Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 620



Urteilskopf

132 III 620

  74. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. Bank X. gegen Bank
Y. (Berufung)
  4C.149/2005 vom 3. Juli 2006

Regeste

  Dokumentenakkreditiv; widersprüchliches Verhalten der eröffnenden Bank
nach der Verweigerung der Aufnahme der Dokumente (Art. 14e Einheitliche
Richtlinien und Gebräuche für Dokumentenakkreditive).

  Verfügt die eröffnende Bank über die Dokumente und damit über die Ware,
obschon sie die Aufnahme der Dokumente verweigert hat, verhält sie
sich widersprüchlich mit der Rechtsfolge, dass sie zum Ersatz der
Auslagen der Korrespondenzbank verpflichtet ist, welche dem Begünstigten den
Akkreditivbetrag ausbezahlt hat (E. 3).

Sachverhalt

  A.- Die Bank Y. (Ukraine; Klägerin) eröffnete am 4. Oktober 2000 auf
Anfrage ihrer Kundin A. SA ein unwiderrufliches Akkreditiv zugunsten der B.
Ltd. (Irland) als Begünstigte für eine Öl- bzw. Benzin-Lieferung. Der
Akkreditivbetrag belief sich auf USD 3'235'000.- +/-10 %.

  Die Bank X. (Zürich; Beklagte) wurde von der Klägerin als
Korrespondenzbank beauftragt, das Akkreditiv der Begünstigten B. Ltd. zu
bestätigen sowie den Akkreditivbetrag bei Übereinstimmung der von der
Begünstigten vorgewiesenen Dokumente mit den Akkreditivbedingungen
auszuzahlen. Die Beklagte nahm den Auftrag an und bestätigte das Akkreditiv
gegenüber der Begünstigten.

  A.a Mit Swift-Mitteilung vom 25. Oktober 2000 liess die Beklagte der
Klägerin Dokumente zukommen und bat die Klägerin, bei der Käuferin als
Akkreditivstellerin abzuklären, ob diese genehmigt werden könnten, da sie
von den geforderten Akkreditivdokumenten abwichen. Die Klägerin antwortete
darauf, dass sie die Akkreditivstellerin so schnell wie möglich kontaktieren
werde.

  A.b Am 8. November 2000 gab die Beklagte der Klägerin bekannt, dass ihre
Swift-Mitteilung vom 25. Oktober 2000 als gegenstandslos betrachtet werden
könne, da nun die Dokumente in Übereinstimmung mit den Akkreditivbedingungen
eingetroffen seien und der Betrag von USD 3'267'603.29 ausbezahlt worden
sei. Gleichzeitig machte die Beklagte USD 8'366.71 für ihre eigenen
Dienstleistungen

geltend. Insgesamt belastete sie dem Konto der Klägerin den Betrag von USD
3'275'970.-.

  A.c Die Klägerin beanstandete mit Swift vom 17. November 2000 mehrere
Unvereinbarkeiten der von der Begünstigten vorgelegten Papiere mit den
vereinbarten Akkreditivbedingungen. Sie forderte die Berichtigung des Saldos
ihres Kontos bei der Beklagten mit der Begründung, diese habe die Summe des
Akkreditivs in Höhe von USD 3'275'970.- zu Unrecht belastet. Die Klägerin
vertrat die Ansicht, die Beklagte habe Art. 13 lit. b der Einheitlichen
Richtlinien für Dokumentenakkreditive missachtet, wonach die Klägerin als
das Akkreditiv eröffnende Bank die ihr von der Beklagten als bestätigender
Zweitbank zugestellten Dokumente in angemessener Zeit prüfen und
zurückweisen könne.

  A.d Die Beklagte war nicht bereit, die Kontobelastung rückgängig zu
machen. Sie vertrat die Auffassung, die vorgelegten Dokumente stimmten mit
den Akkreditivbedingungen überein und die Belastung des Kontos der Klägerin
mit dem Akkreditivbetrag zuzüglich Kosten sei gerechtfertigt. Die
Abweichungen in den vorgelegten Dokumenten gegenüber den
Akkreditivbedingungen hielt sie für geringfügig, weshalb die Bezahlung der
Akkreditivsumme an die Begünstigte zu Recht erfolgt sei.

  B.- Mit Urteil vom 21. März 2005 hiess das Handelsgericht des Kantons
Zürich die Klage vom 10. April 2002 gut und verpflichtete die Beklagte, den
Betrag von USD 3'275'970.- zuzüglich 8 % Zins seit dem 8. November 2000 dem
Konto der Klägerin Nr. 000 gutzuschreiben. Das Gericht hielt zunächst fest,
dass die Parteien die Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für
Dokumentenakkreditive gemäss Revision 1993, ICC-Publikation Nr. 500 Paris
(im Folgenden: ERA 500), im Eröffnungsauftrag zum Vertragsinhalt erklärt
hatten. Da eine Rechtswahl nicht erfolgt war, ist nach der Erwägung des
Handelsgerichts gemäss Art. 117 IPRG schweizerisches Recht anwendbar und
finden daher ergänzend die Normen über die Anweisung (Art. 466 ff. OR)
Anwendung. Danach gelten die Grundsätze der Dokumentenstrenge und der
Abstraktheit und kann die Beklagte keinen Auslagenersatz verlangen, wenn sie
formell nicht korrekte Dokumente honoriert hat, was das Handelsgericht
vorliegend für das Erfordernis "Gum Existent" im Qualitätszertifikat - wofür
tatsächlich "Existent Gum washed" erwähnt war - sowie für das Erfordernis
"signed and stamped" bejahte, das beim

"Sealing Report" nicht erfüllt war. Da die Abweichungen nicht geringfügig
waren, hätte die Beklagte nach den Erwägungen des Handelsgerichts die
Dokumente zurückweisen oder der Klägerin und der Akkreditivstellerin zur
Genehmigung vorlegen müssen. Das Handelsgericht verneinte sodann den von der
Beklagten behaupteten Verstoss gegen Treu und Glauben. Es folgte
insbesondere der Ansicht der Beklagten nicht, dass aufgrund der
Inempfangnahme der Ware ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliege.

  Die Beklagte hat das Urteil des Handelsgerichts mit Berufung angefochten.
Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und hebt das
angefochtene Urteil auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.  Die Beklagte rügt, die Vorinstanz habe Art. 14e ERA 500 missachtet,
indem sie das Vorbringen mangelnder Akkreditivkonformität der Klägerin
geschützt habe.

  3.1  Nach Art. 14e ERA 500 kann die eröffnende Bank nicht geltend machen,
dass die Dokumente nicht den Akkreditivbedingungen entsprechen, wenn sie die
Dokumente weder zur Verfügung des Einreichers hält noch diesem zurücksendet.
Diese Bestimmung beruht auf der Erwägung, dass sich die Akkreditivbank nach
Erhalt der die Ware repräsentierenden Dokumente in Widerspruch zu sich
selbst setzen würde, wenn sie die Dokumente zwar zurückweist, gleichzeitig
aber auf die eine oder andere Weise über diese und damit über die Ware
verfügt (SCHÜTZE, Das Dokumentenakkreditiv im Internationalen
Handelsverkehr, 5. Aufl., Heidelberg 1999, Rz. 417 S. 168 f. mit Hinweisen).
Der Gebrauch der Dokumente zur Verfügung über die Ware ist auch nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts als Genehmigung der Dokumente zu
qualifizieren, wobei diese gleichzeitig den Verzicht auf eine allenfalls
zunächst ausgesprochene Beanstandung bedeutet (BGE 90 II 302). Das
Bundesgericht hat die grundsätzliche Bedeutung dieser Praxis für das
Akkreditiv hervorgehoben. Denn das Akkreditiv erfüllt seinen Zweck zur
Sicherung aller Parteien nur, wenn der Verkäufer auf die vollständige und
unbeschwerte Rückgabe der Dokumente vertrauen kann, damit ihm die
Verfügungsgewalt über die Ware erhalten bleibt, wenn die Akkreditivbank die
Papiere aus irgendeinem Grund nicht aufnimmt. Der Zweck des Akkreditivs
verlangt daher auch, dass jedes Verhalten der Bank, die dem Verkäufer die
Verfügungsgewalt über die Ware nimmt, die gleichen Folgen hat wie die
vorbehaltlose

Aufnahme der Dokumente (BGE 104 II 275 E. 5a; 111 II 76 E. 3b/bb; vgl. auch
BGE 114 II 45 E. 4e S. 51 unten). Diese Praxis hat in der Lehre Zustimmung
gefunden (LOMBARDINI, Droit bancaire suisse, Genf 2002, S. 358; TEVINI DU
PASQUIER, Commentaire Romand, N. 11 Appendice aux art. 466-471 CO; KOLLER,
Basler Kommentar, N. 17 Anhang zum 18. Titel OR).

  3.2  Die Vorinstanz hat letztlich offen gelassen, ob die bestrittene
Behauptung der Beklagten zutreffe, dass die Ware aufgrund der
Importbestimmungen der Ukraine vorgängig habe weiterverkauft werden müssen,
damit sie in der Ukraine habe eingelagert werden können. Sie hat unter
anderem erwogen, es fehlten konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin
mit Swift vom 17. November 2000 in treuwidriger Weise bezweckt hätte, der
Käuferin die Ware ohne Gegenleistung zu verschaffen. Die Klägerin sei
vielmehr gewillt gewesen, die Dokumente zurückzugeben, womit eine Verfügung
der Käuferin über die Ware ausgeschlossen gewesen wäre. Die Vorinstanz
folgte der Beklagten nicht, die sich auf die bundesgerichtliche
Rechtsprechung berief und in der Beanstandung der Dokumente unter
gleichzeitiger Inempfangnahme der Ware ein rechtsmissbräuchliches Verhalten
sah. Einen Verstoss gegen Art. 14e ERA 500 verneinte die Vorinstanz mit der
Begründung, die Beklagte sei nicht bereit gewesen, die Dokumente
zurückzunehmen, weshalb nichts anderes übrig geblieben sei, als die Ware in
der Ukraine einzulagern, zumal angesichts der enormen Kosten eine
Rücksendung nicht zumutbar gewesen sei. Sie nahm an, mit der Verfügung über
die Ware habe sich die Käuferin im vorliegenden Fall keine unredlichen
Vorteile verschafft und es beständen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür,
dass sich die Klägerin bzw. die Käuferin weigern würde, die Dokumente gegen
Rückerstattung des Akkreditivbetrages zurückzugeben. Als Unterschied des
vorliegenden Falles gegenüber BGE 90 II 302 hebt sie hervor, die Auszahlung
des Akkreditivbetrages sei im Präjudiz auf Weisung der Bank verweigert
worden, welche später über die Dokumente und über die Ware verfügte, während
hier die Beklagte den Akkreditivbetrag ausbezahlt habe.

  3.3  Nach der Behauptung der Beklagten hat die Klägerin im vorliegenden
Fall zwar die Aufnahme der Dokumente verweigert, aber gleichzeitig über
diese und damit über die Ware verfügt. Trifft dies zu, so hat die Klägerin
mit den Dokumenten über die Ware verfügt und damit auf ihre zunächst
geäusserten Beanstandungen verzichtet, was nach der Rechtsprechung als
Genehmigung der vorgelegten

Dokumente zu qualifizieren ist. Dass die Klägerin im Swift vom 17. November
2000 zunächst erklärte, sie halte die Dokumente zur Verfügung der Beklagten,
hindert die nachträgliche Genehmigung durch die behauptete Verfügung der
Klägerin über die Dokumente entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht. Auch
der Zweck des Gebrauchs, den die Klägerin - sollte die Behauptung der
Beklagten zutreffen - von den zunächst beanstandeten Dokumenten für die
Verfügung über die Ware gemacht hat, ist nicht erheblich. Der Vorinstanz
kann nicht gefolgt werden, wenn sie der Klägerin zugute hält, es sei ihr
nichts anderes übrig geblieben, als die Ware in der Ukraine einzulagern, und
wenn sie für massgebend hält, ob "sich die Käuferin durch eine
missbräuchliche Verfügung über die Ware unredliche Vorteile verschafft"
habe. Auch im Streitfall, der dem amtlich publizierten BGE 90 II 302
zugrunde lag, benützte die Bank die formell von ihr zurückgewiesenen, aber
mittlerweile bei ihr eingegangenen Dokumente, um die Schiffsladung von dem
im Akkreditiv vorgeschriebenen englischen Bestimmungshafen Felixstowe nach
Amsterdam umzuleiten und dort einzulagern (BGE 90 II 302, Sachverhalt lit. A
S. 304). Die Vorinstanz hätte die umstrittene Behauptung der Beklagten, dass
die Klägerin die beanstandeten Dokumente gebraucht habe, um über die Ware zu
verfügen, klären müssen. Denn sollte diese Behauptung zutreffen, so wäre das
Verhalten der Klägerin entgegen ihrer erklärten Beanstandung als Genehmigung
der vorgelegten Dokumente zu qualifizieren mit der Folge, dass der Beklagten
Anspruch auf Auslagenersatz im Sinne von Art. 402 Abs. 1 OR zusteht und die
Klage auf Gutschrift des entsprechenden Betrages auf dem Konto der Klägerin
abgewiesen werden muss.