Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 737



Urteilskopf

132 III 737

  88. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A.X. und B.X. gegen
Y. (Berufung)
  4C.194/2006 vom 5. September 2006

Regeste

  Grundlagenirrtum bei gerichtlichem Vergleich über die Erstreckungsdauer
nach Kündigung wegen Eigenbedarfs; rechtsmissbräuchliches Verhalten (Art. 24
Abs. 1 Ziff. 4, Art. 25 Abs. 1, Art. 271a Abs. 3 lit. a und Art. 272 Abs. 2
lit. d OR).

  Voraussetzungen für die Anfechtung eines gerichtlichen Vergleichs wegen
Grundlagenirrtums (E. 1).

  Für die Beurteilung der Wesentlichkeit des Irrtums massgebender Zeitpunkt
(E. 2).

  Ob die Person, mit deren "Eigenbedarf" die Kündigung begründet wird,
selbst Partei des Mietvertrages ist oder lediglich die Vermieterin
wirtschaftlich beherrscht, kann einen Einfluss auf die Zulässigkeit der
Kündigung und die Erstreckungsdauer haben. Die Berufung auf einen Irrtum
über die Person der Vermieterin verstösst daher nicht gegen Treu und Glauben
(E. 3).

Sachverhalt

  A.

  A.a A.X. und B.X. (Kläger) sind seit dem 1. Januar 1971 Mieter einer
5-Zimmerwohnung in Zürich. Ende Juni 1990 erwarb Y. (Beklagter) diese
Liegenschaft und veräusserte sie mit Vertrag vom 5. September 2000 der Y.
Immobilien AG (nachfolgend: Aktiengesellschaft), die er als Alleinaktionär
und Verwaltungsratspräsident beherrscht. Der Handwechsel wurde den Klägern
nicht mitgeteilt. Mit amtlichem Formular vom 19. März 2002 kündigte der
Beklagte bzw. dessen Liegenschaftenverwaltung den Mietvertrag mit der
Begründung "Eigenbedarf" frist- und formgerecht auf den 30. September 2002.

  A.b Mit Eingabe vom 16. April 2002 beantragten die Kläger der
Schlichtungsbehörde des Bezirks Zürich die Erstreckung des Mietverhältnisses
um drei Jahre. Anlässlich der Schlichtungsverhandlung vom 11. Juni 2002
verlangten die Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, es sei die Kündigung
als missbräuchlich zu erklären, eventualiter das Mietverhältnis um drei
Jahre zu erstrecken. Nach

durchgeführter Verhandlung einigten sich die Parteien auf die Gültigkeit der
Kündigung per 30. September 2002 und die letztmalige Erstreckung des
Mietverhältnisses bis und mit 30. Juni 2005. Hierauf wurde das Verfahren mit
Beschluss vom 11. Juni 2002 als durch Vergleich erledigt abgeschrieben.

  A.c Nachdem die Kläger im März 2004 erfahren hatten, dass nicht mehr der
Beklagte, sondern die Aktiengesellschaft als Eigentümerin im Grundbuch
eingetragen war, reichten sie gegen diese bei der Schlichtungsbehörde Zürich
am 14. April 2004 ein Revisionsbegehren ein mit den Anträgen, den Beschluss
vom 11. Juni 2002 aufzuheben und festzustellen, dass der anlässlich der
Schlichtungsverhandlung geschlossene Vergleich für die Kläger wegen Irrtums
über die Person des Vermieters unverbindlich sei. Die Schlichtungsbehörde
berichtigte das Rubrum, indem sie statt der Aktiengesellschaft den Beklagten
aufführte, und wies das Revisionsbegehren im Übrigen ab.

  B.- Am 16. Dezember 2004 reichten die Kläger dem Mietgericht Zürich Klage
ein mit den Begehren, den Beschluss der Schlichtungsbehörde vom 11. Juni
2002 aufzuheben und festzustellen, dass der mit dem Beklagten abgeschlossene
Vergleich vom 11. Juni 2002 für die Kläger unverbindlich sei. Ferner sei die
Sache zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens und zu neuer Beurteilung
der Kündigungsschutzbegehren an die Schlichtungsbehörde zurückzuweisen. Das
Mietgericht hielt sich - entgegen der Auffassung des Beklagten - für
zuständig und wies die Klage am 17. Juni 2005 ab. Das Obergericht des
Kantons Zürich wies am 11. April 2006 sowohl den Rekurs des Beklagten als
auch die Berufung der Kläger ab und bestätigte den angefochtenen Entscheid.

  C.- Die Kläger führen Berufung beim Bundesgericht und erneuern im
Wesentlichen ihre im kantonalen Verfahren gestellten Anträge. Eventualiter
beantragen sie, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beklagte
schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei.

  Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und stellt fest, dass der
anlässlich der Schlichtungsverhandlung vom 11. Mai 2002 abgeschlossene
Vergleich für die Kläger nicht verbindlich ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.  Die Kläger machen mit der Berufung geltend, die Vorinstanz habe Art.
24 Abs. 1 Ziff. 4 OR falsch angewendet, indem sie die objektive

Wesentlichkeit des Irrtums über die Person des Vermieters verneint habe.
Diese Rechtsfrage kann das Bundesgericht im Berufungsverfahren frei
überprüfen.

  1.1  Ein Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss
in einem wesentlichen Irrtum befunden hat (Art. 23 OR). Als wesentlich gilt
ein Irrtum namentlich, wenn er einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom
Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige
Grundlage des Vertrages betrachtet wurde (Grundlagenirrtum, Art. 24 Abs. 1
Ziff. 4 OR).

  1.2  Die Vorinstanz ging davon aus, mit dem Verkauf der Liegenschaft an
die Aktiengesellschaft sei diese nach der zwingenden Bestimmung des Art. 261
Abs. 1 OR als Vermieterin in das Mietverhältnis eingetreten. Demnach habe
der Beklagte die Kündigung in eigenem Namen als Nichtvermieter
ausgesprochen. Dass die Kündigung eines vollmachtlosen Dritten als solche
nichtig ist (WEBER, Basler Kommentar, 3. Aufl., N. 29 zu Art. 271/271a OR),
stellt auch die Vorinstanz nicht in Frage. Ferner ist unumstritten, dass die
Kläger anlässlich der Vergleichsgespräche und beim Abschluss des Vergleichs
irrtümlich annahmen, sie seien nach wie vor mit dem Beklagten in einem
Mietverhältnis verbunden. Diesem Irrtum sprach die Vorinstanz die
Wesentlichkeit ab, obwohl nach ihrer Auffassung grundsätzlich ein
wesentlicher Irrtum anzunehmen ist, "wenn eine Vertragspartei
irrtümlicherweise mit einer Nichtvertragspartei Vereinbarungen über ein
Mietverhältnis trifft." Sie erwog, es hätte sich am Erstreckungsvergleich
nichts oder nur minim etwas geändert, sofern dieser mit der
Aktiengesellschaft abgeschlossen worden wäre. Auch die Anfechtung der
Kündigung hätte den Klägern nur die Verzögerung einer neuen Kündigung (mit
erneutem Verfahren) gebracht, da der Beklagte die Kündigung auch in seiner
Eigenschaft als Alleinaktionär und Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft
ausgesprochen hätte, weshalb das Mietverhältnis früher oder später ohnehin
endete.

  1.3  Mit dem Vergleichsvertrag legen die beteiligten Parteien einen Streit
oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen
Zugeständnissen bei (BGE 130 III 49 E. 1.2 S. 51; 121 III 397 E. 2c S. 404
f., je mit Hinweisen). Als Vertrag des Privatrechts untersteht grundsätzlich
auch der gerichtliche Vergleich den Irrtumsregeln (BGE 110 II 44 E. 4 S. 46;
105 II 273 E. 3a S. 277, je mit Hinweisen). Als nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4
OR relevante Sachverhalte

kommen Umstände in Betracht, die von beiden Parteien oder von der einen für
die andere erkennbar dem Vergleich als feststehende Tatsachen zu Grunde
gelegt worden sind (BGE 130 III 49 E. 1.2 S. 52; 117 II 218 E. 4b S. 226; 82
II 371 E. 2 S. 375 f.). Die Berufung auf Grundlagenirrtum kann zudem nur
erfolgreich sein, wenn der Anfechtende sich über einen bestimmten
Sachverhalt geirrt hat, der für ihn notwendige Vertragsgrundlage bildete und
der nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als gegeben vorausgesetzt
werden durfte (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR; BGE 132 II 161 E. 4.1 S. 165 f.;
123 III 200 E. 2 S. 202; 118 II 58 E. 3b S. 62, 297 E. 2 S. 299 ff.).
Objektiv wesentlich ist danach eine falsche Vorstellung, die
notwendigerweise beiden Parteien bewusst oder unbewusst gemeinsam und bei
objektiver Betrachtung eine unerlässliche Voraussetzung für den Abschluss
des Vertrages gewesen ist (BGE 113 II 25 E. 1 S. 27 mit Hinweis; vgl. auch
BGE 118 II 297 E. 2b S. 300). Irrtum über Eigenschaften des Vertragspartners
vermögen unter Umständen einen Grundlagenirrtum zu begründen (SCHWENZER,
Basler Kommentar, 3. Aufl., N. 25 zu Art. 24 OR; BUCHER, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., S. 200, insbes. Fn. 24).
Abzustellen ist auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses. Die Anfechtbarkeit darf nicht im Sinne einer Abwägung der
im Zeitpunkt der Berufung auf den Irrtum bestehenden Vertragsinteressen der
Parteien davon abhängig gemacht werden, ob die einseitige Unverbindlichkeit
des Vertrages als unverhältnismässige Rechtsfolge erscheint. Die
Geltendmachung des Irrtums verstösst vielmehr nur dann gegen Treu und
Glauben, wenn es sich um unnütze Rechtsausübung handelt oder ein krasses
Missverhältnis der Interessen besteht (BGE 123 III 200 E. 2a und b S. 203
f.).

Erwägung 2

  2.

  2.1  Nach dem angefochtenen Entscheid machten die Kläger geltend, sie
hätten im Wissen darum, dass der Beklagte keine Vermieterstellung hatte, den
Vergleich nicht abgeschlossen, sondern verlangt, die Kündigung als unwirksam
zu erklären, um alsdann die Gültigkeit einer neuen, von der
Aktiengesellschaft ausgesprochenen Kündigung anfechten zu können. Der Irrtum
über die Vermietereigenschaft des Beklagten sei objektiv wesentlich, weil
das Risiko bestand, dass die Aktiengesellschaft den Vergleich nicht gegen
sich gelten lassen würde. Diesem Einwand begegnete die Vorinstanz mit dem
Hinweis darauf, die Aktiengesellschaft habe im Nachhinein

schriftlich bestätigt, dass sie sich an den Vergleich halten werde, und sie
habe sich in der ganzen Zeit nach Vergleichsabschluss so verhalten, als ob
sie selbst den Vergleich mit den Klägern geschlossen hätte.

  2.2  In der Berufung vertreten die Kläger den Standpunkt, für die
Beurteilung der objektiven Wesentlichkeit des Irrtums könnten nur
Sachumstände massgeblich sein, von denen der Irrende im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses Kenntnis hatte. Die Kläger müssten sich deshalb nicht
entgegenhalten lassen, ihre Befürchtung, die Aktiengesellschaft könnte sich
nicht an den Vergleichsvertrag halten, sei mit Blick auf das Verhalten im
Nachgang des Vergleichsabschlusses nicht nachvollziehbar.

  2.3  Die Rüge ist begründet. Nach dem Gesagten (E. 1.3 hiervor) ist für
die Beantwortung der Frage, ob der Irrtum der Kläger auch objektiv
wesentlich ist, entscheidend, ob die falsche Vorstellung notwendigerweise
beiden Parteien gemeinsam und bei objektiver Betrachtung eine unerlässliche
Voraussetzung für den Abschluss des Vertrages gewesen ist (BGE 113 II 25 E.
1 S. 27 mit Hinweis). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Denn wäre die
wahre Sachlage bereits anlässlich der Schlichtungsverhandlung bekannt
geworden, wäre ohne Zweifel die Nichtigkeit der Kündigung festgestellt und
das Verfahren dadurch erledigt worden. Zu einem Vorschlag, einen Vergleich
wie den nunmehr angefochtenen abzuschliessen, wäre es gar nicht gekommen.
Jedenfalls hätte ein sorgfältiger Anwalt seinem Klienten Ablehnung empfehlen
müssen, da ein derartiger Vergleich gegenüber der Vermieterin als "res inter
alios acta" grundsätzlich wirkungslos wäre und den Mietern keinerlei
vollstreckbare Rechte eingeräumt hätte. Daran vermag nichts zu ändern, dass
der kündigende Beklagte die Vermieterin wirtschaftlich beherrschte und deren
Verwaltungsrat war, denn die rechtliche Selbständigkeit juristischer
Personen ist zu beachten, es sei denn, sie werde im Einzelfall
rechtsmissbräuchlich geltend gemacht (BGE 132 III 489 E. 3.2 S. 493; 121 III
319 E. 5a/aa S. 321; 113 II 31 E. 2c S. 36, je mit Hinweisen). Ob sich die
Kläger, sollten sie den Vergleich gegen die AG durchsetzen müssen,
erfolgreich auf den "umgekehrten Durchgriff" (BGE 132 III 489 E. 3.2 S. 493
mit Hinweisen) berufen könnten, erscheint fraglich. Ein entsprechender
Versuch ist ihnen aber nicht zuzumuten, ist es doch der Beklagte, der seine
Vermögensverhältnisse auf eine bestimmte Weise geordnet hat und sich dabei
behaften lassen muss. Ist demgemäss davon

auszugehen, dass der Vergleich in Kenntnis der wahren Sachlage überhaupt
nicht zustande gekommen wäre, ist mit Blick auf die Frage der Wesentlichkeit
des Irrtums entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht von Belang, wie es
sich verhalten hätte, wenn der Vergleich mit der Aktiengesellschaft
abgeschlossen worden wäre.

Erwägung 3

  3.

  3.1  Zu beachten ist indessen, dass die Berufung auf Irrtum nach Art. 25
Abs. 1 OR unstatthaft ist, wenn sie Treu und Glauben widerspricht. Ob dies
zutrifft, ist durch eine Abwägung des Interesses des Irrenden an der
Anfechtung gegen jenes des Vertragspartners an der Aufrechterhaltung des
Vertrages zu ermitteln. Massgebend sind die Interessen beider Parteien, wie
sie sich im Zeitpunkt der Geltendmachung des Irrtums darstellen. Zeigt sich,
dass die Berufung auf Irrtum dem Irrenden kaum Vorteile, dem
Anfechtungsgegner aber schwere Nachteile bringt, verstösst sie gegen Treu
und Glauben und ist unzulässig (SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 7 und 8 zu
Art. 25 OR, mit Hinweisen). Wie es sich damit verhält, ist im Folgenden zu
prüfen.

  3.2  Die Kläger haben im kantonalen Verfahren für den Fall, dass die
Kündigung des Beklagten keine Sperrfrist ausgelöst haben sollte, angeführt,
bei einer Ungültigerklärung hätte zumindest die Möglichkeit bestanden, eine
zweite, von der Aktiengesellschaft ausgesprochene Kündigung erneut
anzufechten und wiederum deren Ungültigerklärung zu beantragen. Die
Vorinstanz vertritt demgegenüber die Auffassung, es spiele keine
entscheidende Rolle, ob und inwiefern eine Aktiengesellschaft als
Vermieterin eine Kündigung mit Eigenbedarf des Aktionärs begründen könne,
denn selbst wenn anlässlich der Schlichtungsverhandlung die
Eigentümerstellung der Aktiengesellschaft bekannt und allein deren
Eigenbedarf bei der Interessenabwägung berücksichtigt worden wäre, sei
anzunehmen, dass das Mietverhältnis nur unbedeutend länger erstreckt worden
wäre, wenn überhaupt, hätten doch auch die Mieter mit dem Hinweis auf ihr
tatsächlich sehr langes Mietverhältnis und die entsprechende Verwurzelung im
Quartier kein überaus gewichtiges Interesse geltend machen können. Im
Übrigen sei allein schon durch das Verfahren die maximale Erstreckungsdauer
von vier Jahren bald erreicht.

  3.3  Die Kläger halten in ihrer Berufung daran fest, dass im Rahmen der
Kündigung durch die Aktiengesellschaft der Eigenbedarf des Beklagten bei der
Interessenabwägung nach Art. 272 OR weniger

stark ins Gewicht gefallen wäre als bei einer Kündigung durch diesen. Zu
berücksichtigen seien nur die Interessen der Vertragsparteien selbst. An der
Schlichtungsverhandlung sei der Eigenbedarf ausschliesslich mit persönlichen
Interessen des Beklagten begründet worden. Demgegenüber verfolge die
Aktiengesellschaft nach ihrem gesetzlichen und statutarischen Zweck
ausschliesslich wirtschaftliche Ziele. Diesen könnte die Berücksichtigung
des Eigenbedarfs des Beklagten sogar nachteilig sein, weil die
Aktiengesellschaft dadurch Mietzinseinnahmen verlöre. Die Kläger folgern
daraus, es treffe nicht zu, dass im Falle einer Kündigung durch die
Aktiengesellschaft wegen Eigenbedarfs des Beklagten das Mietverhältnis -
wenn überhaupt - nur unbedeutend länger erstreckt worden wäre.

  3.4
  3.4.1  Klarzustellen ist zunächst, dass mit dem "Eigenbedarf der
Aktiengesellschaft", welchen die Vorinstanz erwähnt, nichts anderes als die
Absicht des Alleinaktionärs, in die von den Klägern bewohnte Wohnung zu
ziehen, gemeint sein kann, geht doch aus dem angefochtenen Urteil nicht
hervor und ist nicht ersichtlich, dass die Aktiengesellschaft selbst die
Wohnung hätte nutzen wollen und wurden auch keinerlei diesbezügliche
Behauptungen aufgestellt. Als Rechtsfrage zu prüfen ist somit, ob die
Vorinstanz zutreffend angenommen hat, bei einer (hypothetischen) mit
derartigem "Eigenbedarf" begründeten Kündigung durch die Aktiengesellschaft
kurz nach der Schlichtungsverhandlung hätten die Kläger mit hoher
Wahrscheinlichkeit bestenfalls etwa dieselbe Erstreckung wie mit dem
Vergleich erreicht.

  3.4.2  Bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen ist eine Kündigung
anfechtbar, wenn sie gegen Treu und Glauben verstösst (Art. 271 OR). Ein
solcher Verstoss ist zu bejahen, wenn die Kündigung auf keinem
schützenswerten Interesse beruht und damit schikanös ist oder zu einem
krassen Missverhältnis berechtigter Interessen führen würde (BGE 120 II 31
E. 4a S. 33; Urteil des Bundesgerichts 4C.61/2005 vom 27. Mai 2005, E. 4.1,
publ. in: SJ 2006 I S. 34 f. mit Hinweisen). Damit sich die Parteien ein
Bild von der Interessenlage machen können, muss die Kündigung auf Verlangen
begründet werden (Art. 271 Abs. 2 OR; LACHAT/STOLL/WEBER, Das Mietrecht für
die Praxis, 4. Aufl., Kap. 29 Rz. 3.1 S. 524). Eine mangelnde oder
fehlerhafte Begründung kann ein Indiz dafür sein, dass ein objektiv
erkennbares, ernstgemeintes und schützenswertes

Interesse an der Kündigung nicht besteht (BGE 125 III 231 E. 4b S. 239 f.
mit Hinweis).

  3.4.3  Der dringende Eigenbedarf im Sinne von Art. 271a Abs. 3 lit. a OR
ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts immer dann gegeben, wenn es
dem Vermieter aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nicht zumutbar ist,
auf die Benutzung der vermieteten Wohnung oder des Hauses zu verzichten.
Beim Entscheid über diese Frage sind alle erheblichen Umstände des Falles zu
würdigen. Das Erfordernis der Dringlichkeit ist dabei nicht allein zeitlich,
sondern auch sachlich zu verstehen. Es müssen Gründe vorliegen, denen auch
nach objektiver Beurteilung eine gewisse Bedeutung zukommt. Liegt ein
dringender Eigenbedarf des Vermieters vor, sind bei der Erstreckung dessen
Interessen gegenüber jenen des Mieters abzuwägen (BGE 118 II 50 E. 3d S.
55). Dabei ist auf die wahren Interessen der Parteien abzustellen, weshalb
bloss vorgeschobene Kündigungsgründe insoweit unbeachtlich sind (vgl. BGE
120 II 31 E. 4a S. 33). Der Bedarf muss sich auf den direkten Gebrauch durch
den Vermieter selbst oder eine der im Gesetz erwähnten ihm nahe stehenden
Personen beziehen (HIGI, Zürcher Kommentar, N. 190 zu Art. 271a OR). Weder
kann der Vermieter im Hinblick auf einen Verkauf der Liegenschaft das
Interesse des zukünftigen Erwerbers geltend machen (LACHAT, Le bail à loyer,
Kap. 30.3.8 S. 504) noch der Erwerber den Bedarf des früheren Vermieters.
Die Frage, ob sich eine Aktiengesellschaft auf das dringende Interesse an
der Nutzung des Mietobjekts durch einen Aktionär berufen kann, wird in der
Literatur uneinheitlich beantwortet. Die Ansichten reichen von
vorbehaltloser Bejahung (SVIT-Kommentar, 2. Aufl., N. 54 zu Art. 272 OR)
über geringfügige Berücksichtigung des Bedarfs des Aktionärs bei der
Interessenabwägung (LACHAT, Commentaire romand, N. 13 zu Art. 272 OR; ders.,
Le bail à loyer, S. 503, Fn. 78, mit Hinweisen) bis zu klarer Verneinung
(HIGI, a.a.O., N. 191 zu Art. 271a OR). Das Bundesgericht hatte die Frage
bislang nicht zu entscheiden (vgl. zur Beurteilung des Eigenbedarfs
juristischer Personen BGE 115 II 181 E. 2a S. 185). Es hat aber in seinem
Urteil 4C.139/2000 vom 10. Juli 2000, E. 2b, im Zusammenhang mit einer
Mieterstreckung in einem obiter dictum immerhin klar festgehalten, die
Berufung einer juristischen Person auf den Wunsch ihres Aktionärs, selbst
die vermieteten Räumlichkeiten zu bewohnen, breche sich am Einwand, dass es
sich beim Aktionär um eine von der Gesellschaft unabhängige Person handle.

  3.5  Nach dem Gesagten steht fest, dass sich die Rechtslage bei einer
Kündigung durch die Aktiengesellschaft wesentlich anders präsentiert hätte,
als wenn der Beklagte entsprechend der Vorstellung der Kläger Vermieter
gewesen wäre. Sollte der angerufene Kündigungsgrund letztlich unbeachtlich
sein, könnte sich die Kündigung als grundlos und daher mangels
schützenswerten Interesses der Aktiengesellschaft an der Kündigung bzw.
wegen offensichtlichen Missverhältnisses der beteiligten Interessen als
anfechtbar erweisen (WEBER, a.a.O., N. 3 zu Art. 271/271a OR; LACHAT,
Commentaire romand, N. 6 zu Art. 271 OR; MERZ, Berner Kommentar, N. 386 zu
Art. 2 ZGB). Diesfalls würden die Kläger mit ihrem Hauptbegehren auf
Ungültigerklärung der Kündigung obsiegen und könnten sich alsdann gegenüber
einer neuen Kündigung auf die Sperrfrist nach Art. 271a Abs. 1 lit. e OR
berufen. Aber auch wenn der Eigenbedarf des Aktionärs als Interesse an der
Rechtsausübung durch die Aktiengesellschaft grundsätzlich in Frage käme,
kann der hypothetische Ermessensentscheid des Sachrichters bei der
Interessenabwägung nicht in der Weise vorweggenommen werden, dass eine
merkliche Besserstellung der Kläger als beim Vergleich mit Sicherheit
ausscheidet. Mit dieser Rechtslage lässt sich die Annahme der Vorinstanz,
die Anfechtung des Vertrages wegen Grundlagenirrtums bringe dem Irrenden
kaum Vorteile, dem Anfechtungsgegner aber schwere Nachteile (E. 3.1
hiervor), nicht vereinbaren. Da sich die Kläger nach dem Gesagten vielmehr
in guten Treuen zur Anfechtung des Vergleichs veranlasst sehen durften, hat
entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch die Dauer des
Anfechtungsprozesses ausser Acht zu bleiben. Sie bildet jedenfalls für sich
genommen keinen Grund, die Anfechtung an Art. 25 Abs. 1 OR scheitern zu
lassen. Würde die Anfechtung nicht zugelassen, müssten sich die Kläger den
Vorwurf gefallen lassen, gegen einen gültig geschlossenen Vergleich
verstossen zu haben, indem sie nach dem 30. Juni 2005 im Mietobjekt
verblieben. Die Kläger haben ein legitimes Interesse daran, dies zu
vermeiden.