Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 II 458



131 II 458

34. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. BLS
Lötschbergbahn AG gegen Erbengemeinschaft W. sowie Eidgenössische
Schätzungskommission, Kreis 6 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    1E.3/2005 vom 10. Mai 2005

Regeste

    Teilenteignung für den Eisenbahnbau; Abtretung eines Landstreifens
und Auferlegung eines Näher- bzw. Höherbaurechts; Entschädigungsbemessung.

    Wird für den Bahnausbau eine gemäss kantonalem Recht zu hohe Mauer
mit Lärmschutzwand auf die Grenze gestellt und damit dem Enteigner ein
Näher- bzw. Höherbaurecht eingeräumt, ist der dadurch entstehende Schaden
unabhängig davon, ob der Schattenwurf übermässig sei oder nicht, durch
eine Minderwertsentschädigung abzugelten. An diese sind die Sondervorteile
des Unternehmens - hier der Lärmschutzwand - anzurechnen (E. 3 und 6).

    Besteht zwischen der Enteignung und den auftretenden Lärm- und
Staubimmissionen kein adaequater Kausalzusammenhang, so ist eine
Entschädigung für die Immissionen nur geschuldet, wenn diese nach
Nachbarrecht nicht zu dulden sind (E. 4).

    Bemessung der Entschädigung für die Abtretung eines Landstreifens ab
einer überbauten Liegenschaft. Problematik der Lageklassenmethode (E. 5).

    Die Enteignungsentschädigung ist vom Tage der vorzeitigen
Besitzergreifung an zu den vom Bundesgericht festgelegten Zinssätzen und
nach Ablauf von 20 Tagen nach rechtskräftiger Festsetzung zum üblichen
Verzugszins zu verzinsen (E. 7).

Sachverhalt

    Für den im Rahmen des Konzeptes "Bahn 2000" vorgesehenen
Doppelspurausbau der Bahnstrecke Fischermätteli-Weissenbühl in Bern liess
die Gürbetal-Bern-Schwarzenburg-Bahn (GBS) als damals verantwortliche
Unternehmung im März 1998 u.a. gegen die Eigentümer der Liegenschaft
Weissensteinstrasse X ein Enteignungsverfahren einleiten. Ab dieser
Parzelle ist längs der Bahnlinie ein schmaler Landstreifen von 3 m2
definitiv abzutreten. Zudem ist während den - nunmehr abgeschlossenen -
Bauarbeiten eine Teilfläche von 45 m2 vorübergehend in Anspruch genommen
worden. Auf der neuen bahnseitigen Grenze des mit einem vierstöckigen
Reihenhaus überbauten Grundstücks stehen heute eine 2,15 m hohe Stützmauer
und eine Lärmschutzwand von zusätzlich 2,20 m.

    Während der Auflagefrist meldeten die Grundeigentümer eine
Entschädigungsforderung von Fr. 800.-/m2 für die enteignete Landfläche
sowie von Fr. 223'360.- für den Minderwert der Restliegenschaft
an. Ausserdem verlangten sie eine Inkonvenienzentschädigung für
Reinigungsarbeiten und die Wiederherstellung der Gartenanlage. Die
als Nachfolgerin der GBS ins Verfahren eingetretene BLS Lötschbergbahn
AG bestritt, dass eine Minderwertsentschädigung geschuldet werde. Die
Einigungsverhandlung vor der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 6,
verlief erfolglos.

    Mit Entscheid vom 22. November 2004 sprach die Eidgenössische
Schätzungskommission, Kreis 6, den Grundeigentümern für die Enteignung
einer Bodenteilfläche von 3 m2 Fr. 2'400.-, für den durch Sonnen- und
Lichtentzug entstandenen Minderwert Fr. 5'539.- und für Inkonvenienzen
während der Bauzeit Fr. 1'000.- zu, alles zuzüglich Zins ab 26. Oktober
1998. Die Entschädigungsbegehren der Enteigneten für Lärm- und
Staubimmissionen während der Bauzeit und seit Inbetriebnahme des zweiten
Geleises erklärte die Kommission für unbegründet.

    Gegen den Entscheid der Eidgenössischen Schätzungskommission
hat die BLS Lötschbergbahn AG Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben
mit dem Hauptantrag, das Gesuch um Ausrichtung einer Entschädigung
abzuweisen. Allenfalls sei den Enteigneten eine Fr. 2'000.- nicht
übersteigende Entschädigung zuzusprechen, zuzüglich Zins seit 26. Oktober
1998 bzw. seit 1. Mai 2002.

    Mit Anschlussbeschwerde verlangen die Enteigneten, dass die BLS
Lötschbergbahn AG verpflichtet werde, ihnen für den Minderwert ihrer
Liegenschaft Fr. 163'000.- zuzüglich Zins zu bezahlen.

    Das Bundesgericht heisst die Hauptbeschwerde teilweise gut und weist
die Anschlussbeschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.  Ausser Frage steht, dass die Enteigneten eine Bodenfläche von
3 m2 an den Bahnbau abzutreten haben. Umstritten ist dagegen, ob und
inwieweit durch das Werk auch in nachbarliche Abwehrrechte der Enteigneten
eingegriffen werde und dafür eine Entschädigung zu bezahlen sei. Gemäss
dem angefochtenen Entscheid hat die Bahnunternehmung durch die Errichtung
einer Stützmauer von 2,15 m und einer 2,20 m hohen Lärmschutzwand an
der Grundstücksgrenze ein Näherbaurecht in Anspruch genommen und ist
hierfür entschädigungspflichtig. Die Enteignerin räumt zwar ein, dass die
Enteigneten die neue Mauer mit Lärmschutzwand an ihrer Grundstücksgrenze
dulden müssten, doch hätte diese keine übermässigen negativen Einwirkungen,
wie Schattenwurf oder Lichtentzug, zur Folge. Bestehe demnach kein
Beseitigungsanspruch im Sinne von Art. 679 ZGB in Verbindung mit Art. 684
ZGB, so sei auch keine Entschädigung geschuldet. Im Übrigen handle es sich
beim Bau der Lärmschutzwand um eine Massnahme, die polizeilich motiviert
sei und der Gefahrenabwehr diene; solche Massnahmen seien entschädigungslos
zu dulden. - Dieser Auffassung ist nicht zu folgen.

    3.1  Nach Art. 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die
Enteignung (EntG; SR 711) können alle aus dem Grundeigentum hervorgehenden
Nachbarrechte Gegenstand der Enteignung sein, mithin nicht nur der Anspruch
des Eigentümers auf Unterlassung übermässiger Einwirkungen im Sinne von
Art. 684 ZGB, sondern auch der Anspruch auf Unterlassung schädlicher
Grabungen und Bauten (Art. 685 ZGB) und der Änderung des natürlichen
Wasserablaufs (Art. 689 Abs. 2 ZGB) sowie ebenfalls die gemäss Art. 686
ZGB der kantonalen Gesetzgebung vorbehaltenen Abwehrrechte (vgl. BGE 106
Ib 231 E. 3 S. 235; 113 Ib 34 E. 2; 119 Ib 334 E. 3a S. 341; 116 Ib 11
E. 2c in fine S. 20; 128 II 368 E. 2). Zu diesen zählen insbesondere die
kantonalrechtlichen Abstandsvorschriften für Bauten (vgl. BGE 126 III
452 E. 3b S. 457; Urteil 1P.466/1990 vom 26. Februar 1991, E. 2).

    3.2  Nach Art. 41 Abs. 5 der Bauordnung der Stadt Bern vom
12. Juni 2002 gilt für Einfriedungen wie Holzwände, Mauern, Zäune
sowie Böschungen, Stützmauern, Bäume und Sträucher längs der Grenze das
kantonale Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch vom 28. Mai 1911 (EGzZGB,
Bernische Systematische Sammlung 211.1). Dieses sieht in Art. 79 vor,
dass für Bauten, welche den gewachsenen Boden in irgendeinem Punkt um mehr
als 1,2 m überragen, gegenüber den Nachbargrundstücken ein Grenzabstand
von wenigstens 3 m einzuhalten ist. Gemäss Art. 79h Abs. 1 EGzZGB hat,
wer längs der Grenze Auffüllungen ausführt, das Nachbargrundstück durch
Böschungen oder Stützmauern zu sichern. Die Stützmauer darf an die Grenze
gestellt werden. Dient sie der Auffüllung, so darf sie den gewachsenen
Boden des höher gelegenen Grundstücks höchstens um 1,20 m überragen
(Art. 79h Abs. 3 EGzZGB). Einfriedungen wie Holzwände, Mauern und Zäune
dürfen nach Art. 79k EGzZGB bis zu einer Höhe von 1,20 m vom gewachsenen
Boden an die Grenze gestellt werden. Höhere Einfriedungen sind um das
Mass der Mehrhöhe von der Grenze zurückzunehmen, jedoch höchstens um 3 m
(Art. 79k EGzZGB).

    Gegenüber einem privaten Nachbarn hätten die Enteigneten somit
verlangen können, dass die an die Grenze gestellte Stützmauer oder
Lärmschutzwand (insgesamt) 1,20 m nicht überrage oder dass eine höhere
Stützmauer mit Einfriedung einen Grenzabstand von 3 m wahre. Zur
Durchsetzung dieses Nachbarrechts stünde ihnen grundsätzlich der
Beseitigungsanspruch gemäss Art. 679 ZGB zu. Dieser kann gegenüber einem
im öffentlichen Interesse liegenden Unternehmen, das im massgeblichen
Verfahren bewilligt worden ist und für welches das Enteignungsrecht zur
Verfügung steht, nicht ausgeübt werden. Den Betroffenen verbleibt lediglich
die Möglichkeit, auf dem Enteignungsweg Entschädigung zu fordern. Die
Schätzungskommission hat daher zu Recht erkannt, dass die Enteignerin
gegenüber den Enteigneten ein Näher- bzw. Höherbaurecht in Anspruch nimmt,
für welches sie entschädigungspflichtig wird.

    3.3  Für die Entschädigungspflicht ist unerheblich, ob die negativen
Auswirkungen der Stützmauer und der Lärmschutzwand, insbesondere der
Schattenwurf, übermässig seien oder nicht. Es geht im vorliegenden
Zusammenhang weder um die Unterdrückung des nachbarlichen Rechts auf
Abwehr von übermässigen - positiven oder negativen - Immissionen im
Sinne von Art. 684 ZGB noch um eine Umgehung von Art. 22 der bernischen
Bauverordnung vom 6. März 1985, wonach höhere Häuser bestehende oder
geplante Wohnbauten nicht durch übermässigen Schattenwurf beeinträchtigen
dürfen. Es handelt sich wie ausgeführt vielmehr darum, dass die an
der Grundstücksgrenze erstellte Stützmauer und die Lärmschutzwand
nach kantonalem Baurecht so nicht hätten gebaut werden dürfen und
ihre Errichtung auf eine Unterdrückung der nachbarlichen Abwehrrechte
von Art. 686 ZGB in Verbindung mit Art. 79 Abs. 1, Art. 79h Abs. 3
sowie Art. 79k Abs. 1 und 2 EGzZGB hinausläuft. Da Dienstbarkeiten,
wie das zwangsweise auferlegte Näher- oder Höherbaurecht, keinen
Verkehrswert im Sinne von Art. 19 lit. a EntG aufweisen, bestimmt sich die
Enteignungsentschädigung nach den Regeln über die Teilenteignung gemäss
Art. 19 lit. b EntG. Demnach hat der Enteignete Anspruch auf den Ersatz
der Wertdifferenz, die sich zwischen dem Verkehrswert des unbelasteten
und jenem des servitutsbelasteten Grundstücks ergibt (vgl. BGE 122
II 246 E. 4 mit Hinweisen). Dabei ist grundsätzlich der ganze Schaden
zu berücksichtigen, der aus dem Entzug oder der Beeinträchtigung der
den Verkehrswert beeinflussenden Eigenschaften entsteht, die ohne die
Enteignung aller Voraussicht nach erhalten geblieben wären (Art. 22 Abs. 2
EntG). Zu vergüten sind daher auch die bloss faktischen Nachteile, die
das Restgrundstück infolge der Enteignung erleidet (vgl. BGE 106 Ib 381
E. 2b S. 385). An die Minderwertsentschädigung anzurechnen sind dagegen
allfällige Sondervorteile, die dem Enteigneten durch das Unternehmen des
Enteigners erwachsen (Art. 22 Abs. 1 EntG).

    3.4  Schliesslich vermag auch die Behauptung, dass die Stützmauer mit
der Lärmschutzwand aus polizeilichen Gründen, nämlich zur Gefahrenabwehr,
errichtet worden sei, die Enteignerin nicht von ihrer Entschädigungspflicht
zu entbinden. Zum einen trifft die Behauptung für die Stützmauer nicht zu;
diese dient offensichtlich einzig der Abstützung des zweiten Geleises bzw.
des dafür aufgeschütteten Bahnkörpers. Im Weiteren ist die Bahnunternehmung
nach Art. 7 Abs. 3 EntG und Art. 19 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember
1957 (EBG; SR 742.101) verpflichtet, alle Vorkehren zu treffen,
die zur Vermeidung von Gefahren für Personen und Sachen erforderlich
sind. Für solche Vorkehren steht der Unternehmung das Enteignungsrecht
zu (vgl. Art. 4 lit. d und e EntG). Wie gesehen, ist dieses für den Bau
der mit dem kantonalen Baurecht unvereinbaren Lärmschutzwand denn auch
beansprucht worden. Es kann aber keine Rede davon sein, dass Enteignungen
für Schutzvorkehren im Sinne von Art. 7 Abs. 3 EntG und Art. 19 Abs. 1 EBG
entschädigungslos geduldet werden müssten und zu Lasten der Enteigneten
gingen. Für solche Vorkehren wäre wie bereits erwähnt lediglich dann kein
Ersatz zu leisten, wenn die enteignungsbedingte Werteinbusse durch die
dem Enteigneten aus dem Unternehmen erwachsenden Sondervorteile völlig
aufgewogen würde (vgl. Art. 22 Abs. 1 EntG).

Erwägung 4

    4.  Nach Auffassung der Enteigneten sind mit der
Minderwertsentschädigung neben den Auswirkungen des Mauerbaus auch die
verstärkten Lärm- und Staubimmissionen aus dem Bahnbetrieb abzugelten. Die
Lärm- und Staubeinwirkungen sind jedoch nicht Folge der Enteignung, sondern
des Werks. Eine allfällige Verstärkung von Immissionen steht weder mit
der Abtretung des nur rund 30 cm breiten Landstreifens noch mit dem Bau
einer zu hohen Grenzmauer in adäquatem Kausalzusammenhang. Sie wäre auch
eingetreten, wenn das zweite Geleise ohne Inanspruchnahme des Bodens der
Enteigneten erstellt oder wenn die Stützmauer niedriger gebaut worden
wäre. Der lärm- und lufthygienische Zustand zählt daher im vorliegenden
Fall nicht zu den verkehrswertmitbestimmenden Eigenschaften, die im Sinne
von Art. 22 Abs. 2 EntG "ohne die Enteignung aller Voraussicht nach dem
verbleibenden Teil erhalten geblieben wären". Die Enteignerin hätte daher
für die Lärm- und Staubimmissionen nur eine Entschädigung zu leisten,
wenn diese übermässig und nach Art. 684 ZGB nicht zu dulden wären, mit
anderen Worten, wenn die drei in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
aufgestellten Voraussetzungen der Spezialität und der Unvorhersehbarkeit
der Immissionen sowie der Schwere des Schadens kumulativ erfüllt wären
(vgl. zum Ganzen BGE 106 Ib 381 E. 2 und 3; 110 Ib 359 E. 1; 119 Ib 334
E. 3c S. 342, je mit Hinweisen). Dass dies der Fall sei, behaupten die
Enteigneten selbst nicht.

Erwägung 5

    5.  Zur Bemessung der Entschädigung für die abgetretene Bodenfläche
hat die Eidgenössische Schätzungskommission den relativen Landwert der
teilenteigneten Liegenschaft anhand der sog. Lageklassenmethode bestimmt.
Ausgehend von einem Neubauwert des vierstöckigen Mehrfamilienhauses
von Fr. 1'237'500.- und einer Lageklasse von 5,15 (von insgesamt 10
Lageklassen) hat sie den Bodenwert des 234 m2 umfassenden Grundstücks
auf 47.47 % bzw. auf Fr. 587'400.- festgelegt. Da es sich beim fraglichen
Landstreifen um eine unüberbaubare und für die heutige und künftige Nutzung
irrelevante Fläche handle, ist der Quadratmeterpreis von Fr. 2'510.- auf
einen Drittel reduziert und schliesslich, nach Abzug der Kosten für die
Teilerschliessung, auf Fr. 800.-/m2 abgerundet worden. Den Enteigneten
ist somit für die Abtretung der Bodenfläche von 3 m2 eine Entschädigung
von insgesamt Fr. 2'400.- zugesprochen worden.

    Die Enteignerin rügt die Wahl der Schätzungsmethode, die sich für die
Bewertung von Vorgartenland nicht eigne. Da für Bauland in der Stadt Bern
der Bauklasse 4 von Preisen in der Höhe von Fr. 1'000.-/m2 auszugehen sei,
sei die für die Landabtretung zugesprochene Entschädigung zu hoch. Diese
Kritik erscheint als berechtigt.

    5.1  Die sog. Lageklassenmethode beruht auf der durch systematische
Auswertung zahlreicher Schätzungen gewonnenen Erkenntnis, dass der
Wert des Landes sowohl zum Gesamtwert einer Liegenschaft als auch zum
Jahresmietertrag in einer ganz bestimmten Relation stehe, die für alle
Grundstücke in der gleichen Lage die selbe sei. Bei der Bewertung einer
Liegenschaft wird deshalb der Neu- oder Zeitwert der bestehenden oder
möglichen Überbauung oder der Bruttoertrag aus deren Vermietung errechnet
und aus dem einen oder anderen Betrag entsprechend der Lageklasse,
die nach einem Bewertungsschlüssel für das Grundstück festgesetzt wird,
der Landwert bestimmt. Ausgehend von ursprünglich 8 Lageklassen werden in
der heutigen Fachliteratur mehrheitlich 10 Lageklassen mit entsprechenden
Lageklassenschlüsseln und Landwertanteilen unterschieden (vgl. BGE 128 II
74 E. 5c/aa S. 80 ff.; FRANCO CANONICA, Schätzerlehrgang, Grundwissen,
Schweiz. Immobilienschätzer-Verband SIV [Hrsg.], Bern 2000, S. 61 ff,;
Schätzerhandbuch, Bewertung von Immobilien, Stand 2000, Hrsg. Schweiz.
Vereinigung kantonaler Grundstückbewertungsexperten SVK und Schweiz.
Schätzungsexpertenkammer/Schweiz. Verband der Immobilien-Treuhänder
SEK/SVIT, S. 85, 209 ff.; WOLFGANG NAEGELI/ HEINZ WENGER, Der
Liegenschaftenschätzer, 4. Aufl. 1997, S. 26, 260 ff.).

    Das Bundesgericht hat schon verschiedentlich zur Vorsicht und
Sorgfalt bei der Anwendung der Lageklassenmethode gemahnt, da diese
- gleich wie etwa die Rückwärtsrechnung - auf nicht mehr durchwegs
geltenden Rentabilitätsüberlegungen beruhe und selbst ziffernmässig geringe
Differenzen bei den einzelnen Ausgangswerten erhebliche Resultatsstreuungen
entstehen liessen (BGE 102 Ib 353 E. 2; 114 Ib 286 E. 7 in fine S. 296; 122
I 168 E. 3a S. 174). Auch nach den unlängst vorgenommenen Überarbeitungen
der Lageklassentabellen, mit welchen den rasanten Entwicklungen der
Bodenpreise in den achtziger Jahren Rechnung getragen werden sollte,
ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung stets sorgfältig zu prüfen,
ob diese Schätzungsmethode den Eigenheiten des Enteignungsobjekts gerecht
zu werden vermöge oder ob sie allenfalls nur zu einer Grobkontrolle der
nach anderen Methoden ermittelten Resultate beizuziehen sei (BGE 128 II
74 E. 5c/bb S. 82).

    5.2  Nach der Lehre beruht die Lageklassenmethode auf der Überlegung,
dass der Grund und Boden als Ganzes letztlich nur so viel Wert aufweise,
wie er an wirtschaftlicher Nutzung zulasse. Die Ermittlung des relativen
Landwertes in Beziehung zur tatsächlichen oder realisierbaren Nutzung führe
daher nicht zu einem Quadratmeterpreis, sondern zu einem Totalbetrag für
den Bodenwert, der - unabhängig von der genauen Quadratmeterzahl - für die
Gebäudegrundfläche und den "normalen Umschwung" gelte (CANONICA, aaO, S.
71, 112; NAEGELI/WENGER, aaO, S. 48 ff.) Wird aber davon ausgegangen,
dass der Bodenwert einer überbauten Liegenschaft mit "normalem Umschwung"
nicht von der jeweiligen Fläche abhängt, so kann auch - wie die Enteignerin
zu Recht bemerkt - die Auffassung vertreten werden, die Abtretung einer für
die Nutzung nur unbedeutenden Zahl von Quadratmetern ändere am Gesamtwert
des Bodens nichts und führe für den Grundeigentümer zu keinerlei Einbusse.
Die Lageklassenmethode erscheint unter diesem Gesichtswinkel für die
Bewertung von kleineren Teilflächen überbauter Grundstücke als ungeeignet.

    5.3  Die Schätzungskommission hat den Bodenwert des teilenteigneten
Grundstücks nicht anhand des Verhältnisses Landwert/Jahresmietzins oder
Landwert/Gebäude-Zeitwert, sondern aufgrund der Lageklassen-Beziehung
von Landwert zum Neubauwert der Liegenschaft ermittelt. Sie hat hierzu
auf die neuere Fachliteratur verwiesen, nach welcher die Vergangenheit
im schweizerischen Immobiliensektor gezeigt habe, dass über eine längere
Zeitspanne gesehen der Gesamtwert eines jeden Grundstücks steige. Mit
dem Gesamtwert bewege sich auch der relative Landwert über einen
längeren Zeitraum kontinuierlich aufwärts, etwa im gleichen Verhältnis
wie die Baukosten und die Mietzinse. Demgegenüber verlören die Bauten -
infolge ihrer wirtschaftlichen und technischen Entwertung - immer mehr an
Wert. Steige jedoch im Laufe der Zeit der Gesamtwert einer Liegenschaft
und nehme der Zeitwert der Gebäude ab, so müsse zwangsläufig der relative
Landwert die Altersentwertung kompensieren; dieser wachse daher sogar
stärker an als der Gesamtwert (CANONICA, aaO, S. 82, 115; vgl. auch
Schätzerhandbuch, Kommentar zu den Tabellen 9 und 10, S. 209 f.)

    Dass aber die Preise für Bauland wie für überbautes Land in
den letzten fünfzig Jahren angestiegen sind, ändert nichts daran,
dass für ältere Wohnbauten in der Regel nicht der selbe Mietertrag
erzielt werden kann wie für Neubauten in gleicher Lage. Ein solcher
auf die Altersentwertung zurückzuführender Minderertrag schlägt sich im
Ertragswert einer Liegenschaft nieder. Würde der Minderwert einer Altbaute
wie behauptet durch den relativen Landwert kompensiert, so würde dieser
jedenfalls insoweit keinen wirtschaftlichen Nutzen bringen. Ein relativer
Landwert(-Teil), der keinen Ertrag abwirft, stünde aber in Widerspruch zum
eingangs erwähnten Prinzip und vermöchte auch den Verkehrswert im Sinne von
Art. 19 lit. a EntG nicht zu beeinflussen; er könnte höchstens im Falle
einer relativ kurz bevorstehenden Neuüberbauung von Bedeutung sein. Es
erscheint deshalb zumindest als fraglich, ob bei der enteignungsrechtlichen
Schätzung des Gesamt- und des relativen Landwertes einer älteren
Mehrfamilienhaus-Parzelle ungeachtet von Mietzins-Mindereinnahmen gleich
vorgegangen werden dürfe wie bei der Bewertung einer Neuüberbauung.

    5.4  Der relative Landwert kann nach dem Verständnis des
Bundesgerichtes den Baulandwert oder absoluten Landwert kaum je
übersteigen, es sei denn, das überbaute Grundstück sei "übernutzt"
oder es lägen andere aussergewöhnliche Umstände vor. Nun hat die
Schätzungskommission für die teilenteignete Liegenschaft aufgrund des
Neubauwertes einen Landwert von Fr. 587'000.- für eine Grundstücksfläche
von 234 m2 ermittelt, was einem Quadratmeterpreis von Fr. 2'510.-
entspricht. Dieser Preis liegt offensichtlich weit über dem, was in den
Aussenquartieren der Stadt Bern für Bauland der Bauklasse 4 bezahlt wird,
besonders wenn dieses Land - wie hier - an eine Bahnlinie und eine stark
befahrene Strasse grenzt. Dabei sind die von der Schätzungskommission bei
der Bauwertberechnung eingesetzten Zahlen kaum zu beanstanden. Einzig
der für Umgebungskosten eingesetzte Pauschalbetrag von Fr. 55'000.-,
der für den gegebenen Umschwung von 94 m2 (Grundstücksfläche von 234
m2 minus überbaute Fläche von 140 m2) rund Fr. 585.-/m2 ausmacht,
lässt sich angesichts der normalerweise eingesetzten Kosten von
Fr. 100.-/m2 bis Fr. 200.-/m2 (vgl. CANONICA, aaO, Tabelle 9, S. 147)
nicht vertreten. Selbst wenn aber die Berechnung in diesem Punkte
korrigiert wird, erscheint der ermittelte Landwert noch als übersetzt. Die
Schätzungskommission hat wohl auch aus diesem Grunde den Quadratmeterpreis
um zwei Drittel reduziert, was für Land, das zu einer zwar schmalen aber
voll genutzten Gartenfläche gehörte und nicht unter einer Baulinie lag,
als sehr hoher Abzug gelten kann (vgl. BGE 122 I 168 E. 4b und c; Urteile
1P.743/2000 vom 29. Juni 2000, E. 4 und 1P.195/ 2003 vom 18. Dezember 2003,
E. 8).

    5.5  Die Schätzungskommission wird somit die Entschädigung für den
abgetretenen Boden neu festzusetzen haben. Dabei wird sie einerseits
darauf zu achten haben, dass diese jedenfalls den Wert von Bauland in
vergleichbarer Lage nicht übersteigt. Andererseits wird sie der Bedeutung,
die dem Garten trotz seiner Schmalheit für die Wohnqualität der enteigneten
Liegenschaft zukommt, bei der Festlegung des Abzugs für bereits überbauten
Boden Rechnung zu tragen haben.

Erwägung 6

    6.  Nach der Schätzungskommission führen die durch das enteignete
Höherbaurecht verursachten Nachteile zu einer Mietzins-Einbusse von 6 %
für die vom Schattenwurf betroffene Parterre-Wohnung. Dieser Einbusse
ist der Nutzen der Lärmschutzwand, der in der möglichen Erhöhung der
Mieten um 3 % bzw. 1.5 % für die Wohnungen im Parterre und im 1. Stock
bestehe, gegenübergestellt worden. Der sich nach Abzug dieses Vorteils
ergebende Rest-Minderwert beläuft sich auf die den Enteigneten vergüteten
Fr. 5'539.-.

    Die Enteignerin bestreitet den Anspruch der Enteigneten auf eine
Entschädigung für Minderwert der Restliegenschaft, begründet dies
jedoch einzig mit dem - bereits widerlegten - Argument, dass es an
übermässigen Immissionen und daher an einem Enteignungsobjekt fehle;
mit der Bemessung des durch das Höherbaurecht verursachten Schadens
befasst sich die Beschwerde nicht. Die Enteigneten verlangen in ihrer
Anschlussbeschwerde eine massive Erhöhung der Minderwertsentschädigung, da
auch die bahnbetriebsbedingten Lärm-, Staub- und Erschütterungseinwirkungen
abzugelten seien. Auch dieser Einwand ist bereits zurückgewiesen worden
(E. 4). Die Höhe der zugesprochenen Minderwertsentschädigung, die von der
Schätzungskommission nach den Regeln des Enteignungsgesetzes über den zu
berücksichtigenden Schaden und die Vorteilsanrechnung festgesetzt worden
ist, ist nicht zu beanstanden. Allerdings darf die im vorliegenden Fall
angestellte genaue Berechnung nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei der
Entschädigungsbemessung für Vor- und Nachteile, wie sie hier in Frage
stehen, weitgehendes Schätzungsermessen besteht und der den Enteigneten
verbleibende Schaden auch mit einem Pauschalbetrag hätte ersetzt werden
dürfen.

    Da Art. 22 Abs. 1 EntG die Anrechnung eines dem Enteigneten
entstehenden Sondervorteils nur an die Minderwertsentschädigung (Art. 19
lit. b EntG) zulässt, fällt die von der Enteignerin verlangte Verrechnung
mit der Entschädigung für die Landabtretung (Art. 19 lit. a EntG)
und der Inkonvenienzentschädigung (Art. 19 lit. c EntG) von vornherein
ausser Betracht.

Erwägung 7

    7.  Im angefochtenen Entscheid wird die Enteignerin mit
Hinweis auf Art. 19bis Abs. 1 EntG zur Verzinsung der zugesprochenen
Entschädigungen ab 26. Oktober 1998, dem Datum der Einigungsverhandlung,
verpflichtet. Art. 19bis Abs. 1 EntG bestimmt jedoch nicht den Beginn
des Zinsenlaufes, sondern setzt den massgeblichen Schätzungszeitpunkt
(dies aestimandi) fest. Für die Verzinsung massgebend sind vielmehr
die Bestimmungen von Art. 76 Abs. 5, Art. 19bis Abs. 4 und Art. 88
Abs. 1 EntG. Danach ist die Enteignungsentschädigung vom Tage der
vorzeitigen Besitzergreifung an zu den üblichen, vom Bundesgericht
festgelegten Zinssätzen zu verzinsen (Art. 76 Abs. 5 Satz 3 EntG). Nach der
rechtskräftigen Festsetzung der Entschädigung wird der Enteigner, ob eine
vorzeitige Besitzergreifung stattgefunden habe oder nicht, nach Ablauf
von 20 Tagen säumig und schuldet den gewöhnlichen Verzugszins (Art. 88
Abs. 1 Satz 1 EntG; vgl. Urteile 1E.3/2003 vom 12. August 2003, E. 4 und
1E.11/2003 vom 22. April 2004, E. 6, je mit Hinweisen). Entrichtet der
Enteigner im Sinne von Art. 19bis Abs. 2 EntG auf Ersuchen des Enteigneten
sofort eine Zahlung in der voraussichtlichen Höhe des Verkehrswertes und
erwirbt damit das Eigentum am Enteignungsobjekt (Art. 91 Abs. 1 EntG),
so hat er den allfälligen Differenzbetrag zwischen geleisteter Zahlung und
endgültiger Entschädigung zunächst zu den vom Bundesgericht festgelegten
Zinssätzen (Art. 19bis Abs. 4 EntG) und nach Ablauf von 20 Tagen nach
rechtskräftiger Festsetzung der Entschädigung zum üblichen Verzugszins
zu verzinsen.

    Im vorliegenden Verfahren hat der Präsident der Eidgenössischen
Schätzungskommission die Enteignerin zur vorzeitigen Besitzergreifung ab 4.
Februar 2002 ermächtigt. Die enteignungsrechtlichen Entschädigungen sind
daher ab diesem Tag zu den vom Bundesgericht festgelegten Zinssätzen
zu verzinsen.