Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 132 III 222



Urteilskopf

132 III 222

  26. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. und Y. gegen A.D.
(Berufung)
  4C.263/2004 vom 23. Mai 2005

Regeste

  Art. 35 Abs. 1 OR; Verlust der Handlungsfähigkeit des Vollmachtgebers,
Erlöschen der Vollmacht, Vereinbarung ihres Weiterbestehens.

  Erlöschen der Vollmacht mit Eintritt der Handlungsunfähigkeit des
Vollmachtgebers trotz vorgängiger Vereinbarung ihres Weiterbestehens (E.
2.1)?
  Rechtsnatur von Art. 35 Abs. 1 OR (E. 2.2).

Sachverhalt ab Seite 222

  A.- X. (Beklagter 1) war Verwaltungsrat, Y. (Beklagter 2) Revisionsstelle
der Z. AG, über die am 6. Januar 1998 der Konkurs eröffnet wurde.

  A.D. (Klägerin) ist Ehefrau und Alleinerbin des Ende 2002 verstorbenen
B.D. B.D. und die Klägerin erhoben nach Durchführung einer
Friedensrichterverhandlung beim Bezirksgericht Zürich am 22. Juni 2000 gegen
die Beklagten sowie einen inzwischen nach Abschluss eines Vergleichs aus dem
Verfahren ausgeschiedenen

Verwaltungsrat der Z. AG Klage aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit.

  Die Kläger stellten das Begehren, die Beklagten seien zu verurteilen,
ihnen unter solidarischer Haftung Fr. 400'000.- nebst Zins zu 5 % seit 6.
Januar 1998 zu bezahlen. Die Kläger stützten ihre Forderung auf Ansprüche
der Masse der konkursiten Z. AG, die das Konkursamt Hottingen-Zürich am 19.
Oktober 1998 an B.D., C.D. und D.D. gemäss Art. 260 SchKG abgetreten hatte.

  B.- Das Bezirksgericht Zürich verpflichtete mit Urteil vom 29. Juli 2002
die Beklagten solidarisch, den Klägern insgesamt Fr. 400'000.- nebst Zins zu
5 % seit dem 6. Januar 1998 zu bezahlen. Das Gericht kam im Wesentlichen zum
Schluss, die Beklagten hätten ihre Pflicht zur Benachrichtigung des Richters
im Sinne von Art. 725 OR und 729b OR verletzt, nachdem sie seit Mai 1997 um
die Überschuldung der Z. AG wussten. Durch die Verzögerung der
Konkurseröffnung sei der Konkursverlust um mehr als Fr. 400'000.- höher
ausgefallen, wenn der aus der Buchhaltung im Frühjahr 1997 sich ergebende
(bereinigte) Verlust mit dem tatsächlich nach Konkurseröffnung entstandenen
verglichen werde.

  Die von den Beklagten gegen dieses Urteil erhobene kantonale Berufung wies
das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 18. Mai 2004 ab. Das
Gericht verpflichtete die Beklagten solidarisch, der Klägerin insgesamt Fr.
400'000.- nebst Zins zu 5 % seit dem 6. Januar 1998 zu bezahlen. Das Gericht
wies den Einwand der Beklagten ab, das Verfahren sei wegen Urteils- und
Prozessunfähigkeit des Klägers B.D. nichtig, nachdem dieser vor Einleitung
der Klage im Januar/Februar 2000 einen Schlaganfall erlitten hatte. Das
Gericht verwarf sodann den Einwand der Beklagten, der Klägerin fehle die
Aktivlegitimation. Das Obergericht bestätigte auch im Übrigen das
erstinstanzliche Urteil.

  Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies mit Zirkulationsbeschluss
vom 21. Dezember 2004 die Beschwerde der Beklagten gegen das Urteil des
Obergerichts ab, soweit es darauf eintrat.

  C.- Die Beklagten beantragen mit eidgenössischer Berufung, es sei das
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Mai 2004 aufzuheben und
es sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht des Kantons Zürich
zurückzuweisen.

  Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Die Beklagten halten auch vor Bundesgericht daran fest, dass die Klage
des nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils verstorbenen B.D. nichtig sei,
weil er nach einem Schlaganfall vor Einleitung des Prozesses urteilsunfähig
geworden sei und ihm daher die Prozessfähigkeit als prozessuale Seite der
Handlungsfähigkeit gefehlt habe (vgl. dazu BGE 116 II 385 E. 4).

  2.1  Nach Art. 35 Abs. 1 OR erlischt die durch Rechtsgeschäft erteilte
Ermächtigung, sofern nicht das Gegenteil vereinbart ist oder aus der Natur
des Geschäfts hervorgeht, mit dem Tod, der Verschollenerklärung, dem Verlust
der Handlungsfähigkeit oder dem Konkurs des Vollmachtgebers oder des
Bevollmächtigten. In der Lehre wird entgegen dem Gesetzeswortlaut teilweise
die Ansicht vertreten, der Verlust der Handlungsfähigkeit auf Seiten des
Vollmachtgebers führe zwingend zum Erlöschen der Vollmacht (ZÄCH, Berner
Kommentar, N. 16, 83 zu Art. 35 OR; ENGEL, Traité des obligations en droit
suisse, 2. Aufl., Bern 1997, S. 399). Zur Begründung wird angeführt, mit dem
Wegfall der Handlungsfähigkeit müsse auch die Vollmacht entfallen, weil das
Erteilen der Vollmacht eine Erweiterung der Handlungsfähigkeit darstelle und
dies demjenigen verwehrt sei, der von Gesetzes wegen in seiner
Handlungsfähigkeit eingeschränkt sei; auch der Schutzzweck einer
Bevormundung werde durch die Weitergeltung der Vollmacht vereitelt. Dagegen
wird jedoch zutreffend vorgebracht, dass die Vollmacht in einem Zeitpunkt
erteilt worden ist, in dem der Vollmachtgeber (noch) handlungsfähig und
damit auch in der Erweiterung seiner Handlungsfähigkeit gesetzlich nicht
eingeschränkt war (WATTER, Basler Kommentar, N. 4 zu Art. 35 OR). Ob der
Schutzzweck einer Bevormundung stets dadurch beeinträchtigt wird, dass eine
entsprechend dem Willen des noch urteilsfähigen Vollmachtgebers erteilte
Vollmacht beim Eintritt der Urteilsunfähigkeit weiterbesteht, sei
dahingestellt. Die Lehrmeinung, welche diese Ansicht vertritt, knüpft die
zwingende Beendigung der Vollmacht jedenfalls an die formelle Bevormundung
und damit gleichzeitig auch an die Möglichkeit, die Vollmacht neu zu
erteilen, wenn dies nach wie vor im wohlverstandenen Interesse des
Vollmachtgebers liegt (vgl. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl., N. 1371; GUHL/KOLLER, Das
Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl., S. 161 N. 12).

  2.2  Die Lehrmeinung, welche die dispositive Natur der Beendigung der
Vollmacht im Falle der (dauernden) Urteilsunfähigkeit des Vollmachtgebers
befürwortet, kann sich nicht nur auf den Gesetzeswortlaut berufen, sondern
führt zutreffend auch praktische Gründe an (CHAPPUIS, Commentaire romand, N.
11 ad art. 35 CO). Es kann im Interesse des Vollmachtgebers liegen, dass die
durch Rechtsgeschäft erteilte Vollmacht mit dem Verlust seiner
Urteilsfähigkeit nicht ohne weiteres erlischt; in den Formularen des
kantonalen Anwaltsverbandes ist der Weiterbestand aufgrund der typischen
Interessenlage des Mandanten nach den Erwägungen im angefochtenen Urteil
denn auch vorgesehen (vgl. WATTER, a.a.O., N. 4 zu Art. 35 OR; vgl. auch BGE
75 II 190 E. 1 für den Tod des Auftraggebers). Der Vollmacht liegt meist ein
Auftragsverhältnis zugrunde. Dafür bestätigt Art. 405 OR die in der römisch-
und gemeinrechtlichen Tradition stehende Regelung, dass der Vertrag ohne
gegenteilige Vereinbarung erlischt, wenn der Auftraggeber handlungsunfähig
wird (FELLMANN, Berner Kommentar, N. 32 zu Art. 405 OR). Gleichzeitig
bestätigt diese Norm aber auch die dispositive Natur mit dem Vorbehalt
"sofern nicht das Gegenteil vereinbart ist oder aus der Natur des Geschäftes
gefolgert werden kann" ("à moins que le contraire n'ait été convenu ou ne
résulte de la nature de l'affaire"; "salvo che risulti il contrario dalla
convenzione o dalla natura dell'affare"). Damit kann dem allenfalls
gewichtigen Interesse des Auftraggebers am Weiterbestand des
Auftragsverhältnisses gerade auch für den Fall der Urteilsunfähigkeit
Rechnung getragen werden, während ein Widerruf durch den gesetzlichen
Vertreter ohnehin vorbehalten bleibt (FELLMANN, a.a.O., N. 31/91 zu Art. 405
OR).

  2.3  Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil erteilte der
(ursprüngliche) Kläger am 23. August 1999 seinem Rechtsvertreter eine
Vollmacht zur Führung des Prozesses, wobei vereinbart wurde, dass die
Vollmacht unter anderem auch mit dem Verlust der Handlungsfähigkeit des
Vollmachtgebers nicht erlösche. Die Vollmachterteilung erfolgte danach vor
dem Schlaganfall des Klägers im Januar/ Februar 2000 und somit vor Eintritt
der von den Beklagten behaupteten Urteilsunfähigkeit des Klägers. Da gemäss
Art. 35 Abs. 1 OR gültig vereinbart werden konnte, dass die Vollmacht über
den Eintritt einer allfälligen Handlungsunfähigkeit des Vollmachtgebers
hinaus bestehen solle, konnte der Rechtsvertreter die Klage einreichen und
den Prozess als gültig bestellter Vertreter des Klägers führen. Es stellt
sich daher die Frage nicht, ob ein entsprechender Mangel

durch die Genehmigung der Klägerin als Rechtsnachfolgerin geheilt werden
konnte, wie die Vorinstanz eventualiter begründet und was die Beklagten
bestreiten. Die Vorinstanz hat die Prozessfähigkeit des Klägers
bundesrechtskonform bejaht, ohne dass sie Abklärungen zu dessen
Urteilsfähigkeit nach dem erlittenen Schlaganfall hätte vornehmen müssen.
Denn Art. 8 ZGB verleiht keinen Anspruch, zum Beweis unerheblicher Tatsachen
zugelassen zu werden (BGE 129 III 18 E. 2.6). Die entsprechende Rüge ist
unbegründet.