Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 IV 36



131 IV 36

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Staats-anwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.58/2004 vom 22. Dezember 2004

Regeste

    Vereitelung einer Blutprobe (Art. 91 Abs. 3 SVG); Verbot des
Selbstbelastungszwangs (Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 14 Ziff. 3 lit. g
UNO-Pakt II über bürgerliche und politische Rechte).

    Die Verurteilung des Fahrzeuglenkers wegen Vereitelung einer Blutprobe,
begangen durch Verletzung von bestimmten Verhaltenspflichten nach einem
Unfall mit Drittschaden sowie durch Nachtrunk, verstösst nicht gegen das
Verbot des Selbstbelastungszwangs (E. 2 und 3).

Sachverhalt

    X. verursachte am 17. Juli 2002, um 23.15 Uhr, auf der Bahnhofstrasse
in Triengen eine Streifkollision mit einem entgegenkommenden
Personenwagen. An beiden Fahrzeugen wurden der linke Aussenspiegel und
am entgegenkommenden Personenwagen zudem das kleine Fenster der linken
Fahrzeugtüre beschädigt. X. hielt nicht an. Der Geschädigte fuhr ihm
daher nach, um ihn zum Anhalten zu veranlassen. Er brach dieses Unterfangen
wegen der schnellen Fahrweise von X. ab und benachrichtigte unverzüglich
die Polizei. Diese konnte X. erst am nächsten Tag, um 10.10 Uhr, an seinem
Arbeitsplatz antreffen. Sie führte wegen deutlicher Alkoholsymptome einen
Atemlufttest durch. Dieser fiel positiv aus. Die Analyse der Blutprobe
ergab eine Blutalkoholkonzentration von minimal 0,61 und maximal 0,97
Gewichtspromille. X. gab an, er sei um 23.30 Uhr nach Hause gekommen und
habe dort zwei Kaffee mit Zwetschgenschnaps getrunken, bevor er um 00.45
Uhr zu Bett gegangen sei. Laut dem Ergänzungsgutachten des Instituts
für Rechtsmedizin der Universität Zürich vom 21. März 2003 bestand bei
der Fahrt zur Arbeit um 08.40 Uhr eine Blutalkoholkonzentration zwischen
0,76 und 1,27 Promille. Diese Alkoholisierung konnte gemäss dem Gutachten
nicht allein vom behaupteten Nachtrunk herrühren.

    Das Obergericht des Kantons Luzern sprach X. am 2. September 2003
in Bestätigung des Entscheids des Amtsgerichts Sursee vom 4. April 2003
des ungenügenden Rechtsfahrens mit Personenwagen (Art. 34 Abs. 1 SVG),
des pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall mit Fremdschaden (Art. 51
Abs. 1 und 3 SVG) und der Vereitelung einer Blutprobe (Art. 91 Abs. 3 SVG)
schuldig. Es bestrafte ihn in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1, Art. 91 Abs. 3
und Art. 92 Abs. 1 SVG mit fünf Wochen Gefängnis, bedingt vollziehbar
bei einer Probezeit von fünf Jahren, und 1'500 Franken Busse.

    X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts sei in Bezug auf den Schuldspruch wegen
Vereitelung einer Blutprobe (Art. 91 Abs. 3 SVG) sowie im Straf- und
Kostenpunkt aufzuheben. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Der Beschwerdeführer ficht allein seine Verurteilung wegen
Vereitelung einer Blutprobe (Art. 91 Abs. 3 SVG) an. Er macht einzig
geltend, diese verstosse gegen das Verbot des Selbstbelastungszwangs
und damit gegen Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II über bürgerliche und
politische Rechte (SR 0.103.2), Art. 6 Ziff. 1 und 2 EMRK sowie Art. 32
Abs. 1 BV. Aus diesen Normen ergebe sich, dass niemand verpflichtet sei,
sich im Rahmen eines Strafverfahrens selbst anzuzeigen oder zu belasten
("nemo tenetur se ipsum accusare"). Art. 91 Abs. 3 SVG müsse im Lichte
dieser Bestimmungen ausgelegt werden und sei daher in einem Fall der
vorliegenden Art nicht anwendbar.

Erwägung 2

    2.  Der Fahrzeuglenker hat nach einem Unfall, bei welchem Dritte einen
Sachschaden erleiden oder verletzt werden, bestimmte Verhaltenspflichten,
die im Gesetz geregelt sind.

    2.1  Ereignet sich ein Unfall, an dem ein Motorfahrzeug oder Fahrrad
beteiligt ist, so müssen alle Beteiligten sofort anhalten (Art. 51 Abs. 1
Satz 1 SVG). Sind Personen verletzt, so haben die Beteiligten, in erster
Linie die Fahrzeugführer, die Polizei zu benachrichtigen. Alle Beteiligten,
namentlich auch Mitfahrende, haben bei der Feststellung des Tatbestandes
mitzuwirken. Ohne Zustimmung der Polizei dürfen sie die Unfallstelle
nur verlassen, soweit sie selbst Hilfe benötigen, oder um Hilfe oder die
Polizei herbeizurufen (Art. 51 Abs. 2 SVG). Ist nur Sachschaden entstanden,
so hat der Schädiger sofort den Geschädigten zu benachrichtigen und Namen
und Adresse anzugeben (Art. 51 Abs. 3 Satz 1 SVG). Wenn dies nicht möglich
ist, hat er unverzüglich die Polizei zu verständigen (Art. 51 Abs. 3
Satz 2 SVG). Will ein Geschädigter die Polizei beiziehen, obwohl keine
Meldepflicht besteht, so haben die übrigen Beteiligten bei der Feststellung
des Sachverhalts mitzuwirken, bis sie von der Polizei entlassen werden
(Art. 56 Abs. 2 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV;
SR 741.11]).

    Die Verletzung dieser Verhaltenspflichten nach einem Unfall erfüllt,
sowohl bei Vorsatz wie auch bei Fahrlässigkeit, den Tatbestand des
pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall im Sinne von Art. 92 SVG. Sie kann
bei vorsätzlichem Handeln zudem, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen,
den Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe im Sinne von Art. 91 Abs. 3
SVG erfüllen.

    2.2  Gemäss Art. 91 Abs. 3 aSVG wurde bestraft, wer sich vorsätzlich
einer amtlich angeordneten Blutprobe oder einer zusätzlichen ärztlichen
Untersuchung widersetzte oder entzog oder den Zweck dieser Massnahmen
vereitelte. Die Rechtsprechung hat diese Bestimmung unter Hinweis auf
deren Sinn und Zweck auch auf Fälle angewandt, in denen eine Blutprobe
zwar noch nicht amtlich angeordnet worden war, der Fahrzeuglenker aber mit
der Anordnung einer Blutprobe - als reale Wahrscheinlichkeit - rechnete
oder rechnen musste (BGE 90 IV 94; 95 IV 144; 106 IV 396, mit Hinweisen),
beziehungsweise in denen die Anordnung einer Blutprobe sehr wahrscheinlich
war und der Fahrzeuglenker dies in Kauf nahm (BGE 109 IV 137). Der
Gesetzgeber hat dieser Rechtsprechung Rechnung getragen und Art. 91 Abs. 3
SVG durch Bundesgesetz vom 6. Oktober 1989, in Kraft seit 1. Februar
1991, geändert (siehe BGE 120 IV 73 E. 1a; Botschaft des Bundesrates,
BBl 1986 III 209 ff., 228; Verhandlungen der eidgenössischen Räte,
AB 1988 S 549 f.). Gemäss Art. 91 Abs. 3 SVG in der seither geltenden
Fassung wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer sich vorsätzlich
einer Blutprobe, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung er rechnen
musste, oder einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder
entzieht oder den Zweck dieser Massnahmen vereitelt.

    2.2.1  Die Praxis hat sich dabei überwiegend mit Unfällen zu befassen,
bei welchen der Fahrzeuglenker Sachen eines Dritten, beispielsweise
ein parkiertes Auto, einen Gartenzaun oder eine Signalisationstafel,
beschädigt, sich davonmacht und sich, wenn überhaupt, erst mehrere Stunden
nach dem Unfall beim Geschädigten oder bei der Polizei meldet. Nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erfüllt die Unterlassung der
sofortigen Meldung des Unfalls an die Polizei den objektiven Tatbestand
der Vereitelung einer Blutprobe im Sinne von Art. 91 Abs. 3 SVG, wenn
der Fahrzeuglenker zur unverzüglichen Benachrichtigung der Polizei
verpflichtet und diese möglich war und wenn bei objektiver Betrachtung
der massgebenden Umstände die Polizei bei Meldung des Unfalls sehr
wahrscheinlich eine Blutprobe angeordnet hätte. Zu den massgebenden
Umständen gehören der Unfall als solcher (Art, Schwere, Hergang), der
Zustand des Fahrzeuglenkers und dessen Verhalten vor, während und nach
dem Unfall bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Meldung spätestens hätte
erfolgen müssen. Der zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands von Art. 91
Abs. 3 SVG erforderliche (Eventual-)Vorsatz ist nach der Rechtsprechung
gegeben, wenn der Fahrzeuglenker die die Meldepflicht sowie die die hohe
Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe begründenden Tatsachen
kannte und die Unterlassung der gesetzlich vorgeschriebenen und ohne
weiteres möglichen Meldung vernünftigerweise nur als Inkaufnahme der
Vereitelung einer Blutprobe gewertet werden kann (zum Ganzen BGE 109 IV
137 E. 2; 114 IV 148 E. 2, 154 E. 2; 120 IV 73; 126 IV 53 E. 2).

    2.2.2  Der Fahrzeuglenker kann den Tatbestand der Vereitelung einer
Blutprobe unter den genannten zusätzlichen Voraussetzungen auch durch die
Missachtung von weiteren gesetzlichen Verhaltenspflichten erfüllen, welche
der Feststellung seiner Identität und der Abklärung des Sachverhalts
dienen, so beispielsweise durch die Verletzung der sich aus Art. 56
Abs. 2 VRV ergebenden Pflicht, an der Unfallstelle zu bleiben, wenn ein
Geschädigter die Polizei beiziehen will, obwohl keine Meldepflicht besteht
(siehe dazu BGE 125 IV 283 E. 2a in fine).

    2.2.3  Demgegenüber sind etwa die in Art. 51 Abs. 1 SVG und Art. 54
VRV festgelegten Verhaltenspflichten zur Sicherung der Unfallstelle unter
dem Gesichtspunkt von Art. 91 Abs. 3 SVG nicht relevant, da sie nicht
der Abklärung des Unfalls dienen (BGE 125 IV 283 E. 3). Die Verletzung
dieser Pflichten kann allein nach Art. 92 Abs. 1 SVG strafbar sein.

    2.2.4  Unabhängig von den gesetzlichen Verhaltenspflichten bei Unfall
kann auch die Einnahme von Alkohol nach einem Ereignis, das Anlass zur
Anordnung einer Blutprobe bilden kann, beziehungsweise die Behauptung
eines solchen Nachtrunks als Handlung den Tatbestand der Vereitelung
einer Blutprobe im Sinne von Art. 91 Abs. 3 SVG erfüllen. Voraussetzung
ist objektiv, dass die Anordnung einer Blutprobe sehr wahrscheinlich
war und durch den behaupteten Nachtrunk die zuverlässige Ermittlung der
Blutalkoholkonzentration für den massgebenden Zeitpunkt verunmöglicht
wurde, und subjektiv, dass der Fahrzeuglenker die Anordnung einer Blutprobe
als sehr wahrscheinlich erkannte und den Zweck dieser Massnahme vereiteln
wollte (Urteil 6S.42/2004 vom 12. Mai 2004; siehe auch BGE 114 IV 148
E. 3).

    (...)

Erwägung 3

    3.

    3.1  Als allgemeiner, bisher aus Art. 4 aBV abgeleiteter Grundsatz
des Strafprozessrechts ist anerkannt, dass niemand gehalten ist, zu
seiner Belastung beizutragen. Der in einem Strafverfahren Beschuldigte
ist demnach nicht zur Aussage verpflichtet. Vielmehr ist er auf Grund
seines Aussageverweigerungsrechts berechtigt zu schweigen, ohne dass
ihm daraus Nachteile erwachsen dürfen. Eine ausdrückliche Garantie,
dass der Beschuldigte nicht gezwungen werden darf, gegen sich selbst als
Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, enthält Art. 14 Ziff. 3
lit. g UNO-Pakt II. Ferner leiten Lehre und Rechtsprechung das Recht des
Beschuldigten, zu schweigen und sich nicht selbst belasten zu müssen,
aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ab (zum Ganzen BGE 130 I 126 E. 2.1 mit Hinweisen).

    Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte (EGMR) gehören das Recht, zu schweigen, und das
Recht, nicht zu seiner eigenen Verurteilung beitragen zu müssen,
zu den allgemein anerkannten internationalen Normen und zum Kern des
fairen Verfahrens im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Aus dem Recht des
Angeklagten, nicht zu seiner eigenen Verurteilung beitragen zu müssen,
ergibt sich insbesondere, dass die Behörden ihre Anklage führen, ohne auf
Beweismittel zurückzugreifen, die durch Zwang oder Druck in Missachtung
des Willens des Angeklagten erlangt worden sind. Diese Garantien schützen
den Angeklagten vor missbräuchlichem Zwang seitens der Behörden und
dienen der Vermeidung von Justizirrtümern sowie der Zielsetzung von
Art. 6 EMRK (Urteil des EGMR i.S. J.B. gegen Schweiz vom 3. Mai 2001,
Nr. 31827/96; Recueil CourEDH 2001-III S. 455; VPB 65/2001 Nr. 128 S. 1336,
Ziff. 64). Der EGMR kam im zitierten Entscheid abweichend vom angefochtenen
BGE 121 II 273 zum Ergebnis, es verstosse gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK,
den Steuerpflichtigen im Hinterziehungsverfahren mit Bussen zu zwingen,
Belege über hinterzogene Beträge vorzulegen. Zwar habe das Bundesgericht
in BGE 121 II 273 auf verschiedene strafrechtliche Bestimmungen
hingewiesen, welche eine Person verpflichteten, in gewisser Weise zu
ihrer eigenen Verurteilung beizutragen, beispielsweise ihr Fahrzeug mit
einem Fahrtenschreiber auszurüsten oder sich einer Blut- oder Urinprobe
zu unterziehen. Indessen unterschieden sich die Informationen in der zu
beurteilenden Steuersache von Tatsachen, die unabhängig vom Willen der
betroffenen Person existierten (Ziff. 68). Der EGMR verwies in diesem
Zusammenhang auf sein Urteil i.S. Saunders gegen Grossbritannien vom 17.
Dezember 1996 (Recueil CourEDH 1996-VI S. 2044). Darin wird ausgeführt,
das Recht, nicht zu seiner eigenen Verurteilung beitragen zu müssen,
betreffe in erster Linie das Schweigerecht. Dieses erstrecke sich nicht auf
die Verwertung von Tatsachen, die unabhängig vom Willen des Verdächtigen
existierten, wie Atemluft-, Blut- und Urinproben oder Gewebeproben zum
Zwecke einer DNA-Untersuchung. In einem anderen Entscheid erachtete der
EGMR eine Bestrafung wegen Einreichens einer falschen Steuerdeklaration
als unbedenklich (Urteil i.S. Allen gegen Grossbritannien vom 10. September
2002, Nr. 76574/01; Recueil CourEDH 2002-VIII S. 367). Denn es gehe nicht
um den Zwang zur Selbstbelastung, der eine frühere Straftat betreffe,
sondern um die Straftat selber. Das Recht, nicht zu seiner eigenen
Verurteilung beitragen zu müssen, gewähre nicht eine allgemeine Immunität
für Handlungen, die dadurch motiviert seien, einer Steuerkontrolle zu
entgehen. Im Übrigen sei nicht jede Massnahme, die darauf abziele, den
Einzelnen zu verhalten, den Behörden Informationen zu liefern, welche
eventuell in einem späteren Strafverfahren verwendet werden könnten,
als ein missbräuchlicher Zwang zu betrachten.

    Im Einzelnen ist allerdings die Tragweite des nemo-tenetur-Prinzips
in Bezug auf passive und aktive Verhaltenspflichten umstritten,
insbesondere auch bezüglich Handlungspflichten, etwa Informationspflichten
gegenüber irgendwelchen Behörden oder Privatpersonen, die sich mittelbar
selbstbelastend auswirken können (siehe zum Ganzen TORSTEN VERREL, Nemo
tenetur - Rekonstruktion eines Verfahrensgrundsatzes, Neue Zeitschrift
für Strafrecht [NStZ] 1997 S. 361 ff., 415 ff.; RUDOLF MÜLLER, Neue
Ermittlungsmethoden und das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung, EuGRZ
2002 S. 546 ff.; REGULA SCHLAURI, Das Verbot des Selbstbelastungszwangs
im Strafverfahren, Zürich 2003, S. 112 ff., 169 ff.).

    3.2  Eine fehlbare Person ist in der Regel nicht verpflichtet, sich
den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu halten, und zwar auch
nicht, wenn aufgrund verdächtiger Umstände eine polizeiliche Kontrolle
zu erwarten ist. Bei den in Art. 51 SVG und auch Art. 56 Abs. 2 VRV
umschriebenen Konstellationen geht das Interesse an einer Aufklärung
des Sachverhalts dem Selbstbegünstigungsinteresse des möglicherweise
schuldigen Fahrzeuglenkers vor (siehe zum Ganzen BGE 124 IV 175 E. 4a
mit Hinweisen). Dies ist mit Rücksicht auf die vielfältigen Interessen,
die bei Strassenverkehrsunfällen mit Personen- oder Sachschaden auf dem
Spiel stehen, sachlich gerechtfertigt. Art. 91 Abs. 3 SVG knüpft - wie
übrigens auch Art. 92 SVG - an Sachverhalte an, bei welchen das Gesetz
eine Verpflichtung, sich zur Verfügung zu halten, auferlegt (BGE 124 IV
175 E. 4a mit Hinweisen). Dies verstösst aus nachstehenden Gründen nicht
gegen das Verbot des Selbstbelastungszwangs.

    3.3

    3.3.1  Soweit Verhaltenspflichten eines Fahrzeuglenkers bei Unfall
lediglich gegenüber den übrigen Unfallbeteiligten und den Geschädigten
bestehen, verstossen sie und die Bestrafung wegen ihrer Missachtung
nicht gegen das Verbot des Selbstbelastungszwangs. Der verfassungs- und
völkerrechtlich verankerte Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare vel
prodere" gilt nur im Verhältnis des Einzelnen zu den staatlichen Behörden.
Ein Konflikt mit diesem Grundsatz kann bestehen, wenn die Erfüllung der
Verhaltenspflichten bei Unfall direkt oder indirekt zu einem Kontakt mit
der Polizei führt und sich der Fahrzeuglenker dadurch dem Risiko aussetzt,
dass gegen ihn aufgrund seiner Fahrweise oder aufgrund seines Zustands
ein Strafverfahren etwa wegen Verletzung von Verkehrsregeln, Fahrens in
angetrunkenem Zustand, fahrlässiger Körperverletzung etc. eingeleitet wird.
Solche Verhaltenspflichten, welche direkt oder indirekt zu einem Kontakt
mit der Polizei führen, sind insbesondere in Art. 51 Abs. 2 SVG, Art. 51
Abs. 3 Satz 2 SVG und in Art. 56 Abs. 2 VRV festgelegt.

    3.3.2  Der Fahrzeuglenker, der diese Pflichten verletzt, wird, auch
wenn er erwiesenermassen nüchtern ist bzw. eine allfällige Alkoholisierung
überhaupt nicht in Frage steht, wegen pflichtwidrigen Verhaltens bei
Unfall gemäss Art. 92 SVG bestraft. Der Beschwerdeführer ficht seine
diesbezügliche Verurteilung in der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
nicht an. Er macht im Verfahren vor dem Bundesgericht nicht mehr geltend,
dass auch seine Verurteilung wegen pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall
gemäss Art. 92 SVG gegen den nemo-tenetur-Grundsatz verstosse.

    3.3.3  Der Fahrzeuglenker, der die genannten Verhaltenspflichten
verletzt, wird zudem wegen Vereitelung einer Blutprobe gemäss Art. 91
Abs. 3 SVG bestraft, wenn sehr wahrscheinlich eine Blutprobe angeordnet
worden wäre und er durch sein Verhalten diese Blutprobe eventualvorsätzlich
vereitelt hat. Durch den Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe werden
keinerlei Verhaltenspflichten bei Unfall begründet, die nicht ohnehin
schon auf Grund des Gesetzes bestehen (siehe BGE 115 IV 51 E. 4c; 124 IV
175 E. 4a). Da bei einem Ereignis ohne Drittschaden nach dem Gesetz keine
Verhaltenspflichten bestehen, welche der Feststellung der Identität des
Fahrzeuglenkers und der Abklärung des Sachverhalts dienen, fällt - unter
dem Vorbehalt des untauglichen Versuchs (vgl. BGE 126 IV 53) - auch eine
Verurteilung wegen Vereitelung einer Blutprobe ausser Betracht, selbst
wenn das Ereignis den dringenden Verdacht auf Alkoholisierung begründet
(siehe dazu BGE 114 IV 154; 124 IV 175 E. 4a). Der Fahrzeuglenker ist
nicht wegen eines solchen Verdachts zu irgendeinem aktiven Verhalten
verpflichtet, sondern, unabhängig davon, wegen seiner Beteiligung an
einem Unfall mit Drittschaden.

    Gerade auch mit Rücksicht auf das nemo-tenetur-Prinzip kann der
Fahrzeuglenker nicht verpflichtet werden, etwa einen Selbstunfall ohne
Drittschaden wegen des durch den Selbstunfall begründeten dringenden
Verdachts auf Alkoholisierung der Polizei zu melden. Voraussetzung
ist in jedem Fall der Eintritt eines Drittschadens, der die im Gesetz
genannten Verhaltenspflichten begründet. Soweit diese Pflichten nicht
gegen den nemo-tenetur-Grundsatz verstossen, ist eine Bestrafung
wegen ihrer Missachtung zulässig. Die Frage, ob die Verletzung dieser
Verhaltenspflichten allein gemäss Art. 92 SVG oder auch, bei hoher
Wahrscheinlichkeit der Blutprobe, nach Art. 91 Abs. 3 SVG strafbar ist,
berührt den nemo-tenetur-Grundsatz nicht.

    3.4

    3.4.1  Der vorliegende Fall einer Streifkollision zwischen zwei am
Verkehr teilnehmenden Fahrzeuglenkern fällt entgegen der Auffassung der
Vorinstanz nicht unter den Anwendungsbereich von Art. 51 Abs. 3 SVG,
wonach der Schädiger sofort den Geschädigten benachrichtigen und Namen
und Adresse angeben und, wenn dies nicht möglich ist, unverzüglich
die Polizei verständigen muss. Diese Bestimmung betrifft die Fälle,
in denen der Geschädigte nicht als Verkehrsteilnehmer am Unfall
mitbeteiligt ist (siehe RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des Schweizerischen
Strassenverkehrsrechts, Bd. I, 2. Aufl. 2002, N. 1005). Der vorliegende
Sachverhalt fällt unter den Anwendungsbereich von Art. 51 Abs. 1
SVG und Art. 56 Abs. 2 VRV. Der Beschwerdeführer war verpflichtet,
sofort anzuhalten. Er konnte in der Folge eine gütliche Einigung
mit dem Unfallbeteiligten anstreben. Da niemand verletzt worden war,
war der Beizug der Polizei nicht obligatorisch. Der Unfallbeteiligte
konnte aber, obwohl keine Pflicht zur Meldung an die Polizei bestand,
aus irgendwelchen Gründen den Beizug der Polizei verlangen, und zwar
unabhängig von einer allfälligen Alkoholisierung des Beschwerdeführers
sowie auch dann, wenn dieser seine alleinige Schuld an der Streifkollision
anerkannt hätte. Wenn der Unfallbeteiligte den Beizug der Polizei
verlangt hätte, wäre der Beschwerdeführer gemäss Art. 56 Abs. 2 VRV
verpflichtet gewesen, bei der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken,
bis er von der Polizei entlassen worden wäre. Für den Beschwerdeführer
bestand mithin das unberechenbare Risiko, dass er bei Erfüllung seiner
Verhaltenspflichten in den Kontakt mit der Polizei gelangte. Diese hätte
bei der Abklärung des Sachverhalts möglicherweise Tatsachen festgestellt,
welche den Verdacht begründeten, dass der Beschwerdeführer diese oder
jene Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz - beispielsweise
Verletzung des Gebots des Rechtsfahrens, Nichtbeherrschen des Fahrzeugs,
Fahren in angetrunkenem Zustand - begangen hatte.

    3.4.2  Der Fahrzeuglenker, der nach einem Unfall mit Drittschaden seine
Verhaltenspflichten verletzt, kann gegen den Vorwurf der Vereitelung einer
Blutprobe nicht den - ohnehin spekulativen - Einwand erheben, dass bei
pflichtgemässem Verhalten eine gütliche Einigung zustande gekommen und auf
den Beizug der Polizei verzichtet worden wäre. Daher kann eine Verletzung
des nemo-tenetur-Prinzips entgegen der Auffassung der Vorinstanz jedenfalls
nicht mit dem Argument verneint werden, dass der Beizug der Polizei
nicht obligatorisch gewesen sei, dass der geschädigte Unfallbeteiligte
möglicherweise zu einer gütlichen Einigung Hand geboten hätte und es
diesfalls nicht zu einem Kontakt mit der Polizei gekommen wäre.

    3.5

    3.5.1  Bei Unfällen im Strassenverkehr lässt sich einerseits ein
zuverlässiges Bild über die Ursachen und den Hergang des Unfalls oft
nur durch möglichst rasche Abklärungen am Unfallort selbst gewinnen
und kann sich andererseits der Fahrzeuglenker seiner zivilrechtlichen
Verantwortung auf einfache Weise durch Flucht entziehen. In Anbetracht
dieser Besonderheiten ist es sachlich gerechtfertigt, den Fahrzeuglenker
bei einem Unfall mit Drittschaden unter Strafandrohung zu verpflichten,
anzuhalten, dem Geschädigten beziehungsweise dem Unfallbeteiligten Namen
und Adresse anzugeben und die Abklärung des Sachverhalts durch die -
fakultativ oder obligatorisch beigezogene - Polizei zu dulden. Diese
Pflichten sind mit dem nemo-tenetur-Prinzip vereinbar, auch wenn sie zur
Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Fahrzeuglenker wegen dieser oder
jener strafbaren Handlung im Zusammenhang mit dem Unfall führen können. Der
Fahrzeuglenker hat im Rahmen seiner Feststellungsduldungspflicht auch
die Abklärung einer allfälligen Alkoholisierung mittels Abnahme einer
Blutprobe zu dulden.

    3.5.2  Dem Strassenverkehrsgesetz lassen sich keine Anhaltspunkte
für die Auffassung entnehmen, dass der Fahrzeuglenker bei einem Unfall
mit Drittschaden nur die Feststellung von Tatsachen zu dulden habe,
welche für die Beurteilung der zivilrechtlichen Ansprüche der übrigen
Unfallbeteiligten beziehungsweise der Geschädigten relevant sind. Solches
ergibt sich auch nicht aus dem nemo-tenetur-Prinzip. Der Fahrzeuglenker ist
schon zum Zwecke der Beweissicherung und Feststellung der zivilrechtlich
relevanten Tatsachen verpflichtet, sofort anzuhalten, Namen und Adresse
anzugeben und bis zur Entlassung durch die - obligatorisch oder fakultativ
beigezogene - Polizei an der Unfallstelle zu bleiben. Es verstösst
nicht gegen das Verbot des Selbstbelastungszwangs, den somit ohnehin
zur Anwesenheit verpflichteten Fahrzeuglenker unter Strafandrohung zu
verpflichten, bei Verdacht der Angetrunkenheit auch die Abklärung einer
allfälligen Alkoholisierung mittels Abnahme einer Blutprobe zu dulden,
selbst wenn diese im konkreten Fall zivilrechtlich nicht relevant ist und
somit einzig dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse dient. Entscheidend
ist insoweit, dass der Fahrzeuglenker nicht zwecks Abklärung einer
allfälligen Alkoholisierung, sondern, unabhängig davon, schon zum
Zwecke der Beweissicherung und Feststellung der für die Beurteilung der
zivilrechtlichen Ansprüche relevanten Tatsachen zum Anhalten und zur
Anwesenheit verpflichtet ist.

    3.5.3  Entsprechendes gilt im Übrigen auch für die in Art. 51
Abs. 3 SVG festgelegte Meldepflicht. Wenn der Geschädigte nicht
als Unfallbeteiligter an der Unfallstelle anwesend ist, muss der
Fahrzeuglenker ihn sofort benachrichtigen und, wenn dies nicht möglich
ist, unverzüglich die Polizei verständigen. Auch diese Pflichten und die
Strafbarkeit ihrer Missachtung sind mit Rücksicht auf die berechtigten
Interessen der Geschädigten an der möglichst raschen und zuverlässigen
Beweissicherung und Feststellung der für ihre zivilrechtlichen Ansprüche
relevanten Tatsachen gerechtfertigt. Hat eine Meldung an die Polizei
zu erfolgen, weil der Geschädigte nicht benachrichtigt werden kann oder
aus irgendwelchen Gründen den Beizug der Polizei verlangt, so muss der
Fahrzeuglenker die polizeilichen Abklärungen, unter anderem betreffend
seine allfällige Alkoholisierung bei Verdacht auf Angetrunkenheit,
dulden, auch wenn sie im konkreten Einzelfall für die zivilrechtlichen
Ansprüche des Geschädigten nicht relevant sind. Diese Duldungspflicht
verstösst nicht gegen das nemo-tenetur-Prinzip. Entscheidend ist auch
hier, dass der Fahrzeuglenker die Meldung an die Polizei nicht zwecks
Feststellung seiner allfälligen Alkoholisierung, sondern, unabhängig
davon, im Interesse des Geschädigten zum Zwecke der Beweissicherung und
Feststellung der zivilrechtlich relevanten Tatsachen zu erstatten hat.

    3.5.4  Der Fahrzeuglenker darf mit Rücksicht auf den
nemo-tenetur-Grundsatz hingegen nicht unter Strafandrohung verpflichtet
werden, etwa durch Aussagen über den Unfallhergang und den allfälligen
Alkoholkonsum vor und während der Fahrt aktiv zu seiner eigenen Belastung
beizutragen. Die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des
Tatbestands beziehungsweise des Sachverhalts (Art. 51 Abs. 2 SVG, Art. 56
Abs. 2 VRV) ist in diesem Sinne einschränkend auszulegen.

    3.6  Der Beschwerdeführer ist auch wegen des von ihm geltend gemachten
Nachtrunks der Vereitelung einer Blutprobe gemäss Art. 91 Abs. 3 SVG
schuldig gesprochen worden. Weshalb und inwiefern seine Verurteilung
insoweit gegen das nemo-tenetur-Prinzip verstosse, legt er nicht dar
und ist nicht ersichtlich. Durch ein Verbot des Nachtrunks bei hoher
Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe wird der Fahrzeuglenker
nicht gezwungen, zu seiner eigenen Verurteilung etwa wegen Fahrens in
angetrunkenem Zustand beizutragen. Es wird ihm lediglich untersagt, durch
aktives Tun den Zweck der Blutprobe zu vereiteln. Dass der Fahrzeuglenker
in der Absicht der Selbstbegünstigung handelt, hindert eine Bestrafung
nicht. Auch wer etwa eine Urkunde fälscht oder unterdrückt oder eine
Person zu falschem Zeugnis anstiftet, macht sich strafbar, auch wenn er
in der Absicht handelt, sich in einem Strafverfahren selbst zu begünstigen.

Erwägung 4

    4.  Die Verurteilung wegen Vereitelung einer Blutprobe gemäss
Art. 91 Abs. 3 SVG läuft entgegen der Meinung des Beschwerdeführers
nicht auf eine gegen die Unschuldsvermutung verstossende Verdachtsstrafe
hinaus. Der Fahrzeuglenker wird nicht bestraft, weil der Verdacht besteht,
dass er angetrunken war. Er wird vielmehr bestraft, weil er eine Blutprobe,
die amtlich angeordnet wurde oder nach den massgebenden Umständen sehr
wahrscheinlich angeordnet worden wäre, vorsätzlich vereitelte. Art. 91 Abs.
3 SVG schützt die Blutprobe, mithin das wichtigste und zuverlässigste
Beweismittel zur Abklärung einer allfälligen Alkoholisierung von
Fahrzeuglenkern.