Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 II 548



131 II 548

41. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S.
A.X. und B.X. gegen Kantonales Steueramt Zürich sowie Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    2A.113/2005 vom 16. September 2005

Regeste

    Zulässigkeit der Kognitionsbeschränkung vor einer weiteren kantonalen
Beschwerdeinstanz im Sinne von Art. 145 DBG.

    Eine Verengung der Kognition mit Beschränkung des Novenrechts für das
Verfahren vor einer zweiten kantonalen Gerichtsinstanz ist mit Art. 142
Abs. 4 DBG vereinbar, gerade auch in Fällen von Ermessensveranlagungen
(E. 2).

Sachverhalt

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies am 27. Oktober
2004 die Beschwerde der Ehegatten A.X. und B.X. gegen einen Entscheid
der kantonalen Steuerrekurskommission II in einem Verfahren der
Ermessensveranlagung ab. Dabei beschränkte es seine Prüfungsbefugnis
auf eine Rechtskontrolle und berücksichtigte die von A.X. und B.X. neu
eingereichten Unterlagen nicht. Das Bundesgericht weist deren hiergegen
eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Die Vorinstanz hat die von den Beschwerdeführern neu eingereichten
Unterlagen nicht berücksichtigt mit der Begründung, im Beschwerdeverfahren
vor der zweiten kantonalen Instanz gelte das Novenverbot; für das
Verwaltungsgericht sei somit die gleiche Aktenlage massgebend, wie für
die Rekurskommission; Tatsachen oder Beweismittel, die nicht spätestens
im Rekursverfahren behauptet bzw. vorgelegt oder angerufen worden seien,
dürften infolgedessen im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht noch
gebracht werden.

    Die Beschwerdeführer rügen vorerst, die Vorinstanz habe ihre Kognition
zu Unrecht beschränkt. Sie wäre steuerharmonisierungsrechtlich verpflichtet
gewesen, die erst ihr vorgelegten Noven zu berücksichtigen. Die
Beschwerdeführer berufen sich unter anderem auf ein Urteil des
Bundesgerichts (offenbar 2A.609/2003 vom 27. Oktober 2004, E. 2.3),
in dem die Frage aufgeworfen, aber noch offen gelassen worden ist, ob
im Fall einer weiteren verwaltungsunabhängigen kantonalen Instanz diese
ihre Kognition auf eine reine Rechtskontrolle beschränken und Noven als
unzulässig erklären kann. Zwar ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich,
inwiefern sich die Kognitionsbeschränkung der Vorinstanz auf das Ergebnis
ausgewirkt haben soll; insbesondere behaupten die Beschwerdeführer nicht,
dass sie ihre versäumten Verfahrenspflichten nachgeholt hätten. Dennoch
ist die Frage im Folgenden zu erörtern.

    2.1  Das Bundesgericht hat in BGE 130 II 65 ff. entschieden, dass
diejenigen Kantone, die für die harmonisierten kantonalen Steuern - wie
hier - zwei gerichtliche Instanzen kennen, denselben Rechtsmittelweg auch
für die direkte Bundessteuer vorsehen müssen. An dieser Rechtsprechung
ist festzuhalten. Das Erfordernis der Parallelität der Beschwerdeverfahren
rechtfertigt sich namentlich insofern, als widersprüchliche Entscheidungen
über die gleichen Rechtsfragen vermieden werden sollen; zudem soll das
Bundesgericht die Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen die Veranlagung der
harmonisierten kantonalen Steuern und der direkten Bundessteuer nicht auf
unterschiedlicher tatbeständlicher Grundlage beurteilen müssen (vgl. BGE
130 II 65 E. 6.4 S. 79). Dieser Zweck würde nicht erreicht, wenn in den
beiden Verfahren unterschiedliche Verfahrensvorschriften, insbesondere
bezüglich Kognition und Novenrecht, gelten würden (vgl. DANIELLE YERSIN,
Harmonisation fiscale: La dernière ligne droite, in: ASA 69 S. 305
ff., 324). Dagegen ergibt sich aus Sinn und Zweck der Parallelität der
Rechtswege noch nicht, wie diese Verfahrensvorschriften ausgestaltet werden
müssen und namentlich, dass die Kognition der zweiten Rechtsmittelinstanz
nicht eingeschränkt werden dürfe.

    2.2

    2.2.1  Art. 145 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die
direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11; betr. Beschwerdeverfahren vor einer
weiteren kantonalen Beschwerdeinstanz) lehnt sich an das System der
Kantone an, die bei den kantonalen Steuern bereits einen zweistufigen
Instanzenzug kannten; die Bestimmung sollte es solchen Kantonen im
Unterschied zum früheren Recht gestatten, dieses System auch auf die
direkte Bundessteuer zu übertragen und damit die erwünschte Parallelität
des Beschwerdeverfahrens zu ermöglichen (BBl 1983 III 213). Die
betreffenden Kantone hatten aber regelmässig Kognitionsbeschränkungen
für das Verfahren vor der zweiten Gerichtsinstanz vorgesehen, wie es für
verwaltungsgerichtliche Verfahren durchaus üblich ist (z.B. Beschränkung
auf Rechtskontrolle). So verhält es sich beispielsweise im Kanton Zürich,
wo mit der Beschwerde an das Verwaltungsgericht nur die Verletzung von
Rechtsvorschriften, nicht aber die unrichtige Handhabung des Ermessens
gerügt werden konnte und neue tatsächliche Behauptungen und Beweismittel
ausdrücklich ausgeschlossen waren (§ 95 Abs. 2 und 4 des Zürcher
Steuergesetzes vom 8. Juli 1951).

    2.2.2  Es ist nicht einzusehen, weshalb die Zulassung des
zweistufigen Instanzenzugs auch für die direkte Bundessteuer an
diesem System etwas hätte ändern sollen. Zwar verweist Art. 145
Abs. 2 DBG für den Weiterzug des Beschwerdeentscheides an eine obere
Gerichtsinstanz unter anderem auf Art. 142 Abs. 4 DBG; danach kommen der
Steuerrekurskommission im Beschwerdeverfahren die gleichen Befugnisse
zu wie der Veranlagungsbehörde im Veranlagungsverfahren, was an sich
jede Kognitionsbeschränkung ausschliessen würde. Die Bestimmungen
des Verfahrens vor der Rekurskommission (Art. 140 bis 144 DBG) sollen
jedoch für das zweitinstanzliche Verfahren nur "sinngemäss" gelten,
was unterschiedliche Regelungen gestattet, die sich aus der Natur eines
zweistufigen gerichtlichen Instanzenzugs ergeben. Bei einem solchen System
liegt eine Verengung der Kognition mit Beschränkung des Novenrechts für
die zweite Instanz aber nahe. Sie liegt im Interesse der Verfahrensökonomie
und ist geeignet, einer missbräuchlichen Prozessführung entgegenzuwirken.

    2.3  Dass der Ausschluss jeglicher Kognitionsbeschränkung im
zweitinstanzlichen Verfahren wenig sinnvoll ist, zeigt gerade der
Fall der Ermessenstaxation. Zwar kann eine solche Veranlagung ohnehin
nur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit angefochten werden (Art. 132
Abs. 3 DBG; Art. 48 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990
über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden
[StHG; SR 642.14]). Doch ist das Rechtsmittel zu begründen und sind
allfällige Beweismittel zu nennen, ansonsten darauf nicht eingetreten
wird. Insbesondere sind die unterlassenen Mitwirkungshandlungen
(z.B. Einreichen der Steuererklärung) nachzuholen (BGE 123 II 552 E. 4c
S. 557; Urteil 2A.39/2004 vom 29. März 2005, E. 5.1 und 5.2). Es leuchtet
indessen nicht ein, weshalb ein Steuerpflichtiger, der weder im Einsprache-
noch im Beschwerdeverfahren vor der Rekurskommission seine versäumten
Verfahrenspflichten nachgeholt hat, dies noch im Verfahren vor der zweiten
kantonalen Gerichtsinstanz soll tun dürfen. Damit würde eine trölerische
Prozessführung ermöglicht, was nicht sinnvoll sein kann.

    2.4  Das Verfahren vor der zweiten Beschwerdeinstanz muss
indessen den Mindestanforderungen von Art. 98a Abs. 3 OG genügen;
danach sind Beschwerdelegitimation und Beschwerdegründe mindestens
im gleichen Umfang wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht zu gewährleisten. Dies ist im Kanton Zürich der Fall
(vgl. § 153 Abs. 1 und 3 des Zürcher Steuergesetzes vom 8. Juni 1997
[StG/ZH]). Namentlich kennt auch das Bundesgericht im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen der grundsätzlichen Bindung an den
von einer gerichtlichen Vorinstanz festgestellten Sachverhalt (Art. 105
Abs. 2 OG) ein weitgehendes Novenverbot. Immerhin sind solche neuen
Tatsachen und Beweismittel zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen
hätte berücksichtigen müssen und deren Nichtbeachtung eine Verletzung
wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt (BGE 128 II 145 E. 1.2.1 S.
150 mit Hinweisen). Dieser Vorbehalt muss auch für das Verfahren vor der
zweiten kantonalen Gerichtsinstanz gelten (vgl. auch FELIX RICHNER/WALTER
FREI/STEFAN KAUFmann, Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz,
Zürich 1999, N. 43 zu § 153 StG/ZH).

    2.5  Demnach ist die Kognitionsbeschränkung, die im Kanton Zürich
für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gilt, und namentlich das
Novenverbot vor dieser Instanz nicht zu beanstanden: Dieses System
ist vereinbar mit Art. 142 Abs. 4 DBG; die sinngemässe Geltung der
Art. 140 bis 144 DBG erlaubt, diese Bestimmungen nicht vollständig
anzuwenden. Die kantonale Autonomie bleibt damit gewahrt, ohne
dass das Gebot der vertikalen Steuerharmonisierung beeinträchtigt
würde; dieses verlangt im vorliegenden Zusammenhang nur, dass die
Rechtswege im kantonalen und im eidgenössischen Steuerrecht parallel
ausgestaltet werden, was mit der zürcherischen Regelung gewährleistet ist
(vgl. zum Ganzen auch ULRICH CAVELTI, in: Martin Zweifel/Peter Athanas,
[Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl.,
Basel/Genf/München 2002, N. 22 f. zu Art. 50 StHG; MICHAEL BEUSCH,
Auswirkungen der Rechtsweggarantie von Art. 29a BV auf den Rechtsschutz
im Steuerrecht, in: ASA 73 S. 709, 719 f.; ders., Besprechung des Urteils
2A.609/2003 vom 27. Oktober 2004, in: AJP 2005 S. 869 ff.; THOMAS MEISTER,
Rechtsmittelsystem der Steuerharmonisierung, Diss. St. Gallen 1994,
S. 196 f.).

    2.6  Die Vorinstanz verstiess daher nicht gegen Bundesrecht, wenn
sie die von den Beschwerdeführern neu eingereichten Unterlagen nicht
berücksichtigte.