Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 IV 58



Urteilskopf

133 IV 58

  8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Bundesamt für Justiz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  1A.163/2006 / 1A.203/2006 vom 23. Januar 2007

Regeste

  Art. 2 Ziff. 1 und Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe; Art. 110b IRSG; Art. 89,
95 Ziff. 1 Abs. 1 und Art. 98 Abs. 4 aStGB; Art. 260ter Ziff. 1 StGB;
Auslieferung; Verfolgung eines mutmasslichen Helfers der extremistischen
Organisation DHKP-C durch die Türkei.

  Übergangsrecht im Auslieferungsverfahren (E. 1.1).

  Völkerrechtlich-humanitärer Kontext (bürgerkriegsähnliche Situation) im
Zeitraum der verfolgten Delikte (E. 4).

  Problematische Abgrenzung zwischen Terrorismus und legitimem
Widerstandskampf gegen ethnische Verfolgung und Unterdrückung. Anforderungen
an das Auslieferungsersuchen. Vorwürfe gegen den Verfolgten laut Ersuchen
(E. 5 und 5.1).

  Inhaltliche Mängel und Widersprüche des Ersuchens. Jugendstrafrechtliche
Problematik hinsichtlich beidseitige Strafbarkeit und Mindestsanktion.
Lückenfüllung gemäss Sinn und Zweck des EAUe. Ziel der besseren Integration
und Sozialisierung bei Jugendstraffällen. Mitberücksichtigung der besonderen
persönlichen Situation des Verfolgten (E. 5.2).

  Begriff der kriminellen Organisation im strafrechtlichen Sinne. Frage des
terroristischen Charakters von Gewaltverbrechen. Terrorismusvorwurf an den
Verfolgten nicht ausreichend begründet (E. 5.3).

  Zusammenfassung; Verzicht auf weitere Ergänzungen des Ersuchens (E. 6 und
7).

Sachverhalt

  Am 23. April 2003 ersuchte die türkische Botschaft in Bern um Verhaftung
und Auslieferung des türkischen Staatsangehörigen X. (geb. 26. Juni 1979).
Das Ersuchen stützt sich auf einen Haftbefehl vom 27. Mai 1996 und eine
Anklageschrift vom 3. Juli 1996, in welcher dem Verfolgten die
Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vorgeworfen wird. Mit
Schreiben vom 8. Mai 2003 wies das Bundesamt für Justiz (BJ) die ersuchende
Behörde auf verschiedene Lücken und Widersprüche in ihrer Sachdarstellung
hin und forderte sie auf, das Ersuchen zu präzisieren.

  Am 8. August 2003 wurde das türkische Rechtshilfegesuch ergänzt. Gemäss
den Beilagen zum Ersuchen werden dem Verfolgten Straftaten vorgeworfen, die
er im September und Oktober 1995 in der

Türkei begangen habe. In der Folge blieb das Auslieferungsersuchen etwa zwei
Jahre lang beim BJ "vorläufig unbehandelt". Mit Note vom 28. Oktober 2005
bekräftigte die türkische Botschaft das Ersuchen und erkundigte sich nach
dem Stand des Verfahrens.

  Am 25. Januar 2006 erliess das BJ einen Auslieferungshaftbefehl. Gestützt
darauf wurde der seit 1996 in der Schweiz wohnhafte Verfolgte am 21. Februar
2006 verhaftet und in provisorische Auslieferungshaft versetzt. Anlässlich
seiner Befragungen widersetzte sich der Verfolgte einer Auslieferung.
Insbesondere machte er geltend, er und seine Familie seien kurdischer
Abstammung und würden in der Türkei politisch verfolgt.

  Mit Entscheid vom 16. August 2006 bewilligte das BJ die Auslieferung des
Verfolgten an die Türkei. Gegen den Auslieferungsentscheid des BJ gelangte
X. mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt im
Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die
Abweisung des Auslieferungsersuchens. Mit separater Eingabe an das
Bundesgericht beantragte das BJ, die Einrede des politischen Delikts sei
abzulehnen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  (...)

  1.1  Der Verfolgte hat im Auslieferungsverfahren geltend gemacht, er sei
kurdischer Abstammung und werde aus politischen Gründen strafrechtlich
verfolgt. Da der Auslieferungsentscheid, die Einrede des politischen Delikts
und der betreffende Antrag des BJ vor dem 1. Januar 2007 erfolgt sind, ist
hier das bisherige Verfahrensrecht anwendbar (Art. 110b IRSG [SR 351.1]).
  (...)

Erwägung 4

  4.  Das inkriminierte Verhalten ist im Lichte der konkreten Verhältnisse
im Zeitpunkt der mutmasslichen Delikte zu beurteilen. Dies gilt besonders
für Gewalttaten im Rahmen von Bürgerkriegen und bürgerkriegsähnlichen
Auseinandersetzungen (vgl. BGE 131 II 235 E. 2.13 S. 242 f.). Dem Verfolgten
wird vorgeworfen, er habe im Herbst 1995 als kurdischstämmiges Mitglied der
radikalen Widerstandsorganisation DHKP-C Delikte begangen. Davon betroffen
sei ein sogenannter "Dorfwächter" (Anklagesachverhalt vom 23. September
1995) sowie ein türkischer Polizist (Sachverhalt vom 2. Oktober 1995).

  4.1  In seinem Bericht vom 11. April 2006 an das BJ weist der Dienst für
Analyse und Prävention des Bundesamtes für Polizei (DAP) darauf hin, dass
die DHKP-C Ende 1992/Anfang 1993 aus einer Spaltung der Organisation
"Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervorgegangen sei. Ziel der DHKP-C
sei es, mit terroristischen Methoden in der Türkei die geltende
Staatsordnung zu beseitigen. Als Beispiele von Gewalt erzeugenden und
terroristischen Aktionen von türkisch-kurdischen Gruppen nennt der DAP
Streik, Boykott, Aufstand in Fabriken und Gefängnissen, Anschläge, Attentate
und Selbstmordattentate. Von Anschlägen betroffen worden seien hauptsächlich
Repräsentanten von Staat, Armee, Polizei, Justiz und Politik. Angaben zu
konkreten Aktionen der DHKP-C im fraglichen Deliktszeitraum (1995) enthält
der Bericht des DAP nicht.

  4.2  Diverse Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
(EGMR) sowie Berichte des Europarates, der EU-Kommission, des Europäischen
Folterschutzausschusses und internationaler Menschenrechtsorganisationen
dokumentieren, dass besonders in den Jahren 1992 bis 1997 in den von Kurden
bewohnten Gebieten der Türkei schwerste Menschenrechtsverletzungen erfolgt
sind, für die zum einen militante separatistische Widerstandsorganisationen
(namentlich die PKK) verantwortlich waren, zum anderen aber auch die
türkischen Sicherheitskräfte. Der Europäische Folterschutzausschuss (CPT)
hat zwischen 1990 und 1997 sechs Besuchsreisen in der Türkei unternommen, um
die damalige Menschenrechtssituation (insbesondere die Haftbedingungen für
Gefangene) zu untersuchen. Mit Ausnahme des Berichtes vom Oktober 1997
wurden die Inspektionsberichte zu Händen der türkischen Regierung nicht
öffentlich gemacht. Der CPT hat aber am 15. Dezember 1992 und 6. Dezember
1996 zwei öffentliche Verlautbarungen über die Resultate der ersten fünf
Untersuchungen publiziert. Der CPT hielt fest, dass im damaligen Zeitraum
namentlich bei der Bekämpfung mutmasslicher Terroristen durch die türkischen
Sicherheitskräfte systematisch gefoltert worden sei (vgl. Urteil des EGMR
i.S. N.A. gegen die Türkei vom 10. Oktober 2000, Recueil CourEDH 2000-X S.
439 ff., Ziff. 53-58; s. auch BGE 122 II 373 E. 2b S. 377 f. mit Hinweisen).

  4.3  Gemäss den vorliegenden Berichten lässt sich die
völkerrechtlich-humanitäre Situation zwischen 1994 und 1995 (inkriminierter
Tatzeitraum) wie folgt zusammenfassen: Im März 1994 habe das türkische
Parlament die strafrechtliche Immunität von mehreren Abgeordneten der
kurdischen "Demokratischen Partei" (DEP) aufgehoben.

Der türkische Oberste Gerichtshof habe die DEP verboten, und gegen sieben
kurdische Abgeordnete sei Anklage wegen Hochverrates und Separatismus
erhoben worden. Für 1994 seien zahlreiche Fälle von Folter gegen
mutmassliche separatistische Widerstandskämpfer, summarische Exekutionen,
Vergewaltigungen, Brandstiftungen gegen kurdische Wohnhäuser und andere
Gewaltübergriffe bei Polizeiaktionen gemeldet und dokumentiert worden.
Militante kurdische Aktivisten hätten ihrerseits mutmassliche Kollaborateure
verfolgt sowie Tötungsdelikte und andere Verbrechen gegen türkische
Sicherheitskräfte und politische Gegner (insbesondere sogenannte
"Dorfwächter") verübt. Von den ca. 13'000 Menschen, die zwischen 1984 und
1994 im Bürgerkriegskonflikt getötet wurden, sei etwa die Hälfte zwischen
1992 und 1994 gestorben. In der Bürgerkriegszeit seien Hunderttausende
Kurden aus ihren Dörfern vertrieben worden. Bis Mitte der 1990er-Jahre sei
insgesamt die Zahl von zwei Millionen Flüchtlingen erreicht worden.

  Zwar habe es 1995 erste Bemühungen der Regierung gegeben, die
Menschenrechtssituation auf gesetzlicher Ebene zu verbessern. Das gewaltsame
Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen den separatistischen Widerstand
habe jedoch 1995 weiter zur Entvölkerung kurdischer Dörfer geführt. Auch die
systematische Anwendung von Folter gegen mutmassliche Widerstandskämpfer sei
nach wie vor ein grosses Problem gewesen. Zwischen 1992 und 1995 seien zudem
mehr als 1'300 Personen den Exekutionen durch "Todesschwadronen" zum Opfer
gefallen, 89 solcher Tötungen seien allein im September 1995 erfolgt (vgl.
Berichte und Verlautbarungen des Europäischen Folterschutzausschusses
1990-1997, Council of Europe/European Committee for the Prevention of
Torture, Reports to the Turkish Government on the Visits to Turkey,
Strassburg; Urteil N.A., a.a.O.; Regelmässige Berichte der EU-Kommission
1998-2006 über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt; Human
Rights Watch Reports Turkey 1994/1995).

  4.4  Zahlreiche dieser Menschenrechtsverletzungen sind durch den EGMR
beurteilt worden. Die meisten Urteile betrafen Zivilpersonen, die als
Aktivisten und Sympathisanten der PKK verdächtigt worden waren, darunter
auch mehrere junge Frauen. In einigen Fällen waren mutmassliche Anhänger der
DHKP-C bzw. ihrer Vorgängerorganisation ("Dev Sol") betroffen. Gemäss einem
solchen Entscheid des EGMR vom 11. Juli 2000 sei der Geschädigte im Februar
1992 von Beamten einer "Antiterroreinheit" ("Brigade

Anti-Dev Sol") der Sicherheitspolizei gefoltert worden (vgl. Urteil des EGMR
i.S. M.D. gegen die Türkei vom 11. Juli 2000, Recueil CourEDH 2000-VIII S.
181 ff., Ziff. 11 ff.; ähnlich auch Urteil des EGMR i.S. Z.A. gegen die
Türkei vom 18. Dezember 1996, Recueil CourEDH 1996-VI S. 2260 ff., Ziff. 10
ff.). Der EGMR musste für die Zeit zwischen 1992 und Herbst 1995 zahlreiche
schwere Verstösse gegen die Menschenrechte feststellen, darunter
Vergewaltigungen, Folterungen und Tötungen. Die einschlägigen Urteile sind
grösstenteils publiziert. Neben kurdischen Separatisten und türkischen
Sicherheitskräften seien auch bewaffnete sogenannte "Dorfwächter" an den
Gewalttätigkeiten beteiligt gewesen (in chronologischer Reihenfolge der
untersuchten Sachverhalte vgl. z.B. Urteile des EGMR gegen die Türkei i.S.
B.S. vom 27. Juni 2000, Recueil CourEDH 2000-VII S. 425 ff., Ziff. 6 ff.;
i.S. S.T. vom 9. Juni 1998, Recueil CourEDH 1998-IV S. 1504 ff., Ziff. 8
ff.; i.S. N.I. vom 27. Juni 2000, Recueil CourEDH 2000-VII S. 315 ff., Ziff.
10 ff.; i.S. M.K. vom 28. März 2000, Recueil CourEDH 2000-III S. 195 ff.,
Ziff. 8 ff.; i.S. M.T. vom 13. Juni 2000, Recueil CourEDH 2000-VI S. 349
ff., Ziff. 15 ff.; i.S. K.K. vom 25. Mai 1998, Recueil CourEDH 1998-III S.
1152 ff., Ziff. 8 ff.; i.S. S.A. vom 25. September 1997, Recueil CourEDH
1997-IV S. 1866 ff., Ziff. 13 ff.; i.S. I.C. vom 8. Juli 1999, Recueil
CourEDH 1999-VI S. 657 ff., Ziff. 14 ff.; i.S. K.S. et al. vom 24. April
1998, Recueil CourEDH 1998-II S. 891 ff., Ziff. 8 ff.; i.S. A., E. und Y.
vom 22. Juli 2003; i.S. Y. vom 24. Juli 2003; i.S. N.A. vom 10. Oktober
2000, Recueil CourEDH 2000-X S. 439 ff., Ziff. 53-58; i.S. G. vom 19. Juni
2003; i.S. A. vom 24. April 2003; i.S. K. et al. vom 24. Oktober 2006).

Erwägung 5

  5.  Nachfolgend ist zu prüfen, ob sich aus der Sachdarstellung des
ergänzten Ersuchens und seiner Beilagen ausreichend verlässliche
Anhaltspunkte für eine internationalstrafrechtlich verfolgungswürdige
Beteiligung an einem Tötungsdelikt bzw. an terroristischen Straftaten
ergeben (vgl. Art. 12 Ziff. 2 lit. b des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 [EAUe; SR 0.353.1]). Dabei
ist namentlich den Umständen Rechnung zu tragen, dass die untersuchten
Delikte mehr als 11 Jahre zurückliegen, der Verfolgte im damaligen Zeitpunkt
erst 15 bis 16 Jahre alt war, und dass die fraglichen Straftaten in einem
engen Kontext zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen standen.

  Bei Bürgerkriegen gehört die Abgrenzung zwischen Terroristen und
Schwerverbrechern einerseits und Konfliktparteien bzw. separatistischen

Widerstandskämpfern anderseits zu den schwierigsten Fragen des
internationalen Strafrechts (BGE 130 II 337 E. 6 S. 344 f.). In
entsprechenden Fällen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes
besonders sorgfältige Abklärungen nötig und erhöhte Anforderungen an die
Ausführlichkeit, Widerspruchsfreiheit und Verlässlichkeit des Ersuchens zu
verlangen. Dabei können sich auch Abklärungen zum Bürgerkriegshintergrund
der inkriminierten Delikte aufdrängen. Bei Anhängern von separatistischen
Widerstandsorganisationen, die sich gegen ethnische Verfolgung und
Unterdrückung wehren, kann nach der Praxis des Bundesgerichtes nicht ohne
weiteres auf internationalstrafrechtlich verfolgungswürdige "terroristische"
Schwerverbrechen geschlossen werden (BGE 130 II 337 E. 7.1 S. 346 f.). Bei
der notwendigen Abgrenzung ist den konkreten Aktivitäten der fraglichen
Organisation im Zeitpunkt der verfolgten Straftaten Rechnung zu tragen (BGE
131 II 235 E. 2.13 S. 242 f.). Spezifische Anzeichen für den terroristischen
Charakter von Delikten wären schwere Gewaltverbrechen insbesondere gegen
Zivilpersonen, mit denen die Bevölkerung systematisch eingeschüchtert bzw.
Staaten oder internationale Organisationen genötigt werden sollen (BGE 131
II 235 E. 3.5 S. 246 f.).

  5.1  Mit Schreiben vom 8. Mai 2003 wies das BJ die ersuchende Behörde auf
verschiedene auffällige Lücken und Widersprüche in ihrer Sachdarstellung hin
und forderte sie auf, das Ersuchen vom 23. April 2003 zu präzisieren.
Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, dass die Täterschaft die spätere
Tatwaffe erst am 23. September 1995 einem Dritten entwendet, aber schon am
2. Mai 1995 für ein Tötungsdelikt verwendet haben soll.

  5.1.1  Im ergänzenden Ersuchen vom 8. August 2003 wird auf die
Sachdarstellung des Vorsitzenden des 4. Schwurgerichts für die
Staatssicherheitlichen Strafsachen in Istanbul vom 20. Juni 2003
hingewiesen. Danach habe sich der damals 16 Jahre alte Verfolgte zusammen
mit A. und B. am 23. September 1995 gegen 22.00 Uhr zu einem Café begeben.
Der Dorfwächter Y. sei Stammgast dieses Lokals gewesen. Als der Dorfwächter
aus dem Café herausgetreten sei, seien ihm der Verfolgte und seine beiden
Begleiter gefolgt. A. habe eine "imitierte Pistole" (Pistolenattrappe) auf
den Kopf des Dorfwächters gerichtet, worauf der Verfolgte die Pistole (Marke
Kirikkale, Durchmesser: 9 mm) aus dem Gürtel des Bedrohten herausgenommen
habe. Nach dieser Tat hätten die Angeschuldigten mit dem (inhaftierten)
mutmasslichen Anführer der separatistischen

  Gruppe, C., in der Strafanstalt Gespräche geführt und von ihm die Weisung
erhalten, "eine Tat" mit dieser Pistole auszuführen. Am 2. Oktober 1995
hätten A. und der Verfolgte einen Polizisten gesucht, um ihn zu töten. Gegen
19.20 Uhr hätten sie einen Polizisten namens Z. gesehen, der in einer
Telefonzelle telefoniert habe. A. habe mit der vom Dorfwächter entwendeten
Waffe ein erstes Mal von hinten auf den Kopf des Polizisten geschossen.
Nachdem der am Kopf getroffene Polizist auf den Boden gestürzt sei, habe der
Verfolgte die Pistole des Polizisten weggenommen. Daraufhin habe A. ein
zweites Mal auf den Polizisten geschossen. Nachdem die beiden Beteiligten
den am Tatort anwesenden Passanten gesagt hätten, dass sie die DHKP-C
unterstützten, hätten sie sich entfernt.

  5.1.2  Laut ergänzendem Ersuchen seien die zeitlichen Angaben in der
Anklageschrift vom 3. Juli 1996 unzutreffend. Die Tötung des Polizisten sei
nicht (wie dort angegeben) am 2. Mai 1995 erfolgt, sondern erst am 2.
Oktober 1995. Auch zu den in der Türkei bereits freigesprochenen Personen
enthielten das ursprüngliche Ersuchen und dessen Beilagen - laut ersuchender
Behörde - fehlerhafte Angaben. So sei der Verfolgte weder in dessen
Abwesenheit beurteilt noch freigesprochen worden. Dieser Fehler sei aus
einer Falschschreibung von Namen entstanden. Entgegen der Auffassung des BJ
handle es sich (laut ersuchender Behörde) bei der Gruppierung, welcher der
Verfolgte angehört habe, auch nicht um eine "politische Partei oder
Anstalt", sondern um eine illegale und terroristische Organisation, welche
bewaffnete Aktivitäten "zur Vernichtung und Änderung der Verfassung und des
begründeten Staats" ausgeübt habe.

  5.1.3  Für ihre neue Sachdarstellung verweist die ersuchende Behörde nun
ausdrücklich auf ein Verhörprotokoll vom 9. Mai 1997. Darin werden die
Aussagen des mutmasslichen Täters und Kronzeugen A., der die tödlichen zwei
Schüsse abgegeben haben soll, vom befragenden Polizeikommissar wie folgt
wiedergegeben:
  5.1.3.1  A. und der Verfolgte seien im Jahre 1994 von Verantwortlichen der
DHKP-C angeworben worden. Nach einer "Ausbildung" von fast fünf Monaten habe
der Verfolgte die Gruppierung verlassen, da er nicht mehr habe dazugehören
wollen. In der Folge habe der Verfolgte an zwei versuchten Straftaten der
Gruppe nicht teilgenommen. Nach der Verhaftung von drei Gruppenmitgliedern
sei der Verfolgte im Jahre 1995 von einem älteren Gruppenmitglied

wieder mitgebracht worden. Beim anschliessenden Versuch, die Polizeistation
Cibali zu überfallen, habe der Verfolgte erneut nicht partizipiert. Zum
nächsten Treffen (bei einer Likörfabrik) im Sommer 1995 habe er, A., den
Verfolgten mitgebracht. Die bewaffnete Einheit "K." habe damals, im
Frühsommer 1995, aus fünf Personen bestanden. Ihr Anführer sei D. gewesen.
Die "Waffenkraft" der Gruppe habe zwei Pistolen im Durchmesser 7,65 mm
umfasst. Nachdem die Gruppe etwas zusammengearbeitet habe, sei sie für kurze
Zeit wieder auseinandergebrochen. Als E., der jüngere Bruder von A., bei
bewaffneten Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften im Sommer
1995 in Gazi getötet worden sei, seien die Gruppenmitglieder zwar sehr
betroffen gewesen; sie hätten aber zunächst keine Gewalttaten ausgeübt und
auch die Beziehungen zu D. abgebrochen.

  5.1.3.2  Im August/September 1995 habe ihre neu nach dem getöteten Bruder
benannte "bewaffnete Einheit E." noch aus A., dem Verfolgten und (eine kurze
Zeit lang) F. bestanden. Damals habe diese Gruppe über keine Waffen verfügt.
Sie hätten sich über aktuelle politische Themen unterhalten. A. und der
Verfolgte hätten damals den Kontakt zu F. abgebrochen, weil dieser eine
intime Beziehung mit einem Mädchen aus dem gleichen Ort gepflegt habe.
Anschliessend habe der Verfolgte eine kaputte Waffe bzw. Pistolenattrappe
mitgebracht. Der Plan, einem Dorfwächter in einem Café in Küçükköy die Waffe
zu rauben, sei zunächst nicht verwirklicht worden. Einige Tage später, am
23. September 1995, sei das Vorhaben jedoch mit der Pistolenattrappe
umgesetzt worden. Laut Verhörprotokoll habe A. das Pistolenimitat gegen den
Kopf des Dorfwächters gerichtet. Der Verfolgte habe die Waffe des Bedrohten
entwendet. Sie hätten diesem gesagt, dass ihm nichts geschehe, wenn er ruhig
bleibe. Sie seien Anhänger der DHKP-C und wollten seine Pistole wegnehmen.
Der Dorfwächter habe erwidert, dass er auf ihrer Seite sei. Sie hätten ihn
dann aufgefordert: "Warte ein bisschen hier; wir gehen weg."
  5.1.3.3  Gemäss diesem (mit dem ergänzendem Ersuchen) zur Klärung und
Präzisierung des Sachverhaltes eingereichten Protokoll sei dann am
"02.10.1997" der Polizist in der Telefonzelle getötet worden. Die Anweisung
zu dieser Tat habe der im Gefängnis befindliche C. gegeben. An anderer
Stelle des Protokolls wird das fragliche Datum von den türkischen Behörden
mit "02.10.1995" bezeichnet. A. habe auf den Kopf des Polizisten geschossen.

Der konkrete Beitrag des Verfolgten habe darin bestanden, dass er die
Pistole des bereits am Kopf Getroffenen weggenommen habe, nachdem dieser auf
den Boden gefallen sei. A. habe dann ein zweites Mal auf dessen Kopf
geschossen. Danach seien sie beide geflohen. Die Tatwaffe habe A. etwas
später dem Verfolgten übergeben. Als dem damals 16-jährigen Verfolgten nach
Gesprächen klar geworden sei, dass solche Gewaltaktivitäten nicht beendet
würden, habe er sich bald darauf entschlossen, die "Gruppe E." definitiv zu
verlassen.

  5.2  Zu prüfen ist, ob sich aus der Sachdarstellung des (ergänzten)
Ersuchens und seiner Beilagen ausreichend klare, widerspruchsfreie und
verlässliche Anhaltspunkte für eine strafbare Beteiligung an einem
Tötungsdelikt ergeben und ob die Auslieferungsvoraussetzung der beidseitigen
Strafbarkeit erfüllt ist.

  5.2.1  Zunächst ist dem Zeitablauf und der aussergewöhnlich langen
Verfahrensdauer Rechnung zu tragen: Die untersuchten Delikte aus den Jahren
1994-1995 liegen mehr als 11 Jahre zurück. Das Auslieferungsersuchen wurde
erst neun Jahre nach den inkriminierten Ereignissen gestellt. Seither sind
wiederum mehr als dreieinhalb Jahre verstrichen. Nach Angaben des BJ sei das
Auslieferungsdossier während etwa zwei Jahren "vorläufig unbehandelt"
geblieben, was allenfalls auf das parallel laufende Asylverfahren und die
damit zusammenhängenden Abklärungen zurückgeführt werden könnte. Sodann
fällt auf, dass auch das ergänzte Ersuchen weiterhin Mängel und Widersprüche
enthält. Schon am 8. Mai 2003 hatte das BJ die ersuchende Behörde auf
offensichtliche Unstimmigkeiten (namentlich in der zeitlichen Darstellung
der inkriminierten Vorgänge sowie in prozessualer Hinsicht) aufmerksam
gemacht. Auch in den zur Klärung nachgereichten Unterlagen finden sich immer
noch Widersprüche und Unklarheiten, die zentrale Fragen betreffen (wie den
Zeitpunkt des untersuchten Tötungsdeliktes). Weiter ist zu berücksichtigen,
dass die verfolgten Delikte an einem sogenannten Dorfwächter (Entwendung
einer Pistole) und an einem Polizisten (Tötungsdelikt) in einem Zeitpunkt
erfolgten, als bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen mit schwersten
Menschenrechtsverletzungen stattfanden (vgl. oben, E. 4.2-4.4). Wie sich den
Beilagen zum Ersuchen entnehmen lässt, sei der jüngere Bruder des
mutmasslichen Todesschützen kurz vor der Tat von türkischen
Sicherheitskräften erschossen worden. Zu diesen Zusammenhängen und
Hintergründen des untersuchten Tötungsdeliktes finden sich im ergänzten

Ersuchen keine Angaben. Wenig Informationen enthält das Ersuchen auch zur
Gruppe "E." (die im fraglichen Zeitpunkt aus dem damals 15- bis 16-jährigen
Verfolgten und zwei weiteren Personen bestanden habe) bzw. zu deren
Eingliederung in die DHKP-C. Schon im Schreiben des BJ vom 8. Mai 2003 an
die ersuchende Behörde war die Frage aufgeworfen worden, ob es sich dabei um
eine politische separatistische Widerstandsorganisation bzw. eine
entsprechende Splittergruppe gehandelt haben könnte. Diese Frage wird im
ergänzenden Ersuchen verneint mit der Behauptung, es handle sich hier um
eine illegale und terroristische Organisation. Die ersuchende Behörde legt
jedoch keine Sachinformationen vor, aufgrund derer sich juristisch prüfen
liesse, ob es sich um eine Gruppierung handelte, die im
internationalstrafrechtlichen Sinne als terroristisch bzw. verbrecherisch
einzustufen wäre (vgl. dazu unten, E. 5.3).

  5.2.2  Sodann setzt Art. 2 Ziff. 1 EAUe voraus, dass dem Verfolgten -
sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach dem des ersuchten
Staates - eine Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkende sichernde
Massnahme im Höchstmass von mindestens einem Jahr droht.

  Laut Ersuchen sei das Tötungsdelikt Anfang Oktober 1995 erfolgt. Zum
Tatzeitpunkt wäre der (unbestrittenermassen am 26. Juni 1979 geborene)
Verfolgte somit erst 16 Jahre alt gewesen. Bei einer Beurteilung nach
schweizerischem Recht im Sinne der beidseitigen Strafbarkeit ist daher das
Jugendstrafrecht anwendbar (Art. 89 aStGB; ebenso Art. 1 Abs. 1 lit. a des
Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003 über das Jugendstrafrecht
[Jugendstrafgesetz, JStG; SR 311.1], in Kraft seit 1. Januar 2007).
Übergangsrechtlich ist hier das sanktionenrechtlich mildere bisherige
Jugendstrafrecht massgeblich, zumal auch der angefochtene Entscheid noch
nach altem Recht gefällt wurde (Art. 46 JStG; BGE 129 II 462 E. 4.3 S. 465
mit Hinweisen).

  Zunächst erscheint fraglich, ob eine allfällige Jugendstrafe nach
schweizerischem Recht überhaupt als auslieferungswürdige Sanktion im Sinne
von Art. 2 Ziff. 1 EAUe angesehen werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass das schweizerische Jugendstrafrecht der urteilenden Behörde die
Möglichkeit gibt, von jeder Strafe oder Massnahme abzusehen, wenn seit der
Tat ein Jahr verstrichen ist (Art. 98 Abs. 4 aStGB). Damit soll im
Einzelfall vermieden werden können, dass eine sich abzeichnende günstige
Entwicklung des fehlbaren Jugendlichen durch strafrechtliche Sanktionen
beeinträchtigt

würde. Der Jugendrichter hat dabei insbesondere einem Wohlverhalten während
einer längeren Zeit Rechnung zu tragen (BGE 100 IV 17 E. 2a S. 20; Urteil
1P.329/2004 vom 13. Oktober 2004, E. 2.3; s. auch Art. 21 Abs. 1 lit. f
JStG). Im vorliegenden Fall sind seit den untersuchten Delikten mehr als 11
Jahre verstrichen. Der Verfolgte hat sich - soweit aus den Akten ersichtlich
- seither nicht strafbar gemacht.

  Das EAUe regelt die Problematik von jugendstrafrechtlichen Fällen nicht.
Im internationalen Auslieferungsrecht gilt der Grundsatz, dass bei
Jugendlichen, die im Tatzeitpunkt noch nicht 18 Jahre alt waren und welche
ihren gewöhnlichen Aufenthalt im ersuchten Staat haben, zu prüfen ist, ob
aus Gründen der besseren Integration und Sozialisierung von einer
Auslieferung abzusehen ist (so ausdrücklich Art. I Abs. 2 des Vertrages vom
13. November 1969 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung
seiner Anwendung [SR 0.353.913.61]; vgl. auch STEFAN HEIMGARTNER,
Auslieferungsrecht, Diss. Zürich 2002, S. 102 f.).

  Im vorliegenden besonderen Fall drängt sich in diesem Sinne bei der
Anwendung des EAUe eine Lückenfüllung auf. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass ein Auslieferungsentscheid nicht zu einem stossenden und den Sinn und
Geist des genannten Übereinkommens verletzenden Ergebnis führen darf. Nach
türkischem Strafrecht und Darlegung der ersuchenden Behörde droht dem zur
Tatzeit erst 16-jährigen Verfolgten eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der
Verfolgte ist im Mai 1996 als 17-jähriger Bürgerkriegsflüchtling in die
Schweiz emigriert und lebt hier seit mehr als 10 Jahren. Das Bundesamt für
Flüchtlinge (BFF) hat ihm am 3. November 1999 die vorläufige Aufnahme
gewährt und seine Wegweisung als unzumutbar bezeichnet. Am 14. September
2006 trat das Bundesamt für Migration (BFM) zwar auf das Gesuch des
Verfolgten, es sei ihm (wiedererwägungsweise) Asyl zu gewähren, nicht ein.
Eine vom Verfolgten dagegen erhobene Beschwerde hiess die Schweizerische
Asylrekurskommission (ARK) mit Urteil vom 7. Dezember 2006 jedoch gut; die
ARK wies das Asylgesuch zur materiellen Prüfung zurück an das BFM. Den
vorliegenden Akten lässt sich nicht entnehmen, dass der Verfolgte sich in
den mehr als 10 Jahren seines Aufenthaltes in der Schweiz etwas hätte
zuschulden kommen lassen. Schliesslich ist auch noch mitzuberücksichtigen,
dass er sich schon seit Februar

2006 in Auslieferungshaft befindet; die bisherige Haftdauer rückt damit in
grosse Nähe der nach dem massgeblichen bisherigen schweizerischen
Jugendstrafrecht maximal zulässigen Einschliessungsstrafe (Art. 95 Ziff. 1
Abs. 1 aStGB). Nach dem Gesagten widerspräche eine Auslieferung des
Verfolgten dem Sinn und Geist des EAUe.

  5.2.3  Zur Frage, ob der Verfolgte unter dem Vorwurf eines Tötungsdeliktes
ausgeliefert werden kann, ergibt sich folgendes Zwischenergebnis: Das
ergänzte Ersuchen erscheint weiterhin mangelhaft und enthält für den
zeitlich sehr weit zurückliegenden Tatvorwurf keine ausreichend klaren,
widerspruchsfreien und verlässlichen Anhaltspunkte. Zudem sind in diesem
Zusammenhang besondere persönliche Umstände zu beachten, welche eine
internationalstrafrechtliche Verfolgung im konkreten Fall als mit dem Sinn
und Zweck des EAUe nicht vereinbar erscheinen lassen.

  5.3  Zu prüfen bleibt, ob der Beschwerdeführer unter dem Vorwurf des
Terrorismus an die Türkei ausgeliefert werden kann. Dem Verfolgten wird
vorgeworfen, er sei von 1994 bis im Herbst 1995 Mitglied einer
terroristischen Organisation gewesen.

  5.3.1  Gemäss Art. 260ter Ziff. 1 StGB wird mit Zuchthaus bis zu fünf
Jahren oder mit Gefängnis bestraft, wer sich an einer Organisation
beteiligt, die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheim hält
und die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit
verbrecherischen Mitteln zu bereichern. Ebenso macht sich strafbar, wer eine
solche Organisation in ihrer verbrecherischen Tätigkeit unterstützt. Unter
den Begriff der kriminellen Organisationen fallen neben den mafiaähnlichen
Verbrechersyndikaten auch hochgefährliche terroristische Gruppierungen.
Nicht zu den kriminellen Organisationen gezählt werden hingegen
(grundsätzlich) extremistische Parteien, oppositionelle politische Gruppen
sowie Organisationen, die mit angemessenen (nicht verbrecherischen) Mitteln
um die politische Macht in ihrem Heimatland ringen oder einen Freiheitskampf
gegen diktatorische Regimes führen (BGE 131 II 235 E. 2.12 S. 241; 130 II
337 E. 3.4 S. 344; 128 II 355 E. 4.3 S. 365 f.; 125 II 569 E. 5c S. 574, je
mit Hinweisen). Nach der Praxis des Bundesgerichtes stellen insbesondere die
italienischen "Brigate Rosse", die baskische ETA oder das internationale
Netzwerk Al-Qaïda terroristische verbrecherische Organisation im Sinne von
Art. 260ter Ziff. 1 StGB dar (BGE 131 II 235 E. 2.12 S. 241; 128 II 355 E.
2.2 S. 361; 125 II 569 E. 5c-d S. 574 f.).

  Als Beteiligte im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB sind alle
Personen anzusehen, welche funktionell in die kriminelle Organisation
eingegliedert sind und im Hinblick auf deren verbrecherische Zweckverfolgung
Aktivitäten entfalten. Diese Aktivitäten brauchen (für sich allein) nicht
notwendigerweise illegal bzw. konkrete Straftaten zu sein. Es genügen
namentlich auch logistische Vorkehren, die dem Organisationszweck
unmittelbar dienen (wie z.B. Auskundschaften, Planen oder Bereitstellen der
operativen Mittel, insbesondere Beschaffen von Fahrzeugen, Waffen,
Kommunikationsmitteln oder Finanzdienstleistungen usw.). Die Beteiligung
setzt auch keine massgebliche Funktion innerhalb der Organisation voraus.
Sie kann informeller Natur sein oder auch geheim gehalten werden (BGE 131 II
235 E. 2.12.1 S. 241; 128 II 355 E. 2.3 S. 361 mit Hinweisen).

  Bei Personen, die nicht in die Organisationsstruktur integriert sind,
kommt die Tatvariante der Unterstützung in Frage. Diese verlangt einen
bewussten Beitrag zur Förderung der verbrecherischen Aktivitäten der
kriminellen Organisation. Im Gegensatz zur Gehilfenschaft zu spezifischen
Straftaten (Art. 25 StGB) ist für die Unterstützung nach Art. 260ter Ziff. 1
Abs. 2 StGB der Nachweis von kausalen Tatbeiträgen im Hinblick auf ein
konkretes Delikt nicht erforderlich. So können namentlich das blosse Liefern
von Waffen an eine terroristische oder mafiaähnliche Organisation, das
Verwalten von Vermögenswerten oder andere logistische Hilfeleistungen von
Aussenstehenden unter den Organisationstatbestand von Art. 260ter Ziff. 1
Abs. 2 StGB fallen. Dementsprechend besteht zwischen der Beihilfe zu
konkreten Straftaten und dem Organisationstatbestand auch grundsätzlich
echte Konkurrenz (BGE 131 II 235 E. 2.12.2 S. 241 f.; 128 II 355 E. 2.4 S.
362 mit Hinweisen). Der subjektive Tatbestand von Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 2
StGB verlangt jedoch, dass der Unterstützende weiss oder zumindest in Kauf
nimmt, dass sein Beitrag der verbrecherischen Zweckverfolgung der
kriminellen Organisation dienen könnte. Blosse Sympathisanten oder
"Bewunderer" von terroristischen oder mafiaähnlichen Vereinigungen fallen
demgegenüber nicht unter den Organisationstatbestand (BGE 131 II 235 E.
2.12.2 S. 242; 128 II 355 E. 2.4 S. 362 mit Hinweisen).

  5.3.2  Zunächst ist zu prüfen, ob die fragliche Organisation (DHKP-C) im
Zeitpunkt der untersuchten Beteiligung bzw. Unterstützung als terroristisch
einzustufen war (vgl. BGE 131 II 235 E. 2.13 S. 242 f.). Dem Verfolgten wird
vorgeworfen, er sei im September und Oktober 1995 (als 16-Jähriger
kurdischer Abstammung) aktives Mitglied dieser separatistischen Gruppierung
gewesen.

  Der angefochtene Entscheid enthält keine konkreten Angaben dazu, ob diese
Organisation im Herbst 1995 terroristisch tätig war und worin im relevanten
Zeitraum die verbrecherischen Aktivitäten bestanden hätten. Auch dem Bericht
des DAP lassen sich dazu keine Informationen entnehmen: In zeitlicher
Hinsicht wird lediglich ausgeführt, dass die DHKP-C seit Oktober 1997 auf
der Liste der terroristischen Organisationen stehe und mit Beschluss vom 2.
Mai 2002 in die vom EU-Rat geführte Liste der terroristischen Organisationen
aufgenommen worden sei. Dem Verfolgten wird jedoch nicht vorgeworfen, er sei
im Oktober 1997 bzw. Mai 2002 noch aktives Mitglied der Organisation
gewesen. Gemäss Ersuchen habe er kurz nach den untersuchten Vorfällen vom
Herbst 1995 die Gruppe "E." definitiv verlassen (vgl. oben, E. 5.1.3.3).
Seit Mai 1996 befindet sich der Verfolgte in der Schweiz. Weder die hiesigen
noch die türkischen Behörden machen geltend, er habe ab 1996 an strafbaren
Handlungen teilgenommen. Ebenso wenig wird behauptet, die
Staatengemeinschaft habe die Widerstandsaktivitäten der DHKP-C schon ab
Herbst 1995 als terroristisch eingestuft. Schwere Anschläge im fraglichen
Zeitraum werden nicht erwähnt.

  Im angefochtenen Entscheid fehlt es sodann an jeglicher Bezugnahme zur
bürgerkriegsähnlichen Situation in der fraglichen Region im Zeitpunkt der
untersuchten Vorgänge. Der historisch-völkerrechtliche Kontext bzw. der
Bürgerkriegshintergrund bleiben völlig ausgeblendet. Bei der Beurteilung von
Gewaltaktionen militanter Widerstandsorganisationen wäre auch der Art und
Weise Rechnung zu tragen, wie die türkische Armee und Polizei in den
1990er-Jahren gegen die kurdische Zivilbevölkerung und gegen Vertreter
radikaler Widerstandsbewegungen vorging. Wie der Rechtsprechung des EGMR zu
entnehmen ist, sind gewaltsame Auseinandersetzungen bzw. Anschläge
separatistischer Organisationen auf türkische Sicherheitskräfte zumindest
teilweise auch auf ethnische Verfolgung bzw. auf schwere
Menschenrechtsverletzungen durch die türkische Armee und Polizei
zurückzuführen. Dies gilt besonders für den hier fraglichen Zeitraum von
1994-1995 (vgl. oben, E. 4.2-4.4). Im angefochtenen Entscheid wird weder
geprüft, inwiefern die DHKP-C in diesem Sinne als Bürgerkriegspartei im
türkisch-kurdischen Konflikt anzusehen war (BGE 130 II 337 E. 7.1 S. 346
f.), noch wird dargelegt, gegen wen genau sich die nicht näher
spezifizierten Anschläge gerichtet haben bzw. wann und wo diese erfolgten.
Im vorliegenden Zusammenhang wäre es von entscheidender Bedeutung,

ob einzelne Gewaltakte im Kontext gegenseitiger Menschenrechtsverletzungen
bzw. eines akuten Bürgerkrieges begangen wurden, oder ob es sich um schwere
Anschläge, namentlich gegen Zivilisten, in Zeiten relativen Friedens oder
ausserhalb der Konfliktregion handelte (vgl. BGE 131 II 235 E. 2.13 S. 242
f., E. 3.5 S. 246 f.; MARC FORSTER, Zur Abgrenzung zwischen Terroristen und
militanten "politischen" Widerstandskämpfern im internationalen Strafrecht,
ZBJV 141/2005 S. 213 ff., 236-238 [im Folgenden: ZBJV 141/2005]; derselbe,
Terroristischer Massenmord an Zivilisten als "legitimer Freiheitskampf" [im
Sinne von Art. 260quinquies Abs. 3 StGB] kraft "Analogieverbot"?, ZStrR
124/2006 S. 331 ff., 333; HANS VEST, Berner Kommentar StGB, Bern 2007, N. 15
f. zu Art. 260ter StGB).

  Im Bericht des DAP wird immerhin präzisiert, dass sich die Anschläge der
DHKP-C hauptsächlich gegen Repräsentanten von Staat, Armee, Polizei, Justiz
und Politik gerichtet hätten. In akuten Bürgerkriegen würde eine klare
Fokussierung der Widerstands- und Gewaltaktivitäten auf gegnerische
Sicherheitskräfte und staatliche Funktionäre eher gegen eine terroristische
Natur der Gewaltaktionen sprechen (vgl. BGE 131 II 235 E. 3.5 S. 246 f.;
FORSTER, ZBJV 141/2005 S. 237 f.). Weder im angefochtenen Entscheid noch im
Ersuchen wird behauptet, dass die Organisation gegen zivile Ziele
Sprengstoff- oder Brandanschläge verübt hätte. Ebenso wenig wird erläutert,
welcher Art die politischen Forderungen an die türkische Regierung waren und
ob sich diese damals auf das Ziel der politisch-kulturellen Autonomie der
kurdischen Bevölkerungsgruppe bzw. der Wahrung ihrer Menschenrechte
konzentrierten.

  Ohne minimale Angaben zum Kontext des bewaffneten Konfliktes zwischen
militanten separatistischen Gruppierungen und türkischen Sicherheitskräften
im Herbst 1995 lässt sich die terroristische Natur der beteiligten
Organisationen im strafrechtlichen Sinne nicht prüfen. Insbesondere wäre es
unzulässig, Konfliktparteien eines Bürgerkrieges ohne jede Differenzierung
als terroristisch einzustufen und internationalstrafrechtlich zu verfolgen
(BGE 130 II 337 E. 7.1 S. 346 f.; vgl. URSULA CASSANI, Le train de mesures
contre le financement du terrorisme: une loi nécessaire?, SZW 75/2003 S. 293
ff., 299 f.; FORSTER, ZBJV 141/2005 S. 236 ff.; VEST, a.a.O., N. 22-26 zu
Art. 260quinquies StGB).

  5.3.3  Angesichts der mangelnden Tatsachengrundlagen kann vom
Bundesgericht nicht beurteilt werden, ob die DHKP-C für den hier

massgeblichen Zeitraum (Herbst 1995) als terroristische Organisation
einzustufen ist.

  5.3.4  Neben einer kriminellen Organisation verlangt Art. 260ter StGB auch
noch den Nachweis einer Unterstützung oder Beteiligung an der Organisation.
Auch dazu enthält das Ersuchen wenig Angaben. Zwar wird dem Verfolgten eine
"Mitgliedschaft" bei der DHKP-C vorgeworfen. Es fehlen jedoch konkrete
Hinweise, die auf eine funktionale Eingliederung in die Organisation
schliessen liessen. Besonders bei einem damals 16-jährigen Jugendlichen wäre
die Mitgliedschaft in einer angeblich terroristischen Organisation näher zu
begründen und darzulegen, weshalb der Jugendliche nicht bloss als Mitläufer,
als lose assoziierter Gehilfe bei einzelnen Delikten oder als aktiver
Sympathisant einzustufen ist.

  5.3.5  Auch die Abklärungen des BJ erscheinen in diesem Zusammenhang
lückenhaft. So enthält der angefochtene Entscheid keine näheren Angaben zur
Person des Verfolgten. Es wird lediglich erwähnt, er sei am 26. Juni 1979
geboren, kurdischer Abstammung und am 19. Mai 1996 in die Schweiz
eingereist. Namentlich die Fakten, welche das BFF am 3. November 1999 dazu
bewogen, dem Verfolgten die vorläufige Aufnahme zu gewähren und eine
Wegweisung als unzumutbar zu bezeichnen, werden nicht erörtert. Ebenso wenig
legt das BJ dar, wie sich der Verfolgte in den mehr als 10 Jahren seines
bisherigen Aufenthaltes in der Schweiz verhalten hat, ob er beispielsweise
straffällig (oder in anderer Weise polizeilich auffällig) geworden ist. Nach
eigenen Angaben hat er am 7. August 2006 ein Asylgesuch gestellt, das noch
hängig ist (vgl. dazu oben, E. 5.2.2).

  5.3.6  Die ersuchende Behörde stützt sich für ihre Sachdarstellung
ausdrücklich auf das Verhörprotokoll des Hauptangeklagten vom 9. Mai 1997.
Die betreffenden Beweisergebnisse (vgl. ausführlich E. 5.1.3) sprechen
allerdings gegen eine terroristische Aktivität des Verfolgten im Sinne von
Art. 260ter StGB:
  Danach sei der Verfolgte im Jahre 1994 von Verantwortlichen der DHKP-C
angeworben worden. Nach einer Ausbildung sei er einer separatistischen
Aktivistengruppe zugewiesen worden, die er aber im gleichen Jahr wieder
verlassen habe. Dementsprechend habe er an verschiedenen Aktionen dieser
Gruppe nicht mehr teilgenommen. Ab 1995 hätten ältere Mitglieder den knapp
16-Jährigen wieder an Treffen der Gruppe mitgebracht. Die Beziehungen zu
deren Anführer

seien abgebrochen worden. Nachdem der jüngere Bruder eines Gruppenmitgliedes
von türkischen Sicherheitskräften in Gazi getötet worden sei, habe sich die
(nach dem Erschossenen benannte) Aktivistengruppe im August/September 1995
noch aus dem Bruder des Getöteten, dem Verfolgten und eine kurze Zeit lang
aus einem dritten Mitglied zusammengesetzt. Über funktionierende Waffen habe
die Gruppe bis zum 23. September 1995 (Entwendung der Pistole eines
Dorfwächters) nicht verfügt. Bald nach dem Tötungsfall vom 2. Oktober 1995
habe der Verfolgte die Gruppe (und später auch die Türkei) endgültig
verlassen.

  5.3.7  Diese Sachdarstellung lässt weder auf eine funktionale
Eingliederung in eine straff organisierte terroristische Gruppierung im
Sinne von Art. 260ter StGB schliessen noch auf eine systematische
Unterstützung von verbrecherischen Aktivitäten einer terroristischen
Organisation. Im Zeitraum von 1994 bis Spätsommer 1995 ist der Verfolgte
gemäss den Unterlagen der ersuchenden Behörde als eher zögerlicher
jugendlicher Mitläufer bzw. aktiver Sympathisant aufgetreten. Die Angaben
des Ersuchens zu den beiden Vorfällen vom 23. September und 2. Oktober 1995
lassen sein Verhalten noch nicht als Terrorismus im strafrechtlichen Sinne
erscheinen. Der Tatbestand der Unterstützung einer kriminellen Gruppierung
würde nicht nur das Vorliegen einer Organisation im Sinne von Art. 260ter
StGB voraussetzen. Der Täter müsste der Organisation zudem gezielt und
systematisch bei ihrer verbrecherischen bzw. terroristischen Zweckverfolgung
geholfen haben. Insofern ist der Unterstützungstatbestand von der Beihilfe
an konkreten Verbrechen, von der entfernten Gehilfenschaft (Beihilfe zur
Gehilfenschaft) und vom aktiven Sympathisantentum juristisch abzugrenzen
(BGE 131 II 235 E. 2.12.2 S. 242; 128 II 355 E. 2.4 S. 362 mit Hinweisen).

Erwägung 6

  6.  Zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten: Im vorliegenden Fall
bestehen keine ausreichend klaren, widerspruchsfreien und verlässlichen
Verdachtsgründe dafür, dass der Verfolgte sich eines Tötungsdeliktes bzw.
der Unterstützung oder Mitgliedschaft bei einer kriminellen Organisation
strafbar gemacht hat. Zudem widerspräche eine Auslieferung des zur Tatzeit
15- bis 16-jährigen Verfolgten, der im Rahmen bürgerkriegsähnlicher
Auseinandersetzungen einer separatistischen Widerstandsgruppe lose
angehörte, 1996 mit 17 Jahren als Flüchtling in die Schweiz emigrierte, 1999
asylrechtliche vorläufige Aufnahme fand und seit mehr als 10 Jahren hier
ohne Beanstandungen lebt, dem Sinn und Zweck des EAUe.

Erwägung 7

  7.  Es stellt sich die Frage, ob sich im vorliegenden Fall eine nochmalige
Ergänzung des Ersuchens rechtfertigt. Dabei ist namentlich zu
berücksichtigen, dass die untersuchten Vorkommnisse mehr als 11 Jahre
zurückliegen und nach derart langer Zeit kaum wesentliche und verlässliche
Ergänzungen des Sachverhaltes erwartet werden können. Das Ersuchen wurde
ausserdem bereits vor mehreren Jahren ergänzt. Wie dargelegt, enthält es
dennoch weiterhin Mängel und Widersprüche. Es kommt hinzu, dass sich hier
noch zusätzliche Abklärungen (zur Menschenrechtssituation und zur Frage der
politischen Natur des Deliktes) sowie weitere förmliche Zusicherungen der
ersuchenden Behörde aufdrängen würden. Aufgrund der Rechtshilfeakten kann
nicht erwartet werden, dass die notwendigen zusätzlichen Abklärungen und
Garantien innert angemessener Frist erhältlich wären. Das Ersuchen wurde vor
mehr als dreieinhalb Jahren eingereicht, und der Verfolgte befindet sich
seit fast einem Jahr in Auslieferungshaft.

  Bei dieser Sachlage rechtfertigt sich keine weitere Verzögerung des
Auslieferungsverfahrens und keine Fortdauer der Auslieferungshaft. Nach dem
Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, der angefochtene Entscheid
aufzuheben und das Auslieferungsersuchen abzuweisen.