Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 I 12



131 I 12

2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S.
Sulzer gegen Stadtrat von Zürich und Regierungsrat des Kantons
Zürich sowie Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    1A.152/2004 vom 24. November 2004

Regeste

    Art. 98 OG; Art. 26 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Verkehrsbeschränkungen.
Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht
gegen einen Rechtsmittelentscheid des Bundesrates. Streit um
Verkehrsbeschränkungen als zivilrechtliche Streitigkeit?

    Ausnahmsweise Zulässigkeit einer vom Verfahrensrecht nicht vorgesehenen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht (E. 1.1 und 1.2).

    Der Strassenanstösser kann gegen Verkehrsregelungen, die die
bestimmungsgemässe Nutzung seines Grundeigentums weder verunmöglichen
noch in unzumutbarer Weise erschweren, aus Art. 26 Abs. 1 BV nichts zu
seinen Gunsten ableiten; Einwände dagegen sind keine zivilrechtlichen
Ansprüche im Sinn von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (E. 1.3).

Sachverhalt

    Alfred R. Sulzer ist Miteigentümer der Liegenschaft Spiegelgasse
13/Leuengasse 8, in deren Untergeschoss sich eine über die Leuengasse
erschlossene unterirdische Garage befindet. Er betreibt in diesen
Räumlichkeiten eine Beratungsfirma. Im Gebiet Altstadt rechts der Limmat,
in welchem sich die Liegenschaft befindet, bestehen seit 1972 Sperrzonen
mit einem Nachtfahrverbot von 19:00 bis 05:00 Uhr und Fussgängerzonen
mit noch weitergehenden Verkehrsbeschränkungen.

    Mit Verfügungen vom 6. März und 9. Juni 1987 erweiterte der
Polizeivorstand der Stadt Zürich die Fussgängerzone. Am 28. Januar 1993
verfügte der Polizeivorstand wiedererwägungsweise neue Verkehrsvorschriften
für die Altstadt rechts der Limmat. Dabei wurde die "Leuengasse zwischen
der Spiegelgasse und dem Haus Nr. 3 (inkl.)" und die Spiegelgasse der
"Zone mit Fahrverbot" zugeteilt. Darin ist der Verkehr mit Motorwagen,
Motorrädern und Motorfahrrädern grundsätzlich verboten. Erlaubt ist
die Zufahrt zum Güterumschlag oder zum Ein- und Aussteigenlassen
zwischen 05:00 und 12:00 Uhr; in der übrigen Zeit ist die Zufahrt
für Hotellogiergäste und Taxis sowie Fahrzeuge mit schriftlicher
Ausnahmebewilligung erlaubt. Der Stadtrat wies die dagegen erhobenen
Einsprachen zwischen April und Juli 1995 ab. Das Statthalteramt des
Bezirks Zürich vereinigte die dagegen erhobenen Rekurse und hiess sie am
30. April 1996 gut. Der Regierungsrat des Kantons Zürich wies den Rekurs
der Stadt Zürich gegen diesen Statthalterentscheid am 9. Juni 1999 ab. Auf
ein Wiedererwägungsgesuch der Stadt trat er am 15. Dezember 1999 nicht
ein. Gestützt auf erneutes Wiedererwägungsgesuch des Zürcher Stadtrates
kam der Regierungsrat am 4. Juli 2001 auf seinen Entscheid vom 9. Juni 1999
zurück, änderte diesen ab und bestätigte die Verfügung des Polizeivorstands
vom 28. Januar 1993 mit verschiedenen Änderungen. Die Liegenschaft
des Beschwerdeführers bleibt danach in der "Zone mit Fahrverbot",
in welcher neu sämtlicher Verkehr - auch derjenige mit Fahrrädern -
verboten ist. Der 1993 verfügte Ausnahmenkatalog bleibt unverändert. Neu
festgelegt wird, dass die (auch der Erschliessung der Liegenschaft des
Beschwerdeführers dienenden) "Zufahrten Hirschengraben/Kirchgasse/Untere
Zäune und ab Zähringerplatz" von 12:00 bis 02:00 bzw. 03:00 Uhr mit Hilfe
einer bewachten Barrierenanlage kontrolliert werden. Mit Entscheid vom
12. Mai 2004 wies der Schweizerische Bundesrat die beiden Beschwerden der
Geschäftsvereinigung Limmatquai Dörfli und von Alfred R. Sulzer ab und
schrieb diejenige der Stadt Zürich ab. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
vom 14. Juni 2004 beantragt Alfred R. Sulzer, diesen Bundesratsentscheid
sowie den Regierungsratsbeschluss vom 4. Juli 2001 aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist, was der Beschwerdeführer
nicht verkennt, gegen Rechtsmittelentscheide des Bundesrates grundsätzlich
nicht gegeben (Art. 98 OG e contrario). Er macht indessen geltend,
bei der streitigen Rechtssache handle es sich um eine zivilrechtliche
Angelegenheit im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK, weshalb er gemäss BGE
125 II 420 entgegen anderslautenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen
beim Bundesgericht angefochten werden könne.

    1.1  Im erwähnten Urteil trat das Bundesgericht auf
eine vom einschlägigen Verfahrensrecht nicht vorgesehene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Rechtsmittelentscheid des
Bundesrates ein, um den von Art. 6 Ziff. 1 EMRK für zivilrechtliche
Streitigkeiten garantierten gerichtlichen Rechtsschutz zu
gewährleisten. Voraussetzung für ein derartiges Vorgehen ist, dass es
sich bei der im Streit liegenden Rechtssache um eine zivilrechtliche
Angelegenheit im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK handelt.

    1.2  Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, die sich an der
Praxis der Strassburger Organe orientiert, beschränkt sich die Garantie
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht auf Streitigkeiten zwischen Privaten oder
zwischen Privaten und dem Staat in seiner Eigenschaft als Subjekt des
Privatrechts und damit auf zivilrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinn,
sondern gilt auch für Verwaltungsakte einer hoheitlich handelnden Behörde,
sofern diese massgeblich in Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher
Natur eingreifen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1
EMRK ist, dass Existenz, Inhalt, Umfang oder Art der Ausübung von aus
dem innerstaatlichen Recht ableitbaren Ansprüchen oder Verpflichtungen
privatrechtlicher Natur im Streit liegen. Dabei wird verlangt, dass
die Streitigkeit echt und ernsthafter Natur ist und deren Ausgang sich
für den zivilrechtlichen Anspruch als unmittelbar entscheidend erweist;
bloss weit entfernte Auswirkungen reichen nicht aus. Als zivilrechtlich
gilt insbesondere eine sich im Schutzbereich der Eigentumsgarantie
von Art. 26 BV abspielende Streitigkeit über die Ausübung von
Eigentumsrechten. Der Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist
damit zwar weit, aber keineswegs schrankenlos. Die EMRK unterscheidet
zwischen Zivilrechtsstreitigkeiten, für welche sie einen innerstaatlichen
gerichtlichen Rechtsschutz vorschreibt, und anderen Streitigkeiten über
die Verletzung materieller konventionsrechtlicher Garantien, für welche
Art. 13 EMRK innerstaatlich einen Anspruch auf eine wirksame Beschwerde
einräumt, welchem die Beschwerde an den Bundesrat vollauf genügt. Aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist daher kein genereller Anspruch abzuleiten, wonach
Rechtsstreitigkeiten unabhängig von ihrem Inhalt immer einer gerichtlichen
Beurteilung unterliegen (BGE 1P.7/2004 vom 13. Oktober 2004, E. 5; BGE
123 I 25 E. 2b/dd).

    1.3

    1.3.1  Bis vor kurzem galt nach ständiger Rechtsprechung, dass
ein Strassenanstösser kein besseres Recht auf die Benützung einer im
Gemeingebrauch stehenden Strasse hat als jedermann, soweit ihm das
kantonale Recht - was hier nicht geltend gemacht wird - eine besondere
Rechtsstellung einräumt. Der Strassenanstösser verfügte nach dieser
alten Praxis nur über eine tatsächliche Vorzugsstellung und nicht auf
ein unter dem Schutz der Eigentumsgarantie stehendes Recht auf Zugang
und Benützung einer an sein Land angrenzenden öffentlichen Strasse. Aus
diesem Grund wurde ihm die Legitimation abgesprochen, sich unter Berufung
auf die Eigentumsgarantie gegen die Aufhebung oder die Einschränkung des
Gemeingebrauchs der Strasse mit staatsrechtlicher Beschwerde zur Wehr zu
setzen (Darstellung der Rechtsprechung in BGE 126 I 213 E. 1b/aa).

    1.3.2  Diese Rechtsprechung gab das Bundesgericht im erwähnten
Entscheid auf. Es erkannte, dass sich der Schutzbereich der
Eigentumsgarantie nicht nur auf die unmittelbar aus dem Eigentum
fliessenden rechtlichen Befugnisse, sondern auch auf gewisse faktische
Voraussetzungen zur Ausübung dieser Befugnisse erstrecke. Insoweit sei
das Interesse an deren Erhaltung nicht bloss faktischer Natur, sondern
auch rechtlich geschützt (aaO, E. 1b/bb, S. 215). Zu beurteilen war, ob
die Aufhebung einer direkten Zufahrt von einer Kantonsstrasse zu einem
Tanklager einen Eingriff in die Eigentumsgarantie darstellte, obwohl
die rückwärtige Erschliessung und damit die bestimmungsgemässe Nutzung
des Landes erhalten blieb. Das Bundesgericht äusserte Zweifel daran,
brauchte die Frage aber letztlich nicht zu entscheiden (aaO, E. 3a).

    1.3.3  Nach der mit BGE 126 I 213 vollzogenen Praxisänderung soll sich
der Strassenanstösser unter Berufung auf die Eigentumsgarantie gegen ein
Verkehrsregime zur Wehr setzen können, welches ihm die bestimmungsgemässe
Nutzung seines Eigentums verunmöglicht oder übermässig erschwert. Das
bedeutet aber auch, wie das Bundesgericht im erwähnten Entscheid bereits
angedeutet hat, dass die Eigentumsgarantie den Strassenanstösser nicht
vor jeder ihm lästigen Änderung des Verkehrsregimes schützt, sondern
nur von einer solchen, die ihm die bestimmungsgemässe Nutzung seines
Grundeigentums faktisch verunmöglicht.

    1.3.4  Für die Liegenschaft des Beschwerdeführers galt ab 1972 ein
Nachtfahrverbot. Nach dem hier umstrittenen Verkehrsregime wird die Zufahrt
zu seiner Liegenschaft für Automobile und Fahrräder grundsätzlich auf die
Zeit von 05:00 bis 12:00 Uhr beschränkt; ausserhalb dieser Zeiten ist für
die Zufahrt eine Ausnahmebewilligung notwendig. Dieses Verkehrsregime
ist zwar einschneidend, der Beschwerdeführer legt indessen nicht dar,
weshalb es für seinen Gewerbebetrieb in der Liegenschaft unabdingbar
sein soll, dass er selber, seine Angestellten, seine Geschäftspartner
und seine Kunden jederzeit mit dem Auto zur Liegenschaft gelangen
können. Dies lässt sich auch nicht im Ernst behaupten, ist doch die
Liegenschaft von verschiedenen Haltestellen des öffentlichen Verkehrs oder
öffentlichen Parkierungsmöglichkeiten (z.B. dem Parkhaus Hohe Promenade)
in wenigen Minuten zu Fuss erreichbar. Zudem hat der Regierungsrat in
seinem Entscheid vom 4. Juli 2001 die Stadt unmissverständlich auf eine
"grosszügige und flexible Handhabung der Kompetenzen bei der Erteilung
von Ausnahmebewilligungen in dringlichen Fällen namentlich durch die
Kontrollorgane bei den Pförtneranlagen" behaftet. Entgegen der Befürchtung
des Beschwerdeführers besteht kein Grund zur Annahme, dass sich die Stadt
nicht an diese verbindliche Vorgabe halten wird. Damit besteht Gewähr,
dass der Beschwerdeführer bzw. seine Angestellten, Geschäftspartner
oder Kunden auch in Zukunft während der Sperrzeiten zur Liegenschaft
werden mit dem Auto zufahren können, sofern dies - z.B. für dringende
Materialtransporte - erforderlich ist, wobei nach dem Gesagten an den
Bedürfnisnachweis keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen.

    1.3.5  Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das umstrittene
Verkehrsregime die bestimmungsgemässe Nutzung der Liegenschaft des
Beschwerdeführers keineswegs verunmöglicht oder auch nur in unzumutbarer
Weise erschwert. Bei der vom Bundesrat am 12. Mai 2004 letztinstanzlich
entschiedenen Streitigkeit darüber handelt es sich daher um eine
reine Verwaltungsangelegenheit, der Beschwerdeführer kann aus der
Eigentumsgarantie von Art. 26 Abs. 1 BV daher nichts zu seinen Gunsten
ableiten und hat damit auch keinen konventionsrechtlichen Anspruch auf eine
gerichtliche Überprüfung des Falles. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ist nicht einzutreten.