Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 356



Urteilskopf

133 III 356

  42. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen
X. AG (Berufung)
  4C.437/2006 vom 13. März 2007

Regeste

  Verjährung des Rückforderungsanspruchs für irrtümlich erbrachte Leistungen
(Art. 67 und 127 OR).

  Erbringt der Schuldner irrtümlich Leistungen, die gemäss Vertrag nicht
geschuldet sind, untersteht sein Rückforderungsanspruch nicht der
vertraglichen, sondern der bereicherungsrechtlichen Verjährungsfrist (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 356

  Am 26. März 1998 schloss A. (Beklagte) mit der X. AG (Klägerin) einen
Kreditkartenvertrag. Nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen stellt die
Klägerin der Kundin monatlich über die erfolgten Bezüge eine Rechnung zu,
welche mit Erhalt fällig wird. Auf Wunsch der Beklagten wurden die
Rechnungen im Lastschriftverfahren über ihr Bankkonto ausgeglichen. Am 25.
Juli 2000 betrug die Forderung der Klägerin Fr. 34'182.20. Da das Guthaben
auf dem Bankkonto zur Deckung dieses Betrages nicht ausreichte, ersuchte die
Klägerin die Beklagte schriftlich um Zahlung per Einzahlungsschein. Am 18.
Oktober 2000 überwies die Beklagte Fr. 30'182.20 zur Begleichung des
Ausstandes, ohne die Differenz von Fr. 4'000.- zum Rechnungsbetrag zu
begründen. Am 27. Dezember 2000 bezahlte die Klägerin die Fr. 30'182.20 ohne
Erklärung zurück. Auf

telefonische Anfrage der Beklagten vom 3. Januar 2001 antwortete ihr eine
Angestellte der Klägerin, zum Zeitpunkt der Einzahlung sei keine Schuld mehr
offen gewesen. Noch am selben Tag bestätigte die Beklagte den Inhalt dieses
Telefongesprächs gegenüber der Klägerin schriftlich. Am 19. Dezember 2002
teilte die Klägerin der Beklagten mit, die Rücküberweisung habe auf einem
Irrtum beruht. Es seien nach wie vor Fr. 34'182.20 offen. Hierauf bezahlte
die Beklagte nach einem Schriftenwechsel Fr. 4'000.-.

  Die Klägerin verzichtete auf rund Fr. 350.- für Zinsen und Gebühren,
setzte mit Zahlungsbefehl vom 17. März 2004 Fr. 29'830.15 in Betreibung und
forderte diesen Betrag samt Betreibungskosten von der Beklagten mit einer
Klage vor dem Bezirksgericht Zürich. Die Beklagte nahm den Standpunkt ein,
die Klägerin habe ihr die Schuld erlassen. Überdies beruhe eine allfällige
klägerische Forderung auf ungerechtfertigter Bereicherung und sei verjährt.
Sowohl das Bezirksgericht wie auch das Obergericht des Kantons Zürich
hiessen die Klage gut, wobei das Obergericht die Betreibungskosten nicht
zusprach, da diese nicht Bestandteil der materiellen Forderung bildeten.
Nach Auffassung des Obergerichts liegt kein Schulderlass vor und untersteht
die Forderung der zehnjährigen Verjährungsfrist, welche bei Klageeinleitung
keinesfalls abgelaufen sei.

  Das Bundesgericht heisst die von der Beklagten erhobene Berufung gut und
weist die Sache an das Obergericht zurück zur Abklärung, ob die geltend
gemachte Forderung nach Massgabe der bereicherungsrechtlichen
Verjährungsfristen (Art. 67 Abs. 1 OR) verjährt ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.  Da sich die Berufung auf einen Schulderlass als unbehelflich erwiesen
und die Beklagte einredeweise geltend gemacht hat, die Forderung sei gemäss
Art. 67 Abs. 1 OR verjährt, ist zu prüfen, ob die Auffassung der Vorinstanz,
der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch unterstehe jedenfalls der
zehnjährigen Verjährungsfrist, vor Bundesrecht standhält.

  3.1  Die Vorinstanz hielt dafür, die Klägerin mache einen vertraglichen
Anspruch geltend. Zwar habe die Rückzahlung der Klägerin nicht dem Ausgleich
für bezogene Waren und Dienstleistungen gedient und demnach ausserhalb der
im Kartenvertrag vorgesehenen Transaktionen gelegen, was für das Vorliegen
eines ausservertraglichen Anspruchs sprechen würde. Diese Betrachtungsweise
greift

indessen aus der Sicht der Vorinstanz zu kurz. Die Forderung der Klägerin
sei aus der irrtümlichen Zahlung der Klägerin an die Beklagte entstanden,
einer unvorhergesehenen, im Vertrag nicht ausdrücklich geregelten Situation.
Diesbezüglich liege eine Lücke vor (Art. 2 OR), und der Vertrag sei
entsprechend dem mutmasslichen Parteiwillen zu ergänzen. Dogmatisch sei
davon auszugehen, dass die Vertragsparteien einer generellen Pflicht
unterworfen seien, zur Rückabwicklung versehentlicher Zahlungen Hand zu
bieten. Die vertraglich vereinbarte periodische Zusammenfassung der mit der
Kreditkarte getätigten Bezüge in einer Rechnung komme zudem einem
eigentlichen Kontokorrent nahe, in welchem nach ausdrücklicher Abrede
Guthaben und Verbindlichkeiten periodisch zusammenzufassen und auszugleichen
seien. Im Übrigen rechtfertige sich die Annahme der für vertragliche
Ansprüche geltenden Verjährung auch im Lichte von BGE 126 III 122, dem ein
ähnlicher Fall zugrunde gelegen habe. Die Rückleistungspflicht stehe in
unmittelbarem Zusammenhang zu einem gültigen Vertrag, weshalb nach
Auffassung der Vorinstanz selbst dann die zehnjährige Verjährung zur
Anwendung gelangt, wenn keine vertragliche Pflicht zur Rückzahlung bestehen
und eine ungerechtfertigte Bereicherung im Sinne von Art. 62 OR vorliegen
sollte.

  3.2  Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern
bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten (Art. 62 Abs.
1 OR).

  3.2.1  Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung schliesst ein
vertraglicher Anspruch einen Bereicherungsanspruch aus. Wird eine
vertraglich geschuldete Leistung erbracht, so stellt der gültige Vertrag den
Rechtsgrund dar, weshalb der Leistungsempfänger nicht ungerechtfertigt, d.h.
rechtsgrundlos bereichert sein kann (BGE 130 III 504 E. 6.1 S. 510; 127 III
421 E. 3 S. 424; 126 III 119 E. 3b S. 121 f. mit zahlreichen Hinweisen). In
BGE 114 II 152 ff. hat das Bundesgericht die Anwendung der vertraglichen
Verjährungsfrist auf die Rückleistungspflicht nach Vertragsrücktritt gemäss
Art. 109 OR damit begründet, dass sich das vertragliche Verhältnis in ein
Liquidationsverhältnis umwandle. Das Bundesgericht hat in BGE 126 III 119 E.
3c S. 122 darauf hingewiesen, dass diese Präzisierung der Rechtsprechung in
der Lehre mehrheitlich begrüsst wurde und dass sich bestimmte Autoren sogar
dafür aussprechen, auch die Rückabwicklung irrtumsbehafteter Verträge nach
vertraglichen Grundsätzen vorzunehmen. Dieser Auffassung ist das
Bundesgericht aber nicht gefolgt.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind im Rahmen eines
Vertragsverhältnisses erfolgte Zahlungen, die sich nachträglich als
irrtümlich und daher als grundlos erweisen, nicht stets als vertragliche
Leistungen einzustufen. Rückerstattungsansprüche können vielmehr nach der
allgemeinen Unterscheidung des Gesetzes wie andere Forderungen aus Vertrag,
aus unerlaubter Handlung oder aus ungerechtfertigter Bereicherung entstehen
und unterliegen je nach ihrem Entstehungsgrund verschiedenen
Verjährungsfristen (BGE 130 III 504 E. 6.1 S. 510; 114 II 152 E. 2c/aa S.
156). Massgebend ist der Entstehungsgrund des Rückforderungsanspruchs
(Urteil des Bundesgerichts 4C.300/1993 vom 25. Februar 1994, E. 4c/bb).
Zunächst ist stets zu prüfen, ob die zurückverlangte Leistung eine
vertragliche Grundlage hatte und, falls dies zutrifft, ob sie auch aus
Vertrag zurückgefordert werden kann (BGE 127 III 421 E. 3 S. 424 f.). Wer
ohne jeglichen Vorbehalt in (vermeintlicher) Erfüllung des Vertrages mehr
leistet als das vertraglich Geschuldete, kann die Differenz nach wie vor nur
auf der Grundlage des Bereicherungsrechts zurückfordern (BGE 130 III 504 E.
6.2 S. 510 f.; 127 III 421 E. 3c/bb S. 426, je mit Hinweisen).

  3.2.2  Anders verhält es sich, wenn die erbrachte Leistung tatsächlich
vertraglich geschuldet war, aber eine spätere Abrechnung vorbehalten wurde
(vgl. BGE 126 III 119 E. 3e S. 123). Aber auch im vertraglichen
Abrechnungsverhältnis ist nach erfolgter Saldoziehung die Korrektur einer
Fehlbuchung über das Bereicherungsrecht auszugleichen (Urteil des
Bundesgerichts 4C.264/1993 vom 23. Dezember 1993, E. 4a/bb, publ. in: SJ
1994 S. 269 ff.). Diese Rechtsprechung gelangt namentlich bei zu viel
bezahlten Mietnebenkosten zur Anwendung (Urteil des Bundesgerichts
4C.24/2002 vom 29. April 2002, E. 3.3.2, publ. in: mp 2002 S. 163 ff., 168).

  3.3  Die Vorinstanz stützt ihre Auffassung einzig auf BGE 126 III 119 ff.
und lässt die nachfolgenden Entscheide des Bundesgerichts zur Abgrenzung
zwischen Vertrags- und Bereicherungsrecht ausser Acht, was dazu führt, dass
sie die Tragweite des angeführten Entscheides verkennt.

  3.3.1  Wollte man es bei der von der Vorinstanz vorgenommenen
"Lückenfüllung" bewenden lassen, wäre jegliche im Rahmen eines
Vertragsverhältnisses irrtümlich und damit ohne Rechtspflicht erfolgte
Leistung eine vertragliche, namentlich auch die Pflicht zur Rückerstattung
einer derartigen Leistung. Diese Sichtweise hat sich das Bundesgericht
gerade nicht zu eigen gemacht. Die Vorinstanz

stellt schlicht auf die irrige Annahme der Klägerin im Zeitpunkt der
Erbringung der nunmehr zurückverlangten Leistung ab. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist aber bei der Qualifikation eines
Rückforderungsanspruchs stets von der wahren Sachlage auszugehen. So wäre
denn auch entgegen der Annahme der Vorinstanz eine Forderung der Beklagten
gegenüber der Klägerin aus versehentlicher Überweisung eines höheren als des
in Rechnung gestellten Betrages nach dem Gesagten keine vertragliche. Auch
die Anwendung der 10-jährigen Verjährungsfrist wegen besonderer Nähe zum
bestehenden Vertrag, welche die Vorinstanz für den Fall, dass keine
vertragliche Rückgabepflicht besteht, befürwortet, lässt sich nach dem
Gesagten im zu beurteilenden Fall nicht mit der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung vereinbaren.

  3.3.2  Soweit die Vorinstanz eine Analogie zu einem Abrechnungsverhältnis
herstellen möchte, wie es BGE 126 III 119 zugrunde lag, übersieht sie, dass
im Kreditkartenvertrag mit der monatlichen Rechnungstellung stets eine
Saldoziehung verbunden war, so dass eine nachträgliche Korrektur, wie sie
die Klägerin vorliegend verlangt, auf ausservertraglicher Grundlage
vorzunehmen ist. Ob sich angesichts der vereinbarten monatlichen
Rechnungstellung und Begleichung im Lastschriftverfahren überhaupt eine
Analogie zu einem Abrechnungsverhältnis begründen lässt, mag daher
dahingestellt bleiben. So oder anders erweist sich als Verstoss gegen
Bundesrecht, dass die Vorinstanz die Forderung der Klägerin der zehnjährigen
Verjährung unterstellte. Insoweit ist die Berufung begründet.