Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 483



Urteilskopf

132 III 483

  55. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. X.
(SchKG-Beschwerde)
  7B.33/2006 vom 10. Mai 2006

Regeste

  Einkommenspfändung; Berechnung des Existenzminimums (Art. 93 Abs. 1
SchKG).

  Grundbetrag in einem Fall, da die Schuldnerin mit ihrer erwerbstätigen
volljährigen Tochter eine Wohngemeinschaft bildet (E. 4).

  Höhe des Beitrags der Tochter an die Wohnkosten (E. 5).

Sachverhalt

  Das Betreibungsamt A. setzte am 3. Januar 2006 das Existenzminimum von X.
auf Fr. 1'850.- fest und verfügte am gleichen Tag, dass von ihrem Lohn der
diese Summe übersteigende Teil gepfändet werde. Unter Hinweis auf die
Wohngemeinschaft mit der Tochter wurden X. ein Grundbetrag von Fr. 775.-
zugestanden und als Wohnkosten Fr. 648.-, d.h. die Hälfte des Mietzinses von
Fr. 1'296.-, eingesetzt.

  X. führte Beschwerde an das Kantonsgericht Freiburg (Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer) als kantonaler Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und
Konkurssachen. Sie verlangte, dass ihr ein Grundbetrag von Fr. 1'100.-
zuzugestehen sei und die Mietkosten nicht zur Hälfte, sondern zu drei
Vierteln (d.h. mit einem Betrag von Fr. 972.-) zu berücksichtigen seien.

  Mit Entscheid vom 7. Februar 2006 wies die kantonale Aufsichtsbehörde die
Beschwerde ab.

  Die von X. hiergegen erhobene Beschwerde heisst das Bundesgericht
teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  Die Beschwerdeführerin lebt nach den Feststellungen der kantonalen
Aufsichtsbehörde in Wohngemeinschaft mit ihrer 24-jährigen Tochter, die
einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Dass die Tochter ihren Lebensunterhalt
nicht (vollumfänglich) selbst zu bestreiten vermöchte und auf finanzielle
Unterstützung durch die Beschwerdeführerin angewiesen wäre, ist dem
angefochtenen Entscheid nicht zu entnehmen. Zu bestimmen ist mithin das rein
persönliche Existenzminimum der Beschwerdeführerin.

  4.1  Das Kantonsgericht hat ausdrücklich auf die von der Konferenz der
Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz herausgegebenen (in der Fassung
vom 24. November 2000 in BlSchK 2001 S. 14 ff. veröffentlichten) Richtlinien
abgestellt. Als Grundbetrag (für Nahrung, Kleidung und Wäsche, Körper- und
Gesundheitspflege, Unterhalt der Wohnungseinrichtung, Kulturelles,
Beleuchtung und Kochstrom bzw. -gas) setzte es die Hälfte der für ein
Ehepaar oder für "zwei andere eine dauernde Hausgemeinschaft bildende
erwachsene Personen" empfohlenen Pauschale von monatlich Fr. 1'550.- (Ziff.
I/3) ein.

  Dem hält die Beschwerdeführerin entgegen, dass es nicht angehe, ihre
Tochter die Hälfte der Kosten des Haushaltes tragen zu lassen.

  4.2  In der Wohngemeinschaft der Beschwerdeführerin mit ihrer Tochter
erblickt die Vorinstanz eine Hausgemeinschaft im Sinne von Ziff. I/3 der
genannten Richtlinien. Mit der dort neben der Ehe erwähnten "dauernden"
Hausgemeinschaft ist hauptsächlich ein Konkubinatsverhältnis gemeint (vgl.
BGE 130 III 765 E. 2.3 und 2.4 S. 767 f.; ALFRED BÜHLER, Aktuelle Probleme
bei der Existenzminimumberechnung, in: SJZ 100/2004 S. 26). Voraussetzung
einer Gleichstellung mit der Ehe ist auf jeden Fall, dass die
Hausgemeinschaft partnerschaftlicher Natur ist. Nur bei einer solchen ist
nämlich anzunehmen, dass beide Personen - im Verhältnis ihrer
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (dazu BGE 114 III 12 E. 3 S. 15 f.) bzw.
zu gleichen Teilen (dazu BGE 128 III 159) - nicht nur an die Wohnkosten,
sondern etwa auch an die Aufwendungen für Nahrung oder Kulturelles
beitragen, und ist es deshalb gerechtfertigt, bei der Festlegung des
Grundbedarfs die Gemeinschaft als Ganzes zu behandeln und vom entsprechenden
Pauschalbetrag auszugehen. Die von einer Mutter und ihrer 24-jährigen
erwerbstätigen Tochter gebildete Wohngemeinschaft lässt sich mit einer
Gemeinschaft der angeführten Art nicht vergleichen. Die Richtlinien der
Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz bestimmen denn
auch, dass der Arbeitserwerb volljähriger in häuslicher Gemeinschaft mit dem
Schuldner lebender Kinder bei der Berechnung des Existenzminimums
grundsätzlich einzig insofern zu berücksichtigen sei, als ein angemessener
Anteil von den Wohnkosten (Mietzins und Heizung) des Schuldners abzuziehen
sei (Ziff. IV/2 Abs. 2 und Ziff. V/2). Indem die Vorinstanz der
Beschwerdeführerin (nur) den halben Grundbetrag für Ehepaare bzw. für zwei
andere eine dauernde Hausgemeinschaft bildende erwachsene Personen
zugestanden hat, hat sie der Tochter in sachlich nicht gerechtfertigter
Weise zugemutet, (zur Hälfte) an die allgemeinen Kosten des Haushalts
beizutragen und damit von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen
Gebrauch gemacht.

  4.3  Das Existenzminimum der Beschwerdeführerin ist nach dem Gesagten auf
Grund einer Einzelrechnung zu ermitteln, d.h. es ist von dem für einen
alleinstehenden Schuldner empfohlenen Grundbetrag (von Fr. 1'100.-; Ziff.
I/1 der Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der
Schweiz) auszugehen. Gewisse von diesem Grundbetrag zu deckende Auslagen
werden möglicherweise nicht von der Beschwerdeführerin allein bestritten,
sondern von der im gleichen Haushalt lebenden Tochter mitgetragen,

was eine Reduktion zu rechtfertigen vermöchte. In diesem Sinne sehen
beispielsweise die in den Kantonen Aargau und Zürich erlassenen Richtlinien
für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums für einen
alleinstehenden Schuldner in Haushaltgemeinschaft mit erwachsenen Personen
eine (pauschale) Herabsetzung des Grundbetrags um Fr. 100.- (auf Fr.
1'000.-) vor (für den Kanton Aargau: Richtlinien vom 3. Januar 2001, SAR
231.191, Ziff. I/2; für den Kanton Zürich: Kreisschreiben der
Verwaltungskommission des Obergerichts vom 23. Mai 2001, veröffentlicht in:
ZR 100/2001 Nr. 46 S. 153 ff., Ziff. II/1.1). Wie viel vom Grundbetrag
allenfalls abzuziehen ist, hat in Anwendung des nach Art. 93 Abs. 1 SchKG
eingeräumten Ermessens das Betreibungsamt bzw. die kantonale
Aufsichtsbehörde zu beurteilen. Hinsichtlich des vom Kantonsgericht bei der
Ermittlung des Notbedarfs eingesetzten Grundbetrags ist der angefochtene
Entscheid mithin aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägung 5

  5.  Die Beschwerdeführerin beanstandet ferner, dass ihr bei den Wohnkosten
nur die Hälfte des Mietzinses für die von ihr und ihrer Tochter belegte
Wohnung zugestanden wurde. Wie bereits oben (E. 4.2) erwähnt, bestimmen die
Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz
für einen Fall der vorliegenden Art, dass bei der Ermittlung des
Existenzminimums des Schuldners ein angemessener Anteil von den Wohnkosten
(Mietzins und Heizung) abzuziehen sei (Ziff. V/2).

  Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich nicht, dass die Tochter nicht
berechtigt wäre, die Wohnung im gleichen Ausmass zu nutzen wie die
Beschwerdeführerin. Etwas anderes macht auch diese selbst nicht geltend. Die
Beschwerdeführerin begnügt sich mit einem Hinweis auf GEORGES VONDER MÜHLL
(Kommentar zum SchKG, Basel 1998, N. 26 zu Art. 93 SchKG), der lediglich das
in der erwähnten Bestimmung der Richtlinien der Konferenz der Betreibungs-
und Konkursbeamten der Schweiz Festgelegte bestätigt. Weshalb in ihrem Fall
die Halbierung der Wohnkosten - wie nach dem angerufenen Autor beim
Zusammenleben zweier erwachsener Personen üblich - nicht angemessen sein
soll, legt sie nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere bringt
die Beschwerdeführerin nicht etwa vor, dass die Tochter
unterstützungsbedürftig und sie ihr gegenüber unterstützungspflichtig wäre
und sie dieser Pflicht in Form einer günstigen Beherbergung nachkomme. Die
Beschwerde ist in diesem Punkt demnach unbegründet.