Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 449



Urteilskopf

133 III 449

  56. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen
Kanton Uri (Berufung)
  4C.28/2007 vom 12. Juni 2007

Regeste

  Vertrauenshaftung.

  Die Erwartung, dass der Partner ohne vertragliche Verpflichtung eine
Leistung erbringe, ist grundsätzlich nicht schützenswert. Eine Ausnahme
liegt namentlich dann vor, wenn ein entsprechender Vertragsschluss auf Grund
der bestehenden Machtverhältnisse oder der Abhängigkeit des Vertrauenden
faktisch nicht möglich ist und dem Vertrauenden gleichzeitig der Verzicht
auf das Geschäft bzw. auf die Geschäftsbeziehung nicht zugemutet werden kann
(E. 4.1). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt (E.
4.2).

Sachverhalt

  A.- Die Arbeitsgemeinschaft Y. AG fabrizierte und montierte gestützt auf
einen mit dem Kanton Uri (Beklagter) und dem Kanton Tessin abgeschlossenen
Werkvertrag Niederspannungs- und Schwachstromverteilungen in den
Schutzräumen des Gotthard-Strassentunnels. Da an den Verteilungen
verschiedene Mängel auftraten, mussten Sanierungsarbeiten durchgeführt
werden, zu denen die Y. AG die X. AG als Subunternehmerin beizog.

  A. (Kläger) ist in Bezug auf die eingeklagte Forderung der
Rechtsnachfolger der X. AG.

  B.- Am 31. Dezember 1993 erhob die X. AG gegen den Kanton Uri Klage mit
dem Rechtsbegehren, der Beklagte sei zu verurteilen, ihr Fr. 955'911.-
zuzüglich gerichtlich festzulegendem Zins seit 31. Dezember 1993 zu
bezahlen. Sie verlangte damit die Differenz zwischen den ausbezahlten
Monatslöhnen und den höheren Stundenlöhnen, die ihr zugesagt worden seien,
nachdem sie wegen der zu tiefen Ansätze die Einstellung der
Sanierungsarbeiten angedroht habe.

  Mit Urteil vom 11. Juli 2005 verpflichtete das Landgericht Uri den
Beklagten, dem Kläger Fr. 587'139.90 nebst Zins zu 6,77 % für die Zeit vom
31. Dezember 1993 bis zum 1. April 2003 und zu 6,25 % seit dem 2. April 2003
zu bezahlen. Es kam zum Schluss, dass in einer Krisensitzung höhere
Stundenansätze ausgehandelt worden seien. Es verneinte, dass zwischen der
Bauherrschaft und der Arbeitsgemeinschaft Y. AG im Sinn eines Vertrags
zugunsten eines Dritten ein direktes Forderungsrecht der X. AG gegen die
Bauherrschaft vereinbart worden sei, weshalb dem Kläger eine vertragliche
Grundlage für die geltend gemachten Forderungen fehle. Es bejahte hingegen,
dass dem Kläger gegenüber dem Beklagten Schadenersatzansprüche aus erwecktem
und enttäuschtem Vertrauen zuständen. Es sprach dem Kläger die Differenz
zwischen den in der Zeit vom 1. November 1983 bis zur Beendigung der
Sanierungsarbeiten bezahlten Monatslöhnen und den vereinbarten höheren
Stundenlöhnen zu.

  C.- Die vom Beklagten gegen dieses Urteil erhobene Berufung hiess das
Obergericht des Kantons Uri mit Entscheid vom 22. Juni 2006 gut. Es hielt
die Voraussetzungen der Vertrauenshaftung im vorliegenden Fall zwar für
erfüllt. Die vorinstanzliche Schadensberechnung beruhe aber zu Unrecht auf
dem Erfüllungsinteresse, da sich der Schadenersatzanspruch auf das negative
Interesse beschränke.

Die Schadenspositionen, die unter dem Gesichtspunkt des negativen Interesses
geschuldet seien, habe der Kläger jedoch weder vor der Vorinstanz noch vor
dem Obergericht substanziiert dargelegt und unter Beweis gestellt, weshalb
die Klage abzuweisen sei.

  Das Bundesgericht weist die gegen das Urteil des Obergerichts eingereichte
Berufung des Klägers ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  Als Grundlage für die eingeklagte Forderung macht der Kläger unter
anderem eine Haftung aus erwecktem und enttäuschtem Vertrauen geltend.

  4.1  Das Bundesgericht anerkennt seit einiger Zeit die Rechtsfigur der
Vertrauenshaftung als eigenständige Haftungsgrundlage (BGE 130 III 345 E.
2.1 S. 349; 124 III 297 E. 6a S. 304; 121 III 350 E. 6c S. 355; 120 II 331
E. 5a S. 336; Urteile des Bundesgerichts 4C.299/1998 vom 7. Januar 1999, E.
4a, publ. in: recht 19/2001 S. 68; 4C.280/1999 vom 28. Januar 2000, E. 3a,
publ. in: SJ 2000 I S. 549). Es geht dabei um die Haftung eines
vertragsfremden Dritten, die zum Tragen kommt, wenn der Dritte zunächst
schutzwürdiges Vertrauen erweckt und dieses anschliessend treuwidrig
enttäuscht (BGE 130 III 345 E. 2.1 S. 349 mit Hinweisen). Die
Vertrauenshaftung wurde gestützt auf das der Culpa-Haftung zugrundeliegende,
bestimmte gegenseitige Treuepflichten der Partner begründende
Vertragsverhandlungsverhältnis aus der Überlegung heraus entwickelt, dass in
wertungsmässig vergleichbaren Fällen der haftpflichtrechtliche Schutz
ebenfalls nicht versagt bleiben darf (BGE 120 II 331 E. 5a S. 335 f.). Das
Bundesgericht knüpft die Haftung aus erwecktem und enttäuschtem Vertrauen
allerdings an strenge Voraussetzungen. Schutz verdient nicht, wer bloss
Opfer seiner eigenen Unvorsichtigkeit und Vertrauensseligkeit oder der
Verwirklichung allgemeiner Geschäftsrisiken wird, sondern nur, wessen
berechtigtes Vertrauen missbraucht wird (BGE 124 III 297 E. 6a S. 303 f.;
121 III 350 E. 6c S. 355 f.; 120 II 331 E. 5a S. 336). Insbesondere ist die
Erwartung, dass der Partner ohne vertragliche Verpflichtung eine Leistung
erbringe, grundsätzlich nicht schützenswert, da es dem Vertrauenden in aller
Regel zumutbar ist, sich durch einen entsprechenden Vertragsschluss
abzusichern. Die Anerkennung der Vertrauenshaftung darf nicht dazu führen,
dass das Rechtsinstitut des

Vertrags ausgehöhlt wird (PETER LOSER, Die Vertrauenshaftung im
schweizerischen Schuldrecht, Habilitationsschrift, Basel 2006, N. 971;
CLAUS-WILHELM CANARIS, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht,
Habilitationsschrift, München 1971, S. 364 f. und 369). Das Vertrauen auf
eine freiwillige Leistungserbringung kann deshalb nur ganz ausnahmsweise
Schutz finden, namentlich wenn der Vertragsschluss auf Grund der bestehenden
Machtverhältnisse oder der Abhängigkeit des Vertrauenden faktisch nicht
möglich ist und dem Vertrauenden gleichzeitig der Verzicht auf das Geschäft
bzw. auf die Geschäftsbeziehung nicht zugemutet werden kann (LOSER, a.a.O.,
N. 971 und 981; CANARIS, a.a.O., S. 355, 366 und 369).

  4.2  Im vorliegenden Fall führte die X. AG die Sanierungsarbeiten weiter,
weil sie darauf vertraute, die in Aussicht gestellten höheren
Entschädigungen ausbezahlt zu bekommen. Gegenüber dem Beklagten richtete
sich das Vertrauen darauf, dieser werde sicherstellen, dass der X. AG
entweder durch die Y. AG oder sonst durch ihn selbst die Differenz zu den
ausbezahlten Monatslöhnen vergütet werde. Eine derartige Erwartung ist nach
dem Gesagten nur dann schützenswert, wenn ein entsprechender Vertragsschluss
nicht möglich und ein Verzicht des Klägers auf das Geschäft nicht zumutbar
gewesen wäre. Der Kläger behauptet selbst nicht, der Abschluss eines
entsprechenden Garantievertrags mit dem Beklagten wäre auf Grund der
bestehenden Machtverhältnisse nicht möglich gewesen. Er macht im Gegenteil
geltend, der Beklagte wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
sogar bereit gewesen, mit der X. AG direkt einen Werkvertrag abzuschliessen,
wenn diese ihre Arbeiten als Subunternehmerin definitiv eingestellt hätte,
da er keine realistische Alternative gehabt hätte. Nach Angaben des Klägers
befand sich die X. AG also gegenüber dem Beklagten in einer starken
Verhandlungsposition. Dennoch unterliess sie es, einen Garantievertrag mit
dem Beklagten abzuschliessen, um die Bezahlung der Differenz zwischen den
Monatslöhnen und den in Aussicht gestellten Stundenlöhnen sicherzustellen.
Unter diesen Umständen kann ihr Vertrauen nicht als schützenswert angesehen
werden. Es liegt kein Fall einer Vertrauenshaftung vor.