Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 V 82



Urteilskopf

132 V 82

  11. Auszug aus dem Urteil i.S. G. gegen Kantonale Arbeitslosenkasse St.
Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
  C 272/04 vom 21. November 2005

Regeste

  Art. 51 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1, Art. 121 AVIG; Art. 21 und 53
EFTA-Übereinkommen; Art. 8, 16 Abs. 2 und Art. 18 Anhang K des
EFTA-Übereinkommens; Art. 1 Abs. 1 Anhang K Anlage 2 des
EFTA-Übereinkommens; Art. 4 Abs. 1 Bst. g und Art. 71 Abs. 1 Bst. a Ziff. ii
der Verordnung Nr. 1408/71; Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1 des
EFTA-Übereinkommens; Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
und dem Fürstentum Liechtenstein über die Arbeitslosenversicherung: Anspruch
einer Grenzgängerin auf Insolvenzentschädigung.

  Arbeitnehmern, welche in Liechtenstein wohnen und als Grenzgänger in der
Schweiz arbeiten, steht, wenn sie vom insolventen Arbeitgeber freigestellt
werden und somit vermittlungsfähig sind und die Kontrollvorschriften
erfüllen können, für diese Zeit ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung
weder nach Art. 51 ff. AVIG noch auf Grund des EFTA-Übereinkommens und
seiner Anhänge oder des Abkommens zwischen der Schweiz und Liechtenstein
über die Arbeitslosenversicherung zu.

Sachverhalt

  A.- Die 1958 geborene G. war seit 1. Oktober 2002 als Grenzgängerin in der
X. AG tätig, währenddem sie ihren Wohnsitz im Fürstentum Liechtenstein
beibehielt. Am 29. April 2003 kündigte die Arbeitgeberin die Stelle auf Ende
Mai 2003. Gleichzeitig teilte sie der Versicherten mit, dass sie ab sofort
freigestellt sei.
  (...)
  Am 13. August 2003 meldete sich G. zum Bezug von Insolvenzentschädigung
an. Mit Verfügung vom 22. Januar 2004 lehnte die Kantonale Arbeitslosenkasse
St. Gallen den Anspruch für den Zeitraum

ab 1. Mai 2003 ab mit der Begründung, die Versicherte sei vollständig
freigestellt gewesen und hätte der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen
können. Die Insolvenzentschädigung decke ausschliesslich Lohnansprüche für
geleistete Arbeit. Im Monat Mai 2003 habe die Versicherte keine
Arbeitsleistungen mehr erbracht. Zudem ziehe die Verneinung eines Anspruchs
auf Arbeitslosenentschädigung für Mai 2003 durch das Amt für Volkswirtschaft
des Fürstentums Liechtenstein nicht automatisch einen solchen auf
Insolvenzentschädigung nach sich. An dieser Auffassung hielt die
Arbeitslosenkasse mit Einspracheentscheid vom 5. März 2004 fest.

  B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 10. November 2004 ab.

  C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt G., die Arbeitslosenkasse
sei zu verpflichten, ihr für Mai 2003 eine Insolvenzentschädigung
auszurichten.

  Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das
Staatssekretariat für Wirtschaft nahm am 29. April 2005 zur
staatsvertraglichen Problematik Stellung.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.

  3.1  Die Insolvenzentschädigung ist eine Lohnausfallversicherung bei
Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Sie setzt eine Lohnforderung des
Versicherten gegenüber dem insolventen Arbeitgeber voraus. Unter
Lohnforderung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 AVIG ist grundsätzlich der
massgebende Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG zu verstehen, einschliesslich der
geschuldeten Zulagen. Als zweiseitiger Vertrag verpflichtet der
Arbeitsvertrag den Arbeitnehmer zur Leistung von Arbeit und den Arbeitgeber
zur Entrichtung eines Lohnes. Die Rechtsfolge besteht aus
arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht darin, dass die Lohnforderung
grundsätzlich an die Leistung von Arbeit gebunden ist. Der Schutzzweck der
Insolvenzentschädigung erstreckt sich daher nur auf tatsächlich geleistete,
aber nicht entlöhnte Arbeit; sie erfasst nicht Lohnforderungen wegen
(ungerechtfertigter) vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses und für
noch nicht bezogene Ferien. Diese Praxis stützt sich auf den
Gesetzeswortlaut und den klaren Willen des Gesetzgebers (BGE 125 V 494 Erw.
3b mit Hinweisen).

  Dem Tatbestand der geleisteten Arbeit hat die Rechtsprechung diejenigen
Fälle gleichgestellt, in denen der Arbeitnehmer nur wegen Annahmeverzugs des
Arbeitgebers im Sinne von Art. 324 OR keine Arbeit leisten konnte. Solange
der Arbeitnehmer in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, hat er
einen Lohnanspruch, der gegebenenfalls einen Anspruch auf
Insolvenzentschädigung rechtfertigen kann (BGE 125 V 495 Erw. 3b mit
Hinweisen).

  3.2  Ob Ansprüche für geleistete Arbeit im Sinne von Art. 51 ff. AVIG in
Frage stehen, beurteilt sich also nicht danach, ob qualitativ oder
quantitativ vertragsmässig gearbeitet wurde. Ebenso wenig ist der rechtliche
Bestand eines Arbeitsverhältnisses allein ein taugliches Kriterium, weil
eine faktische Betrachtungsweise Platz zu greifen hat (BGE 121 V 381 Erw.
3c, 119 V 157 Erw. 2a; vgl. auch BGE 125 V 495 Erw. 3b). Es geht vielmehr um
Lohnansprüche für effektive Arbeitszeit, während welcher die versicherte
Person der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen kann, weil sie in
dieser Zeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss (URS BURGHERR, Die
Insolvenzentschädigung, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als
versichertes Risiko, Diss. Zürich 2004, S. 90). Massgebend für die
Bestimmung, ob Anspruch auf Insolvenzentschädigung besteht, mithin
geleistete Arbeit im Sinne von Art. 51 ff. AVIG vorliegt, ist somit die
Abgrenzung gegenüber der Arbeitslosenversicherung und damit, ob die
versicherte Person in der fraglichen Zeit vermittlungsfähig war (Art. 15
Abs. 1 AVIG) und die Kontrollvorschriften (Art. 17 AVIG) erfüllen konnte.
Ist dies zu bejahen, so besteht kein Anspruch auf Insolvenzentschädigung
(BGE 121 V 379 Erw. 2b). Bei einer ungerechtfertigten fristlosen Entlassung
kann der Arbeitnehmer der Vermittlung grundsätzlich wie jede andere
arbeitslose Person zur Verfügung stehen. Er ist daher dem
vermittlungsfähigen Arbeitnehmer gleichzustellen, der nach Eröffnung des
Konkurses Anspruch auf Kündigungslohn hat. Bestehen über die Erfüllung der
Ansprüche aus ungerechtfertigter Entlassung begründete Zweifel, ist die
Ausrichtung einer Arbeitslosenentschädigung nach Art. 29 Abs. 1 AVIG
möglich, nicht hingegen die Gewährung einer Insolvenzentschädigung (BGE 111
V 270 Erw. 1b). Um zu bestimmen, ob Arbeitslosen- oder
Insolvenzentschädigung in Frage kommt, ist somit darauf abzustellen, ob die
versicherte Person in der fraglichen Periode vermittlungsfähig war und die
Kontrollvorschriften befolgen konnte (BGE 121 V 379 Erw. 2b; ARV 2003 S. 256
Erw. 2.4.1 [Urteil

vom 10. Januar 2003, C 109/02]). Diese Grundsätze gelten auch bei
ungerechtfertigter fristloser Entlassung (Art. 337c OR) und wenn das
Arbeitsverhältnis zur Unzeit aufgelöst wird (Art. 336c OR). In diesen Fällen
weist die versicherte Person eine genügend grosse Verfügbarkeit auf, um eine
zumutbare Arbeit anzunehmen und sich den Kontrollvorschriften zu unterziehen
(BGE 125 V 495 Erw. 3b, 121 V 380 Erw. 3). Keine andere Betrachtungsweise
hat bei der Freistellung während der Kündigungsfrist Platz zu greifen (ARV
2003 S. 257 Erw. 2.4.3 [Urteil vom 10. Januar 2003, C 109/02]; Urteile N.
vom 15. April 2005 [C 214/04] und A. vom 28. Januar 2002 [C 164/01]).

Erwägung 4

  4.

  4.1  Das kantonale Gericht hat erwogen, aufgrund des Wortlautes des
Kündigungsschreibens vom 29. April 2003 könne nicht geschlossen werden, dass
die Versicherte trotz sofortiger Freistellung weiterhin an einem
Internetauftritt der Arbeitgeberin hätte mitarbeiten müssen. Im Schreiben
vom 30. April 2003 habe die Beschwerdeführerin denn auch einzig auf die
Kündigung auf den 31. Mai 2003 und die sofortige Freistellung Bezug genommen
und mitgeteilt, dass sie am folgenden Tag die Schlüssel persönlich abgeben
werde. Auch in den Stellungnahmen ihres Rechtsvertreters vom 5. Dezember
2003 und 15. Januar 2004 werde mit keinem Wort erwähnt, dass sie sich trotz
sofortiger Freistellung für einen Internetauftritt hätte zur Verfügung
stellen müssen, obwohl die Frage des Anspruchs auf Insolvenzentschädigung
trotz Freistellung Gegenstand der beiden Eingaben gebildet habe. Die
erstmals in der Einsprache vom 20. Februar 2004 vorgebrachte Behauptung, sie
habe sich der ehemaligen Arbeitgeberin für einen Internetauftritt zur
Verfügung halten müssen, erscheint nach Auffassung der Vorinstanz unter den
gegebenen Umständen nicht glaubwürdig, zumal nicht nachvollziehbar sei,
weshalb ausgerechnet für die Mitarbeit an einem Internetauftritt das im
Kündigungsschreiben erwähnte, nicht mehr stimmige Vertrauensverhältnis ohne
Belang hätte sein sollen. Die Vorinstanz kam daher zum Schluss, dass die
Versicherte zum 30. April 2003 vollständig und bedingungslos freigestellt
worden war.

  4.2  Dem ist beizupflichten. Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
dagegen vorgebracht wird, vermag zu keinem anderen Ergebnis zu führen. (...)

  4.3  Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass der
Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 51 ff. AVIG kein Anspruch auf
Insolvenzentschädigung zusteht.

Erwägung 5

  5.

  5.1  Vom Amt für Volkswirtschaft des Fürstentums Liechtenstein erhielt die
Beschwerdeführerin die Auskunft, während der Dauer der Freistellung bestehe
kein Taggeldanspruch. Die Versicherte macht nun geltend, es stelle eine
Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes dar, wenn eine im Fürstentum
Liechtenstein wohnhafte und in der Schweiz als Grenzgängerin erwerbstätige
Person in eine Leistungslücke falle, indem sie in der Schweiz keine
Insolvenzentschädigung erhalte, weil sie sich als freigestellte
Arbeitnehmerin der Arbeitsvermittlung hätte zur Verfügung stellen und die
Kontrollvorschriften hätte erfüllen können, während im Fürstentum
Liechtenstein in einer solchen Situation ein Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung verneint werde. Aus Koordinationsgründen müsse bei
diesen Gegebenheiten ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung bejaht werden.

  Zu prüfen ist, ob ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung aus dem am 1.
Juni 2002 in Kraft getretenen Übereinkommen vom 4. Januar 1960 zur
Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation in der Fassung gemäss
Abkommen vom 21. Juni 2001 zur Änderung des Übereinkommens zur Errichtung
der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA-Übereinkommen; SR 0.632.31)
oder aus dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem
Fürstentum Liechtenstein über die Arbeitslosenversicherung (SR 0.837.951.4)
abzuleiten ist.

  5.2  Nach Art. 21 des EFTA-Übereinkommens regeln die Mitgliedstaaten die
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gemäss Anlage 2 zu Anhang
K und durch das Protokoll zu Anhang K über die Freizügigkeit zwischen
Liechtenstein und der Schweiz. Laut Art. 53 des EFTA-Übereinkommens bilden
die dort genannten Anhänge, Anlagen und Protokolle des EFTA-Übereinkommens -
darunter der Anhang K über die Freizügigkeit - integrierenden Bestandteil
des Übereinkommens. Art. 8 Anhang K "Freizügigkeit (Freier Personenverkehr)"
des EFTA-Übereinkommens verweist bezüglich der Koordinierung der Systeme der
sozialen Sicherheit ebenfalls auf Anlage 2. Gemäss Art. 1 Abs. 1 Anhang K
Anlage 2 ("Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit") des
EFTA-Übereinkommens in Verbindung mit Abschnitt

A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander insbesondere die
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der
Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständigerwerbende
sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und
abwandern (nachfolgend: Verordnung Nr. 1408/71), und die Verordnung (EWG)
Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung
(EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf
Arbeitnehmer und Selbstständigerwerbende sowie deren Familienangehörige, die
innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, oder gleichwertige
Vorschriften an. Der am 1. Juni 2002 in Kraft getretene neue Art. 121 AVIG
verweist in lit. b auf diese beiden Koordinierungsverordnungen. Ziel des mit
den drei EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen abgeschlossenen
Abkommens bildet die Anwendung der grundsätzlich gleichen Regelung, wie sie
zwischen der Schweiz und der EG vereinbart wurde (vgl. Botschaft des
Bundesrates zur Genehmigung des Abkommens vom 21. Juni 2001 zur Änderung des
Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen
Freihandelsassoziation [EFTA], BBl 2001 4963 ff.).

  5.3  Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71 regelt den sachlichen
Geltungsbereich. Danach gilt sie unter anderem für alle Rechtsvorschriften
über Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit
(Abs. 1 lit. g) vorsehen. Die Aufzählung der Zweige der sozialen Sicherheit
in Art. 4 ist erschöpfend (MAXIMILIAN FUCHS, in: MAXIMILIAN FUCHS [Hrsg.],
Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, 4. Aufl., Baden-Baden 2005, N 3 zu
Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71). Unter den Begriff "Leistungen bei
Arbeitslosigkeit" im Sinne von Art. 4 Abs. 1  lit. g der Verordnung Nr.
1408/71 fallen Geldleistungen, die bei Eintritt von Arbeitslosigkeit zu
gewähren sind (FUCHS, a.a.O., N 19 zu Art. 4 der Verordnung Nr. 1408/71;
UELI KIESER, Das Personenfreizügigkeitsabkommen und die
Arbeitslosenversicherung, in: AJP 2003 S. 286). Es handelt sich somit um
Geldleistungen, welche als Ersatz für den durch die Arbeitslosigkeit
verloren gegangenen Lohn gedacht sind und dadurch dem Unterhalt der
arbeitslosen Person dienen           (BURGHERR, a.a.O., S. 27; PATRICIA
USINGER-EGGER, Die soziale Sicherheit der Arbeitslosen in der Verordnung
[EWG] Nr. 1408/71 und in den bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und
ihren

Nachbarstaaten, Diss. Freiburg [Schweiz] 2000, S. 60; vgl. auch Urteil des
EuGH vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96, Meints, Slg. 1997,
I-6689, Randnr. 27). Keine Leistungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. g der
Verordnung Nr. 1408/71 sind hingegen Insolvenzleistungen von
Berufsverbänden, die bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ausgerichtet
werden, da Leistungen bei Arbeitslosigkeit Einkommensersatzfunktion haben,
nicht jedoch der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten gegenüber dem
Arbeitnehmer dienen (FUCHS, a.a.O., N 20 zu Art. 4 der Verordnung Nr.
1408/71; vgl. auch Urteil des EuGH vom 15. Dezember 1976 in der Rechtssache
39/76, Mouthaan, Slg. 1976, 1901). Nicht in den sachlichen Geltungsbereich
der Verordnung Nr. 1408/71 fällt auch eine Entschädigungsregelung, nach der
in der Landwirtschaft tätige Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen
Flächenstilllegung ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, eine
einmalige Leistung erhalten, deren Höhe sich ausschliesslich nach dem Alter
der Berechtigten richtet und die zurückzuzahlen ist, wenn sie innerhalb von
zwölf Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut ein
Arbeitsverhältnis mit ihrem früheren Arbeitgeber eingehen (Urteil des EuGH
vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96, Meints, Slg. 1997,
I-6689). Dasselbe gilt für die Insolvenzentschädigung nach Art. 51 ff. AVIG,
denn damit soll der Arbeitnehmer für bereits geleistete Arbeit schadlos
gehalten werden (USINGER-EGGER, a.a.O., S. 61). Es steht nicht die für
Arbeitslosenleistungen typische Einkommensersatzfunktion im Zentrum, sondern
es soll die Erfüllung einer Arbeitgeberpflicht gegenüber den Arbeitnehmenden
sichergestellt werden (KIESER, a.a.O., S. 286 f.;  BURGHERR, a.a.O., S. 27).
Der Begriff der Arbeitslosigkeit umfasst lediglich das Risiko eines nicht
erzielbaren, nicht aber dasjenige eines nicht eintreibbaren Einkommens
(EBERHARD EICHENHOFER, in: MAXIMILIAN FUCHS [Hrsg.], a.a.O., N 5 zu Art. 67
der Verordnung Nr. 1408/71; BURGHERR, a.a.O., S. 27 f.; vgl. auch Urteil des
EuGH vom 15. Dezember 1976 in der Rechtssache 39/76, Mouthaan, Slg. 1976,
1901, Randnr. 18/20; EDGAR IMHOF, Eine Anleitung zum Gebrauch des
Personenfreizügigkeitsabkommens und der VO 1408/71, in: HANS-JAKOB MOSIMANN
[Hrsg.], Aktuelles im Sozialversicherungsrecht, Zürich 2001, S. 53).
Dogmatisch handelt es sich bei der Insolvenzentschädigung nicht um eine
Versicherung der Arbeitslosigkeit. Das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des
Arbeitgebers

wurde lediglich aus Gründen der Zweckmässigkeit und der ähnlichen
Zielsetzung im Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung
und die Insolvenzentschädigung verankert (Botschaft zu einem neuen
Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die
Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980, BBl 1980 III 535). Zwischen den
beiden Leistungszweigen besteht lediglich ein indirekter Zusammenhang, da
die Insolvenzentschädigung nicht davon abhängt, ob der betroffene
Arbeitnehmer im Anschluss an die Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers
arbeitslos wird (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 494).
Fällt die Insolvenzentschädigung nach Art. 51 bis Art. 58 AVIG somit nicht
unter den Begriff "Leistungen bei Arbeitslosigkeit" nach Art. 4 Abs. 1 lit.
g der Verordnung Nr. 1408/71, kommt daher auch das Koordinationsrecht von
Titel III Kapitel 6 dieser Verordnung nicht zur Anwendung, weshalb die
Beschwerdeführerin gestützt darauf keinen Anspruch auf
Insolvenzentschädigung für den Monat Mai 2003 abzuleiten vermag.

  5.4  Bezüglich Leistungen bei Arbeitslosigkeit sieht Art. 71 Abs. 1 lit. a
Ziff. ii der Verordnung Nr. 1408/71 vor, dass Grenzgänger bei
Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften des
Wohnsitzstaates erhalten. Ob die Beschwerdeführerin für den Monat Mai 2003
Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat, muss daher nach
liechtensteinischem Recht beantwortet werden. Der Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung bildet nicht Gegenstand des Verfahrens.

  5.5  Gemäss Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1 des EFTA-Übereinkommens
geniessen ein Arbeitnehmer und seine in Artikel 3 dieser Anlage genannten
Familienangehörigen die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen
wie die inländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen. Diese
Bestimmung entspricht inhaltlich Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68
des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer
innerhalb der Gemeinschaft (ABl. Nr. L 257 S. 2; vgl. dazu SILVIA BUCHER,
Soziale Sicherheit, beitragsunabhängige Sonderleistungen und soziale
Vergünstigungen: Eine europarechtliche Untersuchung mit Blick auf
schweizerische Ergänzungsleistungen und Arbeitslosenhilfen, Diss. Freiburg
[Schweiz] 1999, Rz 1085 ff.). In der Literatur (BURGHERR, a.a.O., S. 28;
IMHOF,

a.a.O., S. 53) wird die Auffassung vertreten, die Insolvenzentschädigung
nach Art. 51 ff. AVIG stelle subsidiär eine soziale Vergünstigung dar,
welche nach Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1 des EFTA-Übereinkommens
diskriminierungsfrei zu gewähren sei.

  Die Diskriminierungsverbote und Gleichbehandlungsgebote verbieten nach der
auch bei der Auslegung des EFTA-Übereinkommens zu berücksichtigenden (Art.
16 Abs. 2 Anhang K des EFTA-Übereinkommens, vgl. dazu Urteil des
Bundesgerichts vom 1. Februar 2005 i.S. A., 2P.130/2004) Rechtsprechung des
EuGH nicht nur "offenkundige" (bzw. "offensichtliche" oder "offene")
Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit (unmittelbare/direkte
Diskriminierung), sondern auch alle "versteckten" (bzw. "verschleierten"
oder "verdeckten") Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung
anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen
(mittelbare/indirekte Diskriminierung). Eine Vorschrift des nationalen
Rechts ist mittelbar diskriminierend, sofern sie nicht objektiv
gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck
steht, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf
inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie
Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt (BGE 131 V 209 mit Hinweisen).
Derselbe Diskriminierungsbegriff liegt auch Art. 9 Abs. 2 Anhang K Anlage 1
des EFTA-Übereinkommens und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1612/68
zugrunde (BGE 131 V 397 Erw. 5.1 mit Hinweisen). Sieht das nationale Recht
eine gemeinschaftsrechtlich unzulässige diskriminierende Behandlung
verschiedener Personengruppen vor, haben die Angehörigen der benachteiligten
Gruppe Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf die Anwendung der
gleichen Regelung wie die übrigen Betroffenen, wobei diese Regelung, solange
das nationale Recht nicht diskriminierungsfrei ausgestaltet ist, das einzig
gültige Bezugssystem bleibt (BGE 131 V 209 mit Hinweisen).

  Nach den Art. 51 ff. AVIG ist Wohnsitz in der Schweiz keine
Anspruchsvoraussetzung. Erforderlich ist lediglich, dass der Arbeitnehmer
der ALV-Beitragspflicht unterstellt ist, was besagen will, dass er eine der
Beitragspflicht unterliegende Arbeitnehmertätigkeit ausübt (nicht
veröffentlichtes Urteil B. vom 17. April 1989 [C 104/88]). Der Arbeitgeber
des beitragspflichtigen Arbeitnehmers muss entweder in der Schweiz der
Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der Schweiz Arbeitnehmer
beschäftigen (NUSSbaumer,

a.a.O., Rz 506). So können insbesondere auch Grenzgänger mit Wohnsitz im
Ausland bei gegebenen Voraussetzungen einen Anspruch auf
Insolvenzentschädigung erwerben (vgl. auch BGE 112 V 143). Unabhängig von
der Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Insolvenzentschädigung
subsidiär um eine soziale Vergünstigung handelt, welche nach Art. 9 Abs. 2
Anhang K Anlage 1 des EFTA-Übereinkommens diskriminierungsfrei zu gewähren
wäre, kann mit Bezug auf die im Fürstentum Liechtenstein wohnhaft und als
Grenzgängerin in der Schweiz erwerbstätig gewesene Beschwerdeführerin
bereits deshalb keine Diskriminierung erblickt werden, weil die Schweiz die
Insolvenzentschädigung unabhängig von Wohnsitz und Staatsangehörigkeit des
Arbeitnehmers gewährleistet.

  5.6  Sofern in Anlage 2 nichts Gegenteiliges bestimmt ist, werden gemäss
Art. 18 Anhang K des EFTA-Übereinkommens die bilateralen Abkommen über die
soziale Sicherheit zwischen den Mitgliedstaaten mit In-Kraft-Treten dieses
Anhangs insoweit ausgesetzt, als in diesem Anhang derselbe Sachbereich
geregelt ist. Im Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und
dem Fürstentum Liechtenstein über die Arbeitslosenversicherung vom 15.
Januar 1979 findet die Insolvenzentschädigung keine koordinierungsrechtliche
Regelung. Einzig das Abkommen mit Deutschland vom 20. Oktober 1982 erklärt
den Leistungszweig der Insolvenzentschädigung als mitumfasst. Dies liegt
darin begründet, dass im früheren Zeitpunkt der Vertragsschliessung mit den
anderen Nachbarstaaten die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in der
Schweiz noch kein versichertes Risiko darstellte (vgl. BURGHERR, a.a.O., S.
24; USINGER-EGGER, a.a.O., S. 123). Da die Schweiz Insolvenzentschädigung
ohnehin unabhängig vom Wohnort des Arbeitnehmers gewährt, erfahren
Grenzgänger anderer Staaten als Deutschland durch die mangelnde
staatsvertragliche Normierung keinen Nachteil, wenn die Voraussetzungen von
Art. 51 AVIG erfüllt sind. Aus dem bilateralen Abkommen kann die
Beschwerdeführerin mit Bezug auf den geltend gemachten Anspruch auf
Insolvenzentschädigung somit ebenfalls nichts zu ihren Gunsten ableiten.