entsprechenden Grundschulunterricht ("Grundschulung") eingeräumt wird (Art.
20 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 über die Beseitigung von
Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen [BehiG; SR 151.3], und dazu
BGE 130 I 352).

  3.7  Wenn vorliegend seitens der Gemeinde lediglich ein Beitrag an die
Transportkosten des Beschwerdeführers für den Besuch des Untergymnasiums
geleistet und mangels einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage seitens
des Kantons (oder der Gemeinde) nicht der gesamte Betrag ersetzt wird, liegt
darin - nach dem Gesagten - keine Verletzung von Art. 19 BV. Eine
Verpflichtung des Kantons zur vollständigen Schadloshaltung des
Beschwerdeführers ergibt sich auch nicht aus den anderen von ihm angerufenen
Verfassungsbestimmungen und staatsvertraglichen Normen.