Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 401



Urteilskopf

133 III 401

  49. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Y. (Berufung)
  5C.238/2006 vom 14. Mai 2007

Regeste

  Art. 124 ZGB; angemessene Entschädigung.

  Lange Trennungsdauer berechtigt nicht zur Kürzung der Entschädigung. Diese
hat sich im Übrigen am Grundsatz der hälftigen Teilung der
Austrittsleistungen zu orientieren (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 401

  A.- X. (Ehemann) und Y. (Ehefrau) heirateten im Jahr 1972. Sie haben drei
heute erwachsene Töchter. Seit Mitte 1994 leben sie getrennt.

  B.- Mit Urteil vom 14. Oktober 2004 schied das Zivilgericht Basel-Stadt
die Ehe der Parteien. Es sprach der Klägerin u.a. die hälftige Differenz der
BVG-Guthaben zu, ausmachend Fr. 311'114.85.

  Mit Urteil vom 31. März 2006 verurteilte das Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt den Beklagten wiederum zur Überweisung von Fr.
311'114.85 auf deren Vorsorgekonto, freilich zufolge des inzwischen
eingetretenen Vorsorgefalles nicht mehr gestützt auf Art. 122 ZGB, sondern
als angemessene Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB.

  C.- Mit Berufung vom 18. September 2006 stellt der Beklagte die Begehren,
er sei bei seiner Bereitschaft zu behaften, der Klägerin in Anwendung von
Art. 124 ZGB eine lebenslängliche Rente von Fr. 1'500.- pro Monat zu
bezahlen, die eventualiter zu Fr. 500.- als Unterhaltsrente im Sinn von Art.
125 ZGB und zu Fr. 1'000.- als Entschädigung nach Art. 124 ZGB auszuzahlen
sei, subeventualiter sei er bei seiner Bereitschaft zu behaften, der
Klägerin in Anwendung von Art. 124 ZGB eine Entschädigung von Fr. 207'405.-
zu bezahlen.

  Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Das Appellationsgericht hat befunden, aufgrund der per 1. Mai 2005
erfolgten Pensionierung des Beklagten und des erst am 23. Mai 2005
rechtskräftig gewordenen Scheidungspunktes sei die Teilung des BVG-Guthabens
nach Art. 122 ZGB nicht mehr möglich; vielmehr müsse eine angemessene
Entschädigung im Sinn von Art. 124 Abs. 1 ZGB festgesetzt werden. Die
Angemessenheit beurteile sich nach der Ehedauer sowie den
Vorsorgebedürfnissen und den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien. Je
nach Dauer zwischen dem Eintritt des Vorsorgefalls und der Scheidung
rechtfertige sich auch eine approximative hälftige Teilung.

  Vorliegend habe die Ehe 33 Jahre bzw. das Zusammenleben 22 Jahre gedauert.
Die Klägerin sei als Hausfrau und Mutter für die Erziehung der drei Töchter
zuständig gewesen und habe selbst kaum eine Vorsorge aufbauen können. Sodann
lägen zwischen Pensionierung und Scheidung nur wenige Tage. Vor diesem
Hintergrund rechtfertige sich eine hälftige Teilung der Summe, wie sie der
Klägerin bei Teilung der Differenz zwischen den Austrittsleistungen
zugestanden hätte. Die Klägerin sei für die Sicherung ihrer Zukunft auf den
entsprechenden Betrag angewiesen, und die Zahlung sei dem Beklagten, der
heute zwei Liegenschaften besitze und eine volle Rente aufgrund seines
gesamten Vorsorgeguthabens beziehe, auch ohne weiteres möglich.

Erwägung 3

  3.  Der Beklagte sieht in diesen Erwägungen Art. 124 ZGB verletzt. Er
macht mit Blick auf eine Kapitalleistung geltend, von den 33 Ehejahren
hätten die Parteien während der letzten elf getrennt gelebt. Entsprechend
müsse die Entschädigung um einen Drittel gekürzt werden. Dies sei ein Gebot
von Recht und Billigkeit, zumal

die Klägerin ihn und die Kinder verlassen habe, um eigenen Interessen
nachzugehen. Zudem habe das Bundesgericht kürzlich entschieden, dass bei der
Bemessung des nachehelichen Unterhalts auch die vor der Ehe verbrachte
Konkubinatszeit zu berücksichtigen sei; e contrario sei in Fällen wie dem
vorliegenden die Dauer des Getrenntlebens abzuziehen.

  3.1  Der Vorsorgeausgleich ist ein selbständiges Rechtsinstitut. Wie der
nacheheliche Unterhalt ist er eine Nebenfolge der Scheidung; indes sind für
seine Berechnung eigene Kriterien massgebend (dazu nachfolgend). Zwischen
den beiden Sachfragen besteht lediglich insofern eine Interdependenz, als
die Höhe der Vorsorgeleistungen als eines von vielen Kriterien bei der
Bemessung des Unterhaltsbeitrages zu berücksichtigen ist (vgl. Art. 125 Abs.
2 Ziff. 8 ZGB).

  Unmassgeblich sind in diesem Sinn Verschuldensfragen (Botschaft des
Bundesrates vom 15. November 1995 über die Änderung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches, BBl 1996 I 106 oben; WALSER, in: Basler Kommentar, N. 13
zu Art. 124 ZGB; SUTTER/FREIBURGhaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht,
Zürich 1999, N. 18 zu Art. 124 ZGB), die im Übrigen nach neuem
Scheidungsrecht grundsätzlich auch für den nachehelichen Unterhalt
bedeutungslos sind. Mit dem Vorwurf an die Adresse der Klägerin, diese habe
den gemeinsamen Haushalt verlassen, ist deshalb mit Bezug auf den
Vorsorgeausgleich von vornherein keine Bundesrechtsverletzung darzutun.

  3.2  Ist bei keinem Ehegatten vor Rechtskraft der Scheidung (vgl. BGE 132
III 401) der Vorsorgefall eingetreten, wird die Differenz der nach dem
Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 (FZG; SR 831.42) für die Ehedauer
zu ermittelnden Austrittsleistungen nach der zwingenden Vorschrift von Art.
122 ZGB hälftig geteilt. Das Bundesgericht hat in einem nicht publizierten
Entscheid (5C.111/2001 vom 29. Juni 2001, E. 3b, zitiert mit zustimmenden
Ausführungen bei BAUMANN/LAUTERBURG, in: FamKomm Scheidung, Bern 2005, N. 47
zu Art. 122 ZGB) festgehalten, dass für die Berechnung der zu teilenden
Austrittsleistung auf den Scheidungszeitpunkt abzustellen und somit die
ganze Ehedauer zu berücksichtigen bzw. die Trennungsdauer ausser Acht zu
lassen ist.

  Ist bei einem oder beiden Ehegatten der Vorsorgefall eingetreten, ist die
hälftige Teilung der Austrittsleistung nicht mehr möglich, weshalb gemäss
Art. 124 ZGB eine Entschädigung geschuldet ist, deren

Höhe sich nach Recht und Billigkeit (Art. 4 ZGB) unter Gewichtung aller
erheblichen Fallumstände bemisst (BGE 127 III 433 E. 3 S. 439). Dies ändert
aber nichts daran, dass der Vorsorgeausgleich ein einheitliches Institut
bildet (vgl. BAUMANN/LAUTERBURG, a.a.O., N. 14 Vorbem. zu Art. 122-124 ZGB;
GRÜTTER, Vorsorgeausgleich bei Scheidung, in: FamPra.ch 2006 S. 803 f.), was
Rückwirkungen auf die Auslegung des in Art. 124 ZGB verwendeten unbestimmten
Rechtsbegriffs der Angemessenheit hat:
  Für die in einem ersten Schritt vorzunehmende Berechnung der Höhe des zu
teilenden virtuellen Ausgangsbetrages muss wie bei Art. 122 ZGB die gesamte
Ehedauer massgeblich sein (vgl. BAUMANN/LAUTERBURG, a.a.O., N. 39 zu Art.
124 ZGB). Sodann hat sich die in einem zweiten Schritt festzusetzende
angemessene Entschädigung für den Normalfall am gesetzgeberischen Konzept
der grundsätzlichen hälftigen Teilung gemäss Art. 122 ZGB zu orientieren,
soweit dies im konkreten Einzelfall möglich ist (vgl. BGE 129 III 481 E.
3.4.1 S. 488; 131 III 1 E. 4.2 S. 4; vgl. auch GRÜTTER, a.a.O., S. 803 f.).
Ein schematisches Vorgehen soll indes vermieden werden, ist doch die
Bestimmung von Art. 124 ZGB durch die Verwendung des Begriffes der
Angemessenheit bewusst offen gehalten. So ist namentlich den
Vermögensverhältnissen nach Durchführung der güterrechtlichen
Auseinandersetzung wie auch der sonstigen wirtschaftlichen Lage der Parteien
nach der Scheidung gebührend Rechnung zu tragen (BGE 129 III 481 E. 3.4.1 S.
488; 131 III 1 E. 4.2 S. 4 f.); mithin müssen bei der Festsetzung der
angemessenen Entschädigung insbesondere Kriterien wie Eigenbedarf und
Leistungsfähigkeit des Pflichtigen sowie die Vorsorge(bedürfnisse) des
Berechtigten mitberücksichtigt werden (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 106 oben).

  3.3  Damit stellt sich die Frage, ob der Beklagte in der Lage ist, die
zugesprochene Entschädigung von Fr. 311'114.85 aufzubringen. Die Vorinstanz
hat dies bejaht unter Hinweis darauf, dass der Beklagte zwei Liegenschaften
besitze und eine volle Rente beziehe. Er verfüge unter Einschluss von
Mietzinserträgen über ein Einkommen von rund Fr. 7'600.-.

  In der kantonalen Appellationsbegründung hatte sich der Beklagte, nachdem
erstinstanzlich noch gestützt auf Art. 122 ZGB die Austrittsleistungen
hälftig zu teilen waren, auf den Standpunkt gestellt, dass infolge des in
der Zwischenzeit eingetretenen Vorsorgefalles nur noch eine Entschädigung im
Sinn von Art. 124 ZGB in Frage

komme. Dabei offerierte er einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'500.- und die
Bereitschaft, der Klägerin deren eigene Austrittsleistung zu belassen. Eine
Entschädigung nach Massgabe einer hälftigen Teilung der Austrittsleistungen
bezeichnete er einzig wegen der langen Trennungszeit als unangemessen.
Hingegen machte er mit keinem Wort geltend, zur Zahlung dieses Betrages
wirtschaftlich nicht in der Lage zu sein. In seiner Eingabe vom 22. Juni
2005 an das Appellationsgericht hatte er sein Vermögen im Übrigen auf rund
Fr. 412'000.- beziffert.

  Soweit er in der Berufungsschrift nunmehr behauptet, seine "flüssigen"
Mittel betrügen Fr. 217'996.- bzw. nach Abzug der Prozesskosten und der
güterrechtlichen Ausgleichszahlung nur noch rund Fr. 150'000.-, ist er nicht
zu hören: Abgesehen davon, dass der Beklagte sich mit seinen Ausführungen
sinngemäss gegen die für das Berufungsverfahren verbindlichen kantonalen
Sachverhaltsfeststellungen richtet (Art. 63 Abs. 2 OG), was unzulässig ist
(Art. 55 Abs. 1 lit. c OG), und er im kantonalen Verfahren auch nie geltend
gemacht hatte, den fraglichen Betrag nicht aufbringen zu können,
widerspricht er seinen eigenen Angaben in der Eingabe vom 22. Juni 2005.

  Aus den kantonalen Akten ergibt sich, dass die erste Instanz am 14.
Oktober 2004 gestützt auf Art. 122 ZGB die hälftige Teilung der
Austrittsleistung anordnete. Indes erwuchs der Scheidungspunkt erst am 23.
Mai 2005 mit dem Einreichen der Anträge der Klägerin in der
Anschlussappellation in Rechtskraft. Zwischenzeitlich war am 1. Mai 2005 auf
Seiten des Beklagten der Vorsorgefall eingetreten. Dass eine Teilung der
Austrittsleistung im Sinn von Art. 122 ZGB damit nicht mehr möglich war,
beruht nach dem Gesagten eher auf einer Zufälligkeit bzw. der relativ langen
Zeit, welche die erstinstanzliche Urteilsbegründung in Anspruch genommen
hat.

  Vor diesem Hintergrund und ausgehend vom Grundsatz, dass auch bei der
Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB auf die gesamte Ehedauer abzustellen,
mithin die Trennungsdauer nicht in Abzug zu bringen ist (dazu E. 3.2), ist
nicht zu sehen, inwiefern das Appellationsgericht unbillig entschieden und
Bundesrecht verletzt haben soll, wenn es der Klägerin eine Entschädigung
zugesprochen hat, die summenmässig der Hälfte der Austrittsleistung
entspricht. Auch in der Lehre wird die Ansicht vertreten, dass im konkreten
Fall die angemessene Entschädigung namentlich dann zu einem Resultat führen

könne bzw. müsse, wie es sich bei einer hälftigen Teilung der
Austrittsleistung ergeben hätte, wenn der Vorsorgefall unmittelbar vor dem
Scheidungszeitpunkt eingetreten sei (SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O., N. 18 zu
Art. 124 ZGB; GEISER, Vorsorgeausgleich: Aufteilung bei Vorbezug für
Wohneigentumserwerb und nach Eintreten eines Vorsorgefalls, in: FamPra.ch
2002, S. 95 f.; SCHEI, Vorbezüge aus der zweiten Säule für Wohneigentum im
Scheidungsfall, in: BJM 2006 S. 67).