Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 II 728



Urteilskopf

131 II 728

  58. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.
AG gegen Gemeinde Wetzikon und Schätzungskommission in
Abtretungsstreitigkeiten sowie Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  1A.263/2004 vom 24. Oktober 2005

Regeste

  Materielle Enteignung (Art. 26 Abs. 2 BV, Art. 5 Abs. 2 RPG); Abgrenzung
von Auszonung und Nichteinzonung.

  Eine Auszonung liegt vor, wenn eine Parzelle, die durch einen
RPG-konformen Nutzungsplan der Bauzone zugeteilt worden war, aufgrund einer
Zonenplanrevision neu einer Nichtbauzone zugeteilt wird. Das gilt auch dann,
wenn aufgrund veränderter Verhältnisse eine Verkleinerung der Bauzone
zwingend geboten ist (E. 2.2-2.4).

  Auch bei einer Auszonung ist zu prüfen, ob die Berechtigung zum Bauen in
naher Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte realisiert werden können
(E. 2.5). Dabei sind die Fristen zu berücksichtigen, mit denen die Planung
zu rechnen hat (E. 2.6).

Sachverhalt

  Die X. AG ist Eigentümerin des Grundstücks Kat.-Nr. 1907 "Geissacher" im
Gebiet "Bol", im Norden von Wetzikon. Gemäss dem 1986 festgesetzten
kommunalen Zonenplan lag das Grundstück in der Industriezone A. Gemäss
kantonalem Richtplan vom 31. Januar 1995 liegt das fragliche Grundstück am
Rande des Siedlungsgebiets von Wetzikon.

  Am 7. Juli 1997 setzte die Gemeindeversammlung Wetzikon einen neuen
Siedlungs- und Landschaftsplan fest. Dieser sieht im Gebiet "Geissacher" ein
Erholungsgebiet für Parkanlagen bzw. Familiengärten vor. Gestützt auf den
revidierten Richtplan setzte die Gemeindeversammlung am 23. März 1998 den
neuen Zonenplan fest. Das Grundstück der X. AG wurde mit Ausnahme eines
schmalen Streifens an der südlichen Grundstücksgrenze der Erholungszone EA/B
(Familiengärten/Spielplatz) zugewiesen. Die Umzonung trat am 18. September
1998 in Kraft, nachdem sie vom Regierungsrat am 2. September 1998 genehmigt
worden war.

  Am 9. Mai 2001 richtete die X. AG ein Entschädigungsbegehren wegen
materieller Enteignung an die Gemeinde Wetzikon. Weil sich die Parteien
nicht einigen konnten, wurde ein Schätzungsverfahren eingeleitet. Die
Schätzungskommission nahm einen Augenschein vor und entschied am 20. Juni
2003, der X. AG werde keine Entschädigung aus materieller Enteignung
zugesprochen.

  Dagegen erhob die X. AG Rekurs an das Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich. Dieses wies den Rekurs am 19. August 2004 ab.

  Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid erhob die X. AG am 8.
November 2004 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Sie
beantragte, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Gemeinde
Wetzikon sei zu verpflichten, der Beschwerdeführerin einen Betrag von
mindestens Fr. 3'000'000.- zu bezahlen.

  Das Bundesgericht hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise
gutgeheissen und die Sache zu neuer Beurteilung an das Verwaltungsgericht
zurückgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Eine materielle Enteignung im Sinne von Art. 26 Abs. 2 BV und Art. 5
Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (RPG; SR
700) liegt vor, wenn dem Eigentümer der bisherige oder ein voraussehbarer
künftiger Gebrauch einer Sache untersagt oder in einer Weise eingeschränkt
wird, die besonders schwer wiegt, weil der betroffenen Person eine
wesentliche aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird.

  Geht der Eingriff weniger weit, so wird gleichwohl eine materielle
Enteignung angenommen, falls einzelne Personen so betroffen werden, dass ihr
Opfer gegenüber der Allgemeinheit unzumutbar erscheint und es mit der
Rechtsgleichheit nicht vereinbar wäre, wenn hierfür keine Entschädigung
geleistet würde.

  In beiden Fällen ist die Möglichkeit einer künftigen besseren Nutzung der
Sache indessen nur zu berücksichtigen, wenn im massgebenden Zeitpunkt
anzunehmen war, sie lasse sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft
verwirklichen. Unter besserer Nutzung eines Grundstücks ist in der Regel die
Möglichkeit seiner Überbauung zu verstehen (BGE 123 II 481 E. 6a S. 487; 121
II 417 E. 4a S. 423).

  2.1  Wird bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen
Grundordnung, welche den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen
Anforderungen entspricht, eine Liegenschaft keiner Bauzone zugewiesen, so
liegt gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine Nichteinzonung vor,
und zwar auch dann, wenn die in Frage stehenden Flächen nach dem früheren,
der Revision des Bodenrechts nicht entsprechenden Recht überbaut werden
konnten. Die

Nichteinzonung in eine Bauzone löst grundsätzlich keine
Entschädigungspflicht aus (BGE 123 II 481 E. 6b S. 487 f.; 122 II 326 E. 4
S. 328 ff.; 119 Ib 124 E. 2c S. 129 mit Hinweisen; zu den Ausnahmen vgl. BGE
122 II 455 E. 4a S. 457, 326 E. 6a S. 333; 121 II 417 E. 4b S. 423).

  2.2  Das Verwaltungsgericht und die Schätzungskommission haben die
Umzonung der fraglichen Parzelle von der Industriezone in die Erholungszone
als Auszonung qualifiziert, weil schon die kommunale Nutzungsordnung von
1986 den Anforderungen des Raumplanungsgesetzes entsprochen habe. Die
Revision von 1998 habe deshalb nicht erstmals eine RPG-konforme Grundordnung
geschaffen.

  Dem widerspricht die Gemeinde Wetzikon: Ihres Erachtens ist die Umzonung
rechtlich als Nichteinzonung zu qualifizieren, weil die Zonenplanrevision
dazu gedient habe, die Nutzungsplanung wieder mit der raumplanerischen
Grundordnung gemäss RPG in Einklang zu bringen. Zwar sei die kommunale
Nutzungsordnung ursprünglich rechtmässig gewesen; durch die Revision des
Zürcher Planungs- und Baugesetzes vom 7. September 1975 (PBG/ZH) im Jahre
1991 seien jedoch zusätzliche Ausnützungsmöglichkeiten geschaffen worden.
Die dadurch erfolgte Steigerung der Baugebietskapazität habe eine Anpassung
der kommunalen Nutzungsordnungen unumgänglich gemacht. In Wetzikon sei die
Anpassung in zwei Stufen erfolgt: 1993 sei die Bauordnung und 1997/98 der
dazugehörige Zonenplan an die veränderten rechtlichen Verhältnisse angepasst
worden. Dabei sei das Baugebiet von Wetzikon, das sich nachträglich als zu
gross erwiesen habe, um immerhin 14,7 ha oder 21 % reduziert worden.
Derartige Planungsmassnahmen seien den eigentumsumschreibenden Regeln
zuzurechnen und müssten in der Regel entschädigungslos hingenommen werden.

  2.3  Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt eine -
grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmende - Nichteinzonung vor, wenn
eine Liegenschaft bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen
Grundordnung, welche den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen
Anforderungen entspricht, keiner Bauzone zugewiesen wird. Dies gilt nicht
nur bei der Revision altrechtlicher, vor Inkrafttreten des RPG erlassener
Zonenpläne, sondern auch bei der Anpassung von Zonenplänen, die zwar unter
der Herrschaft des RPG in Kraft getreten sind, aber materiell nicht auf die
bundesrechtlichen Planungsgrundsätze ausgerichtet waren

(BGE 122 II 326 E. 5c S. 332; Urteil 1A.8/2002 vom 22. Juli 2002, E.
3.3-3.5). Eine - grundsätzlich entschädigungspflichtige - Auszonung wird
dagegen angenommen, wenn ein Grundstück durch einen bundesrechtskonformen
Nutzungsplan der Bauzone zugeteilt worden war und aufgrund einer
Zonenplanrevision einer Nichtbauzone zugeteilt wird.

  Diese Unterscheidung wurde in BGE 122 II 326 E. 5c S. 332 wie folgt
begründet: Den Planungsbehörden solle die erstmalige Umsetzung der
verfassungsrechtlichen und raumplanungsgesetzlichen Grundsätze nicht
verunmöglicht oder über Gebühr erschwert werden. Denn es bestünde die
Gefahr, dass sich die Planungsbehörden gegebenenfalls von Entschädigungs-
statt von Raumordnungsgesichtspunkten leiten liessen. Würden hingegen in
diesem Planungsstadium Beschränkungen bisheriger
("vorraumplanungsrechtlicher") Nutzungsmöglichkeiten durchwegs als
Nichteinzonungsfälle betrachtet, so öffne dies den Weg, um auch
entschädigungsrechtlich sachgerecht differenzierende Lösungen zu finden.

  Daraus lässt sich schliessen, dass die Anpassung von ursprünglich
RPG-konformen Nutzungsplänen an veränderte Verhältnisse und Anschauungen,
die zu einer Einschränkung "raumplanungsrechtlicher" Nutzungsmöglichkeiten
führt, grundsätzlich als Auszonung zu betrachten ist, auch wenn die
Reduktion der Bauzonen nach Art. 15 RPG geboten ist, beispielsweise weil
sich die Bevölkerung nicht wie erwartet entwickelt hat oder weil die
Bauzonenkapazität durch neue Verdichtungs- oder Umnutzungsmöglichkeiten
erhöht worden ist (so MARTIN BERTSCHI, Die Umsetzung von Art. 15 lit. b RPG
über die Dimensionierung der Bauzonen: Bundesrecht, föderalistische Realität
und ihre Wechselwirkungen, Diss. Zürich 2001, Rz. 96 S. 44 f.).

  2.4  Dagegen lässt sich einwenden, dass die Unterscheidung zwischen
ursprünglich fehlerhaften und anpassungsbedürftigen Nutzungsplänen nicht
leicht ist. In beiden Fällen ist die Gemeinde zu einer Verkleinerung ihrer
Bauzone verpflichtet; das öffentliche Interesse an der Planungsrevision ist
in beiden Fällen erheblich. Auch bei der notwendigen Anpassung eines
ursprünglich RPG-konformen Nutzungsplans besteht die Gefahr, dass sich die
Gemeinde von entschädigungsrechtlichen anstatt von raumordnungsrechtlichen
Gesichtspunkten leiten lässt.

  Andererseits aber ist zu bedenken, dass Zonenpläne, die unter der
Herrschaft des RPG erlassen und auf dessen Planungsgrundsätze

ausgerichtet waren, verbindlich sind (Art. 21 Abs. 1 RPG); ihre Revision
setzt voraus, dass sich die Verhältnisse erheblich geändert haben (Art. 21
Abs. 2 RPG); hierfür ist eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der
bisherigen Geltungsdauer des Nutzungsplans, dem Ausmass seiner Realisierung
und Konkretisierung, dem Umfang der beabsichtigten Änderung und dem
öffentlichen Interesse daran erforderlich (vgl. BGE 128 I 190 E. 4.2 S. 198
f.; 120 Ia 227 E. 2c S. 233; 113 Ia 444 E. 5a S. 455). Insofern dürfen
Eigentümer eingezonter Parzellen grundsätzlich auf eine gewisse
Beständigkeit des Nutzungsplans vertrauen. Bis zur Rechtskraft der
Zonenplanrevision bleiben die ursprünglich der Bauzone zugewiesenen
Parzellen Bauland und können, soweit keine Planungszone verhängt worden ist,
überbaut werden. Erst mit Inkrafttreten der Zonenplanrevision verlieren sie
ihre Baulandqualität.

  Wäre nicht nur die erstmalige Anpassung an die Vorgaben des RPG, sondern
auch jede weitere Anpassung der Nutzungsplanung wegen veränderter
Verhältnisse als Nichteinzonung grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen,
wäre Art. 5 Abs. 2 RPG nur noch in Ausnahmefällen anwendbar, z.B. wenn der
Eigentümer für die Erschliessung und Überbauung des Landes bereits
erhebliche Kosten aufgewendet hat. Dies würde, wie auch das
Verwaltungsgericht angenommen hat, den Begriff des entschädigungslos
hinzunehmenden Eingriffs in das Eigentum überdehnen.

  2.5  Nach dem Gesagten erscheint es gerechtfertigt, in Fällen wie dem
Vorliegenden von einer "Auszonung" und nicht von einer "Nichteinzonung"
auszugehen.

  Dies bedeutet nicht, dass für sämtliche, im Zuge einer
Nutzungsplanrevision ausgezonten Grundstücke Entschädigungen wegen
materieller Enteignung zu zahlen sind. Auch eine bundesrechtskonform
ausgestaltete Bauzone ist nicht für alle Zeiten starr festgelegt, sondern
kann und muss entsprechend der Änderung der Verhältnisse und der
gesetzlichen Grundlagen neuen Bedürfnissen angepasst werden. Ein
Grundeigentümer kann daher nicht darauf vertrauen, das sein Grundstück stets
in der Bauzone bleibt und überbaut werden kann (ENRICO RIVA, RPG-Kommentar,
N. 164 zu Art. 5 RPG; JÖRG LEIMBACHER, Planungen und materielle Enteignung,
Bern 1995, S. 59). Auch bei einer Auszonung muss daher zusätzlich gefragt
werden, ob die Berechtigung zum Bauen in naher Zukunft mit hoher
Wahrscheinlichkeit hätte realisiert werden können.

  2.6  Bei der Frage, was unter "naher Zukunft" zu verstehen sei, sind die
Fristen, mit denen die Planung zu rechnen hat, zu berücksichtigen (ALFRED
KUTTLER, Materielle Enteignung aus der Sicht des Bundesgerichts, in:
Festgabe Kuttler, Zürich 2003, S. 123). Der Planungshorizont für Bauzonen
beträgt 15 Jahre (Art. 15 lit. b RPG); nach Ablauf dieser Frist ist der
Nutzungsplan grundsätzlich zu überprüfen und nötigenfalls anzupassen (Urteil
1P.293/1994 vom 20. Dezember 1994, E. 3c mit Hinweisen, publ. in: ZBl
97/1996 S. 36); bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse ist eine
Überprüfung schon vor Ablauf dieser Fristen vorzunehmen.

  Im vorliegenden Fall waren am Stichtag bereits 12 Jahre seit Inkrafttreten
des alten Zonenplans verstrichen. Zudem hatten sich auch die rechtlichen
Verhältnisse wesentlich verändert: Durch die am 6. Dezember 1987 angenommene
Initiative "Zum Schutz der Moore" (Art. 24sexies Abs. 5 aBV) und die zu
ihrer Ausführung erlassenen Bestimmungen auf Gesetzes- und Verordnungsstufe
waren die Moorgebiete und die Moorlandschaft des Pfäffikersees nördlich von
Wetzikon unter besonderen Schutz gestellt worden; überdies hatte die
PBG/ZH-Revision von 1991 neue Verdichtungsmöglichkeiten eingeführt und damit
die Kapazität der Bauzonen erheblich vergrössert. Insofern mussten
Eigentümer eingezonter, aber weder überbauter noch erschlossener Grundstücke
am Siedlungsrand, in unmittelbarer Nähe zur Moorlandschaft am Pfäffikersee,
damit rechnen, dass ihre Parzellen bei der nächsten Nutzungsplanrevision aus
der Bauzone entlassen werden würden.

  Unter diesen Umständen erscheint es hier gerechtfertigt, die Prüfung auf
die Frage zu beschränken, ob die Beschwerdeführerin die Parzelle am Stichtag
hätte überbauen können.