Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 753



Urteilskopf

132 III 753

  90. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen B.
(Berufung)
  4C.226/2006 vom 7. September 2006

Regeste

  Lehrvertrag (Art. 344 ff. OR) und Unterrichtsvertrag.

  Abgrenzung zwischen Lehrvertrag und Unterrichtsvertrag (E. 2.1 und 2.2).

  Lohnanspruch bei Vorliegen eines faktischen Lehrvertrages (E. 2.3 und
2.4).

Sachverhalt

  A.- Am 17. Februar 2000 unterzeichnete die damals minderjährige B.
(Klägerin) - vertreten durch ihren Vater C. - ein Formular, gemäss dessen
Text sie sich bei der von A. (Beklagter) betriebenen privaten Coiffeurschule
für die Dauer von 36 Monaten als Schülerin anmeldete. Mit Schreiben vom 18.
Februar 2000 (recte: 18. März 2000) bestätigte der Beklagte die ins Auge
gefasste Ausbildung. Ab dem 16. August 2000 liess sich die Klägerin beim
Beklagten als Coiffeuse ausbilden. Am 12. November 2002 brach sie die
Ausbildung ab. Die Klägerin geht davon aus, dass sie während dieser Zeit
beim Beklagten eine Lehre absolviert habe. Demgegenüber macht der Beklagte
geltend, dass er der Klägerin an der von ihm betriebenen Coiffeurschule
Unterricht erteilt habe.

  B.- Mit Klage vom 14. November 2002 vor Arbeitsgericht des Kantons Luzern
forderte die Klägerin vom Beklagten insgesamt Fr. 21'866.80 unter
verschiedenen Rechtstiteln. Unter anderem verlangte sie Fr. 12'000.- als
Lohn für die Zeit vom 16. August 2000 bis zum 12. November 2002. Mit Urteil
vom 26. Januar 2005 verpflichtete das Arbeitsgericht den Beklagten, der
Klägerin Fr. 12'888.80 netto zu bezahlen. Dieser Betrag setzt sich zusammen
aus dem eingeklagten Lohn von Fr. 12'000.- sowie Kosten für Arbeitsgeräte in
der Höhe von Fr. 888.80.

  Dagegen erhob der Beklagte Appellation ans Obergericht des Kantons Luzern.
Mit Urteil vom 5. April 2006 verpflichtet das Obergericht des Kantons Luzern
den Beklagten, der Klägerin Fr. 12'000.- zu bezahlen. Dabei handelte es sich
um den eingeklagten Betrag für Lohn.

  C.- Mit Berufung vom 20. Juni 2006 beantragt der Beklagte dem
Bundesgericht, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Luzern vom 5. April
2006 sei aufzuheben und die Klage sei abzuweisen. Die Klägerin beantragt
sinngemäss die Abweisung der Berufung. Das Bundesgericht weist die Berufung
ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Die Parteien sind sich zwar darin einig, dass sie einen Vertrag
abgeschlossen haben, vertreten jedoch unterschiedliche Auffassungen über die
Vertragsqualifikation. Während die Klägerin von einem

Lehrvertrag ausgeht und daraus einen Lohnanspruch ableitet, macht der
Beklagte geltend, dass ein Unterrichtsvertrag abgeschlossen worden sei und
folglich kein Lohn geschuldet sei.

  2.1  Der Lehrvertrag ist ein Arbeitsvertrag mit der Besonderheit, dass die
Arbeit in erster Linie der beruflichen Ausbildung der lernenden Person
dient. Durch den Lehrvertrag verpflichtet sich der Arbeitgeber, die lernende
Person für einen bestimmten Beruf fachgemäss auszubilden, und die lernende
Person, zu diesem Zweck Arbeit im Dienst des Arbeitgebers zu leisten (Art.
344 OR). Der Lehrvertrag ist somit ein Arbeitsvertrag, der zum Zweck der
Ausbildung abgeschlossen wurde. Aus der Gesetzessystematik ist zu
schliessen, dass der Lehrvertrag eine Unterart des Arbeitsvertrages ist, die
aus Elementen der Arbeitsleistung und solchen der Berufsbildung besteht; der
Lehrzweck erfüllt sich auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages (BGE 102 V
228 E. 2a S. 231; FRANK VISCHER, Der Arbeitsvertrag, Schweizerisches
Privatrecht, Bd. VII/4, 3. Aufl., Basel 2005, S. 292; MANFRED REHBINDER,
Berner Kommentar, Bern 1992, N. 1 zu Art. 344 OR; STREIFF/VON KAENEL,
Arbeitsvertrag, 6. Aufl., Zürich 2006, N. 2 zu Art. 344 OR). Das
Lehrverhältnis wird zu einem guten Teil auch vom öffentlichen Recht
beherrscht (Art. 14 des Berufsbildungsgesetzes vom 13. Dezember 2002 [BBG;
SR 412.10]). Zu den eidgenössisch anerkannten Berufen im Sinn des
Berufsbildungsgesetzes gehört traditionellerweise auch der Beruf des
Coiffeurs bzw. der Coiffeuse (Verordnung über die berufliche Grundbildung
Coiffeuse EFZ/Coiffeur EFZ [SR 412.101.220.20]). Wenn eine Ausbildung nicht
dem BBG unterstellt ist, ist von einem sog. freien Lehrverhältnis
auszugehen, auf welches lediglich die obligationenrechtlichen Bestimmungen
anwendbar sind (ADRIAN STAEHELIN, Zürcher Kommentar, Zürich 1996, N. 2 zu
Art. 344 OR; Chambre d'appel de Genève, Urteil vom 8. September 1987,
Jahrbuch des schweizerischen Arbeitsrechts [JAR] 1989 S. 290 ff., E. 3;
sinngemäss bestätigt vom Bundesgericht mit Urteil C.478/1987 vom 15. April
1988, JAR 1989 S. 296 ff.). Im Unterschied zum Lehrvertrag ist der
Unterrichtsvertrag im Gesetz nicht definiert. In der Regel beinhaltet er die
Verpflichtung des Unterrichtsgebers, dem Unterrichtnehmer gegen Zahlung
eines Entgeltes persönlich oder durch seine Lehrkräfte in Räumlichkeiten,
die von ihm zur Verfügung gestellt werden, die vertraglich umschriebenen
Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln und ihm dauernd oder vorübergehend
das Unterrichtsmaterial zu überlassen (SCHLUEP/AMSTUTZ, Basler Kommentar,

3. Aufl., Basel 2003, N. 419 und 425 Einleitung vor Art. 184 ff. OR; WALTER
J. SCHLUEP, Innominatverträge, Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/2, Basel
1979, S. 918 f.; MIREILLE SCHAFFITZ, Der Schulvertrag, Diss. Zürich 1977, S.
2 ff.).

  2.2  Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz festgestellt, dass das
Schwergewicht der Ausbildung auf der praktischen Arbeit lag. Die Klägerin
habe vorwiegend praktisch - am lebenden Modell - und damit nutzbringend im
Betrieb des Beklagten gearbeitet. Zudem führt der Beklagte selbst aus, dass
die lebenden Modelle für die an ihnen verrichtete Arbeit einen - um ca. die
Hälfte reduzierten - Preis bezahlt hätten. Wenn die Klägerin aber nach den
verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil vorwiegend praktische
Arbeit im Betrieb des Beklagten verrichtet hat, ist davon auszugehen, dass
sie in die Arbeitsorganisation des Beklagten eingegliedert war. Sie
arbeitete im Wesentlichen im Coiffeursalon des Beklagten für zahlende Kunden
und konnte dabei den Beruf als Coiffeuse erlernen. Diese Umstände sprechen
dafür, das zwischen den Parteien abgeschlossene Vertragsverhältnis als
Lehrvertrag zu qualifizieren. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die
Parteien keinen Lehrvertrag abgeschlossen haben, der von der zuständigen
kantonalen Behörden genehmigt worden wäre (Art. 14 Abs. 3 BBG). Anstatt von
einem Lehrvertrag, der dem BBG unterstellt ist, ist von einem freien
Lehrvertrag auszugehen, der sich ausschliesslich nach den Bestimmungen des
Obligationenrechts richtet. Der Beklagte geht daher zu Unrecht davon aus,
dass die Parteien keinen Lehrvertrag, sondern einen Unterrichtsvertrag
abgeschlossen hätten. Insbesondere spricht gegen die Annahme eines
Unterrichtsvertrages, dass kein Schulgeld vereinbart wurde. Es sind keine
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, weshalb der Beklagte der Klägerin eine
Berufsausbildung in einer Schule verschaffen sollte, ohne im Gegenzug für
den von ihm bzw. seinen Lehrkräften erteilten Unterricht ein Entgelt zu
erhalten.

  2.3  Nachdem sich ergeben hat, dass das Vertragsverhältnis zwischen den
Parteien als Lehrvertrag zu qualifizieren ist, ist im Folgenden zu prüfen,
ob gestützt auf den Lehrvertrag ein Lohn geschuldet ist. Gemäss Art. 344a OR
bedarf der Lehrvertrag zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form (Abs. 1).
Dabei hat der Vertrag die Art und die Dauer der beruflichen Ausbildung, den
Lohn, die Probezeit, die Arbeitszeit und die Ferien zu regeln (Abs. 2). Das
Schriftformerfordernis muss alle in Art. 344a Abs. 2 OR genannten

Punkte - insbesondere auch die Regelung des Lohns - umfassen (STREIFF/VON
KAENEL, a.a.O., N. 2 zu Art. 344a OR; REHBINDER, Berner Kommentar, a.a.O.,
N. 1 zu Art. 344a OR; KRAMER/SCHMIDLIN, Berner Kommentar, Bern 1986, N. 91
zu Art. 11 OR; a.M. STAEHELIN, a.a.O., N. 1 zu Art. 344a OR). Im
vorliegenden Fall wurde keine vertragliche Vereinbarung über den Lohn
getroffen, obwohl der Lohn Gegenstand des schriftlichen Lehrvertrages sein
müsste. Der Lehrvertrag leidet daher an einem Formmangel. Dies hat die
Ungültigkeit des Vertrages zur Folge (Art. 11 Abs. 2 OR).

  2.4  Ein ungültiges Arbeitsverhältnis, das vom gutgläubigen Arbeitnehmer
erfüllt wurde, ist so lange als gültig zu betrachten, bis sich eine Seite
von ihm lossagt (Art. 320 Abs. 3 OR). Diese Regelung ist auch auf den
Lehrvertrag anwendbar (Art. 355 OR). Im vorliegenden Fall ist die
Gutgläubigkeit der Klägerin für die Annahme eines faktischen
Lehrverhältnisses zu bejahen, da nicht festgestellt ist, dass sie positive
Kenntnis von der Formungültigkeit des Lehrvertrages hatte (vgl. BGE 132 III
242 E. 4.2.4 und 4.2.5 S. 247 f.). Folglich ist für die Dauer vom 16. August
2000 bis zum 12. November 2002, während welcher sich die Klägerin beim
Beklagten als Coiffeuse ausbilden liess, von einem faktischen Lehrverhältnis
auszugehen. Die Vereinbarung eines Lohnes während des Lehrverhältnisses ist
nach der überwiegenden Lehre zwar nicht zwingend, aber üblich (STREIFF/VON
KAENEL, a.a.O., N. 6 zu Art. 345a OR; STAEHELIN, a.a.O., N. 3 zu Art. 344
OR; REHBINDER/PORTMANN, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2003, N. 1 zu Art.
344 OR; neuerdings für einen zwingenden Lohnanspruch VISCHER, a.a.O., S.
291; MANFRED REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, 15. Aufl., Bern 2002,
S. 184 f., Rz. 393). Es rechtfertigt sich daher, gestützt auf die Annahme
eines faktischen Lehrverhältnisses von einem Anspruch der Klägerin auf den
üblichen Lohn auszugehen. In quantitativer Hinsicht ist der von der
Vorinstanz zugesprochene Lohn von Fr. 12'000.- im Verfahren vor
Bundesgericht nicht umstritten.

  2.5  Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass die Vorinstanz
das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien zu Recht als Lehrvertrag
qualifiziert hat (E. 2.1 und 2.2) und zutreffend angenommen hat, dass der
übliche Lohn geschuldet ist (E. 2.3 und 2.4).