Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 IV 324



Urteilskopf

133 IV 324

  47. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Schweizerische
Bundesanwaltschaft gegen X. und Bundesstrafgericht (Nichtigkeitsbeschwerde)
  6S.479/2006 / 6S.482/2006 vom 4. Juli 2007

Regeste

  Art. 307 StGB; falsches Zeugnis.

  Anwendbarkeit von Art. 307 StGB auf Falschaussagen bei rechtshilfeweisen
Einvernahmen durch ausländische Gerichte (E. 3.2).

  Übersetzungskosten; Art. 6 Ziff. 3 lit. e EMRK, Art. 172 Abs. 1 BStP.

  Tragung der Kosten nach Art. 172 Abs. 1 BStP für die Übersetzung
ausländischer Untersuchungsakten. Keine Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 3
lit. e EMRK (E. 5).

Sachverhalt

  A.- X. wird vorgeworfen, von November 1997 bis April 2000 zusammen mit
mehreren Mittätern in Griechenland ein hochtechnologisiertes Labor zur
Herstellung von Amphetamintabletten in grossen Mengen betrieben zu haben.
Dieses Labor befand sich auf dem Firmenareal der von ihm präsidierten B. AG
und der von ihm mitbeherrschten A. GmbH in Kazarma/Korinth.

  B.- Weil X. als griechisch-schweizerischer Doppelbürger nicht an
Griechenland ausgeliefert werden konnte, ersuchte das griechische
Justizministerium die Schweiz um Übernahme des dort gegen diesen geführten
Strafverfahrens. Am 13. Juli 2005 erhob die Schweizerische
Bundesanwaltschaft beim Bundesstrafgericht Anklage gegen X. wegen
qualifizierter Widerhandlungen gegen die Betäubungsmittelgesetzgebung sowie
wegen Anstiftung zu falschem Zeugnis. Mit Entscheid vom 22. September/25.
Oktober 2005 trat das Bundesstrafgericht auf die Anklage wegen fehlender
Bundesgerichtsbarkeit nicht ein. Dieser Entscheid wurde vom Bundesgericht
kassiert (BGE 132 IV 89).

  C.- Am 5. Juli 2006 wurde X. vom Bundesstrafgericht der qualifizierten
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Ziff. 1
Abs. 2 und 6 in Verbindung mit Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG schuldig
befunden, indes freigesprochen vom Vorwurf des Verkaufs von
Betäubungsmitteln (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG). Auf die Anklage betreffend
Anstiftung zu falschem Zeugnis (Art. 307 StGB), respektive Versuchs dazu,
wurde nicht eingetreten. X. wurde mit 6 1/2 Jahren Zuchthaus und einer Busse
von Fr. 600'000.- bestraft.

  D.- Gegen diesen Entscheid erheben sowohl die Schweizerische
Bundesanwaltschaft (6S.479/2006) als auch X. (6S.482/2006) eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde. Beide verlangen die teilweise Aufhebung des
angefochtenen Entscheids. Die Bundesanwaltschaft beantragt die Rückweisung
der Sache zur Neubeurteilung, X. die Rückweisung zur Freisprechung und die
Gewährung der aufschiebenden Wirkung.

  Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde der Bundesanwaltschaft
teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  I. Nichtigkeitsbeschwerde der Bundesanwaltschaft (6S.479/2006)

  3.  Das Bundesstrafgericht ist auf den Anklagevorwurf der Anstiftung zu
falschem Zeugnis nicht eingetreten, weil er in der Anklageschrift nicht
hinreichend substantiiert sei. Die Bundesanwaltschaft bestreitet dies und
verlangt, dass darüber materiell zu entscheiden sei.

  3.1  Das Bundesgericht hat in einem kürzlich ergangenen Urteil
festgehalten, das Bundesstrafgericht könne sich nicht damit begnügen, auf
eine in einzelnen Punkten für ungenügend erachtete Anklage nicht
einzutreten, sondern habe der Bundesanwaltschaft Gelegenheit zur
Verbesserung zu geben (BGE 133 IV 93). Das gilt auch hier.

  3.2  Allerdings wird im angefochtenen Urteil in einer Eventualbegründung
die Auffassung vertreten, die Einvernahme von Zeugen durch ausländische
Richter falle nicht unter den Schutz von Art. 307 StGB. Dem kann jedenfalls
mit Bezug auf die rechtshilfeweise auf schweizerisches Begehren
durchgeführte Befragung durch einen griechischen Richter nicht
beigepflichtet werden (a.A. URSULA CASSANI, Commentaire du droit pénal
suisse, Volume 9: Crimes ou délits contre l'administration de la justice,
Art. 303-311 CP, Bern 1996, N. 4 zu Art. 307 StGB). Der Tatbestand von Art.
307 StGB schützt die wahrheitsgemässe Tatsachenfeststellung in gerichtlichen
Verfahren und damit die Rechtspflege in ihrer Funktionsfähigkeit. Es geht
darum sicherzustellen, dass der Richter bei der Beweisaufnahme nicht durch
falsche Aussagen in die Irre geführt und die Wahrheitsfindung im Prozess
dadurch gefährdet wird (Bernard Corboz, Les infractions en droit suisse, Bd.
II, Bern 2002, N. 1-4 zu Art. 307 StGB; PAUL LOGOZ, Commentaire du Code
pénal suisse, Partie spéciale II, Neuenburg/Paris 1956, N. 1 zu Art. 307
StGB). Auch wenn, was hier nicht zu entscheiden ist, der Schutzbereich auf
schweizerische gerichtliche Verfahren beschränkt sein sollte, so bleibt
festzustellen, dass die Lauterkeit des schweizerischen Verfahrens tangiert
ist, wenn bei der rechtshilfeweisen Einvernahme für dieses Verfahren vor dem
ausländischen Richter falsche Aussagen getätigt werden.

  Auch die Eventualbegründung hält damit vor Bundesrecht nicht stand,
weshalb der angefochtene Entscheid in diesem Punkt aufzuheben ist.
  (...)

Erwägung 5

  5.  Das Bundesstrafgericht hat die im Ermittlungs- und
Untersuchungsverfahren angefallenen Kosten für die Übersetzung der aus
Griechenland übermittelten Unterlagen in Höhe von Fr. 193'000.- unter
Hinweis auf Art. 6 Ziff. 3 lit. e EMRK auf die Staatskasse genommen. Die
Bundesanwaltschaft macht demgegenüber geltend, diese Kosten seien in
Anwendung von Art. 172 Abs. 1 BStP dem Verurteilten aufzuerlegen.

  5.1  Nach Art. 6 Ziff. 3 lit. e EMRK hat jede angeklagte Person das Recht,
unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie
die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts, die mit derjenigen des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte übereinstimmt, besteht grundsätzlich ein
Anspruch auf Übersetzung aller Schriftstücke und mündlichen Äusserungen, auf
deren Verständnis der Angeklagte angewiesen ist, um in den Genuss eines
fairen Verfahrens zu kommen (BGE 118 Ia 462 E. 2a; Urteile des EGMR i.S.
Luedicke, Belkacem und Koç gegen Deutschland vom 28. November 1978, Serie A,
Band 62, Ziff. 48, sowie i.S. Kamasinski gegen Österreich vom 19. Dezember
1989, Serie A, Band 168, Ziff. 74). Dadurch wird dem der Gerichtssprache
nicht mächtigen Angeklagten ermöglicht, die ihn betreffenden
Verfahrensvorgänge zu verstehen und sich im Verfahren verständlich zu
machen: Er soll nicht aufgrund seiner Fremdsprachigkeit zum blossen Objekt
des Verfahrens herabgesetzt werden. Die Kostenlosigkeit der Unterstützung
durch einen Dolmetscher ist zudem geeignet, einer Ungleichbehandlung des
sprachunkundigen Angeklagten durch Kostenfolgen entgegenzuwirken, die auf
einen Angeklagten, der die Gerichtssprache versteht, nicht zukommen können.

  Der Entscheid des Bundesstrafgerichts, die Übersetzungskosten nicht dem
Verurteilten zu überbinden, kann sich nicht auf Art. 6 Ziff. 3 lit. e EMRK
stützen. Der Verurteilte war als griechisch-schweizerischer Doppelbürger mit
der - deutschen - Gerichtssprache vertraut. Er verstand aber auch die aus
Griechenland übermittelten Unterlagen. Diese mussten nicht wegen ihm
übersetzt werden, sondern weil Strafverfolgungsbehörde und Gericht sie sonst
nicht verstanden hätten. Damit aber ist nicht die menschenrechtliche
Garantie eines der Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten betroffen.

  5.2  Gemäss Art. 172 Abs. 1 Satz 1 BStP werden in der Regel die Kosten des
Strafverfahrens einschliesslich derjenigen des Ermittlungsverfahrens,

der Voruntersuchung sowie der Anklageerhebung und -vertretung dem
Verurteilten auferlegt. Die Übersetzungskosten, soweit Art. 6 Ziff. 3 lit. e
EMRK nicht anwendbar ist, gehören zu den Verfahrenskosten, die grundsätzlich
vom Verurteilten zu tragen sind. Jedoch sieht Art. 172 Abs. 1 Satz 2 BStP
vor, dass das Gericht den Verurteilten aus besonderen Gründen ganz oder
teilweise von der Kostenpflicht befreien kann. Dies kann namentlich geboten
sein, wenn die soziale Wiedereingliederung aufgrund der
Kostentragungspflicht gefährdet wäre, was allerdings nicht generell, sondern
nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls angenommen werden darf
(BGE 133 IV 187 E. 6).

  Besondere Gründe für eine Kostenbefreiung sind aber auch anderweitig
denkbar. Die Kosten für die Übersetzung der griechischen Untersuchungsakten
und Dokumente sind hier deshalb entstanden, weil der Beschwerdegegner als
schweizerisch-griechischer Doppelbürger nicht an Griechenland ausgeliefert
werden konnte und die Schweiz deshalb auf Ersuchen des griechischen
Justizministeriums die strafrechtliche Verfolgung übernommen hat. In der
besonderen Situation, dass ein angeschuldigter Schweizer von seinem
verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch Gebrauch machte, nicht ausgeliefert
zu werden (Art. 25 Abs. 1 BV), mag ein hinreichender Grund gesehen werden,
ihn von den gerade deshalb angefallenen Übersetzungskosten zu befreien. Das
Urteil des Bundesstrafgerichts kann daher in diesem Punkt bestätigt werden.