Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 IV 89



Urteilskopf

132 IV 89

  12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Schweizerische
Bundesanwaltschaft gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)
  6S.455/2005 vom 28. März 2006

Regeste

  Art. 340 f. StGB, Art. 26 lit. a SGG; Bundesgerichtsbarkeit oder kantonale
Gerichtsbarkeit.

  Wenn die Strafkammer des Bundesstrafgerichts die Bundesgerichtsbarkeit
verneint und deshalb auf eine Anklage der Bundesanwaltschaft nicht eintritt,
ist die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ans Bundesgericht zulässig (E.
1).

  Wenn die eidgenössischen und kantonalen Strafverfolgungsbehörden eine
Vereinbarung über die Bundesgerichtsbarkeit getroffen haben, darf die
Strafkammer des Bundesstrafgerichts diese nur in Frage stellen, wenn die
Vereinbarung auf einem eigentlichen Missbrauch des Ermessens beruht (E. 2).

  Beim Vorwurf der Anstiftung zu falschem Zeugnis gemäss Art. 307 StGB kommt
es für die Frage, ob eidgenössische oder kantonale Gerichtsbarkeit gegeben
ist, darauf an, ob ein Verfahren der Bundesrechtspflege oder der kantonalen
Rechtspflege betroffen ist (E. 3).

Sachverhalt

  A.- Beamte der griechischen Polizei haben am 26. April 2000 Areal und
Räumlichkeiten der Unternehmungen A. und B. in Z. (Korinth) durchsucht.
Dabei sollen sie ein illegales und zur Herstellung synthetischer
Betäubungsmittel und deren Ausgangsstoffe geeignetes Laboratorium entdeckt
haben, welches in jenem Zeitpunkt in Betrieb war und in welchem rund 21'000
Amphetamintabletten sichergestellt worden sein sollen. Eigentümerin des
Laboratoriums soll nach Angaben von C. die seinem Bruder X. gehörende B.
gewesen sein.

  In der Folge eröffneten die griechischen Strafverfolgungsbehörden gegen X.
und weitere Beteiligte eine Hauptuntersuchung unter anderem wegen
gemeinsamer Herstellung von Amphetaminen sowie wegen gemeinsamen Schmuggels
und Imports ohne schriftliche Bewilligung des Laboratoriums. Später wurde
eine weitere Hauptuntersuchung wegen Exports (mit dem Ziel des Verkaufs) von
Betäubungsmitteln in Mittäterschaft sowie wegen unmittelbarer Mitwirkung bei
dieser Handlung angeordnet. Gegen den landesabwesenden X. erging am 4. Mai
2000 ein internationaler Haftbefehl.

  Am 26. Juni 2001 sprach das Appellationsgericht Nafplio die neben X.
ebenfalls angeklagten C., D., E. sowie G. der gewerbsmässigen Herstellung
von Amphetaminen schuldig. Dabei ging es davon aus, dass die Verurteilten in
Mittäterschaft mit X. gehandelt haben. Das Gerichtsverfahren in Bezug auf
Letzteren war am 22. März 2001 in Erwartung seiner Festnahme sistiert
worden.

  B.- Weil X. als Schweizerbürger nicht an Griechenland ausgeliefert werden
konnte, stellte das griechische Justizministerium ein Gesuch

gemäss Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 12 des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (SR 0.353.1) um
gerichtliche Verfolgung von X. Die Anklagekammer des Kantons Bern kam diesem
Ersuchen mit Beschluss vom 31. Oktober 2001 nach und wies die Akten dem
Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland zur weiteren Bearbeitung zu.
Gestützt auf einen Bericht des Untersuchungsrichters unterbreitete indessen
der Generalprokurator des Kantons Bern am 20. Februar 2002 die Akten der
Bundesanwaltschaft, wobei er ausführte, die in Frage kommenden Delikte
würden unter die organisierte Kriminalität fallen und seien zu einem
wesentlichen Teil im Ausland begangen worden, weshalb Bundeszuständigkeit
gegeben sei. Der Bundesanwalt verneinte diese jedoch zunächst, erklärte sich
aber am 22. April 2002 dennoch bereit, das Verfahren zu übernehmen.

  In der Folge eröffnete die Schweizerische Bundesanwaltschaft am 5. Juli
2002 ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen X. wegen gewerbs-
und bandenmässig begangener Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz
im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. b und c. Auf Antrag der Schweizerischen
Bundesanwaltschaft eröffnete sodann das Eidgenössische
Untersuchungsrichteramt eine Voruntersuchung wegen Verdachts der
Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, qualifiziert begangen ab
ca. 1998 in Griechenland und anderswo, sowie wegen Anstiftung zu falschem
Zeugnis, mehrfach begangen im Jahr 2003 in Bern und anderswo.

  C.- Am 13. Juli 2005 erhob die Schweizerische Bundesanwaltschaft beim
Bundesstrafgericht Anklage gegen X. wegen qualifizierter Widerhandlungen
gegen die Betäubungsmittelgesetzgebung sowie wegen Anstiftung zu falschem
Zeugnis.

  Mit Entscheid vom 22. September/25. Oktober 2005 trat indessen das
Bundesstrafgericht auf die Anklage nicht ein. Zur Begründung führte es im
Wesentlichen aus, nach dem Wortlaut von Art. 340bis Abs. 1 lit. a StGB
unterlägen der Bundesgerichtsbarkeit - soweit hier interessierend - einzig
die von einer kriminellen Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB
ausgehenden Verbrechen. Die Beteiligung an einer solchen werde dem
Angeklagten aber nicht zur Last gelegt, und aus der Anklageschrift gehe auch
nicht hervor, dass die Verbrechen von einer solchen Organisation ausgegangen
seien. Was die Anklage wegen Anstiftung zu falschem Zeugnis

betreffe, beziehe sich diese Tat auf in Griechenland rechtshilfeweise auf
schweizerisches Begehren einvernommene Zeugen, weshalb sie sich nicht, wie
dies gemäss Art. 340 Ziff. 1 al. 7 StGB für Bundesgerichtsbarkeit
erforderlich wäre, gegen eine Behörde des Bundes, sondern gegen eine
ausländische Behörde richte.

  D.- Gegen diesen Nichteintretensentscheid des Bundesstrafgerichts hat die
Schweizerische Bundesanwaltschaft am 28. November 2005
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts eingereicht.
Sie beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück-zuweisen, eventuell die Strafkammer
des Bundesstrafgerichts für die Beurteilung der Sache zuständig zu erklären.

  In seiner Vernehmlassung vom 21. Februar 2006 beantragt der
Generalprokurator des Kantons Bern, die Nichtigkeitsbeschwerde gutzuheissen,
während X. mit Eingabe vom 10. März 2006 auf Abweisung schliesst. Das
Bundesstrafgericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

  Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Das Bundesstrafgericht in Bellinzona ist das erstinstanzliche
Strafgericht des Bundes (Art. 191a Abs. 1 BV; Art. 1 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 4. Oktober 2002 über das Bundesstrafgericht
[Strafgerichtsgesetz, SGG; SR 173.71]). Seine Strafkammer beurteilt
Strafsachen, die nach den Artikeln 340 und 340bis StGB der
Bundesstrafgerichtsbarkeit unterstehen, soweit der Bundesanwalt die
Untersuchung und Beurteilung nicht den kantonalen Behörden übertragen hat
(Art. 26 lit. a SGG). Die Entscheide der Strafkammer des Bundesstrafgerichts
können beim Kassationshof des Bundesgerichts mit Nichtigkeitsbeschwerde
angefochten werden (Art. 1 Abs. 2 und Art. 33 Abs. 3 lit. b SGG). Das
Verfahren richtet sich nach den Art. 268 ff. BStP, wobei der Bundesanwalt
zur Beschwerde berechtigt ist (Art. 33 Abs. 3 lit. b SGG).

  Die Nichtigkeitsbeschwerde der Bundesanwaltschaft wird damit begründet,
dass der Nichteintretensentscheid der Strafkammer des Bundesstrafgerichts
eidgenössisches Recht verletze, was den zulässigen Rügegründen des Art. 269
Abs. 1 BStP entspricht. Fragen liesse sich indessen, ob die
Nichtigkeitsbeschwerde ausgeschlossen

ist, weil dem Streit ein Zuständigkeitskonflikt zu Grunde liegt. Tatsächlich
haben der Kassationshof des Bundesgerichts und die frühere Anklagekammer
stets an der Auffassung festgehalten, dass aArt. 264 BStP, wonach
Gerichtsstandskonflikte von der Anklagekammer zu entscheiden waren, als
Sonderbestimmung dem Art. 268 BStP vorging, was selbst dann galt, wenn ein
kantonales Gericht seine Zuständigkeit verneinte (BGE 91 IV 107). Heute ist
für die Entscheidung von Anständen zwischen den Kantonen, aber auch von
Anständen zwischen Bund und Kantonen die Beschwerdekammer des
Bundesstrafgerichts zuständig (Art. 279 und Art. 260 BStP), wobei die
Beschwerde gegen solche Entscheide an das Bundesgericht ausgeschlossen ist
(Art. 33 Abs. 3 lit. a SGG, e contrario). Wenngleich es somit dabei bleiben
muss, dass Gerichtsstandskonflikte zwischen den Kantonen, aber auch Anstände
zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen definitiv durch
die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts entschieden werden, kann es
sich nicht gleich verhalten, wenn es die Strafkammer des Bundesstrafgerichts
ist, welche den Zuständigkeitskonflikt durch einen Nichteintretensentscheid
auslöst. Es wäre nicht sachgerecht, wenn dieser Konflikt durch die andere
Kammer desselben Gerichts geregelt werden müsste. Vielmehr muss in einem
solchen Fall die Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung eidgenössischen
Rechts zugelassen werden. Mithin ist auf die fristgerecht erhobene
Beschwerde der Bundesanwaltschaft einzutreten.

Erwägung 2

  2.  Gemäss Art. 340bis StGB unterstehen der Bundesgerichtsbarkeit unter
anderem die strafbaren Handlungen nach Art. 260ter StGB sowie die
Verbrechen, die von einer kriminellen Organisation im Sinne dieser
Bestimmung ausgehen, sofern die strafbaren Handlungen zu einem wesentlichen
Teil im Ausland (lit. a) oder in mehreren Kantonen begangen wurden und dabei
kein eindeutiger Schwerpunkt in einem Kanton besteht (lit. b). Die
Bundesgerichtsbarkeit ist zwingend im Unterschied zu den in Art. 340bis Abs.
2 StGB genannten Verbrechen des zweiten und des elften Titels, wo die
Eröffnung des Ermittlungsverfahrens durch die Bundesanwaltschaft die
Bundesgerichtsbarkeit begründet (Abs. 3). Allerdings ändert der zwingende
Charakter der Bundesgerichtsbarkeit nichts daran, dass diese in hohem Masse
unbestimmt ist und nicht trennscharf bestimmt werden kann. Dies gilt nicht
nur, was den Begehungsort, sondern auch was den Tatbestand der kriminellen
Organisation

selbst betrifft, wobei hinzukommt, dass die Eröffnung eines Verfahrens nach
Art. 260ter StGB nicht Voraussetzung der Zuständigkeit ist, sondern es
genügt, dass das Verbrechen von einer solchen Organisation ausgeht. Wie es
sich damit verhält, kann vielfach zu Beginn einer Untersuchung nicht mit
Bestimmtheit festgestellt werden.

  Gleich wie bei der Bestimmung des interkantonalen Gerichtsstandes, sind
auch die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Kantone gehalten, sich
über die Zuständigkeit zu verständigen. Erst wenn eine solche Verständigung
scheitert, liegt ein Kompetenzkonflikt vor, und unterbreitet die
Strafverfolgungsbehörde, die zuerst mit dem Fall befasst war, die
Angelegenheit der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (Art. 279 Abs. 1
BStP; SCHWERI/ BÄNZIGER, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in
Strafsachen, 2. Aufl., Bern 2004, Rz. 561 ff.). Kommt es demgegenüber zu
einer Einigung, so kann der Beschuldigte an die Beschwerdekammer des
Bundesstrafgerichts gelangen (Art. 279 Abs. 2 i.V.m. Art. 214 Abs. 2 BStP;
vgl. BGE 128 IV 225 E. 2.3), was er hier aber nicht getan hat.

  Nach der Rechtsprechung ist eine nachträgliche Änderung der einmal
vereinbarten Zuständigkeit zwar grundsätzlich möglich, es bedarf dafür aber
triftiger Gründe (BGE 120 IV 282 E. 3a S. 286; 107 IV 158 E. 1; 71 IV 60 E.
1). Das ergibt sich namentlich bei fortgeschrittener Untersuchung bereits
daraus, dass Gründe der Effizienz und der beschleunigten Durchführung des
Verfahrens gegen eine solche Änderung sprechen (BGE 130 IV 68 E. 2.4; 128 IV
225 E. 3.5; 120 IV 282 E. 3b S. 286). Die Strafkammer des
Bundesstrafgerichts wird daher eine Vereinbarung zwischen den
eidgenössischen und kantonalen Strafverfolgungsbehörden über die
Zuständigkeit nur in Frage stellen dürfen, wenn diese auf einem eigentlichen
Missbrauch des Ermessens beruht (BGE 120 IV 282 E. 3a S. 286; 119 IV 250 E.
3c; 117 IV 90 E. 4a).

  Nach diesem Massstab hatte die Strafkammer des Bundesstrafgerichts keinen
Anlass, die Bundesgerichtsbarkeit in Frage zu stellen. Wohl trifft zu, dass
die Bundesanwaltschaft zunächst ihre Zuständigkeit verneinte und auch nach
Übernahme des Falles noch erklärte, sie würde die rechtlichen Überlegungen
des Generalprokurators des Kantons Bern nicht integral anerkennen. Dieser
hatte ausgeführt, Hintergrund der Straftaten sei eine grössere Organisation

von Griechen, welche eines der grössten Labors zur Herstellung von
Amphetamintabletten betrieben. Verwiesen wurde weiter auf die erhebliche
Bedeutung des Drogengeschäftes, auf den beachtlichen Organisationsgrad der
Täterschaft und den multinationalen Kontext (Produktion in Griechenland,
Export in Schiffsgeneratoren nach den Arabischen Emiraten, Transport und
Verkauf in Westeuropa, Rückfluss des Gewinnes über verschiedene
Finanzinstitute zurück nach Griechenland). Im Schlussbericht des
Eidgenössischen Untersuchungsrichters wird ferner festgehalten, Gegenstand
des Verfahrens sei eine arbeitsteilige und methodisch hoch professionelle
Produktion von Amphetaminen, welche einerseits im Rahmen einer betrieblichen
Hierarchie erfolgt sei, anderseits als illegaler Bereich in den legalen
Produktionsbereich der A. integriert und gleichzeitig abgeschottet gewesen
sei. Zutritt zu den Räumlichkeiten hätten bloss die Beschuldigten als
unmittelbar Mitwirkende gehabt, und Kontakte zwischen den Mitarbeitenden der
A. zu dem für die Produktion zuständigen D. seien unterbunden worden. Die
getätigte Investition des Kaufes eines Reaktors mache deutlich, dass die
Produktion auf Dauer angelegt gewesen sei. Bei dieser Ausgangslage kann
jedenfalls nicht gesagt werden, es habe keinen sachlichen Hintergrund für
die Annahme gegeben, die Straftaten seien von einer kriminellen Organisation
ausgegangen. Dass der Bundesanwalt die rechtlichen Ausführungen des
Generalprokurators nicht vollumfänglich teilen wollte, ändert hieran nichts.
Vereinbarungen über die Zuständigkeit werden nicht selten trotz
unterschiedlicher Auffassungen der beteiligten Strafverfolgungsbehörden
geschlossen, was aber die Einigung nicht missbräuchlich erscheinen lässt.
Erweist sich die Bejahung der Bundesgerichtsbarkeit demnach als haltbar, so
hätte die Strafkammer des Bundesstrafgerichts auf die Anklage eintreten
müssen.

Erwägung 3

  3.  Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts verneint auch die
Zuständigkeit für die Beurteilung der Anklage wegen Anstiftung zu falschem
Zeugnis (Art. 307 StGB). Gemäss Art. 340 Ziff. 1 al. 7 StGB unterstehen der
Bundesgerichtsbarkeit unter anderem die strafbaren Handlungen des 17.
Titels, sofern sie gegen die Behörden des Bundes oder gegen die
Bundesrechtspflege gerichtet sind. In Frage steht die Beeinflussung von
Zeugen, welche auf Begehren der Strafverfolgungsbehörde des Bundes in
Griechenland rechtshilfeweise einvernommen wurden. Für die Zuständigkeit
kann

es nur darauf ankommen, ob ein Verfahren der kantonalen Rechtspflege oder
aber der Bundesrechtspflege betroffen ist. Da hier das zweite zutrifft, ist
Bundesgerichtsbarkeit gegeben.