Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 406



Urteilskopf

133 III 406

  50. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S.
Gesellschaft X. und Stiftung Y. gegen T., U. und V. (Berufung)
  5C.46/2007 / 5C.47/2007 vom 6. Juni 2007

Regeste

  Art. 494 ZGB; Regeln für die Auslegung von Erbverträgen. Verhältnis
zwischen einem Erbvertrag und ihm widersprechenden späteren unentgeltlichen
Zuwendungen.

  Die Frage, ob eine vertragsmässige und damit bindende oder eine einseitige
und damit widerrufliche Anordnung vorliegt, muss auf Grund der
Interessenlage der Vertragsparteien beantwortet werden, wenn deren
übereinstimmender wirklicher Wille nicht ermittelt werden kann und der
Wortlaut der Vertragsklausel keinen genauen Aufschluss gibt. Die Einsetzung
von Dritten als Erbinnen, die mit dem erstversterbenden Ehegatten weder in
einer verwandtschaftlichen noch in einer persönlichen Beziehung standen,
kann der überlebende Ehegatte grundsätzlich frei widerrufen (E. 2 und 3).

Sachverhalt

  A.Z. (Ehemann) und B.Z. (Ehefrau), Jahrgänge 1926 und 1928, heirateten am
3. Juli 1954. Ihre Ehe blieb kinderlos. Am 7. Dezember 1973 liessen die
Ehegatten einen Ehe- und Erbvertrag öffentlich beurkunden. Sie vereinbarten
den Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft. Für die Auflösung des
ehelichen Vermögens nach dem Ableben des erstversterbenden Ehegatten sahen
sie vor, dass das eheliche Gesamtgut vollumfänglich dem überlebenden
Ehegatten zufallen sollte (Bst. A Ziff. 3). Unter dem Zwischentitel
"Erbrechtliche Vereinbarungen" (Bst. B) setzten sie sich gegenseitig als
Alleinerben ein und trafen folgende Regelung: "Der überlebende Ehegatte ist
über die ihm aus Güterrecht und Erbrecht zugefallenen Vermögenswerte
uneingeschränkt verfügungsberechtigt. Namentlich ist er befugt, nach seinem
Ermessen aus dem ihm zugefallenen Vermögen Zuwendungen vorzunehmen oder zu
verfügen" (Bst. B Ziff. 1.13). Hinsichtlich der Erbfolge und der Erbteilung
beim Ableben des zweitversterbenden Ehegatten oder beim gleichzeitigen Tod
beider Ehegatten bestimmten sie, der frei verfügbare Teil des
Erbschaftsvermögens sei aufzuteilen zur Hälfte an die Gesellschaft X. und
zur Hälfte an die Stiftung Y. (Bst. B Ziff. 2.22).

  B.Z. starb am 14. Juli 1981. In einem eigenhändig errichteten Testament
vom 15. September 1999 widerrief A.Z. sämtliche letztwilligen Verfügungen.
Er setzte T. als Alleinerbin und ihre beiden Kinder U. und V. als
Ersatzerben ein. Für den Fall, dass T. eine Ehe eingehen sollte, bezeichnete
A.Z. sie als Vorerbin ohne Pflicht zur Sicherstellung und die beiden Kinder
als Nacherben. In einem Nachtrag vom 22. September 1999 verfügte A.Z., dass
bei Fehlen eines der Kinder von T. das andere Kind alleine erben sollte.

  A.Z. starb am 25. März 2003. Der Nettowert des Nachlasses beträgt rund 1,9
Mio. Franken. Im behördlichen Sicherungsinventar ist eine 1995
abgeschlossene Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert per 31. Dezember
2002 in der Höhe von Fr. 555'000.- verzeichnet.

Als Begünstigte finden sich in der Police für den Erlebensfall "der
Versicherungsnehmer" und im Todesfall "gemäss Testament" eingetragen.

  Die Gesellschaft X. (Klägerin 1) und die Stiftung Y. (Klägerin 2) erhoben
als Erbinnen gemäss Erbvertrag Klage gegen T. und deren Kinder U. und V.
(hiernach: Beklagte). Die Klagen wurden in erster Instanz gutgeheissen, in
zweiter Instanz hingegen abgewiesen. Das Kantonsgericht stellte fest, dass
auf Grund des Testamentes vom 15./22. September 1999 die Beklagte 1
alleinige Vorerbin ohne Pflicht zur Sicherstellung und ihre beiden Kinder,
die Beklagten 2 und 3, Nacherben zu gleichen Teilen des ganzen Nachlasses
sind. Das Bundesgericht weist die Berufungen der Klägerinnen ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Die Ehegatten Z. haben am 7. Dezember 1973 eine öffentliche Urkunde
mit der Überschrift "Ehe- und Erbvertrag" unterzeichnet. Die "Erbrechtlichen
Vereinbarungen" (Bst. B) regeln die Erbfolge und Erbteilung beim Ableben des
erstversterbenden Ehegatten (Ziff. 1) und beim Ableben des
zweitversterbenden Ehegatten oder beim gleichzeitigen Tod beider Ehegatten
(Ziff. 2). Ein dritter Abschnitt befasst sich mit Fragen der Bestattung.
Streitig ist, inwiefern die vom Erblasser A.Z. 1995 abgeschlossene
Lebensversicherung und das Testament des Erblassers vom 15./22. September
1999 mit dem früher unterzeichneten Erbvertrag vereinbar sind.

  2.1  Gemäss Art. 494 ZGB kann sich der Erblasser durch Erbvertrag einem
andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder
ein Vermächtnis zu hinterlassen (Abs. 1). Er kann über sein Vermögen frei
verfügen (Abs. 2). Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit
seinen Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterliegen
jedoch der Anfechtung (Abs. 3). Neben vertraglichen Bestimmungen, die beide
Parteien binden, kann das in der Form eines Erbvertrags abgefasste
Rechtsgeschäft auch einseitige, testamentarische Klauseln enthalten, die im
Sinne von Art. 509 Abs. 1 ZGB frei widerrufen werden können (BGE 105 II 253
E. 1b S. 257). Spätere Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen können
deshalb gestützt auf Art. 494 Abs. 3 ZGB nicht angefochten werden, wenn der
streitige Teil des Erbvertrags keine vertraglichen Bestimmungen enthält,
sondern einseitige, testamentarische Klauseln (BGE 101 II 305 E. 3a S. 309).

  2.2  Die obligationenrechtlichen Regeln der Vertragsauslegung gelten nach
der Rechtsprechung auch für Erbverträge. Massgebend ist der übereinstimmende
wirkliche Wille der Parteien (Tatfrage). Bleibt eine tatsächliche
Willensübereinstimmung unbewiesen, sind zur Ermittlung des mutmasslichen
Willens der Parteien deren Erklärungen auf Grund des Vertrauensprinzips so
auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie nach den
gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (Rechtsfrage; vgl.
BGE 132 III 626 E. 3.1 S. 632; für Erbverträge: BGE 127 III 529 E. 3c S.
533; Urteil 5C.109/2004 vom 16. Juli 2004, E. 3.3.1, publ. in: Pra 94/2005
Nr. 28 S. 212 f. und ZBGR 87/2006 S. 97 f.). Dabei hat der Wortlaut Vorrang
vor weiteren Auslegungsmitteln, es sei denn, er erweise sich auf Grund
anderer Vertragsbedingungen, dem von den Parteien verfolgten Zweck oder
weiteren Umständen als nur scheinbar klar. Den wahren Sinn einer
Vertragsklausel erschliesst zudem erst der Gesamtzusammenhang, in dem sie
steht. Die Begleitumstände des Vertragsabschlusses oder die Interessenlage
der Parteien in jenem Zeitpunkt dürfen ergänzend berücksichtigt werden
(allgemein: BGE 131 III 377 E. 4.2.1 S. 382 und 606 E. 4.2 S. 611 f.).

  2.3  Die Frage, ob eine bestimmte im Erbvertrag enthaltene Klausel
vertraglicher oder einseitiger Natur ist, beurteilt sich ebenfalls nach
allgemeinen Grundsätzen. Vertragliche Bindung setzt voraus, dass die
Parteien sich entweder tatsächlich übereinstimmend geäussert, verstanden und
in diesem Verständnis geeinigt haben (Tatfrage) oder - d.h. wenn sie sich
übereinstimmend geäussert, aber abweichend verstanden haben - eine der
Parteien nach dem Vertrauensgrundsatz in ihrem Verständnis der gegnerischen
Willenserklärung zu schützen und damit die andere Partei auf ihrer Äusserung
in deren objektiven Sinn zu behaften ist (Rechtsfrage; vgl. BGE 116 II 695
E. 2a S. 696; 123 III 35 E. 2b S. 39 f.; für Erbverträge: PIOTET, Erbrecht,
Schweizerisches Privatrecht, Bd. IV/1, Basel 1978, § 33/I S. 205 ff. und §
49/II/C S. 350 bei Anm. 42; KNAPP, Les clauses conventionnelles et les
clauses unilatérales des pactes successoraux, Festschrift zum 70. Geburtstag
von Prof. Dr. Peter Tuor, Zürich 1946, S. 201 ff., 216).

  Gibt der Wortlaut der Vertragsklausel dabei keinen genauen Aufschluss, ist
der Parteiwille nach der früheren Praxis des Bundesgerichts vorab anhand von
Tatsachenvermutungen zu ermitteln gewesen. Eine Klausel sollte danach als
vertraglich gelten, wenn sie

nicht bloss zufällig in den Vertragstext eingestreut ist, sondern damit auch
innerlich zusammenhängt (BGE 70 II 7 E. 2 S. 11). Die neuere Rechtsprechung
folgt der Interessentheorie. Ob eine vertragsmässige und damit bindende oder
eine einseitige und damit widerrufliche Anordnung vorliegt, muss auf Grund
der Interessenlage der Vertragsparteien entschieden werden (Urteil
5C.256/2004 vom 2. Juni 2005, E. 3.2 mit Hinweisen auf die Lehre, vorab auf
KNAPP, a.a.O., S. 216 ff.; vgl. auch PIOTET, a.a.O., § 28/II/B S. 178 f.;
GHANDCHI SCHMID, Aufhebung von Erbverträgen, ZBGR 85/2004 S. 381 ff., S. 384
ff. Ziff. VI). Angeknüpft wird insoweit an das deutsche Recht.
Ausschlaggebend ist im Einzelfall, ob der Vertragspartner des Erblassers ein
- für diesen erkennbares oder diesem bekanntes - Interesse an dessen Bindung
gehabt hat (vgl. LANGE/KUCHINKE, Lehrbuch des Erbrechts, 4. Aufl., München
1995, S. 446 f.; MUSIELAK, Münchener Kommentar, 2004, N. 3 zu § 2278 BGB,
mit Hinweisen).

  2.4  Das Kantonsgericht hat die massgebenden Auslegungsgrundsätze
zutreffend dargestellt und festgehalten, Belege für den subjektiven Willen
der Parteien fehlten. Die Ermittlung des Vertragssinns müsse sich daher nach
objektiven Kriterien und somit nach dem Vertrauensprinzip richten. Soweit es
dabei freilich auf den Willen des Erblassers, wie er sich aus dessen
nachträglichem Verhalten ergeben soll, abgestellt hat, ist der Einwand der
Klägerinnen berechtigt, darauf könne es für die Ermittlung des objektiven
Sinnes einer Vertragsklausel nicht ankommen (E. 2.3 soeben). Die weiteren
Einwände der Klägerinnen sind hingegen unbegründet und teilweise schwer
nachvollziehbar. Einerseits wird die Verletzung von Art. 18 Abs. 1 OR und
Art. 8 ZGB geltend gemacht und damit die Tatsachengrundlage des Entscheids
bemängelt, andererseits aber eingeräumt, der subjektive Wille der Ehegatten
Z. im Sinne von "Materialien" lasse sich nicht mehr feststellen und die
Auslegung habe deshalb objektiviert zu erfolgen, d.h. die erbvertragliche
Bestimmung so zu gelten, wie sie eine vernünftige Person nach Treu und
Glauben verstehen durfte und musste. Namentlich die Behauptung der Klägerin
1 trifft nicht zu, das Kantonsgericht habe den Vertragswillen der Ehegatten
als unbewiesen betrachtet. Das Kantonsgericht ist vielmehr von einem
übereinstimmenden Parteiwillen der Vertragsschliessenden ausgegangen, den
überlebenden Ehegatten im Sinne einer güter- und erbrechtlichen
Meistbegünstigung sicherzustellen. Es geht hier nicht um den Bestand des
Erbvertrags, sondern um dessen Inhalt. Fehlte es am Vertragswillen
überhaupt, stellte sich die Frage

gar nicht, ob einzelne Klauseln einseitig und damit nicht zum Inhalt des
Erbvertrags gehören.

  2.5  Mangels Tatsachenfeststellungen zum wirklichen Parteiwillen, deren
Fehlen weder mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten worden ist noch
hier mit formell ausreichend begründeten Sachverhaltsrügen beanstandet wird
(Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG; vgl. BGE 119 II 353 E. 5c/aa S. 357), ist
die Auslegung nach dem Vertrauensprinzip erfolgt und im Berufungsverfahren
zu prüfen. Darin besteht der Unterschied zum Urteil 5C.72/2004 vom 26. Mai
2004, auf das sich die Klägerin 1 wiederholt beruft, zumal dort für das
Bundesgericht in tatsächlicher Hinsicht verbindlich festgestellt war, dass
die Vertragspartnerinnen sich (auch) bezüglich der Nacherbenseinsetzung beim
Ableben der zweitversterbenden Vertragspartei (erb-)vertraglich binden
wollten (E. 2.4). Die hier zu prüfende Auslegung nach dem Vertrauensprinzip
hat die Frage zu beantworten, ob Ziff. 2.22 des Erbvertrags, mit der die
Klägerinnen beim Ableben des zweitversterbenden Ehegatten als Erbinnen
eingesetzt wurden, zweiseitig ist und den Erblasser vertraglich gebunden hat
oder ob die Klausel einseitiger, testamentarischer Natur ist, so dass der
Erblasser nach dem Tod seiner Ehefrau zu Lebzeiten und letztwillig über das
ihm erbvertraglich zugefallene Vermögen frei verfügen konnte.

Erwägung 3

  3.  Seine Auslegung hat das Kantonsgericht dahin gehend zusammengefasst,
dass sowohl in textlicher Hinsicht als auch mit Blick auf Intentionen und
Interessenlage der Ehegatten die Argumente dafür überwiegen würden, die
Ziff. 2.22 des Erbvertrags als Auffangklausel mit subsidiärer Bedeutung und
somit als testamentarische, einseitig einschränkbare bzw. widerrufbare
Klausel anzusehen. Die Klägerinnen wenden dagegen vor allem die gewählte
Erbvertragsform ein und berufen sich auf die mangelnde Kennzeichnung der
Klausel als einseitige Verfügung und das Fehlen jeglichen Vorbehalts im
Vertragstext zu Gunsten späterer abweichender Verfügungen des überlebenden
Ehegatten.

  3.1  Dass eine Klausel in der Erbvertragsurkunde enthalten ist, soll nach
der Lehre nur ein (allerdings wichtiges) Indiz abgeben, das durch
Überprüfung der in Frage stehenden Parteiinteressen zu verifizieren ist, da
Bindungswirkung ein wechselseitiges Interesse und nicht (nur) einen
Verfügungsverzicht voraussetzt, wobei allerdings die gesamte Vereinbarung
und nicht lediglich eine isolierte Klausel

zu würdigen ist (BREITSCHMID, Basler Kommentar, 2003, N. 12 vor Art. 494-497
ZGB, mit Hinweisen). Der Erbvertragsform kann der Indiziencharakter somit
nicht einfach abgesprochen werden. Entscheidend ist jedoch die
Interessenlage der Vertragsparteien (E. 2.3 hiervor). Ob man sich
vertraglich bindet oder einzeln verfügt, kann zudem verschiedene Gründe
haben. Wenn Ehegatten - wie vorliegend wegen der gegenseitigen Erbeinsetzung
- ohnehin einen Erbvertrag abschliessen müssen, dürfte die Lebenserfahrung
auch eher dafür sprechen, dass sie, soweit dies rechtlich möglich ist, in
einem Akt alle Fragen regeln und nicht noch zusätzlich öffentliche oder
eigenhändige Testamente erstellen wollen. Die Wahl der Erbvertragsform
erscheint unter diesen Umständen nicht als ausschlaggebendes Indiz zu
Gunsten einer gegenseitigen Bindung.

  3.2  Die kinderlosen Ehegatten Z. haben sich in der erbvertraglichen
Vereinbarung gegenseitig als Alleinerben eingesetzt (Ziff. 1) und
vorgesehen, dass die Klägerinnen den überlebenden Ehegatten beerben oder bei
gleichzeitigem Versterben beider Ehegatten erben sollen (Ziff. 2). Dieser
unstreitig gewollte Inhalt der erbrechtlichen Regelung kommt im Vertragstext
ausreichend klar zum Ausdruck. Hingegen lässt sich der Ziff. 2.22, wonach
der frei verfügbare Teil des Erbschaftsvermögens hälftig auf die Klägerinnen
aufzuteilen ist, nicht entnehmen, ob es sich um einseitige Verfügungen eines
jeden Ehegatten oder um vertraglich verpflichtende Erklärungen unter den
Ehegatten handelt (anders z.B. BGE 95 II 519 Sachverhalt lit. A S. 520: "Ils
conviennent, à titre de disposition irrévocable, que la succession du
survivant d'eux sera dévolue de la façon suivante: [...]"; z.B. zit. Urteil
5C.256/2004, Sachverhalt lit. A/b: "Ils conviennent que celui d'entre eux
qui survivra à l'autre ne pourra pas modifier les dispositions prises
ci-dessus [...]"). Mangels ausdrücklicher Bezeichnung ihrer Widerruflichkeit
oder Unwiderruflichkeit muss die Ziff. 2.22 des Erbvertrags im
Gesamtzusammenhang der erbrechtlichen Regelung gesehen werden. Unter diesen
Umständen kann dahingestellt bleiben, welche rechtliche Bedeutung einer
Erwähnung der Unwiderruflichkeit zukäme (vgl. zit. Urteil 5C.256/2004, E.
4.1 Abs. 2 und E. 4.2).

  3.3  Die gegenseitige Meistbegünstigung abschliessend haben die Ehegatten
in Ziff. 1.13 bestimmt, dass der überlebende Ehegatte über die ihm aus
Güterrecht und Erbrecht zugefallenen Vermögenswerte uneingeschränkt
verfügungsberechtigt und namentlich befugt

ist, nach seinem Ermessen aus dem ihm zugefallenen Vermögen Zuwendungen
vorzunehmen oder zu verfügen.

  Die - vom Wortlaut her - umfassende Verfügungsfreiheit widerspricht einer
vertraglichen Verpflichtung des überlebenden gegenüber dem erstversterbenden
Ehegatten, wie sie die Klägerinnen behaupten. Entgegen ihrer Darstellung
kann es sich bei Ziff. 1.13 des Erbvertrags nicht um eine blosse
Wiederholung von Art. 494 Abs. 2 ZGB handeln. Dass der Erblasser danach über
sein Vermögen frei verfügen kann, wird - nach dem gesetzlichen System von
Regel und Ausnahme - durch Abs. 3 des Art. 494 ZGB sogleich wieder
eingeschränkt ("jedoch"), als Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen
der Anfechtung unterliegen, soweit sie mit Verpflichtungen des Erblassers
aus dem Erbvertrag unvereinbar sind. Eine entsprechende Einschränkung der
Verfügungsfreiheit durch letztwillige ("Verfügungen von Todes wegen") und
lebzeitige ("Schenkungen") Anordnungen kommt in Ziff. 1.13 des Erbvertrags
nirgends zum Ausdruck. Es wird gegenteils noch betont, dass der überlebende
Ehegatte dereinst "uneingeschränkt" und "nach seinem Ermessen"
verfügungsberechtigt sein solle. Gerade mit Blick auf die gesetzliche
Regelung muss davon ausgegangen werden, die - nach Angaben der Klägerinnen
erfahrene und sachkundige - Urkundsperson hätte auf die massgebenden
Gesetzesbestimmungen hingewiesen oder einen ausdrücklichen Vorbehalt zu
Gunsten der anschliessenden Erbfolge und Erbteilung beim Ableben des
zweitversterbenden Ehegatten angebracht, wenn nicht ausdrücklich gewollt
gewesen wäre, dass der überlebende Ehegatte die uneingeschränkte
Verfügungsfreiheit erhalten sollte. Im Vertragstext finden sich denn auch
derartige Hinweise auf die einschlägigen Gesetzesvorschriften (Ziff. 1-3 und
5 des Ehevertrags) und auf andere Teile der Urkunde (Ziff. 1.12 des
Erbvertrags). Insoweit hat Ziff. 1.13 einen über die "Verfügungsfreiheit" im
Sinne von Art. 494 Abs. 2 und 3 ZGB hinaus gehenden, eigenen Inhalt und ist
nicht bloss, wie die Klägerin 1 glauben machen will, eine pleonastische und
damit vollständig überflüssige Ergänzung. Vorzuziehen ist stets die
Auslegung, die den Vertragstext gesamthaft erfasst und nicht Teile davon
überflüssig werden lässt (vgl. STEINAUER, Le droit des successions, Bern
2006, N. 294 S. 180 bei/in Anm. 51, mit Hinweis; z.B. BGE 124 III 406 E. 3
S. 412 f.).

  Bei objektivierter Betrachtungsweise durfte deshalb auf Grund des
Wortlauts der einzelnen Klauseln im Vertragsgefüge angenommen

werden, die Erbeinsetzung der Klägerinnen sei eine einseitige,
testamentarische Klausel, so dass abweichende Anordnungen des überlebenden
Ehegatten zu Lebzeiten oder letztwillig nicht ausgeschlossen sein sollten.
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin 2 bedarf es hierzu keines eindeutigen
textlichen Vermerks im Erbvertrag. Die sog. Andeutungstheorie hat das
Bundesgericht für die Auslegung von Erbverträgen aufgegeben (BGE 127 III 529
E. 3c S. 531; vgl. STEINAUER, a.a.O., N. 289 und 289a S. 177, mit
Hinweisen).

  3.4  Mit ihrer ehe- und erbvertraglichen Meistbegünstigung haben die
Ehegatten die bestmögliche wirtschaftliche Sicherstellung des überlebenden
Ehegatten bezweckt. Dieser Zweck war mit dem Ableben des einen Ehegatten vor
dem anderen Ehegatten erreicht, wie auch die Klägerin 2 einräumt. Vom
Vertragszweck her ist eine vertragliche Verpflichtung des zweitversterbenden
Ehegatten, aus dem ihm zugefallenen Vermögen keine unentgeltlichen
Zuwendungen zu machen, somit nicht begründbar. Entgegen der Behauptung der
Klägerin 1 und der kantonsgerichtlichen Annahme besteht auch keine
Asymmetrie zwischen den Befugnissen des erstversterbenden und des
überlebenden Ehegatten. Auf Grund des gemeinsam verfolgten Zweckes waren die
Ehegatten während der Ehe gleichermassen gehindert, erbvertragswidrig zu
verfügen, und nach dem Ableben eines Ehegatten hatten sie sich dieselben
Verfügungsbefugnisse eingeräumt, konnten sie doch zur Zeit des
Vertragsabschlusses im Alter von 45 Jahren (Ehefrau) und 47 Jahren (Ehemann)
offenkundig nicht vorhersehen, wer wen überleben werden würde.

  Entscheidend ist deshalb, welches Interesse der erstversterbende Ehegatte
an einer vertraglichen Verpflichtung des überlebenden Ehegatten gehabt haben
könnte, die Klägerinnen als Erbinnen einzusetzen statt völlig frei über den
gesamten Nachlass lebzeitig oder letztwillig zu verfügen. Diesbezüglich hat
das Bundesgericht in seinem hiervor erwähnten (E. 2.3) Urteil 5C.256/2004
eine schon früher aufgestellte Regel bestätigt, die wie folgt lautet: Setzen
sich in einem Erbvertrag Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben ein und ordnen
sie darüber hinaus für den Fall des Vorversterbens des andern an, was mit
dem eigenen Nachlass geschehen soll, so ist die zweite Anordnung dahin
auszulegen, dass sich jeder Ehegatte nur gegenüber den Verwandten des andern
endgültig binden will; die Zuwendungen an die eigenen Verwandten kann der
überlebende Ehegatte in einem späteren Testament demnach grundsätzlich frei
widerrufen (E. 3.2 mit Hinweis auf das Urteil C.354/1982 vom 3. März

1983, E. 4c; vgl. PIOTET, a.a.O., § 28/II/B S. 179; STEINAUER, a.a.O., S.
316 Anm. 4). Angeknüpft wird damit an das deutsche Recht, das von
gleichlautenden Sätzen der allgemeinen Lebenserfahrung ausgeht (vgl.
LANGE/KUCHINKE, a.a.O., S. 447 in Anm. 55; MUSIELAK, a.a.O., N. 5 zu § 2278
BGB, mit Hinweisen). Ist aber eine Anordnung im Erbvertrag dann vertraglich
und bindend gewollt, wenn der Vertragspartner selbst oder eine ihm verwandte
oder eine ihm sonst nahestehende Person bedacht wird, so ergibt sich daraus
zwanglos der Umkehrschluss, dass das Fehlen jeglicher verwandtschaftlicher
oder persönlicher Nähe gegen den vertraglichen Charakter und für die
Einseitigkeit der Anordnung spricht (vgl. BUCHHOLZ, Zur bindenden Wirkung
des Erbvertrags, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht [FamRZ] 1987
S. 440 ff., 441).

  Die Klägerinnen sind Dritte, die mit der Vertragspartnerin des Erblassers
weder in einer verwandtschaftlichen noch in einer persönlichen Beziehung
gestanden sind. Gegenteiliges haben die kantonalen Gerichte nicht
festgestellt und wird von den Klägerinnen auch nicht behauptet. Das sog.
Bindungsinteresse des erstversterbenden Ehegatten, das eine vertragliche
Verpflichtung des Erblassers begründen könnte, durfte deshalb verneint
werden.

  3.5  Als Ergebnis der Auslegung nach dem Vertrauensprinzip kann
festgehalten werden, dass der Erblasser mit dem Abschluss der
Lebensversicherung im Jahre 1995 und mit der testamentarischen Erbeinsetzung
der Beklagten vom 15./22. September 1999 keine Verpflichtungen aus dem
Erbvertrag vom 7. Dezember 1973 verletzt hat. Die Ziff. 2.22 des
Erbvertrags, wonach Erbinnen des zweitversterbenden Ehegatten die
Klägerinnen sein sollten, durfte als einseitige, testamentarische und damit
frei widerrufliche Klausel qualifiziert werden. Die Berufungen der
Klägerinnen erweisen sich insoweit als unbegründet.