Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 IV 11



131 IV 11

2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.117/2004 vom 4. November 2004

Regeste

    Art. 141bis StGB; unrechtmässige Verwendung von Vermögenswerten;
"ohne seinen Willen zugekommen".

    Der Tatbestand der unrechtmässigen Verwendung von Vermögenswerten
erfasst nur diejenigen Fälle einer Fehlüberweisung oder einer
versehentlichen Doppelzahlung, in denen die irrtümliche Gutschrift für
den Täter überraschend erfolgt und er zu ihr nichts beigetragen hat (E. 3).

Sachverhalt

    Das Bezirksgericht Zürich erklärte X. mit Urteil vom 3. September 2003
der unrechtmässigen Verwendung von Vermögenswerten gemäss Art. 141bis
StGB schuldig und verurteilte ihn zu 8 Monaten Gefängnis, mit bedingtem
Strafvollzug unter Auferlegung einer Probezeit von 2 Jahren. Ferner
verpflichtete es ihn, der geschädigten Bank Fr. 189'718.30 Schadenersatz,
zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 3. April 2002, sowie Fr. 1'000.-
Umtriebsentschädigung zu bezahlen. Auf Berufung des Beurteilten hin
erklärte das Obergericht des Kantons Zürich X. am 10. Dezember 2003
der mehrfachen Verwendung von Vermögenswerten gemäss Art. 141bis StGB
schuldig; hinsichtlich des Strafpunktes bestätigte es das erstinstanzliche
Urteil. Im Weiteren nahm es davon Vormerk, dass der Beurteilte die
Schadenersatzforderung der geschädigten Bank anerkannt hat.

    X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Nach den für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) überwies die
A. Bank Ltd. in Trinidad und Tobago im Herbst/Winter 2001/ 2002 an die
B. AG in Zürich (nachfolgend: die geschädigte Bank) zwei Geldbeträge
in der Höhe von USD 49'985.- bzw. 100'095.- mit dem Auftrag, diese
"X., 188" gutzuschreiben. Da die mit der Angelegenheit befassten
Angestellten der geschädigten Bank die Zahlungen keinem Konto zuordnen
konnten, forschten sie bankintern nach einem Kunden dieses Namens. Dabei
stiessen sie auf den Beschwerdeführer, der über ein Konto verfügte,
in dessen Nummer die Ziffern 1 8 8 enthalten waren. Daraufhin fragte
eine Sachbearbeiterin der zuständigen Abteilung diesen in beiden Fällen
telefonisch an, ob er einen grösseren Geldbetrag erwarte, was er jeweils
wahrheitswidrig bejahte. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer am 19.
September 2001 und am 15. Januar 2002 ein Gesamtbetrag von umgerechnet Fr.
243'741.20 gutgeschrieben. In Wirklichkeit waren die Geldüberweisungen
für einen Angestellten der Bank gleichen Namens zuhanden eines von jenem
betreuten Kunden bestimmt gewesen. Die geschädigte Bank bemerkte den Irrtum
erst, als jener Angestellte die Zahlungseingänge vermisste und der Sache
nachging. Auf dem Konto des Beschwerdeführers konnte die geschädigte Bank
nur noch einen Betrag von Fr. 54'022.60 sicherstellen. Den grössten Teil
des Geldes hatte der Beschwerdeführer in mehreren Malen abgehoben und für
eigene Bedürfnisse verbraucht. Zu einer Rückzahlung des Betrages war er
nicht in der Lage.

Erwägung 2

    2.

    2.1  Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch
wegen mehrfacher unrechtmässiger Verwendung von Vermögenswerten gemäss
Art. 141bis StGB. Er macht geltend, eine Mitarbeiterin der geschädigten
Bank habe ihn vor beiden Überweisungen telefonisch angefragt, ob er
einen höheren Betrag aus Übersee erwarte. Diese Frage habe er beide Male
bejaht. Er habe die Bankangestellte nicht in einem bereits bestehenden
Irrtum bestätigt, sondern habe durch seine falsche Auskunft die irrtümliche
Überweisung durch die Bank erst verursacht oder initiiert. Die Gutschrift
sei daher mit seinem Willen erfolgt. Die Geldbeträge seien ihm mithin nicht
"ohne seinen Willen zugekommen".

    2.2  Die Vorinstanz nimmt an, für die Bestimmung von Art. 141bis
StGB sei charakteristisch, dass der Täter den Irrtum eines anderen
ausnütze. Dies habe der Beschwerdeführer getan, indem er die Frage, ob
er eine grössere Zahlung erwarte, bejaht habe. Die Wendung "ohne seinen
Willen" im Tatbestand der unrechtmässigen Verwendung von Vermögenswerten
sei so zu verstehen, dass der Täter nicht der Auslöser der Fehlüberweisung
gewesen sein dürfe. Die Bestimmung erfasse über den deutschen Wortlaut
hinaus auch diejenigen Fälle, in denen die Vermögenswerte dem Täter zwar
mit seinem Willen, aber ohne seine Veranlassung zugekommen seien. Dies
sei hier der Fall. Das Verhalten des Beschwerdeführers sei für die
Überweisung der geschädigten Bank nur insofern ursächlich gewesen, als
er die Angestellte nicht von ihrem Irrtum abgebracht habe.

Erwägung 3

    3.  Gemäss Art. 141bis StGB wird, auf Antrag, mit Gefängnis oder mit
Busse bestraft, wer Vermögenswerte, die ihm ohne seinen Willen zugekommen
sind, unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet.

    3.1

    3.1.1  Die Bestimmung von Art. 141bis StGB ist mit Revision des
Vermögensstrafrechtes vom 17. Juni 1994, in Kraft seit dem 1. Januar 1995,
geschaffen worden. Sie wurde ohne Vorarbeiten der Expertenkommission
aufgrund einer Anregung des Bundesgerichts in den Entwurf des Bundesrates
aufgenommen (BGE 116 IV 134 E. 2c S. 142; vgl. Botschaft über die
Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 24. April 1991, BBl
1991 II 1007). Art. 141bis StGB geht zurück auf die dem Fall Nehmad (BGE
87 IV 115) zugrunde liegende und sich in BGE 116 IV 134 erneut stellende
Schwierigkeit, dass sich die Unterschlagung von Forderungen nach Wortlaut
und Systematik des alten Rechts vom Tatbestand der Unterschlagung (Art. 141
aStGB) nur unter Ausdehnung des Sachbegriffs auf Forderungen erfassen liess
(BGE 126 IV 161 E. 3a; 123 IV 125 E. 2a).

    Die vom Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung nach
Art. 141 aStGB (BGE 121 IV 258; 116 IV 134; 87 IV 115) als auch unter
der Herrschaft von Art. 141bis StGB (BGE 126 IV 209) beurteilten Fälle
betreffen im Wesentlichen die Überweisung von Geldbeträgen, die aufgrund
eines Versehens des Auftraggebers bzw. der Bank auf ein falsches Konto
erfolgte und über welche der Empfänger unrechtmässig verfügte ("Forderungs-
oder Buchgeldunterschlagung").

    3.1.2  Der Tatbestand der unrechtmässigen Verwendung von
Vermögenswerten schränkt die Strafbarkeit auf diejenigen Fälle ein, in
denen die Vermögenswerte dem Empfänger "ohne seinen Willen zugekommen"
sind (tombées en son pouvoir indépendamment de sa volonté; venuti in suo
possesso in modo indipendente dalla sua volontà). Die Bestimmung ist -
anders als Art. 137 StGB in Bezug auf Sachen - kein Grundtatbestand. Sie
kommt daher nicht als Auffangtatbestand zur Anwendung, wenn etwa Betrug
mangels arglistiger Täuschung ausscheidet oder der Täter ihm übertragene
Vermögenswerte unrechtmässig verwendet, die nicht als anvertraut gelten
können (vgl. MARCEL ALEXANDER NIGGLI, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch
II, Art. 138 StGB N. 131; ders., AJP 1998 S. 120; FELIX BOMMER, Grenzen
des strafrechtlichen Vermögensschutzes bei rechts- und sittenwidrigen
Geschäften, Diss. Bern 1996, S. 252 ff.; a.M. GUNTHER ARZT, Vom Bargeld
zum Buchgeld als Schutzobjekt im neuen Vermögensstrafrecht, recht 13/1995
S. 140).

    Die Formulierung des Tatbestandes, welche die Strafbarkeit an das
Erfordernis knüpft, dass die Vermögenswerte dem Täter ohne seinen Willen
zugekommen sind, erscheint, wie in der Lehre mit Recht eingewendet wird,
als unzureichend. Denn im Vordergrund steht hier in der Regel weniger
der Wille des Täters als der Wille desjenigen, der die Überweisung
veranlasst hat (vgl. NIGGLI, Basler Kommentar, Art. 141bis StGB N. 12;
STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl.,
Zürich 1997, Art. 141bis StGB N. 3; ARZT, aaO, S. 136; KARL-LUDWIG KUNZ,
Grundstrukturen des neuen Vermögens- und Urkundenstrafrechts, ZBJV 132/1996
S. 194). Nach der Rechtsprechung ist dieses Erfordernis, wie ausgeführt,
in den typischen Fällen einer versehentlichen Fehlüberweisung erfüllt,
d.h. bei der Gutschrift eines Geldbetrages, der für das Konto eines
anderen Berechtigten bestimmt war (BGE 126 IV 209). Dasselbe gilt aber
auch bei einer irrtümlich geleisteten Doppelzahlung auf das richtige
Konto, wenn der Überweisende also unter dem Einfluss eines Irrtums über
seine Leistungspflicht eine bereits beglichene Geldschuld ein zweites
Mal bezahlt (BGE 126 IV 161 E. 3c mit Hinweisen). Demgegenüber sind nach
der Rechtsprechung dem Täter die Vermögenswerte nicht ohne seinen Willen
zugekommen, wenn dieser die irrtümliche Gutschrift durch Täuschung der
Verantwortlichen selber veranlasst oder zu ihr beigetragen hat (BGE
123 IV 125 E. 2b; vgl. auch NIGGLI, Basler Kommentar, Art. 141bis StGB
N. 15). Entscheidender Gesichtspunkt soll sein, dass der Täter von der
irrtümlichen Gutschrift überrascht wurde, dass sie ohne sein Zutun erfolgt
ist und er darauf keinen Rechtsanspruch hat (BGE 126 IV 161 E. 3c; 123
IV 125 E. 2b; ferner NIGGLI, Basler Kommentar, Art. 141bis StGB N. 16,
vgl. auch Art. 137 StGB N. 52).

    3.2  Im zu beurteilenden Fall wurden nach den Feststellungen der
Vorinstanz der geschädigten Bank von einer anderen Bank zwei grössere
Beträge zugunsten einer Drittperson überwiesen. Die Angestellten
der geschädigten Bank vermuteten aufgrund ihrer Nachforschungen,
beim Anweisungsempfänger handle es sich um den Beschwerdeführer, der
den gleichen Namen trug und in dessen Kontonummer die auf der Anweisung
aufgeführte dreistellige Zahl enthalten war. Deshalb fragte die zuständige
Mitarbeiterin beim Beschwerdeführer nach, ob er die Überweisung eines
grösseren Geldbetrages erwarte. Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt,
wurde die Bankangestellte erst durch seine falsche Antwort auf diese Frage
dazu veranlasst, die Falschbuchung vorzunehmen. Der Beschwerdeführer hat
aufgrund der beiden Telefonanrufe gewusst, dass ihm die betreffenden
Geldbeträge gutgeschrieben werden. Die Überweisungen erfolgten also
mit seinem Willen. Auf diese Konstellation ist Art. 141bis StGB nicht
zugeschnitten. Die Bestimmung deckt lediglich die Fälle ab, in denen
der Täter bei der Überweisung nicht in irgendeiner Form involviert ist
und von ihr erst nachträglich erfährt, die irrtümliche Gutschrift für
ihn mithin überraschend erfolgt (BGE 126 IV 161 E. 3c S. 164). Dass das
Gesetz denjenigen, der die Fehlüberweisung durch eine Täuschung veranlasst,
sofern Arglist ausscheidet, straflos lässt, während es denjenigen, dem das
Geld ohne sein Zutun irrtümlich überwiesen wird, zur Verantwortung zieht,
wenn er es nachträglich unrechtmässig verbraucht, mag als unbefriedigend
erscheinen. Doch können Ungereimtheiten der gesetzlichen Regelung
nicht dazu führen, dass die Strafbestimmung gegen ihren klaren Wortlaut
ausgelegt wird.

    Der Schuldspruch der mehrfachen unrechtmässigen Verwendung von
Vermögenswerten verletzt daher Bundesrecht. Die Beschwerde erweist sich
als begründet.