Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 702



Urteilskopf

132 III 702

  83. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. AG gegen B.
(Berufung)
  4C.198/2006 vom 7. September 2006

Regeste

  Art. 270a Abs. 2 und 3 OR; Mietzinsherabsetzung.

  Das in Art. 270a Abs. 2 OR vorgesehene parteiinterne Vorverfahren ist eine
Prozessvoraussetzung für die Geltendmachung von Herabsetzungsansprüchen (E.
4.2).

  Auf die Durchführung des parteiinternen Vorverfahrens kann gemäss Art.
270a Abs. 3 OR nur verzichtet werden, wenn der Mieter gleichzeitig mit der
Anfechtung einer Mietzinserhöhung auch Herabsetzungsansprüche geltend macht.
Ferner kann auf das Vorverfahren verzichtet werden, wenn sich der Mieter in
einem hängigen Herabsetzungsverfahren auf zusätzliche Herabsetzungsgründe
beruft oder wenn der Vermieter eine Mietzinsherabsetzung von vorneherein
klar ablehnt. Demgegenüber reichen allgemeine Meinungsverschiedenheiten
zwischen den Parteien des Mietverhältnisses nicht aus, auf die Durchführung
des parteiinternen Vorverfahrens zu verzichten (E. 4.3).

Sachverhalt

  A.- Mit Vertrag vom 14. Mai 2002 mietete B. (Kläger) von der A. AG
(Beklagte) per 1. Juli 2002 einen 5-Zimmer-Hausteil mit Garten und
Gartensitzplatz in Meilen zu einem monatlichen Mietzins von Fr. 2'365.-. Am
29. September 2003 stellte die Beklagte dem Kläger eine Heizkostenabrechnung
zu, worauf der Kläger mit Schreiben vom 7. Oktober 2003 an die Beklagte
gelangte und um Zustellung einer korrekten Heizkostenabrechnung ersuchte.

  B.- Am 27. November 2003 reichte der Kläger bei der Schlichtungsstelle des
Bezirkes Meilen Klage ein mit dem Rechtsbegehren, es sei der Mietzins
angemessen herabzusetzen und es sei eine ordnungsgemässe
Heizkostenabrechnung für die vorangehende Heizperiode zu erstellen. Da keine
Einigung zustande kam, gelangte der Kläger am 30. Januar 2004 an das
Mietgericht, welches mit Beschluss vom 18. Mai 2004 auf das Begehren um
Herabsetzung nicht eintrat und dasjenige betreffend die Heizkostenabrechnung
als gegenstandslos abschrieb. Ein dagegen vom Kläger erhobener Rekurs wurde
vom Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 16. September 2004
gutgeheissen und die Sache (zur materiellen Entscheidung) an die Vorinstanz
zurückgewiesen. Mit Urteil vom 18. August 2005 trat das Mietgericht nunmehr
auf die Klage ein und setzte den Mietzins von Fr. 2'365.- per 1. April 2004
um 6,5

Prozent auf Fr. 2'211.- herab. Auf Berufung der Beklagten hin wurde dieser
Entscheid vom Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 13. April
2006 bestätigt.

  C.- Mit Berufung vom 24. Mai 2006 beantragt die Beklagte dem
Bundesgericht, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13.
April 2006 sei mit Ausnahme von Ziffer 1 des Dispositivs aufzuheben und auf
die Klage betreffend Herabsetzung des Mietzinses sei nicht einzutreten. Der
Kläger beantragt sinngemäss Abweisung der Berufung. Gleichzeitig stellt er
den Antrag auf unentgeltliche Prozessführung und Bestellung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  Wie die Vorinstanz zu Recht festhält, hat sich das Bundesgericht
bisher nicht ausdrücklich zur Frage geäussert, ob die Durchführung des
parteiinternen Vorverfahrens gemäss Art. 270a Abs. 2 OR Voraussetzung für
die Einleitung des Schlichtungsverfahrens ist.

  4.1  In BGE 122 III 20 wurde unter Hinweis auf eine Literaturstelle
ausgeführt, bei den Anforderungen gemäss Art. 270a Abs. 2 OR handle es sich
bloss um Ordnungsvorschriften. Das parteiinterne Vorverfahren bezwecke
lediglich, die Parteien vor der Einleitung eines behördlichen Verfahrens zu
einem Meinungsaustausch über den künftigen Mietzins zu veranlassen. Diese
Feststellung erfolgte im Hinblick auf die Frage, ob die Parteien sich
bereits im Vorverfahren endgültig festlegen müssten und im nachfolgenden
behördlichen Verfahren an ihre Erklärungen im Vorverfahren gebunden seien,
was verneint wurde (a.a.O. E. 4c S. 24). Das Bundesgericht hielt fest, Art.
270a Abs. 3 OR sei vor diesem Hintergrund zu sehen. Danach könne der Mieter
gleichzeitig mit der Anfechtung einer Mietzinserhöhung ein
Herabsetzungsbegehren stellen, ohne vorgängig das Vorverfahren gemäss Art.
270a Abs. 2 OR in Gang setzen zu müssen. Die Vorschrift beruhe auf der
Überlegung, dass ein Vorverfahren, das eine gütliche Einigung ermöglichen
soll, nicht mehr sinnvoll sei, wenn die Parteien bereits in einem
Anfechtungsverfahren über den Mietzins streiten würden. Dieser Gedanke
treffe aber auch dann zu, wenn neue Herabsetzungsgründe einträten, während
bei den Behörden bereits ein Herabsetzungsverfahren hängig sei. Es
rechtfertige sich daher, dem Mieter in analoger Anwendung von Art. 270a Abs.
3 OR auch in solchen Fällen die Möglichkeit einzuräumen, neue
Herabsetzungsforderungen ohne vorgängiges Parteiverfahren

im Sinne von Art. 270a Abs. 2 OR in das laufende behördliche Verfahren
einzubringen, solange das kantonale Prozessrecht dies zulasse (a.a.O. E. 4c
S. 24 f.).

  4.2  Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass sich das Bundesgericht zur
Frage äusserte, ob zusätzliche Gründe denkbar sind, welche - über den
Wortlaut von Art. 270a Abs. 3 OR hinausgehend - den Ausschluss des
parteiinternen Vorverfahrens erlauben. Damit wurde aber gleichzeitig
vorausgesetzt, dass ein solches Verfahren grundsätzlich notwendig ist. Wenn
im erwähnten BGE 122 III 20 die Frage zu entscheiden war, ob neue
Herabsetzungsgründe unter den Ausnahmetatbestand von Art. 270a Abs. 3 OR
fallen, so war davon auszugehen, dass im Verneinungsfall ein vorgängiges
Parteiverfahren unerlässlich ist. Der Hinweis, es handle sich um
Ordnungsvorschriften, bezog sich auf die einzelnen Formerfordernisse des
Art. 270a Abs. 2 OR, nämlich das an den Vermieter gerichtete schriftliche
Begehren, das Abwarten der Antwort während einer bestimmten Frist und die
anschliessende fristgemässe Einleitung des Schlichtungsverfahrens. Es ist
einzuräumen, dass die mit Verweis auf eine Literaturstelle gewählte
Formulierung zu Missverständnissen führen könnte. Es sollte damit einzig zum
Ausdruck gebracht werden, dass das Einleitungsverfahren zur
Mietzinsherabsetzung im Gegensatz zum Erhöhungsverfahren nur informellen
Charakter hat mit dem Zweck, einen Meinungsaustausch zwischen den Parteien
anzuregen (ROGER WEBER, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2003, N. 6a zu
Art. 270a OR). Die Lehre geht mehrheitlich zu Recht davon aus, dass das in
Art. 270a Abs. 2 OR vorgesehene Parteiverfahren als eigentliche
Prozessvoraussetzung zwingend eingehalten werden muss, sofern nicht ein
Ausnahmefall gemäss Art. 270a Abs. 3 OR vorliegt (PETER HIGI, Zürcher
Kommentar, Zürich 1998, N. 6 zu Art. 270a OR; SVIT-Kommentar zum Mietrecht,
2. Aufl., Zürich 1998, N. 28 zu Art. 270a OR). Das Bundesgericht hat in
einem unveröffentlichten Entscheid dieses private Einleitungsverfahren
ebenfalls als Prozessvoraussetzung bezeichnet (Urteil 4C.328/2005 vom 9.
Dezember 2005, E. 3). Wie erwähnt soll es die Parteien vor der Einleitung
eines behördlichen Verfahrens zu einem Meinungsaustausch über den künftigen
Mietzins veranlassen (BGE 122 III 20 E. 4c S. 24). Es dient im Wesentlichen
dazu, das Herabsetzungsverfahren zu vermeiden, indem der Vermieterschaft vor
Einleitung des Schlichtungsverfahrens die Möglichkeit zur freiwilligen
Reduktion des Mietzinses eröffnet werden

soll (Urteil 4C.411/1994 vom 14. September 1995, E. 3b). Das Vorverfahren
kann für den Vermieter von praktischer Bedeutung sein. Würde dieser nämlich
ohne weiteres in ein Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren hineingezogen,
könnte dies bei einer gütlichen Einigung mit dem Mieter zu einer
Kündigungssperre führen (Art. 271a Abs. 1 lit. e Ziff. 4 OR). Dies kann er
verhindern, indem er im parteiinternen Vorverfahren dem Anliegen des Mieters
nachkommt.

  4.3  Die Vorinstanz hat somit zu Recht die Durchführung des Vorverfahrens
als eigentliche Prozessvoraussetzung betrachtet. Damit stellt sich im
Folgenden die Frage, ob im vorliegenden Fall im Hinblick auf Art. 270a Abs.
3 OR auf ein solches parteiinternes Einleitungsverfahren verzichtet werden
konnte. Das Bundesgericht hat den Anwendungsbereich dieser
Ausnahmebestimmung in dem Sinne erweitert, als neue Herabsetzungsforderungen
in das laufende behördliche Verfahren eingebracht werden können (BGE 122 III
20 E. 1c S. 25). Nach dem Sinn und Zweck von Art. 270a Abs. 3 OR erübrigt
sich ein Vorverfahren mit dem Ziel, eine gütliche Einigung zu erzielen, wenn
die Parteien bereits in einem Anfechtungsverfahren über den Mietzins
streiten. Gleich verhielte es sich, wenn der Vermieter von vorneherein klar
kundgetan hätte, er sei nicht bereit, den Mietzins zu senken (HIGI, a.a.O.,
N. 7 zu Art. 270a OR). Als Ausnahmebestimmung und auch angesichts des klaren
Wortlautes ist Art. 270a Abs. 3 OR indessen nicht unbesehen zu erweitern.
Andernfalls besteht die Gefahr, die grundsätzliche Bedeutung des vorgängigen
Parteiverfahrens zu relativieren und dessen Sinn in Frage zu stellen. Wenn
die Vorinstanz festhält, es lägen im hier zu beurteilenden Fall besondere
Umstände vor, so lässt sich daraus für eine analoge Anwendung der
gesetzlichen Ausnahmebestimmung noch nichts ableiten. Dass mit Bezug auf das
zwischen den Parteien abgeschlossene Mietverhältnis schon zahlreiche
Verfahren hängig sind und es bereits zu Kündigungen gekommen ist, weist zwar
auf bestehende Meinungsverschiedenheiten hin. Darüber hinaus kann aber nicht
zwingend geschlossen werden, eine Einigung über die neu in Frage stehende
Herabsetzung des Mietzinses sei von vorneherein unmöglich und ein
Vorverfahren damit sinnlos. Es ging um Berechnungsgrundlagen, die sich
geändert hatten und an sich zu einer Reduktion des Mietzinses führen
mussten. Wenn der Mietzins trotz Hypothekarzinssenkung unverändert bleiben
sollte, so lag es an der Beklagten, die Gründe dafür darzutun. Dieser
Obliegenheit hätte sie ungeachtet anderer Meinungsverschiedenheiten
nachkommen

müssen. Es war in ihrem Interesse, gegenteilige Argumente vorzubringen,
falls sie sich der Meinung des Klägers hätte widersetzen wollen. War dessen
Anliegen dagegen berechtigt, so ist nicht einzusehen, weshalb die Beklagte
hätte unnachgiebig bleiben und ein nachteiliges Gerichtsverfahren in Kauf
nehmen sollen. Auf jeden Fall fehlten konkrete Anhaltspunkte dafür, dass
sich die Beklagte trotz der neuen Berechnungsgrundlage von vorneherein gegen
eine Herabsetzung des Mietzinses gewehrt hätte.

  4.4  Somit hätte der Kläger gestützt auf Art. 270a Abs. 2 OR der Beklagten
zunächst Gelegenheit geben müssen, zum Herabsetzungsbegehren Stellung zu
nehmen. Weil er dies unterliess, war er nicht berechtigt, Klage beim
Mietgericht einzureichen. Indem das Obergericht trotz der fehlenden
Prozessvoraussetzung auf die Klage eintrat, verletzte es Bundesrecht, was
zur Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und zum Nichteintreten auf
die Klage führt. Im Übrigen ist das Verfahren zur Regelung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen im kantonalen Verfahren an die Vorinstanz
zurückzuweisen.