Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 335



Urteilskopf

133 III 335

  38. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B.Y. AG
gegen E. Versicherungs-Gesellschaft (Berufung)
  4C.300/2006 vom 19. Februar 2007

Regeste

  Kaufvertrag; Schadenersatz; Verjährung; Alternativität der Ansprüche aus
Sachgewährleistung und allgemeiner vertraglicher Haftung; Art. 97 ff., 197
ff. OR.

  Aus einem Mangel der Kaufsache kann der Käufer neben Sachgewährleistungs-
alternativ auch allgemeine vertragliche Schadenersatzansprüche ableiten. Die
Alternativität dieser Ansprüche wird insoweit eingeschränkt, als in beiden
Fällen die gewährleistungsrechtliche Regelung der Verjährung und der
Untersuchungs- und Anzeigeobliegenheiten des Käufers zur Anwendung kommt
(Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2).

Sachverhalt

  A.- Am 13. August 1999 kaufte die A. AG (Käuferin) bei der B.X. AG
(Verkäuferin) als "Z.-Glas" bezeichnetes Brandschutzglas. Die Verkäuferin
bestellte das Glas bei der C. AG in Bern, welche es im Jahr 1999 direkt der
Käuferin lieferte, die es in die Fassade der Bank D. einbaute. Im Dezember
2001 meldete diese Bank der Käuferin, dass auf dem Glas in Abständen von ca.
2 cm Flecken entstanden seien. Nachdem feststand, dass diese auf Fehler bei
der Produktion des Glases in der Floatglashütte in F. (F) zurückzuführen
waren, lieferte die Verkäuferin der Käuferin neues Z.-Glas. Die Käuferin
baute dieses an Stelle des alten Glases in die Fassade der Bank D. ein und
verlangte von der Verkäuferin mit Rechnung vom 25. März 2002 den Ersatz der
Umglasungskosten von Fr. 15'480.- (ohne Mehrwertsteuer).

  Die C. Holding AG hatte mit der E. Versicherungsgesellschaft, Bern, eine
Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen, welche auch die Haftung der
C. AG, Bern, einschloss. Das versicherte Risiko wurde mit "Verarbeitung,
Vertrieb und Montage von Glas aller Art" umschrieben. Gemäss Art. 7 lit. d
der Allgemeinen Versicherungsbedingungen waren vertraglich übernommene -
über die gesetzliche Haftung hinausgehende - Ansprüche nicht versichert.

  Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 19. Juni 2003 übertrug die C. AG
den Geschäftsbereich Brandschutz und alle Rechte und Forderungen aus
bestehenden Rechtsverhältnissen betreffend diesen Bereich auf die B.Y. AG
mit Sitz in Bern. Diese übernahm mit Fusionsvertrag vom 19. Juni 2003 zudem
die Verkäuferin.

  B.- Am 31. Januar 2005 klagte die B.Y. AG beim Gerichtspräsidenten 7 des
Gerichtskreises VIII Bern-Laupen gegen die E. Versicherungsgesellschaft auf
Zahlung von Fr. 15'480.- nebst Zins zu 5 % seit Klageeinreichung. Zur
Begründung der Klage führte die Klägerin insbesondere an, die C. AG sei
bezüglich ihrer Haftung für Umglasungskosten der Käuferin bei der Beklagten
versichert gewesen, weshalb diese dafür aufzukommen habe. Die Forderung der
C. AG gegenüber der Beklagten sei mit Vertrag vom 19. Juni 2003 auf die
Klägerin übergegangen.

  Mit Urteil vom 4. November 2005 wies der Gerichtspräsident 7 des
Gerichtskreises VIII Bern-Laupen die Klage ab. Dagegen appellierte die
Klägerin an das Obergericht des Kantons Bern, welches die Appellation mit
Urteil vom 13. Juni 2006 abwies.

  C.- Die Klägerin erhebt eidgenössische Berufung mit den Anträgen, das
Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 13. Juni 2006 sei

aufzuheben und die Klage gutzuheissen. Die Beklagte schliesst auf Abweisung
der Berufung.

  Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.

  2.1  Vor Bundesgericht ist nicht mehr strittig, dass die Klägerin als
Rechtsnachfolgerin der C. AG aktivlegitimiert ist, dieser vor dem 19. Juni
2003 zustehende Versicherungsforderungen gegenüber der Beklagten zu erheben.
Umstritten ist dagegen, ob die C. AG gesetzlich zum Ersatz der
Umglasungskosten verpflichtet war und ihr damit gegenüber der Beklagten
Versicherungsschutz zustand. Das Obergericht verneinte dies, weil es annahm,
eine entsprechende Schadenersatzforderung falle unter den in den Allgemeinen
Versicherungsbedingungen vorgesehenen Deckungsausschluss, da innert der
Jahresfrist gemäss Art. 210 Abs. 1 OR keine Mängelrügen erhoben worden und
damit die Ansprüche aus Sachgewährleistung verjährt gewesen seien. Zwar
könnten nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung neben diesen Ansprüchen
konkurrierend auch Ansprüche wegen nicht gehöriger Erfüllung gemäss Art. 97
ff. OR geltend gemacht werden. Das Bundesgericht setze der Alternativität
dieser Rechtsbehelfe jedoch Schranken, da es Schadenersatz- und
Gewährleistungsansprüche, die der Käufer aus Mängeln der Kaufsache ableite,
in Bezug auf seine Prüfungs- und Rügepflichten und die Verjährung den
gleichen Vorschriften unterstelle. Diese Rechtsprechung sei zu billigen.

  2.2  Die Klägerin anerkennt, dass ihre Ansprüche aus Sachgewährleistung
(Art. 197 ff. OR) bei Anwendbarkeit der einjährigen Frist gemäss Art. 210
Abs. 1 OR verjährt sind. Sie ersucht jedoch das Bundesgericht, seine Praxis
dahingehend abzuändern, dass es nunmehr die Untersuchungs- und
Anzeigeobliegenheiten nach Art. 201 Abs. 1 OR und die Verjährung nach Art.
210 Abs. 1 OR nicht auf Schadenersatzforderungen anwendet, welche dem Käufer
gestützt auf die allgemeine Vertragshaftung zustehen. Zur Begründung führt
die Klägerin zusammengefasst an, der vom Bundesgericht anerkannte Grundsatz,
dass sich der Käufer neben der Haftung aus Sachgewährleistung alternativ
auch auf die allgemeine vertragliche Haftung berufen könne, sei nicht durch
die Anwendung der kurzen gewährleistungsrechtlichen Rüge- und
Verjährungsfristen wieder einzuschränken.

Vielmehr seien die beiden alternativ anwendbaren Normenkomplexe dem
wahlberechtigten Käufer integral zur Verfügung zu stellen, weil zwischen den
Normen der beiden Komplexe ein ausgleichendes Verhältnis von Vor- und
Nachteilen für den Käufer bzw. Gläubiger bestehe. So habe das Bundesgericht
in BGE 82 II 411 S. 422 f. anerkannt, dass die in der Rügepflicht und in der
kurzen Verjährung liegende Beschränkung lediglich das Gegenstück zu der
weitgehenden Begünstigung sei, die dem Käufer durch das Gewährleistungsrecht
eingeräumt werde. Daraus folge, dass bei der allgemeinen Vertragshaftung, wo
dem Käufer die Begünstigung des Gewährleistungsrechts durch eine
Kausalhaftung des Verkäufers und die Wahlmöglichkeit zwischen Wandelung und
Minderung nicht gewährt werde, das "Gegenstück", nämlich die kurze
Verjährung, entfalle. Der Verkäufer bedürfe nur bezüglich der
verschuldensunabhängigen Gewährleistungsansprüche, nicht jedoch bezüglich
der allgemeinen verschuldensabhängigen Schadenersatzansprüche des Schutzes
durch kurze Fristen. Dass auf Schadenersatzansprüche Art. 210 Abs. 1 OR
nicht anwendbar sei, ergebe sich auch daraus, dass diese Bestimmung gemäss
ihrem Wortlaut nur Klagen "auf Gewährleistung" wegen Mängel der Sache
erfasse. Demnach komme im vorliegenden Fall die ordentliche zehnjährige
Verjährung zur Anwendung, welche nicht eingetreten sei.

  2.3  Die von der Klägerin verlangte Änderung der Rechtsprechung ist nicht
von vornherein ausgeschlossen. Gerichten ist es nicht verwehrt, eine bisher
geübte Praxis zu ändern, wenn sie zur Einsicht gelangen, dass eine andere
Rechtsanwendung dem Sinn des Gesetzes oder veränderten Verhältnissen besser
entspricht. Eine Praxisänderung muss sich jedoch auf ernsthafte sachliche
Gründe stützen können, die umso gewichtiger sein müssen, je länger die als
nicht mehr richtig erkannte bisherige Praxis befolgt wurde (BGE 127 I 49 E.
3c S. 52; 126 I 122 E. 5 S. 129, je mit Hinweisen). Ob die Voraussetzungen
für eine Änderung der Rechtsprechung gegeben sind, ist im Folgenden zu
prüfen.

  2.4
  2.4.1  Die Bestimmungen über die Gewährleistung wegen Mängel der Kaufsache
in Art. 197 ff. OR regeln den Anspruch des Käufers auf Ersatz der durch die
Lieferung mangelhafter Ware verursachten Schäden, d.h. so genannter
Mangelfolgeschäden, nur bezüglich der Wandelung des Kaufvertrages (vgl. Art.
208 Abs. 2 und 3 OR). Ansonsten wird die Haftung des Verkäufers für
Mangelfolgeschäden

in den Art. 197 ff. OR nicht geregelt (BGE 58 II 207 E. 1 S. 210; vgl. auch
BGE 82 II 136 E. 3a S. 139). In der Lehre wird die Meinung vertreten, diese
Lücke sei durch die analoge Anwendung von Art. 208 Abs. 2 und 3 OR zu
schliessen (SILVIO VENTURI, in: Commentaire Romand, Code des obligations I,
N. 13 zu Art. 208 OR; GIGER, Berner Kommentar, N. 55 f. zu Art. 208 OR;
PIERRE CAVIN, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, S. 104 f. und 112
f.; GILLES PETITPIERRE, L'acheteur-revendeur et la responsabilité de
l'article 208/II du Code des obligations, in: Mélanges en l'honneur de Henri
Deschenaux, Fribourg 1977, S. 329 ff., 332 f.; ALFRED SCHUBIGER, Verhältnis
der Sachgewährleistung zu den Folgen der Nichterfüllung oder nicht gehörigen
Erfüllung OR 197 ff. - OR 97 ff., Diss. Bern 1957, S. 94; MARKUS
NEUENSCHWANDER, Die Schlechterfüllung im schweizerischen Vertragsrecht,
Diss. Bern 1970, S. 78 f.). Das Bundesgericht lehnt eine analoge Anwendung
von Art. 208 Abs. 2 und 3 OR auf Fälle, in denen der Käufer keine Wandelung
verlangt, ab (BGE 63 II 401 E. 2; 107 II 161 E. 7a S. 165 f.). Es räumt
jedoch dem Käufer das Recht ein, aus einem Mangel der Sache nicht nur
Gewährleistungsansprüche gemäss Art. 197 ff. OR, sondern alternativ auch
Schadenersatzansprüche gemäss der allgemeinen Regelung der Haftung für nicht
gehörige Erfüllung gemäss Art. 97 Abs. 1 OR abzuleiten, wobei es die
Alternativität insoweit einschränkt, als der Käufer in beiden Fällen die
Untersuchungs- und Anzeigeobliegenheiten gemäss Art. 201 OR erfüllen und die
Verjährungsfrist gemäss Art. 210 bzw. 219 Abs. 3 OR wahren muss (BGE 58 II
207 E. 1 und 2; 63 II 401 E. 3 S. 405 ff.; 90 II 86 E. 1; 107 II 419 E. 1;
114 II 131 E. 1a S. 134). Gemäss Art. 210 Abs. 1 OR verjähren die Klagen auf
Gewährleistung wegen Mängel der Sache mit Ablauf eines Jahres nach deren
Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die Mängel erst später
entdeckt hat. Art. 210 Abs. 1bis OR sieht für Kulturgüter im Sinne des
Kulturgütertransfergesetzes vom 20. Juni 2003 eine Sonderregelung vor.

  2.4.2  Die Anwendung der Art. 201 und 210 bzw. 219 Abs. 3 OR auf alle aus
Mängeln der Kaufsache abgeleiteten Schadenersatzansprüche wird von der
herrschenden Lehre im Ergebnis befürwortet, zumal sie weitgehend annimmt,
diese Ansprüche würden durch das Kaufrecht abschliessend geregelt, weshalb
eine konkurrierende Anwendung von Art. 97 OR abzulehnen sei (ALFRED
KOLLER/THEO GUHL, in: Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl., S. 392
f. Rz. 62; HEINRICH HONSELL, Basler Kommentar, 3. Aufl., N. 6 der
Vorbemerkungen

zu Art. 197-210 OR; derselbe, Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer
Teil, 8. Aufl., S. 110; SILVIO VENTURI, a.a.O., N. 16 der Einführung zu Art.
197-210 OR; PIERRE ENGEL, Contrats de droit suisse, S. 50; PIERRE TERCIER,
Les contrats spéciaux, 3. Aufl., S. 94 Rz. 620 f.; EUGEN BUCHER,
Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Aufl., S. 105 ff.; VON TUHR/ESCHER,
Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3. Aufl.,
S. 97 f.; KATJA BÄHLER, Das Verhältnis von Sachgewährleistungs- und
allgemeinem Leistungsstörungsrecht, Diss. Basel 2005, S. 167; PETRA GINTER,
Verhältnis der Sachgewährleistung nach Art. 197 ff. OR zu den Rechtsbehelfen
in Art. 97 ff. OR, Diss. St. Gallen 2004, S. 156; HANS-PETER KATZ,
Sachmängel beim Kauf von Kunstgegenständen und Antiquitäten, Diss. Zürich
1973, S. 148 f.; SCHUBIGER, a.a.O., S. 110 f.; NEUENSCHWANDER, a.a.O., S. 88
f.; ROLF FURRER, Beitrag zur Lehre der Gewährleistung im Vertragsrecht,
Diss. Zürich 1973, S. 86).

  2.4.3  Demgegenüber vertritt namentlich GIGER die Meinung, bei Lieferung
mangelhafter Ware solle der Käufer neben den Gewährleistungsansprüchen auch
Schadenersatz nach den allgemeinen Bestimmungen in Art. 97 ff. OR geltend
machen können, ohne die gewährleistungsrechtlichen Untersuchungs- und
Anzeigeobliegenheiten und Verjährungsfristen einhalten zu müssen. Diese
bildeten nach Systematik, Sinn und Geist des Gesetzes einfach das Korrelat
dazu, dass die Sachgewährleistung verglichen mit den allgemeinen
Rechtsbehelfen von Art. 97 ff. OR eine für den Käufer materiell günstigere
Sonderordnung sei. Es befriedige deshalb nicht, die auf die
Sachgewährleistung zugeschnittenen besonderen formellen Voraussetzungen auf
die Ansprüche von Art. 97 ff. OR anzuwenden (GIGER, Berner Kommentar, 2.
Aufl., N. 26 ff. der Vorbemerkungen zu Art. 197-210 OR; ihm folgend:
KELLER/SIEHR, Kaufrecht, 3. Aufl., S. 106 f.; THOMAS ALEXANDER SCHLUEP, Der
Nachbesserungsanspruch und seine Bedeutung innerhalb der Mängelhaftung des
Schweizer Kaufrechts, Diss. Bern 1989, S. 78; ROBERT SIMMEN, Die Einrede des
nicht erfüllten Vertrags [OR 82] unter besonderer Berücksichtigung ihrer
Problematik bei den Veräusserungsverträgen, Diss. Zürich 1981, S. 86 f.).

  2.4.4  Im gleichen Sinne hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit der
Anfechtung eines Kaufvertrages wegen Grundlagenirrtums ausgeführt, die in
der Rügepflicht und in der kurzen Verjährung liegende Beschränkung sei
lediglich das Gegenstück zu der weitgehenden Begünstigung, die dem Käufer
durch das Gewährleistungsrecht

eingeräumt werde (BGE 82 II 411 E. 6c S. 422 f., vgl. auch BGE 114 II 131 E.
1b S. 136 f.). Daran kann jedoch nicht festgehalten werden, soweit damit
ausgesagt wird, der Zweck der erwähnten Bestimmungen erschöpfe sich im
betreffenden Interessenausgleich. Vielmehr ist gemäss der älteren
Rechtsprechung des Bundesgerichts davon auszugehen, die kurze Verjährung
gemäss Art. 210 OR bezwecke zudem, im Interesse der Verkehrs- und
Rechtssicherheit bald nach der Ablieferung eine klare Rechtslage zu schaffen
(BGE 78 II 367 E. 2 S. 368; 102 II 97 E. 3b S. 102; vgl. auch BGE 58 II 207
E. 2 S. 213; 63 II 401 E. 3c S. 406 f.). Auch in der Lehre wird angenommen,
nach Ablauf der kaufrechtlichen Verjährungsfrist solle der Verkäufer im
Sinne des allgemeinen Verkehrsschutzgedankens davon ausgehen können, dass es
mit der erfolgten Lieferung sein Bewenden hat und er das Geschäft endgültig
"abbuchen" kann (ERNST A. KRAMER, Noch einmal zur aliud-Lieferung beim
Gattungskauf, recht 15/1997 S. 78 ff., 80; vgl. auch: HONSELL, Basler
Kommentar, N. 1 zu Art. 210 OR; GINTER, a.a.O., S. 96; VENTURI, a.a.O., N. 1
zu Art. 210 OR; NEUENSCHWANDER, a.a.O., S. 89; SCHUBIGER, a.a.O., S. 109
ff.; HANS MERZ, Sachgewährleistung und Irrtumsanfechtung, in: Festschrift
zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Theo Guhl, S. 87 ff., 103 f.). Dieser Zweck
des Verkehrsschutzes würde unterlaufen, wenn der Käufer aus Mängeln der
gelieferten Sache Schadenersatzansprüche ableiten könnte, ohne die
Verjährungsfrist gemäss Art. 210 OR einhalten zu müssen. Diese Bestimmung
muss daher gemäss ihrem Zweck als vorrangige Spezialnorm qualifiziert
werden, welche alle aus der mangelhaften Lieferung abgeleiteten
vertraglichen Schadenersatzansprüche erfasst (vgl. BGE 58 II 207 E. 2 S.
213). Damit wird eine Harmonisierung mit dem Werkvertragsrecht erreicht, das
die Schadenersatzansprüche des Bestellers wegen Mängel des Werkes in Art.
368 OR abschliessend regelt (vgl. BGE 100 II 30 E. 2 S. 32 f.; 117 II 550 E.
4b/cc S. 553) und vorsieht, dass diese Ansprüche gleich den entsprechenden
Ansprüchen des Käufers verjähren (Art. 371 Abs. 1 OR). Demnach verjähren
auch beim Werkvertrag alle aus Mängeln beweglicher Werke abgeleiteten
Schadenersatzansprüche nach Art. 210 OR, was dem Gleichbehandlungsprinzip
entspricht (vgl. TERCIER, a.a.O., S. 94 Rz. 621). Auch bezüglich der
Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten gemäss Art. 201 OR ist von einem
Vorrang gegenüber den Regeln des allgemeinen Teils auszugehen. Dies ist
insbesondere daraus abzuleiten, dass nach Art. 201 Abs. 2 und 3 OR die Sache
hinsichtlich

der Mängel, welche nicht rechtzeitig angezeigt wurden, als genehmigt gilt.
Aus dieser Genehmigungsfiktion ist zu schliessen, dass vertragliche
Ansprüche aus nicht rechtzeitig angezeigten Mängeln verwirkt sind, soweit
keine absichtliche Täuschung des Käufers durch den Verkäufer im Sinne von
Art. 203 OR vorliegt (BGE 67 II 132 E. 2 S. 135 f.; vgl. auch GINTER,
a.a.O., S. 95 f.; a.M. KELLER/SIEHR, a.a.O., S. 106, die annehmen, mit
"Genehmigung" sei ausschliesslich gemeint, dass der Käufer seine
Sachgewährleistungsansprüche verwirke, wenn er die Mängelrüge versäume).
Nach dem Gesagten fehlen für die von der Klägerin beantragte Praxisänderung
sachliche Gründe, weshalb die bisherige Rechtsprechung zu bestätigen ist.
Das Obergericht hat daher bundesrechtskonform erkannt, allfällige
vertragliche Schadenersatzansprüche der Klägerin aus Lieferung mangelhaften
Glases durch die C. AG seien verjährt.