Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 II 248



131 II 248

20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Kantonsgericht
von Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    6A.51/2004 vom 19. April 2005

Regeste

    Art. 10 Abs. 3, Art. 16 Abs. 2 und 3, Art. 17 Abs. 1bis aSVG;
Zulässigkeit von Auflagen zur Fahrerlaubnis bei gleichzeitigem
Warnungsentzug.

    Die Wiedererteilung des zu Warnzwecken entzogenen Führerausweises
nach Ablauf der Massnahme darf grundsätzlich nicht an Bedingungen oder
Auflagen geknüpft werden (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4).

    Im Rahmen der Verhältnismässigkeit ist es stets zulässig, aus
besonderen Gründen den Führerausweis mit Auflagen zu versehen (E. 6).

Sachverhalt

    X. fuhr am 27. August 2003, um 00.25 Uhr, mit seinem Personenwagen
in stark alkoholisiertem Zustand (mindestens 2.10 Gewichtspromille)
mit ca. 60 km/h von Sargans Richtung Maienfeld. Dabei geriet er von der
Strasse und kollidierte mit zwei Bäumen.

    Bereits im Februar 1997 war X. der Führerausweis wegen Fahrens in
angetrunkenem Zustand für zwei Monate entzogen worden. Aus diesem
Grund ordnete das Strassenverkehrsamt des Kantons Graubünden am
30. September 2003 eine Untersuchung zur Abklärung einer allfälligen
Alkoholabhängigkeit bei den Psychiatrischen Diensten Graubünden an
und entzog X. den Führerausweis vorsorglich für unbestimmte Zeit. Das
Gutachten hielt fest, dass kein behandlungsbedürftiger Alkoholmissbrauch
vorliege. Hingegen wurde wegen gewisser Zweifel an der Fahrtauglichkeit
eine ungünstige Prognose bezüglich eines allfälligen Rückfalls in den
folgenden sechs Jahren gestellt. Neben einem Warnungsentzug wurde daher
empfohlen, eine zwölfmonatige kontrollierte Alkoholabstinenz anzuordnen.

    Das Strassenverkehrsamt des Kantons Graubünden hob am 30. Januar
2004 den vorsorglichen Sicherungsentzug auf. Als Auflage verfügte es eine
dauernde Alkoholabstinenz während mindestens zwölf Monaten. Zum Nachweis
wurde X. aufgefordert, nach einem halben und einem Jahr einen Bericht des
Hausarztes einzureichen, der alle vier Wochen die relevanten Laborwerte
festzuhalten habe. Am 3. März 2004 entzog ihm das Strassenverkehrsamt
den Führerausweis mittels Warnungsentzugs für neun Monate.

    Gegen die Verfügung vom 30. Januar 2004 erhob X. Beschwerde beim
Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement des Kantons Graubünden mit dem
Antrag, der angefochtene Entscheid sei hinsichtlich der angeordneten
Alkoholabstinenz aufzuheben. Am 7. April 2004 wurde seine Beschwerde
abgewiesen. Die gegen diesen Entscheid beim Kantonsgerichtsausschuss
Graubünden eingelegte Berufung wurde am 14. Juni 2004 abgewiesen.

    X. führt eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag,
das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben.

    Das Kantonsgericht von Graubünden hat auf Gegenbemerkungen zur
Beschwerde verzichtet. Das Bundesamt für Strassen beantragt in seiner
Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, die Vorinstanz habe
Bundesrecht verletzt. Es sei nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
nicht zulässig, die Auflage anzuordnen, sich einer kontrollierten
Alkoholabstinenz zu unterziehen und daneben einen Warnungsentzug
auszusprechen.

Erwägung 3

    3.  Die Bestimmungen über den Entzug von Führerausweisen wurden
mit Bundesgesetz vom 14. Dezember 2001 revidiert (BBl 1999 S. 4462). In
Kraft getreten ist das neue Recht auf den 1. Januar 2005. Es gilt nach
den Übergangsbestimmungen grundsätzlich nur für Widerhandlungen, welche
nach seinem In-Kraft-Treten begangen werden (AS 2002 S. 2780). Vorliegend
kommen somit die zur Tatzeit geltenden alten Bestimmungen zur Anwendung.

Erwägung 4

    4.  Die Gesetzgebung zum Strassenverkehr unterscheidet zwischen
Warnungs- und Sicherungsentzügen. Der Warnungsentzug bezweckt, den
Fahrzeuglenker, der schuldhaft Verkehrsregeln verletzt hat, zu mehr
Sorgfalt und Verantwortung zu erziehen und ihn dadurch von weiteren
Verkehrsdelikten abzuhalten (Art. 16 Abs. 2 und 3 aSVG; Art. 30 Abs. 2
aVZV; BGE 129 II 92 E. 2.1). Demgegenüber dient der Sicherungsentzug
dazu, den Verkehr von Fahrzeuglenkern, die aus medizinischen oder
charakterlichen Gründen, wegen Trunksucht oder anderer Süchte oder wegen
einer anderen Unfähigkeit zum Führen eines Motorfahrzeugs nicht geeignet
sind, freizuhalten (Art. 16 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2
aSVG; BGE 129 II 82 E. 2.1).

    4.1  Seiner Funktion entsprechend wird der Führerausweis beim
Sicherungsentzug auf unbestimmte Zeit entzogen. Die Wiedererteilung
kommt erst in Frage, wenn der Eignungsmangel behoben ist (vgl. Art. 17
Abs. 1bis aSVG). Zum Nachweis der Heilung wird bei Suchtkrankheiten in
der Regel eine mindestens einjährige kontrollierte Abstinenz verlangt
(BGE 129 II 82 E. 2.2). Bestehen nach Ablauf der mindestens einjährigen
Probezeit noch Bedenken, kann die Wiedererteilung des Führerausweises an
Auflagen geknüpft werden (BGE 125 II 289 E. 2b).

    4.2  Der Warnungsentzug kommt demgegenüber nur in Betracht, wenn die
Fahreignung des fehlbaren Lenkers grundsätzlich zu bejahen ist. Diese
Entzugsart hat erzieherischen Charakter und wird im Gegensatz zum
Sicherungsentzug für eine bestimmte Dauer, in welcher die angestrebte
Wirkung beim Verkehrsdelinquenten eintreten soll, ausgesprochen.
Entsprechend ist nach Ablauf der Entzugsdauer der Ausweis dem
Fahrzeuglenker ohne weiteres wieder auszuhändigen. In diesem Sinne darf
die Wiedererteilung nach Ablauf der ausgesprochenen Entzugsdauer von
keinen Bedingungen abhängig gemacht oder mit Auflagen verbunden werden
(BGE 130 II 25 E. 3.2 mit Hinweisen). Eine Ausnahme gilt einzig im Fall
der vorzeitigen Wiedererteilung des Ausweises, die an Bedingungen geknüpft
werden bzw. unter Auflagen erfolgen kann, welche die weitere Besserung
des Fehlbaren sicherstellen sollen.

Erwägung 5

    5.  Es trifft zu, dass der Selbstunfall vom 27. August 2003 sowohl
Anlass für die Auflagen vom 30. Januar 2004 als auch für den am 3. März
2004 ausgesprochenen Warnungsentzug war. Die beiden Anordnungen stützen
sich indessen auf unterschiedliche Bestimmungen und wurden rechtlich nicht
verknüpft. Die umstrittene Verfügung vom 30. Januar 2004 bildet nicht
Teil des Warnungsentzugs, da die Wiedererteilung des Ausweises nicht von
der Einhaltung der Auflagen abhängig gemacht wurde. Dem Beschwerdeführer
wurde denn auch nach Ablauf der Entzugsdauer der Führerausweis wieder
ausgehändigt.

Erwägung 6

    6.  Es stellt sich hier die Frage, ob nach einer Tat, die einen
Warnungsentzug nach sich zieht, zusätzlich Auflagen zur Fahrerlaubnis
verfügt werden dürfen.

    6.1  Die Verfügung vom 30. Januar 2002 enthält Auflagen zum
Führerausweis gestützt auf Art. 10 Abs. 3 aSVG. Diese Bestimmung wurde mit
In-Kraft-Treten der jüngsten Revision auf den 1. Januar 2005 aufgehoben,
was aber an der Zulässigkeit von Auflagen nichts ändert (vgl. Botschaft des
Bundesrats vom 31. März 1999, BBl 1999 S. 4482; PHILIPPE WEISSENBERGER,
Administrativrechtliche Massnahmen gegenüber Motorfahrzeuglenkern
bei Alkohol- und Drogengefährdung, Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht
2004, S. 134 mit zahlreichen Hinweisen). Nach verwaltungsrechtlichen
Grundsätzen können Bewilligungen mit Nebenbestimmungen verbunden werden,
wenn sie aufgrund des Gesetzes ansonsten verweigert werden könnten
(ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl.,
Zürich 2002, S. 187; WEISSENBERGER, aaO, mit weiteren Hinweisen).

    6.2  Aus besonderen Gründen können Führerausweise befristet,
beschränkt oder mit Auflagen verbunden werden. Dies ist nicht nur bei
der Ausweiserteilung, sondern auch in einem späteren Zeitpunkt möglich,
um Schwächen hinsichtlich der Fahrtauglichkeit zu kompensieren. Solche
Auflagen zur Fahrberechtigung sind somit im Rahmen der Verhältnismässigkeit
stets zulässig, wenn sie der Verkehrssicherheit dienen und mit dem
Wesen der Fahrerlaubnis im Einklang stehen (WEISSENBERGER, aaO,
S. 134). Erforderlich ist, dass sich die Fahreignung nur mit dieser
Massnahme aufrecht erhalten lässt (BGE 130 II 25 E. 4; Urteil 6A.58/2004
vom 26. November 2004, E. 1). Zudem müssen die Auflagen erfüll- und
kontrollierbar sein (RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen
Strassenverkehrsrechts, Bd. I: Grundlagen, Verkehrszulassung und
Verkehrsregeln, Bern 2002, S. 164).

    6.3  Dass ein Fahrzeuglenker zum Alkoholmissbrauch neigt, stellt einen
besonderen Grund dar, der Auflagen rechtfertigt. Die Fahreignung solcher
Lenker bedarf der besonderen Kontrolle. Daran vermag der Umstand nichts zu
ändern, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich über die Eignung verfügt,
ein Fahrzeug zu lenken, weil keine Alkoholsucht im medizinischen Sinne
besteht. Angesichts der festgestellten Gefahr des Alkoholmissbrauchs
erscheint es verhältnismässig, wenn die kantonalen Behörden die
Fahrerlaubnis von der Einhaltung einer kontrollierten Abstinenz abhängig
machen. Es besteht keine mildere Massnahme, mit der gewährleistet werden
könnte, dass der Beschwerdeführer nicht in fahruntüchtigem Zustand am
Verkehr teilnimmt. Die betreffende Auflage ist daher als erforderlich zu
werten. Auch der Umstand, dass sich diese teilweise auf einen Zeitraum
hätte erstrecken sollen, in welchem ihm infolge des Warnungsentzugs die
Fahrberechtigung entzogen war, ändert daran nichts. Die ihm auferlegte
abstinente Lebensweise bezweckt nämlich eine nachhaltige Sicherstellung
der Fahreignung.

Erwägung 7

    7.  Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es im Rahmen der
Verhältnismässigkeit stets zulässig ist, den Führerausweis mit Auflagen
zu versehen, welche die Fahreignung des Lenkers sicherstellen. Es
ist lediglich unzulässig, einen Warnungsentzug auszusprechen und die
ordentliche Wiedererteilung von Bedingungen abhängig zu machen.