Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 133 III 309



Urteilskopf

133 III 309

  35. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Q. gegen
B. und Mitb. (Berufung)
  5C.54/2006 vom 12. April 2007

Regeste

  Art. 522 Abs. 1 ZGB; Pflichtteilsverletzung durch Nacherbeneinsetzung.

  Die Verletzung der Pflichtteilsrechte der Erben im Zusammenhang mit einer
Nacherbeneinsetzung ist nicht abstrakt, sondern konkret zu betrachten (E.
5).

Sachverhalt ab Seite 309

  A.- Der Erblasser hat im Jahr 1958 mit eigenhändigem Testament verfügt:

    (...) Ich setze meine Ehefrau S. als Alleinerbin ein und bestimme
    insbesondere, dass sie vor allem auch Alleineigentümerin meiner
    Liegenschaft in Z. werden soll. Nach ihrem Tode soll der Überrest meiner
    Hinterlassenschaft zu gleichen Teilen, also je zur Hälfte, an meine
    Geschwister oder deren Nachkommen und an die Erben meiner Frau gelangen.
    (...)

  Dieses Testament wurde im Jahr 1990 eröffnet und blieb unangefochten. Im
Jahr 2001 verstarb die Ehefrau. Sie hinterliess kein Testament. Ihre
gesetzlichen Erben sind die Beklagten.

  B.- Mit Klage vom 17. September 2002 verlangte die Nichte des Erblassers,
es sei ihr der hälftige Anteil der Nacherbschaft zuzuweisen und
auszuhändigen.

  Mit Urteil vom 9. Dezember 2004 verurteilte das Bezirksgericht Zürich die
Beklagten zur Bezahlung von Fr. 77'000.- nebst Zins. Auf beidseitige
Berufung verpflichtete das Obergericht des Kantons Zürich die Beklagten mit
Urteil vom 9. Dezember 2005 zur Zahlung von Fr. 76'063.45 nebst Zins.

  C.- Mit Berufung vom 30. Januar 2006 verlangt die Klägerin den Zuspruch
von Fr. 121'701.50 nebst Zins. Das Bundesgericht heisst diese gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

  5.  (...) Das Obergericht hat in einem ersten Schritt festgestellt, dass
der Erblasser mit der umfassenden Nacherbeneinsetzung auf den Überrest das
Pflichtteilsrecht der Ehefrau verletzt habe, und es hat diese
Pflichtteilsverletzung in einem zweiten Schritt sanktioniert, indem es vom
"Brutto-Überrest" von Fr. 243'403.- vorweg eine pflichtteilsgeschützte Quote
von 3/8 ausgeschieden und anschliessend den "Netto-Überrest" von 5/8 im Sinn
der erblasserischen Verfügung hälftig geteilt hat.

  Die Pflichtteilsverletzung ist indes nicht abstrakt, sondern konkret zu
berechnen. Es ist mithin zu prüfen, ob der Erblasser mit seinen
testamentarischen Anordnungen Pflichtteilsansprüche der Beklagten verletzt
hat, indem diese dem Wert nach nicht erhalten haben, worauf sie aufgrund
vererbter Pflichtteilsrechte Anspruch hätten (vgl. Art. 522 Abs. 1 ZGB).
Dies wäre der Fall, wenn sie aufgrund der erblasserischen Anordnungen vom
Überrest wertmässig weniger als ihren Pflichtteil erhalten würden, so etwa,
wenn der Erblasser die Nacherben seines Stammes auf 7/8 und diejenigen des
Stammes der Ehefrau auf 1/8 des Überrestes eingesetzt hätte. Vorliegend
haben die Beklagten mit 4/8 des Überrestes aber mehr erhalten, als ihnen
aufgrund ihrer Pflichtteilsansprüche konkret zustünde.

  Zwar muss sich der Vorerbe im Umfang seines Pflichtteils keine Belastung
mit einer Nacherbschaft gefallen lassen, sondern kann er den Pflichtteil als
freies Erbe beanspruchen (BGE 75 II 190 E. 5 S. 195; 108 II 288 E. 2 S.
291). Weiter trifft es zu, dass das Pflichtteilsrecht vererblich ist (BGE 75
II 190 E. 2 S. 192 f.) und es auch von den gesetzlichen Erben des Vorerben
gegenüber den Nacherben geltend gemacht werden kann (BGE 108 II 288 E. 2 S.
291). Schliesslich verhält es sich so, dass die Vorerbin mit der
Herabsetzungsklage gemäss Art. 522 Abs. 1 ZGB erfolgreich die Herabsetzung
der testamentarischen Verfügung hätte verlangen können.

  Es darf aber nicht übergangen werden, dass die Vorerbin keine
Herabsetzungsklage angehoben hat, wie sie dies während eines Jahres
grundsätzlich hätte tun können (Art. 533 Abs. 1 ZGB). Sie hat es mit anderen
Worten unterlassen, einen Zustand zu schaffen, den sie kraft ihres
Herabsetzungsanspruches hätte herbeiführen können. Wohl unterliegt die
Einrede der Beklagten gemäss Art. 533 Abs. 3 ZGB keiner Verjährung; dies
kann jedoch nicht zur Folge haben, dass sie im Ergebnis behandelt werden,
wie wenn die Vorerbin erfolgreich die Herabsetzungsklage angehoben hätte,
zumal der Grund für den Herabsetzungsanspruch der Vorerbin - ihr wurde
aufgrund der umfassenden Belastung des Nachlasses mit einer Nacherbschaft
die Möglichkeit genommen, im Rahmen des Pflichtteils frei über die
Nachlasswerte zu verfügen - für die Beklagten als Nacherben nicht gegeben
ist.

  Aus diesen Gründen ist, wie eingangs erwähnt, die Frage der
Pflichtteilsverletzung konkret zu betrachten und dabei festzustellen, dass
die Pflichtteilsrechte der Beklagten nicht verletzt sind. Die Klägerin hat
folglich gemäss testamentarischer Anordnung Anspruch auf die Hälfte des
Überrestes von Fr. 243'403.-.