Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 II 753



Urteilskopf

131 II 753

  61. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S.
Kanton Freiburg, Kanton Graubünden und Kanton Bern gegen Walliser
Milchverband, Rekurskommission des Eidgenössischen
Volkswirtschaftsdepartements sowie Bundesamt für Landwirtschaft
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  2A.309/2005 / 2A.333/2005 / 2A.334/2005 vom 14. November 2005

Regeste

  Art. 48 VwVG; Art. 10 Abs. 1 lit. b GUB/GGA-Verordnung;
Beschwerdelegitimation der Kantone.

  Die Kantone werden zwar durch Art. 10 Abs. 1 lit. b GUB/GGA-Verordnung
ausdrücklich ermächtigt, Einsprache gegen Eintragungen ins Register für
geschützte Ursprungsbezeichnungen und geographische Angaben zu erheben. Sie
sind jedoch weder gestützt auf diese Bestimmung noch gestützt auf Art. 48 
VwVG befugt, einen abschlägigen Einspracheentscheid mit Beschwerde anzufechten 
(E. 4).

Sachverhalt

  A.- Am 9. November 2001 verfügte das Bundesamt für Landwirtschaft auf
Gesuch des Walliser Milchverbandes hin die Eintragung der Bezeichnungen
"Raclette du Valais" und "Raclette" sowie - im Zusammenhang mit diesen - der
Spezifikationen "à la coupe" und "à rebibes" als geschützte
Ursprungsbezeichnungen in das GUB/GGA-Register (eidgenössisches Register für
geschützte Ursprungsbezeichnungen [GUB] und geschützte geographische Angaben
[GGA]). Hiergegen reichten - nebst vielen andern - die Kantone Freiburg,
Graubünden und Bern Einsprachen ein, die vom Bundesamt für Landwirtschaft am
3. November 2003 (in einem alle Verfahren vereinigenden Entscheid)
abgewiesen wurden. In der Folge gelangten die drei genannten Kantone je mit
Beschwerde an die Rekurskommission des Eidgenössischen
Volkswirtschaftsdepartements, welche auf die Eingaben mangels Legitimation
der Kantone nicht eintrat (Entscheide vom 20. April 2005).

  B.- Diese Nichteintretensentscheide haben der Kanton Freiburg am 11. Mai
2005 (2A.309/2005), der Kanton Graubünden am 19. Mai 2005 (2A.333/2005) und
der Kanton Bern am 20. Mai 2005 (2A.334/2005) mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerden beim Bundesgericht angefochten; die drei
Kantone beantragen je, den sie betreffenden Entscheid aufzuheben und die
Vorinstanz anzuweisen, ihre Beschwerde materiell zu behandeln.

  Das Bundesgericht weist ihre Beschwerden ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

  4.  Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet im Übrigen einzig die
Frage, ob die Vorinstanz zulässigerweise auf die bei ihr erhobenen
Beschwerden der drei Kantone nicht eintreten durfte.

  4.1  Das Bundesgesetz vom 29. April 1998 über die Landwirtschaft (LwG; SR
910.1) enthält in Art. 14 ff. Vorschriften über die Kennzeichnung von
landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Es sieht die Schaffung eines Registers
für geschützte Ursprungsbezeichnungen und geographische Angaben vor (Art. 16
Abs. 1 LwG), wobei es die Ausgestaltung dieser Einrichtung weitgehend dem
Bundesrat überlässt. Zu den Bereichen, welche Letzterer ausdrücklich näher
zu regeln hat, gehört insbesondere "das Einsprache- und das
Registrierungsverfahren" (Art. 16 Abs. 2 lit. c LwG). Am 28. Mai 1997 hat
der Bundesrat die Verordnung über den Schutz von Ursprungsbezeichnungen und
geographischen Angaben für landwirtschaftliche Erzeugnisse und verarbeitete
landwirtschaftliche Erzeugnisse (GUB/GGA-Verordnung; SR 910.12) erlassen,
deren Artikel 5-14 das Eintragungsverfahren regeln: Bei Gesuchen um
Eintragung in das Register holt das Bundesamt für Landwirtschaft nebst der
Meinungsäusserung der hierfür speziell bestellten Kommission auch die
Stellungnahmen der "betreffenden kantonalen Behörden und Bundesbehörden" ein
(Art. 8). Bei Gutheissung eines Eintragungsgesuchs veröffentlicht das
Bundesamt seinen Entscheid im Schweizerischen Handelsamtsblatt (Art. 9). Die
Einsprache gegen eine Eintragung ist in Art. 10 f. der Verordnung geregelt.
Einsprache erheben können gemäss Art. 10 Abs. 1: "Personen, die ein
schutzwürdiges Interesse geltend machen können" (lit. a) und "die Kantone"
(lit. b). Die Einsprachefrist beträgt drei Monate (Art. 10 Abs. 2). Das
Bundesamt entscheidet über die Einsprachen nach Anhören der Kommission (Art.
11 Abs. 1).

  4.2  Es steht ausser Frage, dass die opponierenden drei Kantone vorliegend
gestützt auf Art. 10 Abs. 1 lit. b GUB/GGA-Verordnung zur Einsprache
legitimiert waren; das Bundesamt ist denn auch ohne weiteres auf ihre
Eingaben eingetreten. Die Befugnis zur Beschwerdeführung bei der
Rekurskommission richtet sich jedoch nicht nach dieser Bestimmung, sondern
nach Art. 48 VwVG. Gemäss der betreffenden - analog zu Art. 103 OG
ausgestalteten - Vorschrift ist zur Beschwerde berechtigt, "wer durch die
angefochtene

Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
oder Änderung hat" (lit. a), sowie "jede andere Person, Organisation oder
Behörde, die das Bundesrecht zur Beschwerde ermächtigt" (lit. b). An einer
speziellen Norm, welche den Kantonen in Verfahren betreffend den Schutz von
Ursprungsbezeichnungen ein Beschwerderecht im Sinne einer Behördenbeschwerde
einräumen würde, wie dies beispielsweise in den Bereichen der Raumplanung
(Art. 34 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung
[SR 700]), des Natur- und Heimatschutzes (Art. 12b Abs. 2 des Bundesgesetzes
vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz [SR 451]) oder des
Umweltschutzes (Art. 56 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1983 über
den Umweltschutz [SR 814.01]) der Fall ist, fehlt es vorliegend. Art. 10
Abs. 1 lit. b GUB/GGA-Verordnung gewährt den Kantonen nur das Recht zur
Einsprache und regelt damit bloss die Legitimation für das betreffende
Verfahren. Bei dieser Einsprache handelt es sich um ein von der Beschwerde
nach Art. 44 ff. VwVG verschiedenes Rechtsmittel, das in der
GUB/GGA-Verordnung eine spezialgesetzliche Regelung erfahren hat. Das dort
vorgesehene Eintragungsverfahren weist die Besonderheit auf, dass das
Bundesamt vor seinem (ersten) Entscheid unter anderem auch die
Stellungnahmen der "betreffenden kantonalen Behörden" einholen muss. Es
liegt deshalb nahe, die berührten Kantonen im Eintragungsverfahren vor dem
Bundesamt generell auch zur Einsprache zuzulassen; dies, weil sie durch
geographische Ursprungsbezeichnungen allenfalls in ihren eigenen Interessen
betroffen sind und ihre Behörden ja ohnehin angehört werden müssen. Anders
verhält es sich insoweit mit der Beschwerdelegitimation: Zunächst fragt
sich, wie weit die Befugnis reicht, welche dem Verordnungsgeber durch den in
Art. 16 Abs. 2 lit. c LwG erteilten Auftrag zukommt, "das Einsprache- und
das Registrierungsverfahren" zu regeln, insbesondere ob den Kantonen in der
GUB/GGA-Verordnung über die Berechtigung zur Einsprache hinaus auch die
Legitimation zur Anfechtung des Einspracheentscheids auf dem Beschwerdeweg
eingeräumt werden könnte. Wie es sich damit verhält, braucht hier jedoch
nicht weiter geprüft zu werden: Hätte der Bundesrat den Kantonen eine
entsprechende Beschwerdebefugnis verschaffen wollen, so wäre hierzu die
Aufnahme einer expliziten Vorschrift in die Verordnung nötig gewesen. Wenn
einem Gemeinwesen oder einer Behörde im Sinne von Art. 103 lit. b und lit. c
OG

oder Art. 48 lit. b VwVG eine über die allgemeine Legitimationsregelung
hinausgehende spezielle Beschwerdebefugnis eingeräumt werden soll, so muss
diese Ermächtigung ausdrücklich erfolgen (vgl. dazu etwa Urteil 2A.379/2004
vom 9. November 2004, E. 2; Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2.
Aufl., Bern 1983, S. 163; Ulrich Zimmerli/Walter Kälin/Regina Kiener,
Grundlagen des öffentlichen Verfahrensrechts, Bern 2004, S. 113); jedenfalls
sind lückenfüllenden Analogieschlüssen enge Grenzen gesetzt (vgl. BGE 98 Ib
277 E. 1 S. 279 sowie GYGI, a.a.O., S. 164). Die vorliegend den Kantonen
spezialgesetzlich eingeräumte Befugnis zur Erhebung einer Einsprache umfasst
nach ihrem Wortlaut nicht auch die Legitimation zur Behördenbeschwerde
gemäss Art. 48 lit. b VwVG. Der blosse Umstand, dass die Kantone im
Verfahren vor dem Bundesamt einspracheberechtigt sind und ihnen im
Einspracheverfahren Parteistellung zukommt, reicht nicht aus, um die
Legitimation für das anschliessende Beschwerdeverfahren zu begründen. Zwar
bildet eine materielle Beteiligung am Einspracheverfahren in aller Regel
Voraussetzung für die Beschwerdebefugnis; erforderlich ist jedoch stets
auch, dass der Betroffene die spezifischen gesetzlichen Anforderungen des zu
ergreifenden Rechtsmittels erfüllt. Deshalb vermag hier die Parteistellung
des Kantons die fehlende besondere Ermächtigung zur Beschwerdeführung (im
Sinne von Art. 48 lit. b VwVG) nicht zu ersetzen.

  4.3
  4.3.1  Zu prüfen bleibt, ob sich die Beschwerdebefugnis der rekurrierenden
Kantone vorliegend aus der allgemeinen Legitimationsklausel von Art. 48 lit.
a VwVG ergibt. Diese ist zwar auf das Beschwerderecht von Privaten
zugeschnitten. Nach der zu Art. 103 lit. a OG entwickelten Praxis, die auch
für Art. 48 lit. a VwVG Geltung hat, können sich Gemeinwesen jedoch dann auf
diese allgemeine Umschreibung der Legitimation berufen, wenn sie gleich oder
ähnlich wie ein Privater betroffen oder aber in schutzwürdigen eigenen
hoheitlichen Interessen berührt sind (vgl. etwa BGE 123 II 371 E. 2c S. 374
f. sowie 124 II 293 E. 3b S. 304 f., mit Hinweisen). Gemäss Art. 103 lit. a
OG oder Art. 48 lit. a VwVG zur Beschwerde berechtigt sind Gemeinwesen
insbesondere dann, wenn sie in eigenen vermögensrechtlichen Interessen
betroffen sind (z.B. als Subventionsempfänger oder Kostenträger), oder wenn
hoheitliche Befugnisse in Frage stehen, an deren Ausübung das Gemeinwesen
ein eigenes schutzwürdiges Interesse hat. So sind

die Gemeinden etwa legitimiert als Gläubiger von Kausalabgaben, als
Projektant eines öffentlichen Werks oder als kostenmässig in
Gewässerschutzmassnahmen involvierte Partei. Ebenfalls bejaht wurde die
Legitimation von Gemeinden bei Streitigkeiten über spezifische öffentliche
Anliegen wie den Grundwasserschutz oder den Schutz der Einwohner vor
Fluglärm (vgl. die detaillierten Hinweise auf die Praxis von Bundesgericht
und Bundesbehörden in BGE 123 II 371 E. 2c S. 374 f.).

  4.3.2  Bei Streitigkeiten über den Schutz von Ursprungsbezeichnungen
könnte die Beschwerdebefugnis eines Kantons gestützt auf die allgemeine
Klausel von Art. 103 lit. a OG bzw. Art. 48 lit. a VwVG allenfalls dann
gegeben sein, wenn dieser sich dagegen zur Wehr setzen will, dass
geographische Bezeichnungen, die sein eigenes Gebiet betreffen, oder sein
eigener Name zu Unrecht in Anspruch genommen werden. Diese Überlegung dürfte
auch bei der Einräumung des Einspracherechts im Verfahren vor dem Bundesamt
im Vordergrund gestanden haben. Vorliegend vertreten die rekurrierenden drei
Kantone aber nicht eigene ideelle und hoheitliche Interessen dieser Art. Sie
erblicken ihre Betroffenheit vielmehr darin, dass der Absatz der in ihren
Kantonen anfallenden Verkehrsmilch bzw. des durch die dortigen Betriebe
produzierten Käses beeinträchtigt werde, wenn die streitigen Bezeichnungen
für die Walliser Käseproduzenten reserviert würden. Im Einzelnen bringen sie
Folgendes vor:
  4.3.2.1  Die Regierung des Kantons Graubünden macht geltend, die Emmi AG,
deren Käserei in Landquart eine grosse Menge der Verkehrsmilch zu
Raclette-Käse verarbeite, sei für den Kanton von eminenter Bedeutung sowohl
in steuerlicher Hinsicht wie auch als Arbeitgeberin und als Abnehmerin von
Verkehrsmilch. Das eigene schutzwürdige Interesse des Kantons an der
Beseitigung der streitigen Massnahme ergebe sich schon allein hieraus. Zudem
führe der Entscheid des Bundesamts dazu, dass die zweckkonforme Nutzung der
durch Kantonsbeiträge subventionierten Einrichtungen in Landquart in Frage
gestellt werde. Auch als Subventionsgeber habe der Kanton Graubünden ein
legitimationsbegründendes eigenes Interesse.

  4.3.2.2  Die Regierungen der Kantone Bern und Freiburg berufen sich vorab
auf die ihren Kantonen nach Verfassung und Gesetzgebung obliegende Aufgabe,
günstige Rahmenbedingungen für ihre

Wirtschaft - insbesondere auch für die Landwirtschaft - zu schaffen: Die
Eintragung der streitigen Ursprungsbezeichnung für ausserkantonale
Käseproduzenten beeinträchtige die Möglichkeit des Marktauftritts der Berner
Käsereien, welche die Bezeichnung "Raclette" seit über dreissig Jahren
verwendeten. Der Kanton Bern müsse deshalb zum Schutze seiner Käsereien
hiergegen vorgehen können. Der Kanton Freiburg verweist seinerseits auf ein
kantonales Gesetz von 1997, welches den Vertrieb der Landwirtschaftsprodukte
und insbesondere von Käse - der einen wesentlichen Teil der freiburgischen
Agrarproduktion ausmache - fördern wolle.

  4.3.3  Es steht ausser Frage, dass die Kantone befugt und gehalten sind,
die volkswirtschaftlichen Interessen ihres Gemeinwesens mit den ihnen zur
Verfügung stehenden Mitteln zu wahren. Die entsprechende Verpflichtung
verschafft ihnen aber noch keine allgemeine Legitimation zur
Beschwerdeführung gegen Anordnungen, welche dieser weit gefassten
Zielsetzung zuwiderlaufen könnten. Die Praxis erlaubt es den Gemeinwesen
dann, gestützt auf die allgemeine Klausel von Art. 48 lit. a VwVG bzw. Art.
103 lit. a OG eigene öffentliche Interessen auf dem Beschwerdeweg zu
verteidigen, wenn es um Eingriffe geht, deren Auswirkungen die Gesamtheit
oder einen Grossteil der Einwohnerschaft unmittelbar treffen können. Diese
Voraussetzungen waren beispielsweise erfüllt bei drohendem Fluglärm und bei
möglicher Beeinträchtigung des Grundwassers. In derartigen Fällen ist
letztlich das Gemeinwesen als Ganzes in eigenen (öffentlichen) Interessen
direkt betroffen; damit ist es in erster Linie zu deren Verteidigung berufen
und auch gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel zur
Beschwerdeführung legitimiert. Vorliegend steht indessen keine derartige,
die Interessen der rekurrierenden Kantone bzw. eines Grossteils von deren
Bevölkerung unmittelbar tangierende Massnahme in Frage. Die streitige
Eintragung der Ursprungsbezeichnung berührt zwar die Belange eines wichtigen
Wirtschaftszweiges dieser Kantone und läuft insoweit den von den
Kantonsbehörden zu wahrenden volkswirtschaftlichen Anliegen zuwider. Von
einem mit den genannten Beispielen vergleichbaren legitimationsbegründenden
direkten Eingriff in eigene öffentliche Interessen des Kantons kann jedoch
nicht gesprochen werden. Durch die Eintragung betroffen sind in erster Linie
die Produzenten von Raclette-Käse, welche tendenziell in ihren
Absatzmöglichkeiten beeinträchtigt werden. Ihnen ist es aber möglich und
zumutbar, ihre wirtschaftlichen Interessen

selber auf dem Beschwerdeweg zu verteidigen. Entsprechende Verfahren sind
denn auch vor der Rekurskommission hängig. Die seitens des Kantons
Graubünden geltend gemachten finanziellen Interessen (Steuerausfälle und
Aufwendungen für Subventionen) sind ebenfalls bloss indirekter Art und
vermögen ein Beschwerderecht des Kantons daher nicht zu begründen.

  4.4  Nach dem Gesagten hat die Rekurskommission bundesrechtskonform
gehandelt, als sie die Beschwerdelegitimation der drei Kantone verneint hat;
die erhobenen Beschwerden sind damit unbegründet.