Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 V 209



131 V 209

30. Auszug aus dem Urteil i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen M.
und Versicherungsgericht des Kantons Aargau

    H 302/03 vom 6. Juni 2005

Regeste

    Art. 2 FZA; Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71: Unterscheidung
zwischen unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen; Begriff der
mittelbaren Diskriminierung.

    Die Gleichbehandlungsgebote verbieten nicht nur offenkundige
Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit (unmittelbare
Diskriminierungen), sondern auch alle versteckten Formen der
Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale
tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen (mittelbare Diskriminierungen).
Sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen
Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, diskriminiert eine Vorschrift
des nationalen Rechts mittelbar, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher
auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und
folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders
benachteiligt. (Erw. 6)

    Art. 2 FZA; Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71; Art. 52d AHVV:
Anrechnung fehlender Beitragsjahre.

    Art. 52d AHVV begründet dadurch, dass er Personen, die weder zur Zeit
der Entstehung der Beitragslücken irgendeinen Bezug zur Schweiz aufwiesen
noch zu einem davor liegenden Zeitpunkt irgendeine für die Begründung
eines hinreichenden Bezugs in Frage kommende Verbindung zu diesem
Staat hergestellt hatten, von der Anrechnung zusätzlicher Beitragsjahre
ausschliesst, keine gemeinschafts- bzw. abkommensrechtlich unzulässige
Diskriminierung. (Erw. 8)

Sachverhalt

    A.- Der am 10. Oktober 1937 geborene M. reiste, nachdem er bis
September 1956 in Griechenland gewohnt, von Oktober 1956 bis Ende 1961
in Österreich studiert und 1962/1963 in Griechenland Militärdienst
geleistet hatte, als griechischer Staatsangehöriger in die Schweiz ein,
wo er ab Januar 1964 wohnte sowie arbeitete und im Jahr 1978 das Schweizer
Bürgerrecht erlangte. Er leistete von Januar 1964 bis Dezember 2000 als
Arbeitnehmer und von Januar 2001 bis Oktober 2002 als Nichterwerbstätiger
Beiträge an die schweizerische Alters- und Hinterlassenenversicherung
(nachfolgend: AHV). Mit Verfügung vom 28. November 2002 sprach ihm
die Eidgenössische Ausgleichskasse mit Wirkung ab 1. November 2002 eine
ordentliche Alters-Teilrente aufgrund einer Beitragsdauer von 38 vollen
Beitragsjahren (38 Jahre 10 Monate) zu.

    B.- Der Versicherte reichte hiegegen Beschwerde ein, in welcher er
beantragte, es seien nebst den 38 Jahren und 10 Monaten, während deren
er Beiträge bezahlt habe (Januar 1964 bis Oktober 2002), für vor 1964
liegende fehlende Beitragsjahre 3 zusätzliche Jahre als Beitragszeit
anzurechnen. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess das
Rechtsmittel mit Entscheid vom 16. September 2003 gut, indem es die
Verwaltungsverfügung aufhob und die Sache zur Neufestlegung der Rente unter
Berücksichtigung dreier zusätzlicher Beitragsjahre an die Ausgleichskasse
zurückwies.

    C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (nachfolgend: BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale
Gerichtsentscheid sei aufzuheben.

    Die Ausgleichskasse schliesst unter Hinweis auf die Ausführungen
des BSV auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während
M. sinngemäss die Abweisung des Rechtsmittels beantragt.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.

    5.1  Allein aufgrund der Angabe des Beschwerdegegners, er habe
keine Beitrags- bzw. Versicherungszeiten in ausländischen staatlichen
Rentenversicherungen zurückgelegt bzw. er habe als Student in Österreich
und während des Militärdienstes in Griechenland einer ausländischen
Sozialversicherung weder angehört noch angehören können, kann nicht
ausgeschlossen werden, dass eine der betroffenen ausländischen
Rechtsordnungen für dessen Situation die Anrechnung beitragsfreier
oder fiktiver Versicherungszeiten bzw. den Versicherungszeiten
gleichgestellter Zeiten, eine freiwillige Nachzahlung von Beiträgen
oder eine Berücksichtigung von Wohnzeiten vorsieht. Haben für ihn
nebst den schweizerischen auch die griechischen (vgl. im Zusammenhang
mit dem Militärdienst Art. 13 Abs. 2 Bst. e der Verordnung Nr. 1408/71)
und/oder österreichischen Rechtsvorschriften gegolten in dem Sinne, dass
nicht nur nach schweizerischem, sondern auch nach griechischem und/oder
österreichischem Recht Zeiten zurückgelegt wurden bzw. anrechnungsfähig
sind (vgl. ROLF SCHULER, in: Maximilian Fuchs [Hrsg.], Kommentar zum
Europäischen Sozialrecht, 3. Aufl., Baden-Baden 2002, N 4 zu Art. 44 der
Verordnung Nr. 1408/71 [S. 340]), richtet sich die Feststellung seiner
AHV-Altersrente gemäss Art. 44 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 nach dem
aus den Art. 44 bis 51a bestehenden Kapitel 3 ("Alter und Tod [Renten]")
des Titels III dieser Verordnung. Dabei ist für Situationen, in denen
wie vorliegend (vgl. Art. 29 Abs. 1 AHVG) die Voraussetzungen für den
Anspruch auf die Altersrente nach den Rechtsvorschriften eines Staates
auch ohne Berücksichtigung in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegter Zeiten
gemäss Art. 45 der Verordnung Nr. 1408/71 erfüllt sind, für den zuständigen
Träger dieses Staates Art. 46 Abs. 1 dieser Verordnung einschlägig. Dieser
sieht in Verbindung mit Anhang IV Teil C der Verordnung Nr. 1408/71 in
der Fassung gemäss FZA (Anhang II Abschnitt A Nr. 1 Anpassung m FZA)
für die Schweiz eine autonome Berechnung nach schweizerischem Recht vor
(BGE 130 V 54 ff. Erw. 5.2 bis 5.4; AHI 2004 S. 209 ff. Erw. 4.3 und
4.4), wie sie von vornherein stattfindet, falls der Beschwerdegegner nur
schweizerische Zeiten zurückgelegt hat (vgl. SCHULER, a. a. O., N 5 zu
Art. 44 der Verordnung Nr. 1408/71 [S. 340]).

    5.2  Indessen sagt weder Art. 46 der Verordnung Nr. 1408/71 noch
eine andere Vorschrift der Koordinierungsverordnungen, welche Zeiten vom
nationalen Recht als Versicherungszeiten zu betrachten sind. Vielmehr
wird der in Art. 46 der Verordnung Nr. 1408/71 verwendete Begriff der
"Versicherungszeiten" in Art. 1 Bst. r dieser Verordnung definiert als "die
Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer Selbstständigentätigkeit,
die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden
sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt
oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie
nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig
anerkannt sind ...". Die Verordnung Nr. 1408/71 regelt mithin nicht,
welche Zeiten Versicherungszeiten darstellen; dies richtet sich nach den
Rechtsvorschriften des betroffenen Staates (Urteil des EuGH vom 20. Februar
1997 in den Rechtssachen C-88/95, C-102/95 und C-103/95, Martínez Losada
u. a., Slg. 1997, I-869, Randnr. 35). Da die Verordnung Nr. 1408/71 nicht
die Voraussetzungen für die Entstehung von Versicherungszeiten regelt,
ist es Sache jedes Mitgliedstaats, die Voraussetzungen festzulegen, unter
denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit beitreten kann oder
muss, solange es dabei nicht zu einer diskriminierenden Unterscheidung
zwischen Inländern und Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten kommt
(z.B. Urteil des EuGH vom 17. September 1997 in der Rechtssache
C-322/95, Iurlaro, Slg. 1997, I-4881, Randnr. 23 mit Hinweis) und
allgemein das Gemeinschaftsrecht beachtet wird (Urteil des EuGH vom
11. Juni 1998 in der Rechtssache C-275/96, Kuusijärvi, Slg. 1998, I-3419,
Randnrn. 29 und 30). Ebenso bestimmt das innerstaatliche Recht, welche
Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine bestimmte Zeit als den
eigentlichen Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt werden kann,
wobei auch diese Anerkennung unter Beachtung der die Freizügigkeit
betreffenden Vorschriften des Vertrages zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft erfolgen muss (Urteil des EuGH vom 7. Februar 2002 in der
Rechtssache C-28/00, Kauer, Slg. 2002, I -1343, Randnr. 26 mit Hinweisen).
Allgemein bezeichnet der Begriff "Versicherungszeiten" somit die Zeiten,
die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden
sind, als solche bestimmt oder anerkannt sind, jedoch vorbehältlich der
Beachtung der vertraglichen Bestimmungen über die Freizügigkeit (erwähntes
EuGH-Urteil Iurlaro, Randnrn. 27 und 28). Zu Letzteren gehört insbesondere
das Diskriminierungsverbot, welches auch in Art. 2 FZA seinen Niederschlag
gefunden hat.

    5.3  Ganz allgemein ist im vorliegenden Zusammenhang darauf
hinzuweisen, dass Art. 42 EG (= Vertrag zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft in der Fassung nach In-Kraft-Treten des eine Umnummerierung
der Artikel bewirkenden Vertrages von Amsterdam am 1. Mai 1999) (alt
Art. 51 EG-Vertrag [= Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
in der Fassung vor In-Kraft-Treten des Vertrages von Amsterdam]), auf
den sich die Verordnung Nr. 1408/71 insbesondere stützt, lediglich eine
Koordinierung, nicht aber eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorsieht, sodass
die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der
sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den
Ansprüchen der dort Beschäftigten bestehen bleiben (z.B. Urteil des EuGH
vom 19. März 2002 in den Rechtssachen C-393/99 und C-394/99, Hervein u. a.,
Slg. 2002, I-2829, Randnr. 50 mit Hinweisen). Das Gemeinschaftsrecht,
welches hinsichtlich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
vom FZA übernommen wurde, lässt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur
Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt; mangels
einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene bestimmt das Recht jedes
Mitgliedstaats, unter welchen Voraussetzungen zum einen ein Recht auf
Anschluss an ein System der sozialen Sicherheit oder eine Verpflichtung
hierzu besteht und zum anderen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt
werden; gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser
Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten (z.B. Urteil des EuGH vom
4. Dezember 2003 in der Rechtssache C-92/02, Kristiansen, Slg. 2003,
I-14597, Randnr. 31).

    5.4  Als Zwischenergebnis ist nach dem Gesagten festzuhalten, dass
die Frage, ob dem Beschwerdegegner für die Zeit vor 1964 Zusatzjahre
anzurechnen sind, nach schweizerischem Recht zu beantworten ist,
soweit dieses nicht gegen das gemeinschafts- bzw. abkommensrechtliche
Diskriminierungsverbot verstösst, welches sowohl in Art. 3 Abs. 1 der
Verordnung Nr. 1408/71 als auch in Art. 2 FZA verankert ist.

Erwägung 6

    6.

    6.1  Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

      Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für

      die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten

      aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die

      Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen

      dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.

    Art. 2 FZA weist folgenden Wortlaut auf:

      Die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmässig

      im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, werden

      bei der Anwendung dieses Abkommens gemäss den Anhängen I, II und

      III nicht auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert.

    6.2  Die Diskriminierungsverbote bzw. Gleichbehandlungsgebote
verbieten nach der auch bei der Auslegung des FZA zu berücksichtigenden
(Art. 16 Abs. 2 FZA) Rechtsprechung des EuGH nicht nur "offenkundige"
(bzw. "offensichtliche" oder "offene") Diskriminierungen aufgrund
der Staatsangehörigkeit (unmittelbare/ direkte Diskriminierungen),
sondern auch alle "versteckten" (bzw. "verschleierten" oder
"verdeckten") Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung
anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen
(mittelbare/indirekte Diskriminierungen) (siehe - auch zur Terminologie -
SILVIA BUCHER, Soziale Sicherheit, beitragsunabhängige Sonderleistungen
und soziale Vergünstigungen: Eine europarechtliche Untersuchung mit
Blick auf schweizerische Ergänzungsleistungen und Arbeitslosenhilfen,
Diss. Freiburg [Schweiz] 1999, Rz 58, mit zahlreichen Hinweisen auf
die Rechtsprechung des EuGH; für dessen dort noch nicht berücksichtigte
neuere Rechtsprechung z.B. Urteil vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache
C-411/98, Ferlini, Slg. 2000, I-8081, Randnr. 57; vgl. spezifisch zu Art. 2
FZA EPINEY/MOSTERS, Personenfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit,
Schweiz. Juristische Kartothek, Karte Nr. 94 [Februar 2003], S. 32;
vgl. auch BGE 130 I 35 Erw. 3.2.2 und 3.2.3).

    6.3  Als mittelbar diskriminierend sind - was die vorliegend
interessierenden Arbeitnehmer betrifft (die Definition gilt mutatis
mutandis für die anderen vom jeweiligen Diskriminierungsverbot erfassten
Personen [vgl. BUCHER, aaO, Rz 59-64]) - Voraussetzungen des nationalen
Rechts anzusehen, die zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten,
aber

    - im Wesentlichen oder ganz überwiegend Wanderarbeitnehmer betreffen

    - von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind als von

        Wanderarbeitnehmern oder

    - bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich besonders zum Nachteil
von

        Wanderarbeitnehmern auswirken (Urteil des EuGH vom 21. September

        2000 in der Rechtssache C-124/99, Borawitz, Slg. 2000, I-7293,

        Randnr. 25 mit Hinweis).

    Anders verhält es sich nur dann, wenn sie durch objektive, von der
Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen
gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck
stehen, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt
wird (erwähntes EuGH-Urteil Borawitz, Randnr. 26 mit Hinweis).

    Somit ist eine Vorschrift des nationalen Rechts, sofern sie nicht
objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum
verfolgten Zweck steht, mittelbar diskriminierend, wenn sie sich ihrem
Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer
auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer
besonders benachteiligt (erwähntes EuGH-Urteil Borawitz, Randnr. 27
mit Hinweis).

    Um festzustellen, ob die Verwendung eines bestimmten
Unterscheidungsmerkmals im erwähnten Sinne indirekt zu einer
Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit führt, ist
das Verhältnis zwischen Nichtinländern und Inländern innerhalb des
benachteiligten bzw. nicht begünstigten Personenkreises auf der einen
dem Verhältnis zwischen Nichtinländern und Inländern innerhalb der
Vergleichsgruppe der nicht benachteiligten bzw. der begünstigten Personen
auf der andern Seite gegenüberzustellen (vgl. erwähntes EuGH-Urteil
Borawitz, Randnrn. 28 bis 31).

Erwägung 7

    7.  Im Folgenden ist zu prüfen, ob Art. 52d AHVV vor dem gemeinschafts-
bzw. abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbot Bestand hat. Falls
ein Verstoss gegen dieses Gleichbehandlungsgebot vorliegt, hat der
Beschwerdegegner, der in der Schweiz eine tatsächliche Beitragszeit
von 38 Jahren und 10 Monaten zurückgelegt hat, Anspruch auf Anrechnung
dreier zusätzlicher Beitragsjahre nach Art. 52d AHVV, wie wenn er zur
Zeit der Entstehung der Beitragslücken versichert gewesen wäre oder sich
hätte versichern können und damit die Voraussetzungen des Art. 52d AHVV
erfüllte. Denn wenn das nationale Recht eine gemeinschaftsrechtlich
unzulässige diskriminierende Behandlung verschiedener Personengruppen
vorsieht, haben die Angehörigen der benachteiligten Gruppe Anspruch
auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie
die übrigen Betroffenen, wobei diese Regelung, solange das nationale
Recht nicht diskriminierungsfrei ausgestaltet ist, das einzig gültige
Bezugssystem bleibt (vgl. Urteil des EuGH vom 26. Januar 1999 in der
Rechtssache C-18/95, Terhoeve, Slg. 1999, I-345, Randnr. 57).

    7.1  Nach Auffassung des kantonalen Gerichts bewirkt Art. 52d
AHVV eine gegen Art. 3 der Verordnung Nr. 1408/71 und Art. 2 FZA
verstossende Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, soweit
er für die Anrechnung zusätzlicher Beitragsjahre darauf abstellt, ob
sich die betroffene Person zur Zeit der Entstehung der Beitragslücken
hätte freiwillig versichern können, was nur Schweizer Bürgern möglich
war. Dementsprechend gelangte es zum Schluss, es seien im Falle des
Beschwerdegegners drei zusätzliche Beitragsjahre anzurechnen. Auch
dieser sieht in der Nichtanrechnung zusätzlicher Beitragsjahre eine
Diskriminierung insbesondere gegenüber den Auslandschweizern.

    7.2  Das Beschwerde führende BSV bringt demgegenüber vor, die durch
das in Art. 52d AHVV vorgesehene Kriterium der Versicherungsmöglichkeit
herbeigeführte unterschiedliche Behandlung von Schweizern, die im
Ausland gelebt hätten, auf der einen, und von Ausländern, die im Ausland
gelebt hätten, auf der anderen Seite, sei durch einen objektiven
Grund gerechtfertigt. Dieser bestehe darin, dass die Ausländer,
die im Ausland gelebt hätten, keinen Bezug zur Schweiz bzw. zu deren
Sozialversicherungssystem aufgewiesen hätten. Da es demnach an einer mit
dem freien Personenverkehr nicht zu vereinbarenden Diskriminierung fehle,
könnten dem Beschwerdegegner auch unter dem Gesichtspunkt des FZA keine
Zusatzjahre angerechnet werden.

Erwägung 8

    8.

    8.1  Um nach Art. 52d AHVV in den Genuss der Anrechnung zusätzlicher
Beitragsjahre zur Füllung vor dem 1. Januar 1979 liegender Beitragslücken
zu kommen, muss die betroffene Person zum einen eine bestimmte Mindestzahl
von Beitragsjahren zurückgelegt haben und zum andern zur Zeit, als die
Beitragslücken entstanden, entweder obligatorisch versichert gewesen sein,
was den Wohnsitz oder die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz
zur damaligen Zeit bedingt, oder die damals nur Schweizer Bürgern offen
gestandene Möglichkeit gehabt haben, sich freiwillig zu versichern,
(wobei sich an den Voraussetzungen der Versicherungszugehörigkeit,
soweit vorliegend relevant, auch in den Fassungen des AHVG gemäss den -
Änderungen von Art. 2 AHVG beinhaltenden - Bundesgesetzen vom 19. Dezember
1963 [AS 1964 285], vom 4. Oktober 1968 [AS 1969 111] und vom 30. Juni
1972 [AS 1972 2483] nichts geändert hat). Diese Voraussetzungen gelten
zwar, betrachtet man den Wortlaut des Art. 52d AHVV, unabhängig von
der Staatsangehörigkeit. Sie können indessen von Schweizern leichter
erfüllt werden als von Ausländern: Denn erstens waren Inländer eher
als Ausländer zur Zeit der Entstehung der Beitragslücken obligatorisch
versichert, weil sie eher als Ausländer damals in der Schweiz wohnten
oder eine Erwerbstätigkeit ausübten; zweitens konnten sich damals nur
Inländer, nicht aber Ausländer freiwillig versichern; drittens haben
Inländer eher schon seit vielen Jahren Beiträge an die schweizerische AHV
geleistet als Ausländer, weil sie eher während zahlreicher Jahre in der
Schweiz wohnten oder arbeiteten und dadurch in der schweizerischen AHV
versichert waren als Ausländer. Art. 52d AHVV benachteiligt somit seinem
Wesen nach eher ausländische als inländische Erwerbstätige, sodass eine
mittelbare Diskriminierung vorliegt, sofern die Vorschrift nicht objektiv
gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten
Zweck steht (Erw. 6.3 hievor), was im Folgenden zu prüfen ist.

    8.2

    8.2.1  Nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 gelten
Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, durch welche die freiwillige
Versicherung oder freiwillige Weiterversicherung davon abhängig gemacht
wird, dass die betroffene Person im Gebiet dieses Staates wohnt,
nicht für Personen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen,
wenn für diese Personen zu irgendeiner Zeit ihrer früheren Laufbahn
als Arbeitnehmer oder Selbstständige die Rechtsvorschriften des ersten
Staates gegolten haben. Durch diese Voraussetzung wird, worauf das BSV
zu Recht hinweist, die Ausdehnung der Zulassung zu einer freiwilligen
Versicherung oder Weiterversicherung auf Personen beschränkt, die zuvor
einen hinreichenden Bezug zum betreffenden Staat hergestellt haben (BETTINA
KAHIL, Freiwillige AHV/IV der Auslandschweizer europarechtswidrig?, in:
AJP 1996 S. 991 ff., S. 994 f.). Damit geht der Gemeinschaftsgesetzgeber
selbst davon aus, dass es gerechtfertigt ist, den Kreis der Personen, die
sich einer freiwilligen Versicherung oder Weiterversicherung anschliessen
können, auf Personen zu beschränken, die einen Bezug zum betroffenen Staat
aufweisen, der im aktuellen Wohnsitz oder darin begründet sein kann, dass
diese Personen früher als Erwerbstätige den Rechtsvorschriften dieses
Staates unterstanden.

    8.2.2  Auf dem Gedanken, dass für den Beitritt zu einer freiwilligen
Versicherung oder Weiterversicherung ein bereits bestehender Bezug zum
Sozialversicherungssystem des diese Versicherung vorsehenden Staates
verlangt werden kann, beruht auch Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr.
1408/71. Denn danach müssen, wenn nach den Rechtsvorschriften
eines Mitgliedstaats die freiwillige Versicherung oder freiwillige
Weiterversicherung von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig
ist, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats
zurückgelegten Zeiten nur dann wie nach den Rechtsvorschriften des
ersten Staates zurückgelegte Zeiten berücksichtigt werden, wenn
die betreffende Person erforderlichenfalls dem System dieses Staates
überhaupt angehört hat; es ist mit anderen Worten eine Berücksichtigung
ausländischer Zeiten nur hinsichtlich der Erreichung einer allenfalls
erforderlichen Mindestversicherungszeit, nicht aber schon hinsichtlich der
Systemzugehörigkeit vorgeschrieben (Urteile des EuGH vom 20. Oktober 1993
in der Rechtssache C-297/92, Baglieri, Slg. 1993, I-5211, Randnrn. 11
und 19; vom 18. Mai 1989 in der Rechtssache 368/87, Hartmann Troiani,
Slg. 1989, 1333, Randnrn. 15, 17 sowie 22; und vom 27. Januar 1981 in
der Rechtssache 70/80, Vigier, Slg. 1981, 229, Randnrn. 19 und 20).

    8.2.3  Auch wenn in der schweizerischen AHV eine freiwillige
Versicherung für in einem EU-Mitgliedstaat wohnende Personen noch
vorgesehen wäre und für Angehörige dieser Staaten die gleichen
Beitrittsvoraussetzungen gälten wie für Schweizer Bürger - heute gibt
es eine freiwillige Versicherung zwar sowohl für Schweizer Bürger als
auch für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der EU und der EFTA,
aber nur für Personen, die ausserhalb des EU-/EFTA-Raumes wohnen
(Art. 2 AHVG in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 14. Dezember 2001
[AS 2002 685]; Art. 1b IVG; vgl. auch Anhang VI Schweiz Ziff. 1 der
Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung gemäss FZA [Anhang II Abschnitt
A Nr. 1 Anpassung o FZA]) -, dürfte der Beitritt zu dieser Versicherung
demnach von einem bestehenden Bezug der betroffenen Person zur Schweiz
bzw. zu deren Sozialversicherungssystem abhängig gemacht werden, ohne
dass dadurch gegen die Verordnung Nr. 1408/71 verstossen würde. In der
Voraussetzung des Vorliegens eines Bezuges zur Schweiz könnte daher,
obwohl sie von Schweizern leichter zu erfüllen wäre als von Ausländern,
keine unzulässige indirekte Diskriminierung gesehen werden, weil die daraus
resultierende Benachteiligung von EU-Ausländern aufgrund des Systems der
Koordinationsregelung selbst objektiv gerechtfertigt wäre. Wenn aber das
Erfordernis eines Bezugs zur Schweiz für den Beitritt zu deren freiwilliger
Versicherung keine verbotene Ungleichbehandlung begründen würde, sondern
objektiv gerechtfertigt wäre, muss es sich mit einer Vorschrift, die bei
der Rentenberechnung die Anrechnung zusätzlicher Beitragsjahre für die
Füllung von Beitragslücken davon abhängig macht, dass die betroffene
Person zur Zeit der Entstehung dieser Lücken einen Bezug zur Schweiz
aufwies, ebenso verhalten. Wenn nämlich für die Versicherungszugehörigkeit
zulässigerweise eine Verbindung zum betroffenen Staat vorausgesetzt ist,
kann dieser Staat nicht über das Diskriminierungsverbot dazu verpflichtet
werden, bei der Rentenberechnung Zeiten zu berücksichtigen, während deren
die betreffende Person mangels eines hinreichenden Bezugs zu diesem Staat
dessen Sozialversicherungssystem weder angehörte noch angehören konnte,
und damit gewissermassen trotz damals fehlender Verbindung zu diesem
Staat eine damalige Versicherungszugehörigkeit nachträglich zu fingieren.

    8.3  Der Umstand, dass bei Auslandschweizern keine über die
Staatsangehörigkeit hinausgehende Verbindung zur Schweiz vorausgesetzt
wird, steht dem Schluss, dass das Verlangen eines damaligen Bezuges
zur Schweiz objektiv gerechtfertigt ist, nicht entgegen. Eine unter die
Verordnung Nr. 1408/71 fallende Person ausländischer Staatsangehörigkeit -
oder mit erst nachträglich erlangtem Schweizer Bürgerrecht - muss nicht,
ohne damals einen Bezug zur Schweiz aufgewiesen zu haben, einzig aus
dem Grunde so behandelt werden, als ob sie sich damals freiwillig hätte
versichern können, weil sich damals Auslandschweizer ohne eine über
die Staatsangehörigkeit hinausgehenden Bezug zur Schweiz freiwillig
versichern konnten. Denn auch wenn sich Inländer ohne eine über die
Staatsangehörigkeit hinausgehende Verbindung zum betroffenen Staat
freiwillig versichern können, verlangt das Diskriminierungsverbot
nicht die Ausdehnung dieser Möglichkeit auf unter die Verordnung
Nr. 1408/71 fallende Personen, bei denen es an einem Bezug zu diesem
Staat fehlt (vgl. auch KAHIL, aaO, S. 996, und SCHULER, aaO, N 6
zu Art. 9 der Verordnung Nr. 1408/71 [S. 145]). Letzteres ist aus
Anhang VI der Verordnung Nr. 1408/71 ersichtlich, der in verschiedenen
Bestimmungen (Abschnitt "Deutschland" Nr. 4, Abschnitt "Frankreich"
Nr. 3 und Abschnitt "Griechenland" Nr. 2) die in einem Mitgliedstaat
für Inländer vorgesehene Möglichkeit des Beitritts zu einer freiwilligen
Versicherung nicht auf sämtliche Angehörigen der Mitgliedstaaten ausdehnt,
sondern nur auf jene, die - in Form des früheren Wohnsitzes oder der
früheren Versicherungszugehörigkeit - eine bestimmte Verbindung zum
Sozialversicherungssystem des betroffenen Staates aufweisen. Diese
Klauseln hat der EuGH, soweit er sich mit ihnen zu befassen hatte,
nicht für ungültig erklärt (vgl. Urteil des EuGH vom 8. Oktober 1980 in
der Rechtssache 810/79, Überschär, Slg. 1980, 2747, Randnrn. 8 und 18,
betreffend Deutschland, zur früheren Bestimmung des Anhangs V Abschnitt
C Nr. 8 der Verordnung Nr. 1408/71; Urteil des EuGH vom 22. März
1972 in der Rechtssache 80/71, Merluzzi, Slg. 1972, 175, Randnrn. 5/7
und 16, betreffend Frankreich, zur früheren Bestimmung des Anhangs
G Abschnitt IV Bst. b der Verordnung Nr. 3). Wenn aber der Beitritt
zur freiwilligen Versicherung von einem hinreichenden Bezug zum diese
Versicherung vorsehenden Staat abhängig gemacht werden darf, so kann,
wie bereits erwähnt, auch die Anrechnung von Zusatzjahren zur Füllung
von Beitragslücken ans Bestehen einer solchen Verbindung zur Zeit der
Entstehung dieser Lücken geknüpft werden.

    8.4  Aufgrund dieser Erwägungen ist festzustellen, dass die in Art. 52d
AHVV für die Anrechnung von Zusatzjahren vorgesehenen Voraussetzungen
insoweit objektiv gerechtfertigt sind, als sie das Vorhandensein
einer Verbindung der betroffenen Person zur Schweiz zur Zeit, als die
Beitragslücken entstanden, sicherstellen sollen. Dabei ist auch die
Verhältnismässigkeit dieser Regelung zu bejahen, soweit sie Personen,
die weder zur Zeit, als sie bei Wohnsitz oder Erwerbstätigkeit in der
Schweiz beitragspflichtig gewesen wären, mithin zur Zeit der Entstehung
der Beitragslücken, irgendeinen Bezug zur Schweiz aufwiesen noch zu
einem davor liegenden Zeitpunkt irgendeine für die Begründung eines
hinreichenden Bezugs in Frage kommende Verbindung - in Anbetracht der
erwähnten von der Verordnung Nr. 1408/71 und der Rechtsprechung des
EuGH zugelassenen, mit dem Wohnsitz, einer Erwerbstätigkeit oder der
Versicherungszugehörigkeit zusammenhängenden Anknüpfungspunkte müssten
beispielsweise Ferienaufenthalte ausser Betracht fallen - zu diesem
Staat hergestellt hatten, von der Anrechnung zusätzlicher Beitragsjahre
ausschliesst. Insoweit begründet Art. 52d AHVV somit keine unzulässige
Diskriminierung.

    8.5  Da der Beschwerdegegner vor Beginn seiner obligatorischen
Versicherungsunterstellung und Beitragspflicht in der Schweiz, mithin
sowohl während der Zeit der Entstehung der Beitragslücken als auch zuvor,
nie einen als hinreichende Verbindung in Frage kommenden Bezug zur Schweiz
aufgewiesen hatte, können ihm somit nicht gestützt auf das gemeinschafts-
bzw. abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot zusätzliche Beitragsjahre
angerechnet werden, wie wenn er die in Art. 52d AHVV dafür vorgesehenen
Voraussetzungen erfüllte. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich eine
Person in seiner Situation auf Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71
und/oder auf Art. 2 FZA berufen kann. Die streitige Verwaltungsverfügung
ist demnach rechtens und der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben.