Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 II 1



Urteilskopf

133 II 1

  1. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Migrationsdienst des Kantons Bern sowie Haftgericht III
Bern-Mittelland (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
  2C_1/2007 vom 5. Februar 2007

Regeste

  Art. 13b Abs. 2 ANAG; Übergangsbestimmungen zur Änderung des Asylgesetzes
vom 16. Dezember 2005 Abs. 1; Verschärfung der Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht; neue maximale Haftdauer der Ausschaffungshaft.

  Die Neuregelung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht im Anhang zur
Änderung des Asylgesetzes vom 16. Dezember 2005 gilt, soweit sie auf den 1.
Januar 2007 in Kraft gesetzt wurde, auch für Fälle, in denen die
Ausschaffungshaft noch aufgrund von Art. 13b Abs. 1 ANAG in der Fassung vom
18. März 1994 angeordnet worden ist, indessen nach dem neuen Recht
verlängert wird (E. 4).

  Die unter altem Recht ausgestandene Ausschaffungshaft ist grundsätzlich
auf die neue Maximaldauer von 18 Monaten anzurechnen (E. 5).

Sachverhalt

  X. (geb. 1986) stammt nach eigenen Angaben aus Liberia. Sie durchlief in
der Schweiz im Jahr 2004 erfolglos ein Asylverfahren. Der Migrationsdienst
des Kantons Bern nahm sie am 9. August 2005 für drei Monate in
Ausschaffungshaft. Ein Haftverlängerungsgesuch wies der Haftrichter 2 am
Haftgericht III Bern-Mittelland am 17. November 2005, weil verspätet, ab;
gleichzeitig ordnete er die Haftentlassung von X. an. Diese galt in der
Folge ab dem 23. November 2005 als verschwunden.

  Am 6. Oktober 2006 wurde X. von den Zürcher Behörden dem Migrationsdienst
des Kantons Bern zugeführt, welcher sie erneut in Ausschaffungshaft nahm.
Die Haftrichterin 6b am Haftgericht III Bern-Mittelland prüfte diese am 10.
Oktober 2006 und bestätigte sie bis zum 5. Januar 2007. Am 18. Dezember 2006
ersuchte der Ausländer- und Bürgerrechtsdienst der Kantonspolizei Bern
darum, die Ausschaffungshaft zu verlängern. Die Haftrichterin entsprach
diesem Ersuchen am 5. Januar 2007 (mit schriftlicher Urteilsbegründung vom
10. Januar 2007) und verlängerte die Festhaltung von X. um sechs Monate bis
zum 5. Juli 2007.

  X. gelangte hiergegen am 5./9. Januar 2007 mit dem Antrag an die
Haftrichterin, ihre Ausschaffungshaft sofort aufzuheben; eventuell sei diese
höchstens um 79 Tage zu verlängern. Das Haftgericht III Bern-Mittelland
überwies ihr Schreiben am 10. Januar 2007 zuständigkeitshalber dem
Bundesgericht. Dieses nimmt die Eingabe als Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten entgegen und weist sie ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.

  4.1  Die Beschwerdeführerin wendet ein, ihre Ausschaffungshaft sei zu
Unrecht über insgesamt neun Monate hinaus verlängert worden. Sie habe sich
im Jahre 2005 bereits während 101 Tagen in Ausschaffungshaft

befunden, wobei zu dieser Zeit deren Maximaldauer auf neun Monate beschränkt
gewesen sei, so dass diese heute abgelaufen wäre, hätte die Haftverlängerung
damals rechtzeitig stattgefunden. Inzwischen sei sie während weiterer 90
Tage in Ausschaffungshaft gewesen; sie könne somit höchstens noch 79 Tage
festgehalten werden. Ihre Ausführungen überzeugen nicht:

  4.2  Nach Art. 13b Abs. 2 ANAG in seiner Fassung vom 18. März 1994 (SR
142.20; AS 1995 S. 146 ff.;) durfte die Ausschaffungshaft höchstens drei
Monate dauern, doch konnte sie mit Zustimmung der richterlichen Behörde um
maximal sechs Monate verlängert werden, wenn dem Vollzug der Weg- oder
Ausweisung besondere Hindernisse entgegenstanden (vgl. BGE 130 II 56 E.
4.1.2 S. 60; 124 II 1 E. 1). Mit der Änderung des Asylgesetzes vom 16.
Dezember 2005 wurde diese Bestimmung verschärft (vgl. JÜRG SCHERTENLEIB, Zur
Teilrevision des Asylgesetzes, in: Asyl 1/06 S. 26 ff., dort S. 28;
derselbe, Die Teilrevision des Asylgesetzes, Kommentierte Übersicht, Bern
2006, S. 19): Gemäss der seit dem 1. Januar 2007 gültigen Fassung vom Art.
13b Abs. 2 ANAG darf die Ausschaffungshaft (nach Absatz 1 lit. a-d; Abs. 1
lit. e ANAG steht noch nicht in Kraft) nach wie vor höchstens drei Monate
dauern, doch kann sie mit Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde
neu um maximal fünfzehn Monate (für Minderjährige zwischen 15 und 18 Jahren
um maximal neun Monate) verlängert werden; ihre Höchstdauer beträgt demnach
insgesamt nicht mehr neun, sondern nunmehr 18 Monate (bzw. zwölf Monate für
Minderjährige zwischen 15 und 18 Jahren). Die Vorbereitungs-, Ausschaffungs-
und Durchsetzungshaft dürfen zusammen zudem eine maximale Haftdauer von 24
Monaten (bei Minderjährigen zwischen 15 und 18 Jahren von zwölf Monaten)
nicht überschreiten (Art. 13h ANAG in der Fassung vom 16. Dezember 2005 [AS
2006 S. 4771]).

  4.3  Diese Neuregelung gilt auch für Fälle, in denen die Haft - wie hier -
aufgrund von Art. 13b Abs. 1 ANAG in seiner Fassung vom 18. März 1994
angeordnet worden ist, indessen nach dem 1. Januar 2007 verlängert wird:
  4.3.1  Gemäss den Übergangsbestimmungen zur Änderung des Asylgesetzes vom
16. Dezember 2005 ist das neue Recht auf die im Zeitpunkt seines
Inkrafttretens hängigen Verfahren anwendbar (III. Übergangsbestimmungen zur
Änderung vom 16. Dezember 2005 [AS 2006 S. 4762] i.V.m. Abs. 2 lit. b der
Inkraftsetzung [AS 2006

S. 4767]). Die Möglichkeit der Verlängerung der Ausschaffungshaft um 15
Monate wurde neu im Ständerat eingebracht (AB 2005 S 372 f.; vgl. dagegen
noch die Botschaft des Bundesrats vom 4. September 2002 zur Änderung des
Asylgesetzes, BBl 2002 S. 6845 ff., dort S. 6907 ff.; zur
Entstehungsgeschichte: vgl. AB 2005 N 1145 [Voten Müller und Perrin], S.
1155 ff. [Votum von Bundesrat Blocher]). Es soll damit einerseits
psychologisch auf die inhaftierten Personen eingewirkt und deren Kooperation
gefördert werden; andererseits geht es darum, den Migrationsbehörden mehr
Zeit für die Organisation der (zwangsweisen) Rückführung einzuräumen (AB
2005 N 1198 [Votum Roth-Bernasconi], S. 1199 ff. [Voten von Bundesrat
Blocher und Kommissionssprecher Müller Philipp]). Diese Zielsetzungen würden
weitgehend vereitelt, fände das neue Recht auf bereits altrechtlich in
Ausschaffungshaft genommene Personen keine Anwendung. Es entspricht auch
allgemeinen übergangsrechtlichen Grundsätzen, dass neue verfahrensrechtliche
Bestimmungen - hier die Sicherung des Wegweisungsvollzugs durch
Zwangsmassnahmen - unmittelbar mit ihrem Inkrafttreten gelten (vgl. BGE 130
V 560 E. 3.1 S. 562; 112 Ib 576 E. 2; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich 2006, Rz. 327a). Für die materielle
Beurteilung ist regelmässig die Rechtslage entscheidend, wie sie bestand,
als der angefochtene Verwaltungsakt (die Haftverlängerung) erging (vgl. BGE
127 II 306 E. 7c S. 315 f.; 125 II 591 E. 5e/aa S. 598 mit Hinweisen).

  4.3.2  Der Migrationsdienst nahm die Beschwerdeführerin zwar zu einem
Zeitpunkt in Ausschaffungshaft, in dem deren Maximaldauer noch auf neun
Monate beschränkt war. Der Vollzug des durch die Haft gesicherten
Wegweisungsverfahrens war am 1. Januar 2007 indessen noch hängig. Der
angefochtene Entscheid über die Haftverlängerung erging danach. Das
Bundesgericht hat zu Art. 2 der Schlussbestimmungen des Bundesgesetzes vom
18. März 1994 über die Zwangsmassnahmen, der ebenfalls vorsah, dass für die
im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes hängigen Verfahren das neue
Recht gelten sollte, ausgeführt, der Gesetzgeber habe damit eine auf das
geänderte Recht gestützte (erneute) Inhaftierung eines Ausländers nicht
ausschliessen wollen. Mit dem hängigen Verfahren sei nicht das eigentliche
Haftverfahren, sondern in einem weiteren Sinne das gesamte
Wegweisungsverfahren einschliesslich des Vollzugsstadiums gemeint (Urteil
2A.200/1997 vom 29. Mai 1997, E. 1c mit Hinweisen).

  4.3.3  Nichts anderes ergibt sich aus dem Vertrauensgrundsatz (Art. 9 BV;
vgl. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., Rz. 322; BGE 130 I 26 E. 8.1 S. 60; 128
II 112 E. 10b/aa S. 125 f.; 122 II 113 E. 3b/cc S. 123): Die
Beschwerdeführerin hält sich illegal in der Schweiz auf und muss das Land
verlassen. Der Ablauf der Maximaldauer der Ausschaffungshaft verschafft ihr
keinen Anspruch auf Verbleib; es stellt sich einzig die Frage, ob und unter
welchen Bedingungen der Vollzug ihrer Wegweisung allenfalls erneut mit einer
Inhaftierung gesichert werden kann (grundlegend zu dieser Möglichkeit:
Urteil 2A.428/2006 vom 14. August 2006, E. 2 und 3 mit Hinweisen). Die
Beschwerdeführerin konnte sich nicht darauf verlassen, dass das Gesetz keine
Änderungen erfahren und sie zur Sicherung des Vollzugs ihrer Wegweisung
künftig nicht über neun Monaten hinaus administrativ festgehalten würde.

Erwägung 5

  5.  Ergänzend stellt sich die Frage, ob und wieweit die von ihr bisher
ausgestandene Ausschaffungshaft auf die neue maximale Haftdauer anzurechnen
ist:

  5.1  Ein Freiheitsentzug als Eingriff in das Grundrecht der persönlichen
Freiheit muss verhältnismässig sein; die zulässige maximale Dauer bildet
einen Aspekt hiervon und steht deshalb im Zusammenhang mit dem vom Gesetz
mit der Ausschaffungshaft als Zwangsmassnahme verfolgten Zweck bzw. mit den
dadurch gesetzlich geschützten öffentlichen Interessen (vgl. HUGI YAR,
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold,
Ausländerrecht, Basel/Genf/München 2002, Rz. 7.29 [S. 271] und Rz. 7.84
ff.). Dieser Zusammenhang ist auch in intertemporalrechtlicher Hinsicht zu
beachten; die übergangsrechtliche Regelung bzw. ihre Anwendung muss sich im
Hinblick auf die Rechtspositionen der Betroffenen als verhältnismässig
erweisen (so das Urteil 2A.200/1997 vom 29. Mai 1997, E. 2c mit Hinweisen).

  5.2  Die alt- und neurechtliche Regelung der Ausschaffungshaft decken sich
in Zweck, Ausgestaltung und Voraussetzungen weitestgehend; es rechtfertigt
sich deshalb grundsätzlich, eine vor dem Inkrafttreten der verschärften
Zwangsmassnahmen bereits ausgestandene Ausschaffungshaft auf die neue
maximale Haftdauer anzurechnen (vgl. das Urteil 2A.200/1997 vom 29. Mai
1997, E. 2c). Anders kann es sich in jenen Fällen verhalten, in denen
zwischen der alten und der neuen Haft eine deutliche bzw. klare Zäsur
besteht, der Betroffene etwa seit der altrechtlichen Festhaltung die Schweiz
verlassen

hat oder ausgeschafft worden ist und hernach erneut in die Schweiz gelangt,
so dass im Resultat ein neues Wegweisungsverfahren (oder allenfalls ein
neuer Haftgrund) vorliegt mit der Folge, dass gegenüber dem Betroffenen
wiederum (neue) Zwangsmassnahmen angeordnet werden können (vgl. BGE 125 II
465 E. 3 und 4; Urteil 2A.200/1997 vom 29. Mai 1997, E. 2c).

  5.3  Die von der Beschwerdeführerin seit dem 6. Oktober 2006 ausgestandene
Haft ist somit auf die neue maximale Haftdauer anzurechnen; jene aus dem
Jahre 2005 soweit, als zwischen ihrer damaligen und der heutigen Festhaltung
keine eigentliche Zäsur im dargelegten Sinn besteht. Ob eine solche
vorliegt, braucht hier nicht geprüft zu werden, da die (neue) Maximaldauer
der Ausschaffungshaft durch die Verlängerung bis zum 5. Juli 2007 so oder
anders nicht erreicht wird.