Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 70



131 III 70

9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. AG gegen B. AG
(Berufung)

    4C.207/2004 vom 8. Oktober 2004

Regeste

    Unterlassungsbegehren in Patentstreitigkeiten; Voraussetzungen einer
hinreichend bestimmten Formulierung des Verletzungsgegenstandes.

    Unterlassungsklagen müssen auf das Verbot eines genau umschriebenen
Verhaltens gerichtet sein; Formulierung von Unterlassungsbegehren im
Patentverletzungsprozess (E. 3.3 und 3.4).

    Der Verletzungsprozess dient nicht einer allgemeinen Definition
des Schutzbereichs des Patents, sondern hat eine oder mehrere konkrete
Verletzungen zum Gegenstand (E. 3.5).

    Zu umfassend formulierte Begehren auf Unterlassung können nur insoweit
auf das zulässige Mass eingeschränkt werden, als sie hinreichend klar
formuliert sind (E. 3.6).

Sachverhalt

    Die A. AG (Klägerin) ist Inhaberin des Patents CH 0000
"Sammelhefter". Sie gelangte am 17. Juni 2002 an das Kantonsgericht
Nidwalden und stellte folgende Anträge: es sei der B. AG (Beklagte) unter
Straffolge zu verbieten, Sammelhefter mit den im Begehren aufgeführten
Merkmalen, namentlich Hefter mit den Bezeichnungen X., Y. und Z. in der
Schweiz herzustellen, zu verkaufen usw.; die Beklagte sei zur Auskunft
über ihre Geschäfte mit entsprechenden Sammelheftern zu verpflichten; es
sei der Klägerin nach ihrer Wahl Schadenersatz oder der von der Beklagten
erzielte Gewinn zuzusprechen. Die Beklagte beantragte das Nichteintreten,
eventuell die Abweisung der Klage. Der Gerichtspräsident beschränkte das
Verfahren auf die Eintretensfrage.

    Mit Urteil vom 5. November 2003 trat das Kantonsgericht Nidwalden,
Grosse Kammer II, auf die Klage nicht ein. Zur Begründung führte
das Gericht aus, das klägerische Rechtsbegehren auf Unterlassung
sei mangels ausreichender Umschreibung des Verletzungsgegenstandes
unzulässig. Ausserdem kam das Gericht zum Schluss, auf die Klage sei auch
wegen doppelter Rechtshängigkeit nicht einzutreten.

    Die Klägerin hat gegen dieses Urteil eidgenössische Berufung
eingereicht mit den Rechtsbegehren, es sei das angefochtene Urteil
aufzuheben und das Kantonsgericht Nidwalden anzuweisen, auf ihre Klage
einzutreten; eventualiter sei das Kantonsgericht anzuweisen, auf ihre
Klage einzutreten, wobei das Unterlassungsbegehren bei unverändertem
Rest wie folgt einzuschränken sei: "Es sei der Beklagten unter Androhung
der Straffolgen von Art. 292 StGB zu verbieten, Sammelhefter, die mit
den Bezeichnungen X., Y. und Z. gekennzeichnet sind, in der Schweiz
herzustellen (...) ." Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.  Die Vorinstanz ist auf die Klage hauptsächlich mit der Begründung
nicht eingetreten, das Unterlassungsbegehren sei nicht hinreichend
bestimmt formuliert.

    3.1  Die Klägerin stellte im vorinstanzlichen Verfahren folgendes
Unterlassungsbegehren:

      "Es sei der Beklagten unter Androhung der Straffolgen von

      Art. 292 StGB zu verbieten, Sammelhefter, namentlich die mit den

      Bezeichnungen X., Y. und Z.  gekennzeichneten Sammelhefter, in

      der Schweiz herzustellen, in der Schweiz oder von der Schweiz aus

      feilzuhalten, zu verkaufen oder in Verkehr zu bringen und/oder an

      solchen Handlungen in irgendeiner Form mitzuwirken, wobei diese

      Sammelhefter die nachstehenden Merkmale aufweisen

    - mehrere Anlegestationen, die im Maschinentakt angetrieben sind

    - die Anlegestationen sind an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger

        Auflage für die darauf abgelegten Druckbogen angeordnet

    - die Sammelstrecke ist längs der Auflage mit Mitnehmern versehen,

        welche die Druckbogen zum Heftapparat führen

    - parallel zur Sammelstrecke sind weitere Sammelstrecken mit Mitnehmern

        vorhanden, wobei alle Sammelstrecken achssymmetrisch und drehbar

        um eine Achse angeordnet sind

    - mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen jeweils eine

        der sich nacheinander folgenden Sammelstrecken mit Druckbogen."

    3.2  Anspruch 1 des Klagpatents CH 0000 lautet wie folgt:

      "Sammelhefter mit Anlegestation, welche im Maschinentakt angetrieben

      und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf

      abgelegten Druckbogen angeordnet sind, welche Sammelstrecke mit längs

      der Auflage zu einem Heftapparat wirksamen Mitnehmern versehen ist,

      dadurch gekennzeichnet, dass parallel zur erwähnten Sammelstrecke

      wenigstens eine weitere Sammelstrecke mit Mitnehmern vorhanden ist,

      und dass mit jedem Maschinentakt die Anlegestationen nacheinander

      eine der Sammelstrecken mit einem Druckbogen beschicken".

    Der abgeleitete Anspruch 3 umschreibt einen Sammelhefter nach Anspruch
1 als

      "dadurch gekennzeichnet, dass die Sammelstrecken achssymmetrisch

      und drehbar um eine Achse angeordnet sind".

    Die Klägerin bringt vor, von einer blossen Wiedergabe von
Patentanspruch 1 könne keine Rede sein; ihr Unterlassungsbegehren enthalte
- nebst dem abweichenden Wortlaut - im Vergleich zu Patentanspruch 1
insbesondere Typenbezeichnungen und eine zusätzliche Umschreibung der
kennzeichnenden Merkmale "Sammelstrecke mit Mitnehmern" (entsprechend
Patentanspruch 3 "achssymmetrisch und drehbar um eine Achse) sowie "mit
jedem Maschinentakt ... nacheinander" (präzisierend "jeweils eine der sich
nacheinander folgenden Sammelstrecken"). Die Klägerin hält dafür, sie habe
bei der Formulierung ihres Begehrens eine Kombination von konkreter und
abstrakter Umschreibung des Verletzungsgegenstandes gewählt und sei damit
bewährter Lehre und Rechtsprechung gefolgt; sie verweist unter anderem auf
BLUMER (Patentverletzungsprozess, in: Bertschinger/Münch/Geiser [Hrsg.],
Schweizerisches und europäisches Patentrecht, Rz. 17.92), DIGGELMANN
(Unterlassungsansprüche im Immaterialgüterrecht, SJZ 88/1992 S. 29),
PEDRAZZINI (Patent- und Lizenzvertragsrecht, 2. Aufl., S. 167 f.) und
HEINRICH (Kommentar PatG/EPÜ, Zürich 1998, N. 72.12).

    3.3  Unterlassungsklagen müssen auf das Verbot eines genau
umschriebenen Verhaltens gerichtet sein (BGE 97 II 92 S. 93, mit
Hinweisen). Die verpflichtete Partei soll erfahren, was sie nicht mehr
tun darf, und die Vollstreckungs- oder Strafbehörden müssen wissen,
welche Handlungen sie zu verhindern oder mit Strafe zu belegen haben
(BGE 88 II 209 E. III/2 mit Hinweisen). Werden diese Behörden mit der
Behauptung angerufen, der Beklagte habe eine ihm untersagte Handlung
trotz des Verbots des Zivilrichters erneut begangen, haben sie einzig zu
prüfen, ob die tatsächliche Voraussetzung erfüllt ist; dagegen haben sie
das Verhalten nicht rechtlich zu qualifizieren (BGE 84 II 450 E. 6). Wird
insbesondere das Verbot patentverletzender Handlungen beantragt, so kann
die sinngemässe Aufnahme der Patentansprüche in das Unterlassungsbegehren
zwar zur Klärung des Verletzungsgegenstands erforderlich sein, sie ist
aber zur Identifizierung der zu verbietenden Handlungen ebenso wenig
ausreichend wie etwa die Angabe der Typennummer eines Erzeugnisses
(DAVID, Der Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, SIWR Bd. I/2, 2. Aufl.,
S. 80). Die behauptete Verletzungs- oder Ausführungsform ist vielmehr so
zu beschreiben, dass durch blosse tatsächliche Kontrolle ohne weiteres
festgestellt werden kann, ob die verbotene Ausführung vorliegt. Denn
der Patentverletzungsprozess bezweckt die rechtskräftige Bestimmung des
Schutzbereiches des Patents in der Konfrontation zwischen dem Patent
und der behaupteten Verletzungs- oder Ausführungsform (DOLDER/FAUPEL,
Der Schutzbereich von Patenten, 2. Aufl. Köln, S. 6 f.; HILTY, Der
Schutzbereich des Patents, Basel 1990, S. 2/109; vgl. auch SCHAREN,
in: Benkard [Hrsg.], Europäisches Patentübereinkommen, München 2002,
N. 2 f./66 ff. zu Art. 69). Dieser Zweck lässt sich nicht erreichen,
wenn im Vollstreckungsverfahren wiederum geprüft werden muss, ob die
dem Patentinhaber vorbehaltene technische Lehre benützt wird. Vielmehr
ist die Verletzungsform als reale technische Handlung durch bestimmte
Merkmale so zu umschreiben, dass es keiner Auslegung rechtlicher oder
mehrdeutiger technischer Begriffe bedarf.

    3.4  Der Klägerin kann nicht gefolgt werden, wenn sie davon ausgeht,
es könne nicht entscheidend sein, wie konstruktive Einzelheiten bei den
angegriffenen Verletzungsformen gelöst würden, nachdem der Anspruch
1 des Streitpatentes diese konstruktiven Einzelheiten dem Fachmann
überlasse. Zwar trifft zu, dass es für eine Verletzung genügt, wenn die
entscheidenden Merkmale des Patentanspruchs verwirklicht sind (BGE 125
III 29 E. 3b) und dass ein Urteilsdispositiv im Lichte der Erwägungen
zu verstehen ist (BGE 115 II 187 E. 3c S. 192). Ob die entscheidenden
Merkmale des Patentanspruchs konkret verwirklicht sind, bildet aber
gerade Gegenstand des Verletzungsprozesses; denn dass ein gültiges
Patent als solches nicht benutzt werden darf, steht auch ohne Prozess
fest und ergibt sich bereits aus Art. 66 PatG (SR 232.14). Gegenstand
des Verletzungsverfahrens bildet die Streitfrage, ob die angegriffene
Ausführung mit den konkret benutzten konstruktiven Einzelheiten die
technische Lehre des Patents ausführt. Das - allenfalls durch Beizug
der Erwägungen auszulegende - Urteilsdispositiv hat daher konkret
darzustellen, welche Merkmale des Verletzungsgegenstands als Ausführung
der technischen Lehre angegriffen werden (vgl. für Deutschland etwa
ROGGE, in: Benkard [Hrsg.], Patentgesetz, 9. Aufl., München, N. 32 zu
§ 139 PatG). Dafür genügt die Wiederholung der in der Patentschrift
aufgeführten Merkmale nicht, sondern es ist die Beschreibung der
Verletzungsform erforderlich. Nur wenn konkret die technischen Merkmale
genannt werden, die in der angegriffenen Ausführung das Streitpatent
benützen, ist ein allfälliges Verbot vollstreckbar. Es genügt nicht,
dass die Patentansprüche etwas anders formuliert und - ohne Bezug auf
die konkrete Ausführung durch die Beklagte - bloss wiederholt oder aus
Sicht der Klägerin allgemein interpretiert werden.

    3.5  Die Klägerin hat die konkreten Merkmale der angegriffenen
Verletzungsform(en) in ihrem Rechtsbegehren nicht genannt. Dass die
Unterlassungsklage nicht gegen konkrete Ausführungen der Beklagten
gerichtet ist, gesteht die Klägerin selbst zu, wenn sie die weite -
abstrakte - Formulierung des Unterlassungsbegehrens insbesondere damit
begründet, dass der weit formulierte Patentanspruch 1 auch einen weiten
Schutzbereich habe. Sie verkennt damit, dass der Verletzungsprozess
nicht einer allgemeinen Definition des Schutzbereichs des Patents dienen
kann, sondern eine oder mehrere konkrete Verletzungen zum Gegenstand
hat; allein für konkret definierte Ausführungen kann beurteilt werden,
ob sie die patentierte Lehre benützen. Wenn die Klägerin ausserdem
dafür hält, es sei ohne Beweisverfahren nicht feststellbar, dass keine
patentverletzende Nachmachung vorliege, so geht sie zu Unrecht davon aus,
die Vorinstanz habe ihre Begehren materiell beurteilt. Die Vorinstanz
hat mangels hinreichender Definition der angegriffenen Verletzung die
Behandlung der Klage abgelehnt. Sie hat erkannt, der etwas umformulierte
und durch allgemein-interpretatorische oder kennzeichnende Zusätze
ergänzte Patentanspruch 1 im Rechtsbegehren der Klägerin könne im Falle
der Gutheissung nicht zum vollstreckbaren Urteil erhoben werden und
sei daher zu unbestimmt formuliert. Dadurch hat die Vorinstanz kein
Bundesrecht verletzt.

    3.6  An der zu unbestimmten Formulierung der Unterlassungsklage ändert
auch nichts, dass die Klägerin drei Typenbezeichnungen genannt hat, durch
die sie ihr Patent als verletzt ansieht. Durch welche technischen Merkmale
diese Typen konkret charakterisiert sein sollen, ist dem - zu allgemein
formulierten - Rechtsbegehren nicht zu entnehmen. Da Typenbezeichnungen
problemlos geändert werden können, sind sie allein grundsätzlich
nicht geeignet, die angegriffene Ausführung zu individualisieren
(vgl. DAVID, aaO, S. 80 f.). Aus dem Urteil 4C.319/2001 vom 31. Januar
2002 (sic! 7/8/2002 S. 534) ergibt sich entgegen der Auffassung
der Klägerin nicht das Gegenteil; denn in diesem Fall war allein die
Widerklage auf Nichtigkeit zu beurteilen, ohne dass die Rechtsbegehren der
Verletzungsklage in irgendeiner Weise entscheiderheblich gewesen wären; sie
mussten daher auch nicht in ihrer vollständigen Formulierung in das Urteil
aufgenommen werden. Sowohl der Haupt- wie der Eventualantrag der Berufung
sind abzuweisen. Denn zu umfassend formulierte Begehren auf Unterlassung
können nur insoweit auf das zulässige Mass eingeschränkt werden, als sie
hinreichend klar formuliert sind (BGE 107 II 82 E. 2b S. 87; vgl. auch
Urteil 4C.290/2001 E. 2 vom 8. November 2002, sic! 4/2003 S. 323).