Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 V 55



131 V 55

9. Auszug aus dem Urteil i.S. H. gegen Pensionskasse der Firma C. AG und
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

    B 5/03 vom 4. März 2005

Regeste

    Art. 52 BVG (in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung);
Art. 127 OR: Verjährung des Schadenersatzanspruchs.

    Der Schadenersatzanspruch unterliegt der zehnjährigen Verjährungsfrist
nach Art. 127 OR. (Erw. 3.1)

    Die Frist beginnt mit der tatsächlichen Beendigung der Organstellung,
vorbehältlich vorgängiger Beseitigung der Pflichtverletzung. (Erw. 3.2)

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.  Der Beschwerdeführer hält der klagenden Vorsorgeeinrichtung im
letztinstanzlichen Verfahren wiederum die Einrede der Verjährung des
Schadenersatzanspruches entgegen. Ob diese Einrede begründet sei, ist
im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen als Frage des Bundesrechts
(Art. 104 lit. a OG) frei zu prüfen.

    3.1  Im Unterschied zur Regelung im Bereich der Arbeitgeberorganhaftung
nach Art. 52 AHVG (vgl. Art. 52 Abs. 3 und 4 AHVG in der ab 1. Januar
2003 geltenden Fassung gemäss Anhang Ziff. 7 des ATSG; Art. 82 AHVV in
der bis Ende Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) enthält Art. 52 BVG
betreffend Schadenersatzpflicht der Organe einer Berufsvorsorgeeinrichtung
keine Norm über die Verjährung des Schadenersatzanspruches (vgl. nunmehr
die im Rahmen der 1. BVG-Revision [BG vom 3. Oktober 2003; AS 2004
1677] mit Wirkung ab 1. Januar 2005 aufgenommenen Absätze 2 und 3
[AS 2004 1687, 1700]). Zwar handelt es sich beim Schadenersatzanspruch
der geschädigten Berufsvorsorgeeinrichtung gegen ihre Organe um einen
Anspruch, welcher seine Grundlage im BVG (Art. 52) hat. Dennoch kommt
die Verjährungsvorschrift des Art. 41 BVG nicht zum Zuge, weil diese
Bestimmung, wie ihre systematische Einordnung im Gesetz zeigt, auf
Leistungen und periodische Beiträge beschränkt ist. Unter diesen Umständen
sind mit den Verfahrensbeteiligten die Normen des Obligationenrechts
über die Verjährung (Art. 127 ff. OR) als subsidiäre Rechtsquelle
für das öffentliche Recht (RDAT 1996 II Nr. 3 S. 11 ff. Erw. 3b mit
Hinweisen) heranzuziehen. Eine analoge Anwendung von Art. 24 ATSG im
Bereich der beruflichen Vorsorge scheidet aus (MEYER-BLASER, Das ATSG
aus der Sicht der Rechtsprechung, in: Soziale Sicherheit [CHSS] 2002 S.
278). Im Schrifttum wird ebenfalls praktisch einhellig die Auffassung
vertreten, die Verjährung der Verantwortlichkeitsansprüche nach Art. 52
BVG richte sich nach Art. 127 OR mit einer Verjährungsfrist von zehn
Jahren (MOZAR/HUBATKA, Organisation und Haftung des Stiftungsrats, in:
Schweizer Personalvorsorge 2004 Sondernummer S. 54; ROBERT K. DÄPPEN,
Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I,
Art. 1-529 OR, 3. Aufl., Basel 2003 N 9 zu Art. 127; ROLAND A. MÜLLER,
Die Haftung der Stiftungsräte in der Vorsorgeeinrichtung, in: Aktuelle
Aspekte des Schuld- und Sachenrechts, Festschrift für Heinz Rey zum
60. Geburtstag, S. 267; derselbe, Die Verantwortlichkeit der Stiftungsräte
von Vorsorgeeinrichtungen, in: AJP 2004 S. 132; TRUNIGER/ZEITER,
Der Anlageentscheid - die Verantwortlichkeit des Stiftungsrates, in:
SZS 2004 S. 34; THOMAS GEISER, Haftung für Schäden der Pensionskassen -
Überblick über die Haftungsregeln bei der 2. Säule, in: Festschrift für
Jean-Louis Duc, S. 77 f.; HANS MICHAEL RIEMER, Das Recht der beruflichen
Vorsorge in der Schweiz, S. 74; JÜRG BRÜHWILER, Die betriebliche
Personalvorsorge in der Schweiz, S. 403; MARTIN TH. Maria Eisenring, Die
Verantwortlichkeit für Vermögensanlagen von Vorsorgeeinrichtungen, S. 178;
KATHARINA ROHRBACH, Die Verteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten
bei betrieblichen Personalvorsorgestiftungen, Diss. Basel 1983, S. 76;
HELBLING/ WYLER-SCHMELZER, Zur Verantwortlichkeit des Stiftungsrates,
in: Der Schweizer Treuhänder 2002 S. 11; DIEGO VIELI, Die Kontrolle der
Stiftungen, insbesondere der Personalvorsorgestiftung, S. 136 f.; MARKUS
MOSER, Die betriebliche Personalvorsorge als Führungsaufgabe: Was Sie
als Stiftungsrat oder Mitglied eines paritätischen Verwaltungsorgans vom
rechtlichen Umfeld wissen sollten, in: SZS 2002 S. 15). Die zehn Jahre
entsprechen der absoluten Verjährungsfrist des neuen Art. 52 Abs. 2 in
fine BVG.

    3.2  Kantonales Gericht, Beschwerdeführer und Beschwerdegegnerin gehen
somit zu Recht davon aus, dass der im Streit liegende Schadenersatzanspruch
der ordentlichen Verjährungsfrist von zehn Jahren (Art. 127 OR)
unterliegt, unabhängig davon, welcher Natur die Haftung nach Art. 52 BVG
ist (vgl. dazu BGE 128 V 124 und HANS MICHAEL RIEMER, Urteilsanmerkung
zu BGE 128 V 124-134, in: SZS 2003 S. 368).

    3.2.1  Beim Haftungstatbestand nach Art. 52 BVG geht es oft darum, dass
die Organe der Berufsvorsorgeeinrichtung mit deren finanziellen Mitteln
(gebundene Mittel, freie Stiftungsmittel) in einer Weise verfahren, dass
der Vorsorgeeinrichtung ein Schaden entsteht. Praktisch durchwegs liegt
das inkriminierte Verhalten in einem Verstoss gegen die massgeblichen
Anlagevorschriften der Art. 49 ff. BVV 2. Im Hinblick auf diese Art des
haftungsbegründenden Verhaltens kommen als Anknüpfungspunkte im Allgemeinen
für den Beginn der Verjährungsfrist in Betracht: a. der Zeitpunkt, in
welchem die den BVV 2-Vorschriften widersprechende

    Finanztransaktion ausgeführt wird; b. der Endpunkt desjenigen
Zeitraumes, während dessen das

    Berufsvorsorgeorgan es hinnimmt und duldet, dass der rechtswidrige

    Zustand andauert. Die Verjährung beginnt diesfalls erst mit dem
Abschluss

    der schädigenden Handlungen oder Unterlassungen zu laufen (Urteil
S. vom

    7. Juli 1995, 4 C. 412/1993 mit Hinweisen); c. die Beendigung des
Mandates als Organ der Berufsvorsorgeeinrichtung, d. der Zeitpunkt des
Schadenseintritts.

    Diese möglichen Zeitpunkte, welche den Lauf der Verjährungsfrist
begründen können, fallen in der Regel zeitlich auseinander. Nur wenn
das haftbar gemachte Organ der Berufsvorsorgeeinrichtung bis zum Ende
seines Mandates als verantwortliches Organ den rechtswidrigen Zustand
andauern lässt, also während der gesamten Zeit seiner Organstellung von
der (unter Umständen vorgängig geschehenen) Ausführung der rechtswidrigen
Finanztransaktion an bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt dagegen nicht
Abhilfe schafft, fallen die Zeitpunkte nach lit. b und c zusammen.

    3.2.2  Die Festlegung des Beginnes der zehnjährigen Verjährungsfrist
hat den materiellen Gegebenheiten, den sachlichen Verumständungen und dem
Bedürfnis nach Rechtssicherheit und einmal eintretendem Rechtsfrieden im
massgeblichen Regelungskontext Rechnung zu tragen.

    So besehen erscheint es nicht als angezeigt, auf die Vornahme einer
einzelnen Handlung (lit. a) abzustellen. Nicht in Frage kommt, an den
Eintritt des Schadens (lit. d) anzuknüpfen, kann sich doch dieser
u.a. erst viel später verwirklichen, wenn das in Pflicht genommene
Organ längst aus dem Stiftungsrat (oder sonstigen Gremium) ausgetreten
ist. Das Verbot rechtswidriger Transaktionen (lit. a) und die Pflicht
zur Behebung eines (einmal eingetretenen) rechtswidrigen Zustandes
(lit. b) hängen miteinander eng zusammen und beschlagen beide nach
Art. 52 BVG haftpflichtbegründende Verhaltensweisen. Es kommt hinzu,
dass es sich bei diesen aus Vermögensdispositionen resultierenden
anlagevorschriftswidrigen Zuständen um interne Verhältnisse handelt,
welche für die im Schadenersatzprozess Aktivlegitimierten nicht immer
leicht erkennbar sind. Dies hängt u.a. mit der gesetzessystematisch
erlaubten personellen Verflechtung zwischen Vorsorgeeinrichtung und
Gründerfirma zusammen.

    Aus diesen Überlegungen heraus rechtfertigt es sich, für den Beginn der
zehnjährigen Frist auf den Zeitpunkt abzustellen, da die verantwortlich
zu machende Person ihre Organstellung tatsächlich aufgibt, also aus dem
Stiftungsrat zurücktritt (lit. d). Für die Festlegung dieses Zeitpunktes
kann die Rechtsprechung zum Rücktritt der Organe im Rahmen von Art. 52
AHVG herangezogen werden (BGE 126 V 61). Das bedeutet grundsätzlich,
dass ein Organ längstens während zehn Jahren nach Beendigung seiner
Organstellung für Schäden haftet, die durch sein schuldhaftes Verhalten
der Vorsorgeeinrichtung in rechtswidriger und kausaler Weise entstanden
sind. Nicht massgeblich ist, ob der Schaden vor oder nach Beendigung der
Organstellung eingetreten ist. Vorbehalten bleibt allerdings die Situation,
in welcher die Pflichtverletzung vor Beendigung der Organstellung beseitigt
worden ist.