Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 IV 138



131 IV 138

18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Oberstaatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen Y. (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.30/2005 vom 2. Mai 2005

Regeste

    Missachtung eines Fahrverbots (Art. 19 Abs. 1 lit. a und b SSV);
Tragweite einer signalisierten Ausnahmeerlaubnis (Art. 1 Abs. 5, Art. 17
Abs. 1 und Art. 63-65 SSV).

    Die Zusatztafel zu einem Fahrverbot mit dem Hinweis "Zufahrt für
Anwohner, Taxi, PTT, öffentl. Dienste und zum Güterumschlag jederzeit
gestattet" ist im Sinne eines zweckgerichteten und auf die genannten
Kreise beschränkten Zubringerdienstes zu verstehen. Die Ausnahmeerlaubnis
erstreckt sich nicht auf reine Durchfahrten (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Y. fuhr mit seinem Taxi-Personenwagen am 24. April 2003 um 23.15
Uhr von der Limmatstrasse in die Ackerstrasse. Er beabsichtigte, durch
die Ackerstrasse hindurch zu fahren, um am Limmatplatz einen Kaffee zu
trinken. An der Einfahrt zur Ackerstrasse (Ecke Limmat-/Ackerstrasse)
steht das Signal "Verbot für Motorwagen und Motorräder 22.00-05.00 h"
mit der Zusatztafel "Zufahrt für Anwohner, Taxi, PTT, öffentl. Dienste
und zum Güterumschlag jederzeit gestattet".

    B.- Mit Verfügung vom 13. August 2003 sprach der Stadtrichter von
Zürich Y. gestützt auf Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 18 Abs. 1 SSV sowie in
Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG der Missachtung des Vorschriftssignals
"Allgemeines Fahrverbot in beiden Richtungen" schuldig und bestrafte ihn
mit einer Busse von Fr. 100.- Y. erhob dagegen Einsprache.

    Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirks Zürich sprach
Y. am 9. November 2004 von Schuld und Strafe frei. Eine kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde des Stadtrichteramtes Zürich wies das Obergericht
des Kantons Zürich mit Beschluss vom 28. Dezember 2004 ab.

    C.- Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet
auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Y. hat sich innerhalb der ihm
gesetzten Frist nicht vernehmen lassen.

    Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Das Obergericht nimmt an, der Wortlaut der Zusatztafel sei "klar
und weder interpretationswürdig noch -fähig". Aus dem Umstand, dass der
Beschwerdegegner keinen konkreten Fahrauftrag gehabt und die Ackerstrasse
befahren habe, um am Limmatplatz eine Pause einzulegen, könne keine
Verletzung des Fahrverbots abgeleitet werden. Pausen seien Bestandteil der
Arbeit und gesetzlich vorgeschrieben. Zudem hätte sich Y. unterwegs ohne
weiteres die Gelegenheit bieten können, einen Fussgänger als Fahrgast
aufzunehmen. Wenn Rechte, die Taxifahrern zugestanden würden, "nach
momentaner konkreter Tätigkeit im Einzelfall jeweils interpretiert und
ausgelegt werden" müssten, würde dies zu "kaum lösbaren, problematischen
Schwierigkeiten auf Kosten der Rechtssicherheit führen".

Erwägung 2

    2.

    2.1  Beim Hauptsignal handelt es sich um ein auf Motorwagen und
Motorräder beschränktes und nur für einen bestimmten Tagesabschnitt
geltendes (Teil-)Fahrverbot im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. a und b der
Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV; SR 741.21) und der
Abbildung in Ziff. 2.13 Anhang 2 SSV. Die Zusatztafel (Art. 1 Abs. 5 SSV)
enthält ergänzende Angaben zur Signalisation nach den Grundsätzen der Art.
63 ff. SSV. Laut Art. 17 Abs. 1 SSV werden Ausnahmen von signalisierten
Vorschriften (z.B. "Zubringerdienst gestattet", "Mit schriftlicher
Ausnahmebewilligung gestattet") auf einer Zusatztafel nach den Bestimmungen
der Art. 63-65 SSV vermerkt.

    2.2  Es wird von keiner Seite in Frage gestellt, dass die Signale
ordnungsgemäss angeordnet und aufgestellt worden waren sowie auch sonst
den gesetzlichen Vorschriften entsprachen.

    2.3  Das signalisierte Fahrverbot für Motorwagen und Motorräder in
der Ackerstrasse galt wie erwähnt nur nachts zwischen 22.00 h und 05.00
h. Der Erlaubnisvorbehalt gemäss der Zusatztafel gestattete Anwohnern,
Taxis, der PTT, den öffentlichen Diensten und zum Güterumschlag jederzeit
die Zufahrt in die Ackerstrasse, also auch zwischen 22.00 h und 05.00 h.

    Fraglich ist, was unter Zufahrt zu verstehen ist. Zufahrt bedeutet nach
dem allgemeinen Sprachgebrauch die Möglichkeit des Fahrens bis zu etwas hin
(WAHRIG, Deutsches Wörterbuch, Neuausgabe 1994, Gütersloh 1996, S. 1800),
also zu einem bestimmten Ziel. Dementsprechend ist Zufahrt synonym
mit Einfahrt und Zugang (DUDEN, Das Synonymwörterbuch, Bd. 8, 3. Aufl.,
Mannheim 2004, S. 1081, 1083). Wie die Aufzählung der ausnahmsweise in der
Zeit von 22.00 h bis 05.00 h vom Fahrverbot befreiten Personen, Betriebe
und Dienstleister deutlich macht, ist die Ausnahmeregelung im Sinne eines
erlaubten Zubringerdienstes im konkret abgesteckten Umfang zu verstehen.
Art. 17 Abs. 3 SSV definiert den Begriff des Zubringerdienstes bzw. der
Zubringer. Laut dieser Bestimmung erlaubt der Vermerk "Zubringerdienst
gestattet" bei Fahrverboten sowie Mass- und Gewichtsbeschränkungen Fahrten
zum Abliefern oder Abholen von Waren bei Anwohnern oder auf anliegenden
Grundstücken, Fahrten von Anwohnern und von Personen, die Anwohner
zu treffen oder auf anliegenden Grundstücken Arbeiten zu verrichten
haben sowie die Beförderung solcher Personen durch Dritte. Der Begriff
des Zubringerdienstes ist somit etwas weiter gefasst als die hier zu
beurteilende Ausnahmeregelung für ausgewählte Zufahrten. Allerdings ist
auch bei einem gestatteten Zubringerdienst im Sinne von Art. 17 Abs. 3
SSV die direkte Durchfahrt der signalisierten Strasse nicht erlaubt.

    Von der fraglichen Ausnahmebewilligung erfasst sind nach dem Gesagten
allein zweckgebundene Zufahrten der ausdrücklich genannten Zubringer
und Dienstleister in die Ackerstrasse, nicht jedoch reine Durchfahrten.
Taxifahrer, die nicht selbst Anwohner sind, dürfen somit zwischen 22.00 h
und 05.00 h die Ackerstrasse nur befahren, wenn sie einen Kundenauftrag an
die Ackerstrasse oder eine Bestellung von der Ackerstrasse aus haben. Ob
die Ausnahmebewilligung sich auch darauf erstreckt, in der Ackerstrasse
auf potenzielle Kundschaft zu warten, bestimmt sich nach dem kantonalen
oder kommunalen Recht über das Taxigewerbe (insbesondere Taxistandplätze)
und braucht hier nicht beantwortet zu werden. Am dargelegten Umfang der
Ausnahmebewilligung vermag der Umstand, dass das Wort Zufahrt auch mit
jenem der Durchfahrt sinnverwandt ist bzw. sein kann (DUDEN, aaO, S. 1081),
nichts zu ändern. Im konkreten Zusammenhang wären die beiden Wörter nur
synonym, wenn die fragliche Zusatztafel mit einem Zusatz im Sinne der
gestatteten Zufahrt bis zu einem bestimmten Ort jenseits der Ackerstrasse
versehen gewesen wäre (z.B. "Zufahrt bis Limmatplatz gestattet").

    2.4  Der Beschwerdegegner befuhr die Ackerstrasse um 23.15 h. Er
hatte keinen Kundenauftrag zur Ackerstrasse und wollte dort auch nicht
auf potenzielle Kundschaft warten. Vielmehr beabsichtigte er, die
Strasse zu durchfahren, um am Limmatplatz eine Pause einzulegen. Die
Ausnahmebewilligung für ausgewählte, einen Bezug zur Ackerstrasse
aufweisende Zufahrten galt nicht für die Fahrt des Beschwerdegegners. Die
Signalisation war klar und verständlich. Die Bedeutung der ausnahmsweise
erlaubten Zufahrt für Taxis im Unterschied zur (verbotenen) direkten
Durchfahrt war vor Ort ohne besonderen Interpretationsbedarf erkennbar. Der
Beschwerdegegner missachtete somit das zeitlich beschränkte und allgemein
verständliche Fahrverbot. Das ihn frei sprechende Urteil der Vorinstanz
verletzt Bundesrecht.