Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 II 64



Urteilskopf

133 II 64

  7. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X.
und Y. gegen Swisscom Mobile SA, Munizipalgemeinde Zermatt und Staatsrat des
Kantons Wallis sowie Kantonsgericht Wallis (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  1A.129/2006 vom 10. Januar 2007

Regeste

  Bau- und planungsrechtliche Möglichkeiten der Gemeinden betreffend
Mobilfunkanlagen.

  Der Schutz vor Immissionen von Mobilfunksendeanlagen ist abschliessend in
der NISV geregelt; diesbezüglich bleibt kein Raum für kantonales oder
kommunales Recht (E. 5.2).

  Ortsplanerische Bestimmungen, die anderen als umweltschutzrechtlichen
Interessen dienen, sind dagegen grundsätzlich möglich, sofern die
Zielsetzungen der Fernmeldegesetzgebung respektiert werden (E. 5.3).

Sachverhalt ab Seite 64

  Die Swisscom Mobile SA reichte am 2. Dezember 2002 bei der
Munizipalgemeinde Zermatt ein Baugesuch für die Errichtung bzw.

Änderung der Mobilfunkanlage im Kirchturm der Pfarrkirche ein. Gegen das
Baugesuch erhoben X., Y. und weitere Personen Einsprache.

  Die Gemeinde Zermatt verlangte von der Swisscom Mobile SA und den übrigen
Mobilfunk-Anbietern ein Gesamtkonzept über den zukünftigen Ausbau, die
Zusammenarbeit und die koordinierte Planung von Antennenanlagen im
Gemeindegebiet. Am 25. September 2003 trat die Gemeinde auf das Baugesuch
der Swisscom nicht ein, weil kein Gesamtkonzept vorliege.

  Gegen den Entscheid der Gemeinde reichte die Swisscom Mobile SA Beschwerde
beim Staatsrat des Kantons Wallis ein. Am 5. Oktober 2005 wies der Staatsrat
die Beschwerde ab. Er hielt es für unzulässig, das Baugesuch wegen Fehlens
eines Gesamtkonzepts abzuweisen, schützte den Bauabschlag der Gemeinde
jedoch aus anderen Gründen.

  Die Swisscom focht den Staatsratsentscheid mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Kantonsgericht an. Dieses hiess die
Beschwerde am 19. Mai 2006 gut und wies die Angelegenheit im Sinne der
Erwägungen zu neuem Entscheid an die Gemeinde Zermatt zurück.

  Gegen den kantonsgerichtlichen Entscheid haben X. und Y. am 25. Juni 2006
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen,
der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Baubewilligung sei zu
verweigern.

  Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

  5.  Das Kantonsgericht ging davon aus, dass die Mobilfunkanlage in der
Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zonenkonform sei. Eine gesetzliche
Pflicht zu einer Gesamtplanung und Koordination für Bauvorhaben dieser Art
bestehe weder auf der Ebene des Bundes, noch des Kantons, noch der Gemeinde.
Dann aber dürfe der Bauabschlag nicht wegen Fehlens eines Gesamtkonzepts
aller Mobilfunkanbieter erteilt werden.

  Diese Auffassung hatte bereits der Staatsrat vertreten: Die Baubewilligung
sei eine Polizeierlaubnis, auf deren Erteilung Anspruch bestehe, sofern die
gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien (Art. 24 Abs. 1 der kantonalen
Bauverordnung vom 2. Oktober 1996). Vorliegend seien keine materiellen
Vorschriften oder planerischen Vorgaben

des kantonalen oder kommunalen Rechts ersichtlich, welche es ermöglichen
würden, den Standort im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu
prüfen bzw. die Bewilligung von der Beibringung eines Gesamtkonzepts aller
gegenwärtigen und zukünftigen Antennenstandorte aller
Mobilfunkbetreiberinnen abhängig zu machen.

  5.1  Die Beschwerdeführer machen dagegen geltend, Art. 20 Abs. 2 des
Walliser Baugesetzes vom 8. Februar 1996 (BauG) ermögliche es der Gemeinde,
Auflagen und Bedingungen zum Schutz der Umwelt in die Bewilligung
aufzunehmen oder Projektänderungen zu verlangen, insbesondere um schädliche
Immissionen für die Nachbarschaft einzudämmen. Dies genüge als gesetzliche
Grundlage für die Anordnung einer Koordinationspflicht und für die
Einreichung eines Gesamtkonzepts. Zusätzlich führen sie das Tourismusgesetz
vom 9. Februar 1996 an, das die Gemeinden zur Förderung eines qualitativ
hochstehenden Tourismus und zur Achtung der natürlichen und kulturellen
Gegebenheiten verpflichte. Schliesslich seien nach Art. 18 des Bau- und
Zonenreglements der Gemeinde in der streitbezogenen Zone nur Einrichtungen
zulässig, die im öffentlichen Interesse liegen. Es sei Aufgabe der Gemeinde,
das öffentliche Interesse zu bestimmen und Auflagen und Projektänderungen
zum Schutz der Nachbarschaft zu verlangen.

  5.2  Der Immissionsschutz ist bundesrechtlich im USG und den darauf
gestützten Verordnungen geregelt. Für den Schutz vor nichtionisierender
Strahlung, die beim Betrieb ortsfester Anlagen erzeugt wird, hat der
Bundesrat die Verordnung vom 23. Dezember 1999 über den Schutz vor
nichtionisierender Strahlung (NISV; SR 814.710) erlassen; diese Verordnung
regelt insbesondere auch die Immissionen von Mobilfunksendeanlagen (vgl.
Ziff. 6 Anh. 1 NISV). Diese Regelung ist abschliessend, und zwar nicht nur
hinsichtlich des Schutzes vor schädlicher und lästiger Strahlung, sondern
auch im Bereich des vorsorglichen Immissionsschutzes (vgl. BGE 126 II 399 E.
3c S. 403). Für das kommunale und kantonale Recht bleibt deshalb kein Raum
(so auch BENJAMIN WITTWER, Bewilligung von Mobilfunkanlagen, Diss. Zürich
2006, S. 10 und 91 f.; ARNOLD MARTI, Urteilsanmerkung, ZBl 107/2006 S. 213).
Insofern findet die kantonale Regelung zum Immissionsschutz in Art. 20 BauG
keine Anwendung. Die Gemeinde kann gestützt auf diese Bestimmung keine
Auflagen oder Bedingungen verfügen, die über die Anforderungen der NISV
hinausgehen.

  5.3  Dies bedeutet nicht, dass die Gemeinde keinerlei Möglichkeiten hätte,
auf die Standorte von Mobilfunkanlagen Einfluss zu nehmen: Im Rahmen ihrer
bau- und planungsrechtlichen Zuständigkeiten ist sie grundsätzlich befugt,
Bau- und Zonenvorschriften in Bezug auf Mobilfunksendeanlagen zu erlassen,
sofern sie die bundesrechtlichen Schranken, die sich insbesondere aus dem
Bundesumwelt- und -fernmelderecht ergeben, beachtet (so schon Urteil
1A.280/2004 vom 27. Oktober 2005, E. 3.7.3, publ. in: ZBl 107/2006 S. 207).
Ausgeschlossen sind nach dem oben (E. 5.2) Gesagten bau- oder
planungsrechtliche Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung vor
nichtionisierender Strahlung. Überdies dürfen die kommunalen Vorschriften
nicht die in der Fernmeldegesetzgebung konkretisierten öffentlichen
Interessen verletzen, d.h. sie müssen den Interessen an einer qualitativ
guten Mobilfunkversorgung und an einem funktionierenden Wettbewerb zwischen
den Mobilfunkanbietern Rechnung tragen (vgl. Art. 1 des Fernmeldegesetzes
vom 30. April 1997 [FMG; SR 784.10]).

  Werden die Zielsetzungen der Fernmeldegesetzgebung eingehalten, so sind
ortsplanerische Bestimmungen, die anderen als umweltschutzrechtlichen
Interessen dienen, wie z.B. der Wahrung des Charakters oder der Wohnqualität
eines Quartiers, grundsätzlich möglich (vgl. dazu WITTWER, a.a.O., S. 97 f.;
MARTI, a.a.O., S. 213). In der Regel wird es sich dabei um Negativplanungen
handeln, d.h. um Zonenvorschriften, die Mobilfunkanlagen in bestimmten Zonen
grundsätzlich ausschliessen. Denkbar sind aber auch positive Planungen, die
besondere Zonen für Mobilfunksendeanlagen ausweisen, sofern es sich um
Standorte handelt, die sich besonders gut eignen und eine genügende
Versorgung durch alle Mobilfunkanbieter ermöglichen. Der Konzentration von
Sendestandorten innerhalb des Siedlungsgebiets werden allerdings durch die
Anlagegrenzwerte der NISV enge Grenzen gesetzt (vgl. Ziff. 62 Abs. 1 Anh. 1
NISV, wonach alle Mobilfunksendeantennen, die in einem engen räumlichen
Zusammenhang stehen, als eine Anlage gelten und gemeinsam den
Anlagegrenzwert einhalten müssen).

  5.4  Voraussetzung ist aber in jedem Fall eine gesetzliche Grundlage im
kommunalen oder kantonalen Recht (so auch WITTWER, a.a.O., S. 96 f.; MARTI,
a.a.O., S. 213). Im vorliegenden Fall haben der Staatsrat und das
Kantonsgericht willkürfrei das Vorliegen einer solchen Rechtsgrundlage
verneint. Besteht somit keine entsprechende Grundlage in den Bau- oder
Zonenvorschriften, kann die

Gemeinde weder Einfluss auf die Standortwahl nehmen noch ein Gesamtkonzept
aller Mobilfunkbetreiberinnen für die Standortplanung innerhalb der Bauzone
verlangen.